Fraktionsvorsitzendenkonferenz

Fraktionen als gleichberechtigte PartnerInnen sehen

Stellungnahme des Vorsitzenden der Fraktionsvorsitzendenkonferenz Wulf Gallert

Liebe Genossinnen und Genossen, es ist die Aufgabe von Parteivorsitzenden und Parteivorstand über die Entwicklung unserer Partei zu beraten. Wir als Konferenz der Fraktionsvorsitzenden sehen uns aufgefordert im Sinne der Gesamtformation an der Debatte mit der Perspektive der Fraktionen teilzunehmen.

Das am 18. November verschickte Papier "Projekt Parteientwicklung" der GenossInnen Katja Kipping und Bernd Riexinger thematisiert auf Seite 14 das Verhältnis von Partei und Fraktionen. Hierauf wollen wir im Folgenden Bezug nehmen.

Wir halten fest:

Eine Partei ist in der Bundesrepublik der politische und der organisatorische Rahmen eines freiwilligen Zusammenschlusses von Menschen, die gemeinschaftlich politische Ziele durchsetzen wollen. Sie ist im parlamentarisch-demokratischen System aber auch dazu da, Listen aufzustellen, Wahlkampf zu organisieren, die Mitgliedschaft zu mobilisieren, auch Finanzen einzuwerben, Mitgliedsbeiträge, Spenden und staatliche Mittel, die wiederum gegenüber den staatlichen Stellen zu dokumentieren und abzurechnen sind.

Fraktionen bilden sich nach den Wahlen aufgrund eines freiwilligen Zusammenschlusses derjenigen, die es über den Vorschlagsweg der Partei durch Wählervotum ins Parlament geschafft haben. Hier beginnt das Spannungsverhältnis zwischen Partei und Fraktion, denn diese bekommt eigenständige Geldmittel, die sie ausschließlich zur Fraktionsarbeit einsetzen muss, hierzu wiederum bestehen umfangreiche Rechenschafts- und Prüfpflichten. Diese Gegebenheiten gilt es zunächst anzuerkennen.

Im Papier heißt es "die Arbeit im Parlament folgt - auch - anderen Logiken als die politisch-strategische Planung der Partei. Beide haben ihre Berechtigung, doch gerade mit einer stärkeren und vielfältigen LINKEN, in der viele Felder von mehreren Fachleuten vertreten werden, steigt die Bedeutung der politischen Gestaltung. Die innerparteiliche Demokratie hat fast ausschließlich Einfluss auf die Gremien der Partei. Hier können die Leitlinien der Politik verhandelt werden. Wir wollen sie stärken und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit den Fraktionen intensivieren" (S. 14).

Wir begrüßen die Bemühungen zur Intensivierung der Zusammenarbeit! Bei der Gestaltung von Zusammenarbeit gilt es dann einiges zu berücksichtigen:

  • Wir möchten darauf hinweisen, dass Politik bedeutet kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen. So tagt der gesamte PV einmal im Monat und die Fraktion einmal in der Woche. Hieraus folgt, dass die Geschwindigkeiten der Entscheidungsfindung in Fraktionen und Parteien unterschiedlich sind. Hieraus können Spannungen entstehen.
  • Wir möchten anmerken, dass die Fraktionen keine Weisungen der Partei umsetzen dürfen. Sie muss als roten Faden ihrer Arbeit im Parlament aber das Wahlprogramm zugrunde legen, das die Partei erarbeitet und der Parteitag beschlossen hat. Trotzdem hat das Grundgesetz dem Parlamentarismus die Autonomie jedes einzelnen Abgeordneten als höchstes Rechtsgut zugeordnet. Staatsphilosophisch sitzen deshalb nicht Beauftragte der Partei im Parlament, sondern (hoffentlich) intelligente, engagierte und politisch denkende Individuen, die ihre Aufgaben als Gesamtfraktion immer wieder neu überprüfen müssen, um sie regelmäßig mit den gewählten Vorständen ihrer Partei rück zu koppeln. Das geht nur per Einsicht, per Argument, geprägt durch die Verantwortung, gemeinsam Politik zu entwickeln und Ziele durch eigene Aktivitäten zu erreichen.

Was wir in dem Papier vermissen:

Wir vermissen im Analyseteil des Papiers eine Bezugnahme auf die im Osten nach der Wende gemachten Erfahrungen der PDS. Erfahrungen und Konzepte wie "Kümmererpartei" oder "Partei für den Alltag" kommen nicht vor. Auch wird kein Bezug genommen auf die Regierungsbeteiligungen/ Tolerierungen, in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die Ausdruck dieser Ansätze waren. Diese Ansätze gilt es bei der Entwicklung von Partei zu berücksichtigen.

Wir vermissen bei dem Papier den Fakt, dass eine Partei die über die Teilnahme an Wahlen und durch das Einbringen von Gesetzen oder im Falle einer Regierungsbeteiligung bzw. auch durch deren Tolerierung gesetzliche, und damit für alle verbindliche, Realitäten verändern oder gesetzliche Wirklichkeit schaffen kann. Damit soll ja das Leben der Menschen verbessert bzw. verändert werden. Dies sind Möglichkeiten, die beispielsweise eine Gewerkschaft so nicht hat. Für die Arbeit in den Fraktionen sind Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen und Gewerkschaften dazu verlässliche BündnispartnerInnen. Wir sind also auch parlamentarischer Arm von Initiativen die nicht zwingend deckungsgleich mit der Partei sind.

Es soll an dieser Stelle nicht in Gegensatzpaaren, sondern in gemeinsamer Perspektive gedacht werden. Dies gilt es einerseits bei der Beschreibung der Ausgangslage und auch bei den 11 konkreten Maßnahmen zu berücksichtigen. Wir stehen hierfür -im Rahmen unserer Möglichkeiten- bereit.

Daher möchten wir anregen, dass mit den Fraktionen, als gleichberechtigten PartnerInnen und im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten, gemeinsame Anstrengungen in Sachen Parteientwicklung gestartet werden. Aber die Ebenen der Partei müssen dazu beachtet werden. Ansprechpartner der Fraktionen sind die Gliederungen der Partei in gleicher Ebene bzw. Gebietskörperschaft. Hier muss die regelmäßige Rückkopplung erfolgen.

Mit solidarischem Gruß

Wulf Gallert