Für eine emanzipatorische Familienpolitik der Partei DIE LINKE
Beschluss des 1. Parteitages der Partei DIE LINKE am 24. und 25. Mai 2008 in Cottbus
Beschluss des 1. Parteitages der Partei DIE LINKE am 24. und 25. Mai 2008 in Cottbus
In der politischen Debatte der Bundesrepublik haben Fragen der Familienpolitik und der Kinderbetreuung derzeit Hochkonjunktur, angestoßen sowohl durch die erschreckenden Untersuchungsergebnisse zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungszugang von Kindern und Jugendlichen, als auch durch das gewachsene Bedürfnis von Frauen nach Erwerbstätigkeit und Eigenständigkeit. Darauf reagiert die modernisierte Familienpolitik der CDU. Ihre Politik richtet sich vorwiegend an die gut ausgebildeten und hoch qualifizierten Frauen, die in ihrer Karriere gehandicapt sind und die an der Rückkehr in den Beruf nach der Familienphase scheitern. Die CDU fordert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nimmt aber billigend in Kauf, dass ihre Politik rücksichtslos dazu beiträgt, die arbeitslosen, geringer qualifizierten, armen und älteren Frauen, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt gering sind, abzuhängen. Sie kündigt den Ausbau von Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten für Kinder an, verschlechtert aber nachhaltig die Situation der Familien durch die Streichung des Kindergeldes für die über Fünfundzwanzigjähren und trägt dazu bei, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, wie nicht zuletzt im jüngsten Armutsbericht dokumentiert
Aber die CDU erhält Gegenwind aus klerikalen, auch aus neokonservativen eigenen Reihen. Diese antworten mit einer Renaissance der Familie. Sie sprechen innige Gefühle an, Wünsche nach Geborgenheit, Zuwendung, Liebe, Sicherheit, Anerkennung, um ihre rückwärtsgewandte Weltsicht des späten 19. und 20. Jahrhunderts durchzusetzen - als die Familie noch in Ordnung schien und die abendländischen Werte galten. Dafür haben die deutschen Neokonservativen, die zunehmend auch auf europäischer Ebene kooperieren, ein dichtes Netz an familienpolitischen Initiativen, Vereinen, Forschungsinstituten geknüpft. Diese Lobby ist sehr einflussreich. Sie erreicht Massenmedien, Parteien, sie beeinflusst die Politik. Ihre wichtigsten Argumente und Forderungen: Die Familie soll als Keimzelle des Staates und der Gesellschaft in die Lage versetzt werden, die Sorge- und Erziehungsarbeit privat in der Familie zu leisten. Doch dazu sei die Familie immer weniger in der Lage, sie sei benachteiligt, werde ausgebeutet; Kinder bräuchten in den ersten Jahren die häusliche Erziehung, "Fremdbetreuung" schade ihnen.
Auch DIE LINKE sieht die Auswirkungen einer unsozialen Politik: Kinder sind ein Armutsrisiko, in Deutschland wächst jedes achte Kind in Armut auf. Altersarmut kehrt zurück. Diese Entwicklungen empören DIE LINKE. Aber wir ziehen daraus andere Schlussfolgerungen als die Konservativen. Wir entwickeln Alternativen. In der allgemeinen wie in der Familienpolitik will DIE LINKE eine Adresse sein gegen die Privatisierung öffentlicher Güter und Dienste – auch für Kinder gibt es eine öffentliche Verantwortung. Für gleiche Entwicklungs- und Teilhabemöglichkeiten zu sorgen kann nicht alleine Privatsache der Eltern sein. Wir streiten für soziale Sicherheit, Gerechtigkeit, für Selbstbestimmung und die Gleichstellung der Geschlechter. Diese wollen wir aktiv befördern.
Familien brauchen gesellschaftliche Solidarität. Transferleistungen zur Unterstützung von Familien müssen Hand in Hand gehen mit dem Ausbau eines hochwertigen und elternbeitragsfreien Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebotes für alle Kinder und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern.
