Das Signal steht auf Einmischung für eine andere, bessere Politik

Rede von Lothar Bisky, Vorsitzender der Partei DIE LINKE

Liebe Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste, knapp ein Jahr nach unserer Parteigründung lesen wir in dieser Woche (Spiegel Nr. 21, Seite 23): »Seit Jahrzehnten hat keine Parteigründung das politische Gefüge Deutschlands stärker verändert als die der Linken … Niemand kann es sich noch leisten, die soziale Frage zu ignorieren. Selbst die FDP redet inzwischen recht geschmeidig.«

Meinen herzlichen Glückwunsch zu diesem, eurem, unserem (!) Erfolg, liebe Genossinnen und Genossen. Manchmal kann man ja auch dem Spiegel zustimmen.

Cottbus als Tagungsort – um sich von hier aus in den bayerischen Landtagswahlkampf zu stürzen, verspricht Erfolg. Ich bin mir sicher: Energie Cottbus hat in München einen ganz besonderen Klang.

Der zweite Grund liegt tiefer: In der Lausitz hat der Hunger nach Braunkohle, nach Energiequellen für die große Industrie in erdgeschichtlich kurzer Zeit Landschaften und Lebensweisen umgekrempelt. Heute sind viele Probleme der Lausitz denen im Ruhrpott, im Saarland, in anderen schrumpfenden Bergbauregionen Europas verwandt. Die Menschen hier belasten und bewegen Verluste und Utopien gleichermaßen. Das Zeitalter des digitalen Kapitalismus hat begonnen.

Hier in dieser Region kann man hervorragend lernen, dass es besser ist, auf die vorhandenen Potenziale strukturschwacher Regionen zu setzen, statt mit Subventionitis für Großprojekte (wie etwa den Lausitz-Ring) zu Lasten der Steuerzahler Marktwirtschaft zu spielen. Eine Landschaft der Zukunft braucht ihre Menschen, ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre Identitäten mitten im Wandel.

Dazu gehört die sogenannte »ungebrochene Erwerbsneigung« ostdeutscher Frauen genauso wie das Selbstbewusstsein von einstigen Bergleuten, mit dem sie heute die ökologische Sanierung verteidigen. Dazu gehört die jüngste Aktion »Senftenberg liest«, um an den 75. Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung zu erinnern.

Wir sind schlicht in einer anregenden Region, um die nächsten Aufgaben der LINKEN, um eine verantwortungsvolle Politik, die dieses Land zum Besseren verändert, weiterzuentwickeln.

Genossinnen und Genossen, wir sind nicht mit leeren Händen nach Cottbus gekommen. Der Einzug in vier Landtage im Westen hat die Republik verändert. Heute ist Gelegenheit, allen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern aus Ost und West Dank zu sagen. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Das gilt für die ganze Partei. Die junge LINKE wächst. Aufbauhilfe ist in manch west- und auch ostdeutschen Rathäusern gefragt. Kreisverbände – Köln an der Spitze – wachsen. Da entstehen Überforderungssituationen, die wir nur gemeinsam packen. Aber: Unsere Probleme im Wachstum sind doch Luxusprobleme. Das sollte uns beflügeln.

Beispielhaft wächst der Landesverband im Saarland.

Auf Deutschlands einziger Hochseeinsel habe ich in der vergangenen Woche einen neuen Maßstab des Parteiaufbaus entdeckt: Helgoland hat jetzt 14 Mitglieder, gut ein Prozent im Verhältnis zu den 1.303 Einwohnern der Insel. Rechnet das mal hoch auf Hamburg oder gar auf die Einwohner der Bundesrepublik! Da sind doch noch Reserven, Genossinnen und Genossen! Morgen ein gutes Wahlergebnis in Schleswig-Holstein und wir sind wieder ein Stück weiter im Parteiaufbau.

