Ich habe gemeinsam mit meiner Mutter unseren Vater 9 Jahre gepflegt - im Alter von 82 bis 91 Jahren (Parkinson, häufige Ohnmachtsanfälle, Harn-. und Stuhl-Inkontinenz, Demenz, und natürlich kamen in den letzten Jahren immer weitere Erkrankungen hinzu).
Im Alter von 91 Jahren war unser Vater für 4 Tage in einer stationären Pflege, weil meine Mutter während dieser Zeit im Krankenhaus war. Und allein (s.o.) war das nicht zu bewältigen, da immer zwei Personen - an jeder Seite einer - zufassen mußten.
Ich habe natürlich meinen Vater in diesen 4 Tagen jeden Tag besucht. Während eines Besuches wurde mein Vater im Sitzen ohnmächtig, da wollte das gelernte Pflegepersonal meinen Vater im Stuhl sitzen lassen, bis er wieder zu sich kommen würde! Ich sagte: "Ohnmacht = Blutleere im Hirn, d.h. lebensbedrohlicher Zustand, wenn der Körper nicht hingelegt wird, weil das Hirn am tiefsten liegen muß, damit es wieder durchblutet wird" (das haben wir als Pioniere in der DDR in der AG "Junge Sanitäter" gelernt = "Unrechtsstaat").
Da mußte ich den gelernten Pflegekräften vormachen (!), wie man einen ohnmächtigen Patienten (der in dieser Situation zum Glück keinen Durchfall hatte), und der natürlich völlig erschlafft ist und einem aus den Armen rutscht, allein aus dem Stuhl hebt und allein aufs Bett legt. Das konnten die nicht! Da war ich natürlich aufs höchste besorgt: was passiert in diesen vier Tagen? Eigentlich hatte ich gehofft, daß ich an diesen 4 Tagen mal ein bißchen Zeit für mich habe, aber die Pflegekräfte hatten mich gebeten: "Bleiben Sie doch zum Abendbrot da." Weil sie gar keine Zeit hatten, meinen Vater beim Aufnehmen der Mahlzeit vom Teller zu helfen, da habe ich dann an allen 4 Tagen meinem Vater auch beim Abendbrot assistiert.
Als mein Vater im Alter von 86 für vier Tage in der Augenklinik zur OP war (Grauer Star, also Routine), und da ging es ihm noch etwas besser, da erläuterte ich in der Aufnahme der Schwester, worauf sie achten müssen; insbesondere wegen Ohnmacht, beim zu schnellen Erheben vom Sitzen. Ich: "Wenn mein Vater vor einer Untersuchung auf dem Stuhl sitzt und wartet und dann aufgerufen wird, dann muß ein Pfleger/Schwester bei ihm sein und ihm vorsichtig aufhelfen und mitgehen. Er darf nicht zu schnell aufstehen, weil dann die Gefahr einer Ohnmacht und eines Sturzes zu groß ist:" Das ist doch wohl nicht viel verlangt. Darauf sagte mir die Schwester in einem rotzigen Ton ins Gesicht, wörtlich: "Das können Sie vergessen, das können wir nicht machen." Wenn mein Vater nicht dabei gewesen wäre, der sich in hohem Alter immer sehr aufgeregt hat, hätte ich den Vorgesetzten zu sprechen verlangt. Es kam dann, wie es kommen mußte: mein Vater wurde am letzten Tag aufgerufen, stand zu schnell auf, stürzte; er hätte ich dabei auch die Wirbelsäule oder den Schädel brechen können, aber zum Glück war es nur eine leichte Platzwunde. Deshalb mußte er zur weiteren Untersuchung auf die Station für Innere Medizin verlegt werden, nochmals sieben Tage, das war für ihn sehr belastend + massive zusätzliche Kosten, die man hätte vermeiden können. Bei der 2. Augen-OP habe ich mich dann für diese 4 Tage gleich mit einweisen lassen, um meinen Vater im Krankenhaus zu pflegen.
Für diese 9 Jahre, in denen ich meinen Vater gepflegt habe, wird mir dann, wenn ich 65 bin, massiv die Rente gekürzt. Denn in dieser Zeit habe ich studiert (habe deshalb 4 Jahre für die Diplomarbeit gebraucht), hatte deshalb kein Einkommen und war danach bis über den Tod unseres Vaters hinaus erwerbslos. Laut Bescheid der Rentenversicherung erhalte ich dann 240,- € Rente (zweihundertvierzig Euro) im Monat. Ich habe mir deshalb den Spaß gemacht und dagegen geklagt (natürlich diplomatisch formuliert), da sagte mir die Richterin auf dem Sozialgericht, die mit Sicherheit als Beamtin im Alter um die 60 ein Gehalt von über 6.000,- € und dann eine schöne Pension bekommt, mehrmals wörtlich: "Sie müssen sich damit abfinden, die Pflege Ihres Vaters ist irrelevant."
Wer kranke Angehörige pflegt, wird gleich dreifach bestraft: Er lebt jahrelang ohne jedes Einkommen (seine Angehörigen müssen obendrein noch die Krankenversicherung bezahlen) oder mit einem äußerst geringen Einkommen, obwohl er mehr als voll arbeitet. Dann hat er nach all den Jahren kaum eine Chance, wieder in seinen erlernten Beruf einzusteigen und muß meistens niedrig qualifizierte Arbeiten für wenig Geld ausüben. Und drittens wird er dann nochmals bestraft, wenn er seine Rente erhält, die aufgrund der Pflege massiv gekürzt wird, und das bis zum Lebensende. "Private Rentenversicherung als Vorsorge abschließen", wie das Politiker immer fordern, ist absurd, denn wovon, wenn man kein Einkommen hat, und diese private Rente wird einem dann sofort wieder von der Grundsicherung abgezogen. Und er hat selber kaum die Möglichkeit, eine eigene Familie zu gründen oder überhaupt erstmal (aufgrund von Armut und Zeitdruck) einen Partner zu finden.
Aber in ein Pflegeheim möchte man heutzutage seine eigenen Eltern niemals abschieben.
Abschließend ein Zitat eines Managers der Rhön AG (Krankenhaus-Konzern) vom August 2014 aus dem MDR-Fernsehen (Mitteldeutscher Rundfunk) in einer Sendung über eine Station, die geschlossen werden sollte, weil sie keinen Gewinn abwirft:
Die Rhön AG ist ein börsen-orientiertes Unternehmen. Die Aktionäre wollen Cash sehen. Verlustbringer müssen eliminiert werden." Aber auch alte, kranke Menschen, Pflegebedürftige, Unheilbar Kranke, geistig und körperlich Behinderte sind "Verlustbringer". Da haben wir noch einiges zu befürchten.
Vor Jahren (um 2000) forderte bereits der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Vilmar: "Wir müssen uns über das sozialverträgliche Früh-Ableben älterer Menschen ganz neue Gedanken machen."