Die Kinderarmut in Deutschland ist dramatisch. Armut ist der größte Risikofaktor für die kindliche Entwicklung. Ihr kann nur begegnet werden, wenn die Armut der Eltern überwunden wird und die öffentlichen Einrichtungen der Erziehung, der Kinder- und Jugendhilfe dazu befähigt sind, die strukturelle Benachteiligung armer Kinder auszugleichen. Unabhängig von Erwerbs- und Sozialstatus der Eltern müssen Kinder gleiche Entwicklungschancen erhalten.
Die Unterstützung von Familien darf nicht länger an Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus anknüpfen. Familienpolitische Leistungen müssen allen in Deutschland lebenden Kindern und Familien unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährt werden, insbesondere Elterngeld, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss.
DIE LINKE fordert eine eigenständige soziale Sicherung für alle Familienangehörigen einschließlich einer eigenen sozialen Grundsicherung für Kinder.
Als erster Schritt zu einer individuellen und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung sind die bisherigen Instrumente Kindergeld und Kinderzuschlag dringend zu reformieren und den tatsächlichen Bedürfnissen anzupassen. In der Sozialgesetzgebung darf der Regelsatz nicht weiterhin einfach vom Bedarf eines Erwachsenen abgeleitet werden. In einen kinderspezifischen Regelsatz müssen die Kosten für gesunde Ernährung, altersgerechte Kleidung, Schulbesuch und Teilnahme am kulturellen Leben erfasst und abgedeckt werden.
DIE LINKE setzt sich ein für den massiven Ausbau elternbeitragsfreier Ganztags-Angebote in öffentlichen Kitas für alle Kinder unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern. Kinder aller Schichten müssen die Möglichkeit haben, in integrativen Kitas individuell betreut, angeregt und gefördert zu werden. Wir wollen, dass Kinder aller sozialer Schichten gemeinsam spielen und lernen können - mit behinderten und nichtbehinderten Kindern, mit Kindern unterschiedlicher Religionen, mit und ohne Migrationshintergrund.
DIE LINKE verbindet ihre Forderungen zur Kinderbetreuung mit der frühkindlichen Bildung. Kinder lernen am besten von und mit anderen Kindern. Deshalb lehnt DIE LINKE Vorstellungen ab, die nur oder vor allem auf die häusliche Erziehung von Kindern im Vorschulalter abzielen. Solche Vorstellungen unterdrücken die Rechte der Kinder auf eine öffentlich integrative soziale Vorschulbildung.
DIE LINKE lehnt die Diskreditierung der Kinderkrippen und Kindertagesstätten ab. Behauptungen, sie würden Kindern schaden, gehen vollkommen an der Realität vorbei. Wir setzen uns für eine Verbesserung der Bedingungen in den Kitas ein.
DIE LINKE fordert den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung als Recht des Kindes. Sie setzt sich ein für das Recht der Kinder auf gebührenfreie, qualitativ hochwertige öffentliche vorschulische Bildung. Sie stellt keinen Widerspruch dar zu einem liebevollen Elternhaus, sondern ist eine notwendige Ergänzung, um soziales und kognitives Lernen, Erleben und Gemeinschaft zu ermöglichen. Die derzeitig geltenden und noch beabsichtigen gesetzlichen Regelungen zum Rechtsanspruch auf Betreuung bleiben hinter den Erfordernissen zurück, wenn dieser bereits durch einen Halbtagsplatz erfüllt werden kann.
Zu einem umfassenden Bildungsanspruch gehören auch ein kostenfreies gesundes Mittagessen in Kitas und Schulen, der gebührenfreie Zugang von Kindern zu kulturellen Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken, Theatern, Musikschulen und Sportstätten wie Schwimmbädern, Turnhallen, Sportplätzen.
DIE LINKE unterstützt die Forderungen der Beschäftigten in Kindertagesstätten, insbesondere der ErzieherInnen, nach Anerkennung ihrer Arbeit, Verbesserung der Aus- und Weiterbildung, nach angemessener Bezahlung und guten arbeitsrechtlichen Bedingungen.