Liebe Genossinnen und Genossen, mitten im Gründungsfieber haben wir besondere Verantwortung in der Europäischen Linken (EL) übernommen. Dass die deutsche LINKE einmal zum europäischen Hoffnungsträger würde, dass habe ich mir nicht träumen lassen. Allerdings ist es richtig, dass wir die Partei der EL sind, deren Mitglieder Wurzeln sowohl in der west- als auch in der osteuropäischen Kultur haben. Daran sind Erwartungen geknüpft. Die EL vereint 28 Mitglieder- und Beobachterparteien mit insgesamt mehr als 400.000 Mitgliedern. Sie hat aktive Netzwerke und eine Sommer-Uni, die man selbst bei YouTube findet.

Im vergangenen Jahr hat die EL »Transform! Europe!« – ein Netzwerk aus 13 linken, sozialistischen, feministischen Bildungsinstitutionen und Zeitschriften – als ihre politische Stiftung anerkannt. Von der Zeitschrift gleichen Namens ist soeben die Nummer 2 erschienen.

Das Signal des Prager Kongresses der EL mündet in einer Wahlplattform der Europäischen Linken. Das ist Neuland in der Zusammenarbeit. Die Linke braucht auch auf europäischer Ebene, im Rahmen der EU und darüber hinaus Gesicht und Adresse.

Wir bringen als deutsche Linke unsere Kräfte in die europäische Linke ein und werden durch sie in unserem Wirken in Deutschland unterstützt. Wir haben als deutsche Linke viele Jahre Solidarität durch andere linke Parteien in Europa genossen und geben sie zurück, wenn es anderen Linken zeitweilig mal nicht so gut geht, wie etwa gegenwärtig in Spanien und Italien. Wir wissen: Nur gemeinsam werden wir eine starke Kraft in der EU.

Kürzlich – und dies hat mich am Vorabend von Cottbus besonders gefreut – hat unser Studierendenverband DIE LINKE.SDS einen 68er Kongress unter dem dreisten Titel: »Die letzte Schlacht gewinnen wir« in Berlin ausgerichtet. 1.300 Besucherinnen und Besucher stritten über Geschichte und Zukunft in Ost und West, lokal und global. 1.300 Menschen aus mindestens zwei Generationen. Der Kongress hat doch – unter anderem – gezeigt: DIE LINKE ist kein Traditionsverein aus PDS und WASG.

Wir sind in der Lage, historisch-kritisches Bewusstsein vom Standpunkt einer neuen, modernen Mitgliederpartei zu entwickeln. Wollen wir bundesweit wirken, das Land verändern, dann müssen wir diese Denkweise ausbauen. Dazu gehört Medienkompetenz, die Entwicklung von Fachkonferenzen zu offenen Foren und vieles mehr. Wenn wir nicht an Hochschulen, in Betrieben, in Parlamenten und auf den Straßen als veränderungsfähige Kraft präsent sind, bleibt der Weg in unsere Geschäftsstellen zufällig. Wir können den Brückenschlag zwischen den Generationen doch vorleben, auf gute Erfahrungen und neue Ideen setzen.

Gebt unseren Neumitgliedern eine Chance, in den kommenden Wahlkämpfen, in den Programmdebatten, im Parteiaufbau. Und an dieser Stelle will ich die 2.966 neuen Mitglieder begrüßen, die in den ersten vier Monaten dieses Jahres zu uns gestoßen sind. Seid willkommen!

Was sind unsere nächsten Aufgaben? Wir sollten heute und morgen eine Frage vertiefen: Was ist neu an der neuen LINKEN?

Wir haben DIE LINKE gegründet, weil vertraute Pfade nicht durch und durch erfolgreich waren. Gewissheiten und Gewohnheiten sollte man von Zeit zu Zeit überprüfen. Hüten wir uns vor der alten linken Überheblichkeit, auf alles eine Antwort zu haben und zu wissen. Hüten wir uns vor der alten linken Bequemlichkeit, die Vielfältigkeit gesellschaftlicher Prozesse durch Rückzug in überschaubare ideologische Schneckenhäuser auszublenden. Wenn wir etwas neu und besser machen wollen, fängt es beim innerparteilichen Umgang an.

