Buchbesprechung: „Emanzipation in der politischen Bildung. Theorien – Konzepte – Möglichkeiten“

Regina Stosch

Was ist eigentlich das Emanzipatorische an linker Bildungsarbeit? Sind es die Methoden – partizipativ sollen sie sein, die Teilnehmer_innen einbeziehend und zum selbstständigen Lernen anregend? Oder sind es die Inhalte - konsequent auf der Seite der Unterdrückten, feministisch, sozialistisch, antirassistisch? Ein Sammelband in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte Antworten auf beide Fragen geben.

382 Seiten, 15 Artikel und eine engagierte Einleitung. Die Autor_innen tasten sich an das Thema heran. Es gibt Beiträge zur Geschichte der politischen Bildung. Der Bogen spannt sich vom Humboldt der Aufklärung zu Adornos Kritischer Theorie („Busse auf´s Land schicken?“) bis hin zu einem erweiterten Emanzipationsverständnis: „let´s change the world!“. Begriffe werden eingeführt und erklärt, wie „Empowerment“ – das bedeutet Selbstermächtigung, das Erkämpfen von Handlungsfähigkeit unter widrigen Bedingungen. Zuerst nur als individuelle Veränderung gedacht, wird es schnell in Verbindung gesetzt zur gesellschaftlichen Veränderung. Gesellschaftsveränderung ist immer Selbstveränderung und umgekehrt.

Mein persönliches Highlight ist der Artikel von Christina Kaindl „Über die Unmöglichkeit, emanzipatorische Ziele für Andere zu setzen.“. Der Berliner würde sagen: „Emanzipier dir jefälligst!“ und die Leser merken, so geht es nicht. Selbsttätigkeit ist der Schlüssel. Christina hat gewerkschaftliche Bildungsarbeit unter die Lupe genommen. Erwartungsabfragen werden zur Persiflage, wenn die Teamer_innen danach wie selbstverständlich ein fertiges Konzept aus der Tasche zaubern. Stärke des Buches ist es, zu sensibilisieren für Vorgänge, die bisher selbstverständlich waren.

Der letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit konkreten Unterdrückungsverhältnissen und leitet Anforderungen an Bildungsarbeit ab: queere Biografien, Diversity-Pädagogik, antirassistische und antisemitische Bildungsarbeit. „Critical Whiteness“, ein postkolonialer Blickwinkel öffnet den Blick auf das eigene Zutun. Es gibt einen bedrückenden Artikel über rechte Einstellungen bei Gewerkschaftsmitgliedern. Gendertrainings werden analysiert und bewertet – Ziel ist Rollenveränderung, strukturelle Ursachen für Frauenunterdrückung bleiben außen vor.

Was bleibt? Das Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten. Vieles bleibt offen. Antworten können nur wir Bildungspraktiker_innen finden. Dennoch - ein spannendes, lohnenswertes Buch.

„Emanzipation in der politischen Bildung. Theorien – Konzepte – Möglichkeiten“ hrsg. von Janne Mende und Stefan Müller im WOCHENSCHAU Verlag, Schwalbach 2009