DIE LINKE lehnt die Kommerzialisierung von Bildungs- und Erziehungseinrichtungen ab. Öffentliche Bildung und Erziehung sind keine profitorientierten Waren und dürfen deshalb auch nicht dem Markt überlassen werden. Sie gehören zur öffentlichen Daseinsvorsorge, auf die alle Kinder und ihre Familien einen Rechtsanspruch haben. Darum richtet sich die Kritik der LINKEN auf den Versuch der Bundesregierung, mit dem derzeit in der parlamentarischen Debatte befindlichen Kinderfördergesetz, das Gemeinnützigkeitsprinzip in der Jugendhilfe aufzukündigen und auch für gewinnorientierte Träger von Kinderbetreuung den Weg an die Fördertöpfe der öffentlichen Hand zu ebnen.
DIE LINKE setzt sich ein für einen Ausbau der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe und der Hilfe für Frauen. An Maßnahmen und Personal dafür ist in den letzten Jahren verantwortungslos gespart worden. Ehe neue Instanzen geschaffen werden, kommt es für DIE LINKE darauf an, dieses gewachsene Netz aus staatlichen, kommunalen, gesellschaftlichen, Organisationen der Selbsthilfe und freien Trägern zu stärken und wo nötig zu verändern.
DIE LINKE lehnt familienpolitische Vorstellungen ab, nach denen die Mutter oder der Vater nur oder überwiegend "Haus- und Erziehungsarbeit" leisten soll. Beide haben vielmehr das gleiche Recht auf Erwerbsarbeit und Zeit für die Familie. Das gemeinsame Leben in der Familie, die Organisierung des eigenen Haushaltes und das Sorgen für PartnerInnen und Kinder sind keine Erwerbsarbeit und sollen auch keine werden.
DIE LINKE lehnt darum ein von unterschiedlichen konservativern Kreisen und auch vom Landesvorstand Saarland gefordertes Erziehungsgehalt oder andere Formen eines Lohns für Hausarbeit ebenso ab wie die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene Prämie für die Nichtinanspruchnahme öffentlicher Kinderbetreuung. Solche Vorhaben schränken neben den Rechten der Kinder auch die Rechte der Eltern ein, vor allem den Anspruch von Frauen auf Erwerbsarbeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein Erziehungsgehalt zwingt ärmere Familien (Erwerbslose, Hartz-IV EmpfängerInnen) zur häuslichen Kinderbetreuung zur Aufbesserung des Einkommens und beraubt ärmere Kinder um die Chance auf einen Kita-Besuch.
DIE LINKE setzt sich ein für eine allgemeine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, nicht zuletzt, damit Mütter und Väter, alle Menschen, die füreinander Sorge tragen, ausreichend Zeit in ihren Familien verbringen können.
Ziel der LINKEN ist vielmehr eine grundsätzliche Neubewertung und -verteilung aller Arbeiten. Individuen und Gesellschaft brauchen gleichermaßen Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, politische/gesellschaftliche Arbeit und ein Leben in Kultur, Bildung, Fortbildung, Genuss.
Wir fordern alle Gliederungen und Organe der Partei, Mitglieder und insbesondere Funktions- und Mandatsträgerinnen und -träger der Partei auf, die familienpolitischen Positionen der LINKEN zu vertreten und sich aktiv an der Kita-Kampagne der Partei zu beteiligen.
Der Parteitag fordert den Parteivorstand, in der Programmdiskussion einen eigenen Akzent zur Kinder- und Jugendpolitik, Familien- und Gleichstellungspolitik zu setzen. Er beauftragt den Parteivorstand, eine familienpolitische Konferenz zu organisieren. Dazu sind die Fachleute aus den Fraktionen der Landtage und des Bundestages und die entsprechenden Bundesarbeitsgemeinschaften einzubeziehen.