In der Präambel der programmatischen Eckpunkte heißt es: »Wir greifen unterschiedliche Auffassungen zur Analyse, Politik, Weltanschauung und Strategie, zu Widersprüchen und Gemeinsamkeiten produktiv auf und entwickeln sie als Stärke der neuen Partei.« Wir brauchen die offene politische Debatte in der Partei. Was wir nicht brauchen, ist der Machtkampf zwischen ideologischen »Strömungen«. Wir brauchen Öffnung statt Einengung, Kommunikation statt Konfrontation, Lösungen statt Formelkompromisse, konfliktreiche Politikfähigkeit statt die Rechthaberei der reinen Lehre. Unsere Aufgabe ist vor allem, den 73.455 (Stand vom 30. April 2008) Mitgliedern auf dem Weg der neuen Partei die Mitgestaltung linker Politik zu ermöglichen und das zu organisieren.

Natürlich, wir blicken auf eine über 150jährige Tradition zurück. Die Stichworte sind: Arbeiterbewegung, Frauenbewegung in ihrer ganzen Vielfalt, Friedensbewegung, antikoloniale Befreiungsbewegungen … Wir sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Wir haben alle eine individuelle und kollektive politische Geschichte. Die will und soll in der neuen Partei geachtet und respektiert werden.

Doch die eigentliche Gründungsgeschichte der neuen LINKEN ist ein geschichtlicher Wimpernschlag. Sie beginnt 1998, als eine schwarz-gelbe Regierung der verblühenden Landschaften endlich abgewählt wurde. Unsere Gründungsgeschichte beginnt damit, dass eine rot-grüne Bundesregierung systematisch historische Traditionslinien ins Abseits drängte.

Ich erinnere nur an zwei entscheidende Momente:

Erstens: Zum 40. Jubiläum des Grundgesetzes bescherte Rot-Grün dem Land den ersten Kriegseinsatz außerhalb der Bundesrepublik, eine außenpolitische Wende: die Beteiligung am Kosovokrieg. Im Mai 2008 meldet das Internationale Konversionszentrum in Bonn Rekordrüstungsausgaben. Die größten Etats leisten sich die USA, Großbritannien, Frankreich und China. Mit rund acht Milliarden Euro liegt Deutschland bei den Rüstungsexporten inzwischen auf Platz drei. International wird wieder aufgerüstet. Manche warnen vor künftigen Klimakriegen. Abrüstungsverhandlungen sind zum Stillstand gekommen. Es mehren sich die Anzeichen eines neuen Rohstoffimperialismus. Die jüngsten Hungerrevolten sind die Vorboten solcher Entwicklungen.

Die neue LINKE versteht sich als Erbin von Grundsätzen, die die anderen Parteien inzwischen zur Seite gelegt haben: dem gleichen Recht aller Menschen auf das Streben nach gleichem Wohlstand.

DIE LINKE ist heute die einzige Völkerrechtspartei in Deutschland. Die Aushöhlung des Völkerrechts, der Kulturbruch des Zweiten Weltkrieges, der Holocaust an den Juden verlangen den fortgesetzten Widerstand gegen die Verletzung der UN-Charta. Am 10. Dezember jährt sich die Menschenrechtsdeklaration der UN zum 60. Mal. DIE LINKE nimmt diese Verpflichtung an, so wie die Friedensbewegung in Deutschland und weit darüber hinaus. Habermas sah in den Demonstrationen gegen den Irak-Krieg am 15. Februar 2003 ein »Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit«. Daran sollten wir anknüpfen und die wachsende Ablehnung von Krieg und Großmachtpolitik mit aller Kraft in konkrete Politik verwandeln. Wir sagen Nein zu den Plänen, die NATO weiter auszubauen. Wir wollen den Abzug der Truppen aus Afghanistan. Ein neues militär-politisches Roulette, wie es der Lissaboner-EU-Vertrag möglich macht, ist kontraproduktiv für die europäische Integration.

Wir werden die CDU-Pläne einer »Sicherheitsstrategie für Deutschland« genau unter die Lupe nehmen. Ein »nationaler Sicherheitsrat« ist nicht nur ein verheerendes außenpolitisches Signal; eine solche Institution tritt das Grundgesetz mit Füßen. Wir bleiben dabei, und es sei lieber einmal mehr als einmal weniger gesagt: Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen!

Welch Irrsinn, dass weiterhin auf diesem Planteten Massenvernichtungswaffen lagern, dass statt Konversion der »Krieg gegen den Terror« gefüttert wird.

Die UN-Charta ist und bleibt für DIE LINKE die Magna Charta – im Sinne der Kant’schen Idee von der Beendigung jeglicher Kriege und der Einrichtung eines universellen Bundes der Völker. DIE LINKE ist und bleibt Antikriegspartei.

Es zählt zu den Fundamenten unserer Gründungsgeschichte, aus diesen Grundsätzen Politik machen zu wollen. Mit diesen Grundsätzen erfolgreich Politik zu machen, zählt zu den Erwartungen, die wir geweckt haben.

Genossinnen und Genossen, damit bin ich bei einem zweiten Punkt, der für uns prägend ist: die Erneuerung des Sozialstaats und seiner finanziellen Grundlagen. Erst hieß es in Schröders Agenda, wir wollen den Sozialstaat modernisieren, bevor die Globalisierung ihn schleift. Dann wurde Globalisierung zum Naturgesetz erklärt und die Agenda 2010 als Anpassungsleistung gegen Naturgewalten ausgelobt. Zu guter Letzt war es alternativlos, den Sozialstaat in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Das Ergebnis dieses Offenbarungseides war die größte Umverteilung von unten nach oben seit den fünfziger Jahren. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland keine Periode, in der über mehrere Jahre hinweg die Realeinkommen der Mehrheit der Bevölkerung gesunken sind und der Anteil der Löhne am Volkseinkommen systematisch zugunsten der Vermögenseinkommen schrumpfte.

Entscheidend waren nicht einmal die sinkenden Einkommen. Entscheidend war die wachsende Unsicherheit. Entscheidend war, dass die Mehrheit der Politik und der Meinungsmacher auf die Botschaft »Eigenverantwortung« statt Sozialstaat setzten. Politik wurde zur Bedrohung der Mittelschichten. Hartz IV wurde an den Zwang zum Verbrauch aller erarbeiteten Werte gekoppelt. Hartz IV war und ist Armut per Gesetz!

Auf dem Höhepunkt der Arbeitslosenzahlen breiteten sich Niedriglohn und unsichere Beschäftigung aus. Politik forderte mehr Eigenverantwortung von denjenigen, die mehr denn je auf den Sozialstaat angewiesen sind. Der neueste Armutsbericht zeigt die Folgen: Heute lebt in Deutschland jedes sechste Kind von Hartz IV. Das ist das Ergebnis einer systematischen Untergrabung der Chancen, um jemals Eigenverantwortung und würdige Lebensgestaltung zu ermöglichen. Zugleich explodierten Managergehälter und stiegen die Fondsvermögen.

Rot-Grün hatte soziale Gerechtigkeit aufgegeben. Das haben Millionen Bürgerinnen und Bürger nicht durchgehen lassen. Sie haben den neoliberalen Verheißungen widerstanden. Die Mehrheit der Bevölkerung hat erfolgreiche Grundsätze des Zusammenlebens in der Gesellschaft nicht über Bord werfen wollen:

  • sozialer Ausgleich,
  • Lohn, von dem man leben kann,
  • Beteiligung aller an den -Früchten wachsenden Wohlstandes,
  • keine zu großen sozialen Unterschiede,
  • keine sich ihrer sozialen Verantwortung völlig entziehenden Manager und Unternehmen,
  • nach einem arbeiterreichen Leben soll es keinen Absturz in Altersarmut geben.

Es geht darum, nicht ohne Not soziale Fortschritte der vergangenen 60 Jahre den vermeintlichen Zwängen der Globalisierung zu opfern. Es geht darum, den globalisierten Finanzmärkten und transnationalen Konzernen Zügel anzulegen. Eine sich ohnmächtig stellende Politik braucht die Mehrheit der Menschen nicht.

Genossinnen und Genossen, täglich erleben viele, dass der neoliberale Weg keine neuen Verlässlichkeiten für die Lebensplanung bringt. Für diese Einsicht braucht es keine neue LINKE. Doch wir – DIE LINKE – haben verstanden, auszusprechen, was faul im Staate ist. Wir haben uns denen, die in der SPD, aber auch bei Grünen und CDU politisch unbehaust geworden waren, den Nichtwählern und Politikverdrossenen zur Wahl gestellt.

Wir sind erfolgreich, weil wir sagen, was tatsächlich ist, was eine Mehrheit von der Entwicklung der Verhältnisse hält. Deshalb reagieren die anderen Parteien. Themen, die wir auf der Agenda haben, werden aufgegriffen. Das jüngste Beispiel ist die Steuerdebatte. Wir finden es richtig:

  • wenn die »kalte Progression« bei den unteren und mittleren Einkommen abschafft wird,
  • wenn es wieder einen Spitzersteuersatz gibt, der den Namen verdient,
  • wenn Vermögen und Erbschaften stärker besteuert werden.

Doch jetzt, bei Steuermehreinnahmen (wie immer sie sich zusammensetzen) zu rufen: »Gebt uns unser Geld zurück! Senkt die Steuern!« – das ist wirtschaftsliberaler Populismus pur. Der Finanzbedarf der öffentlichen Hand bei Bildung, bei Kitas, bei dringenden öffentlichen Investitionen wird sofort wieder ausgeblendet. Wer mehr »Netto vom Brutto« fordert, wiederholt die Lohnnebenkostendebatte: Er fordert Kürzungen bei Rente, Gesundheit, Pflege und aktiver Arbeitsmarktpolitik.

Seit wann steigen Einkommen infolge von Steuerpolitik? Zuerst sind Lohnerhöhungen der direkte Weg zu mehr Einkommen und gesunden öffentlichen Haushalten. Steuergerechtigkeit obendrauf könnte das Missverhältnis von Löhnen und Produktivitätsentwicklung beenden.

Deshalb, Genossinnen und Genossen, haben wir im Leitantrag des Parteivorstandes formuliert, worum es uns geht: ein besseres Leben in Freiheit, Würde und wechselseitigem Respekt auf der Grundlage der Anerkenntnis der Gleichheit aller. Das eint uns über alle Strömungen hinweg. Darauf sollten wir zuerst bis zur Bundestagswahl 2009 unsere Kräfte konzentrieren.

Was ist jetzt für einen Politikwechsel wichtig? Im Hinzufügen sind wir Linken einsame Spitze. Doch ohne Schwerpunktsetzung sind wir nicht erkennbar. Darauf kommt es jetzt aber an. Der neoliberale Durchmarsch ist gestoppt. Auf die politische Agenda gehören die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung – so verschieden sie sind. Verdrängen wir die Interessen von Aktionären, transnationalen Renditejägern, Managern und Vermögenden vom Platz 1 der politischen Hitliste! Setzen wir uns dafür ein, dass die Interessen von Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Kindern und Rentnern wieder im Mittelpunkt der Politik zu finden sind!

Die volle Konzentration gehört diesem Richtungswechsel. Damit öffnen wir den Horizont für viele unterschiedliche Projekte, Schritt für Schritt. Handwerker und kleine Gewerbetreibende wollen und können wir damit ebenfalls gewinnen.

Ich werbe dafür, mit diesem Parteitag unseren Kampagnenhunger auf eine Kampagne zu konzentrieren, nämlich die Rentenkampagne. Keine Altersarmut, keine Rente ab 67, die Rückkehr zur Rentenformel, eine neue Einnahmebasis. Das geht alle an, früher oder später … Diese Kampagne können wir getrost in die kommenden Wahlkämpfe tragen.

Genossinnen und Genossen, DIE LINKE will und wird weitere Wahlen gewinnen. Nehmen wir unsere Rentenkampagne ernst, sind wir mitten in einer europäischen Debatte. Lohndumping und deutsche Rentenpolitik, hier spielt die Regierung Merkel ganz oben in der Liga des Sozialabbaus. Manch europäischer Regierungschef argumentiert munter mit der deutschen Rente ab 67, den sinkenden Löhnen, den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Lohndumping in Deutschland.

Was will DIE LINKE europapolitisch? Unser Nein von Maastricht bis Lissabon wird von einem Ja für die europäische Integration getragen. Das sehen Gewerkschafter/innen, Teile anderer Parteien sowie Vertreterinnen und Vertreter von Sozialforen ähnlich. Berlins LINKE hat beim Nein zu Lissabon auch unter starkem Druck Kurs gehalten. Das will ich ausdrücklich würdigen, und das ist ein wichtiger Beitrag zur Glaubwürdigkeit unserer Partei.

Unsere Alternativen eines friedlichen, sozialen, demokratischen und ökologiebewussten Europas hat die Gründung der Europäischen Linken vorangebracht. Um die Chancen der europäischen Integration zu mehren, reicht es nicht aus, die Rechte des europäischen Parlaments zu erweitern, so wichtig das auch ist. Demokratische Mitbestimmung gehört in den europäischen Alltag. Wir haben Referenden zum Vertrag von Lissabon in allen Ländern gefordert.

Europa sollte in der Welt für Kooperation und friedliche Zusammenarbeit stehen, gerade deshalb setzt DIE LINKE auf einen europäischen Sozialstaat als Markenzeichen ihrer Politik. Die Weisheit der Geschichte Europas liegt dort, wo die zivilen Leistungen vieler Kontinente zusammenkommen, in der Mittelmeerregion. Aristophanes »Frieden« muss endlich auch für den Nahen Osten gelten.

Heute, liebe Genossinnen und Genossen, trifft sich das Sao-Paulo-Forum in Montevideo, 80 Parteien und Organisationen, darunter neun Präsidentinnen und Präsidenten. Cottbus grüßt Montevideo!

Der Sozialismus im 21. Jahrhundert wird in Lateinamerika ziemlich unbefangen buchstabiert, hat durchaus andere Wurzeln und Bedingungen als in Europa. Hoffungen auf neue, sozial gerechte Perspektiven werden über die Ozeane hinweg gestaltet. Süd-Süd-Kooperationen nach Johannesburg, Delhi, Hanoi und Beijing werden ausgebaut.

Selbstbestimmte Entwicklung ist auf Frieden, Kooperation und Offenheit angewiesen. Wirtschaftsdemokratie ist daher eine umfassende Forderung linker Politik. Sie lässt ökologische und soziale Fragen zu, räumt Mitbestimmung und Beteiligung den Platz ein, den eine betriebswirtschaftliche Turbomaschinerie der großen Multis und Finanzinvestoren täglich zupflastert.

Die Herausforderungen stehen in Europa, in Deutschland gleichfalls. Wasser, Bildung, Energiesicherheit, eine öffentliche Daseinsvorsorge, die Zukunft und kulturellen Dialog sichert, bewegen linke Politik überall. Ich freue mich, dass wir mit diesem Parteitag ein Berliner Stadtreinigungs-Auto, was künftig in Bolivien zum Einsatz kommt, übergeben können. Der Dank geht zuerst an den Berliner Landesverband.

Ich freue mich zugleich, dass Hans Modrow uns dieser Tage in Montevideo beim Austausch alternativer Ideen vertritt. Wir wollen die Zusammenarbeit mit den Linken in Latein- und Südamerika intensivieren.

DIE LINKE bleibt eine internationalistische Partei!

Genossinnen und Genossen, Wahlen, Wahlen, Wahlen – von Bayern bis Nordrhein-Westfahlen, von den Kommunen in Brandenburg, von Thüringen, Sachsen, dem Saarland bis zu den Europa- und den Bundestagswahlen – einzeln kann ich sie gar nicht alle aufzählen.

Der Aufbau der LINKEN ist in Fahrt gekommen. Die Mitglieder des ersten Vorstandes der LINKEN haben daran großen Anteil. Heute sagen wir ihnen Dank für ihr Engagement.  Es ist Zeit, das nächste Triebwerk zu zünden. In einem Dauerwahlkampf, in dem sich die Altparteien mit sozialen Ideen möglicherweise überschlagen werden, ist es wichtig, als LINKE Kurs zu halten.

2005 sind wir mit einer neuen sozialen Idee in den Wahlkampf gegangen. Dieses Markenzeichen haben wir bis heute durchgehalten.

Unsere Bundestagsfraktion hat unermüdlich entscheidende Themen auf die parlamentarische Tagesordnung gesetzt. Genau diese Themen tauchen dann regelmäßig in den Wahlkämpfen von SPD, CDU und CSU auf: Mindestlohn, Kampf gegen Altersarmut oder Wiedereinführung der Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer … Niemand hat übrigens die Regierung gehindert, so zu handeln, außer sie selbst. Warum haben sie nichts getan, obwohl sie gekonnt hätten? Diesen Spiegel werden wir den Koalitionsparteien in allen Wahlkämpfen vor die Nase halten.

Als Partei haben wir geschafft, dass die parlamentarischen Auseinandersetzungen nicht in den gesellschaftlichen Debatten untergehen. Wir haben Politikverdrossene gewonnen, und wir sollten immer wieder deutlich machen: Politisches Engagement lohnt. Jetzt nehmen die Koalitionsparteien gar die Diätenerhöhung zurück. Protest lohnt also, bessere Vorschläge sind gefragt und Alternativen bleiben machbar!

Genossinnen und Genossen, es ist richtig, wenn wir in Thüringen mit einem Regierungsprogramm antreten, auch in Brandenburg ist DIE LINKE jetzt die stärkste Kraft. Als bundespolitisch wirksame Partei sollten die höchst unterschiedlichen politischen Herausforderungen für DIE LINKE in Baden-Württemberg und Berlin, in NRW und Brandenburg, in Hessen und Thüringen, in Helgoland und in Brüssel dazu führen, dass wir unser politisches Handeln erweitern. Da hilft auch ein Stück weit eine hervorragende Kommunikation. Doch wie heißt es so schön: Wichtig ist nicht, was A sagt, sondern was bei B ankommt. Manchmal gehört dazu, dass B sich an der Quelle – im jeweiligen Landesverband – informiert. Ein neuer Vorstand wird sich in harten politischen Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft wiederfinden. Vertrauen, die politischen Erfahrungen der Älteren und der Jungen, der Frauen, der Arbeits- und Interessengemeinschaften, neue Formen von Zusammenarbeit, neue Ideen und die neuen Mitglieder und deren Ideen und Erfahrungen – Das ist unser wichtigstes Potenzial.

Unser politisches Profil ist auf Bodenhaftung angewiesen. Der Anspruch, Partei des Alltags zu bleiben, Sorgen und Bedürfnisse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ernst zu nehmen, ist entscheidend. Eine politisch verantwortungsvolle LINKE ist eine LINKE, der man Durchsetzungsvermögen und einen langen Atem zutraut. Es ist auch eine LINKE, die erfolgreich gegen den tödlichen Spaltpilz geimpft wurde und nicht alle linken Kinderkrankheiten noch einmal durchleben will.

Genossinnen und Genossen, vor uns liegen zwei Jahre linke Politik, die das Land weiter verändern werden. Wir stellen heute die Weichen für kluge Antworten auf die Frage:  Wie wollen wir morgen leben? Das ist eine gute Frage, um irdische und lebensnahe Antworten zu suchen, um mit Spaß und Energie ans Werk zu gehen. Ich erinnere abschließend an ein Wort des deutsch und sorbisch schreibenden Schriftstellers Jurij Brezan über die Lausitz: »Das Wasser der Weltmeere wäre ein anderes, würde es nicht auch das Wasser der Spree aufnehmen.« Zeigen wir, wenn DIE LINKE aus Cottbus kommt, dass die Signale auf Einmischung stehen »für eine andere, bessere Politik«.