Disput

Der Fehdehandschuh

Die Produktionsverhältnisse müssen den Produktivkräften angepasst werden

Von Berthold Kühn

Das Programm der Partei DIE LINKE ist dem Aufbruch in den Sozialismus des 21. Jahrhunderts gewidmet. Dazu werden in Kapitel III »Demokratischer Sozialismus des 21. Jahrhunderts« zwei grundlegende Aussagen gemacht.

Die erste sagt Folgendes: »Heute besteht die Möglichkeit, jedem Menschen ein Leben in sozialer Sicherheit und Würde zu gewährleisten. Not und Elend können überall auf der Welt überwunden werden.«

Das heißt: Die materiellen Voraussetzungen sind geschaffen, dass alle Menschen ohne Sorgen um ihre physische Existenz in angemessenem Wohlstand leben und arbeiten können. Dafür haben die technologischen Entwicklungen der letzten 200 Jahre gesorgt. In den letzten Jahrzehnten hat die sogenannte dritte industrielle Revolution auf dem Gebiet der Informationstechnologien die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit in kaum noch zu überschauendem Maße vorangetrieben. Es fragt sich aber, ob die Entwicklung der Produktionsverhältnisse mit dem technischen Fortschritt mitgehalten hat. Auf der einen Seite ist in wenigen Händen unermesslicher Reichtum entstanden, auf der anderen Seite wurden Millionen Menschen in existenzielle Not getrieben: Arbeitslosigkeit, Minilöhne, Rentenkürzungen, Abbau im Gesundheitswesen usw. Trotz großspuriger Programme breiten sich Hunger, Kindersterblichkeit und Epidemien weiter aus. Das ist einer der grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus. Die Verteilungsverhältnisse in der Gesellschaft bedürfen dringend einer Umwälzung (Siehe auch Kapitel II des Entwurfs »Krisen des Kapitalismus«).

Wo bleibt die einer Entwicklung der Produktivkräfte entsprechende Umgestaltung der Produktionsverhältnisse? Nach der Marx’schen Analyse führen Produktionsverhältnisse, die nicht in Einklang mit den Produktivkräften stehen, zu unerträglichen Widersprüchen in der Gesellschaft. Dies ist der Ausgangspunkt im »Kommunistischen Manifest« für die These von der zu fordernden und zu erwartenden Ablösung des Kapitalismus durch eine neue Gesellschaftsformation. Diese Erkenntnis kann in einem Programm der LINKEN für die Umwälzung im 21. Jahrhundert nicht ignoriert werden.

Im nächsten Absatz des Entwurfs folgt dazu die zweite grundlegende Aussage: »Demokratischer Sozialismus fördert die Entfaltung der zivilisatorischen Entwicklungspotenziale der Gesellschaft und zielt auf grundlegende Veränderungen der bestehenden Eigentums-, Verfügungs- und Machtverhältnisse.«

Hier wird der herrschenden Klasse der Fehdehandschuh hingeworfen. Dieser Satz ist die Kernaussage des Entwurfs, gewissermaßen das Leitmotiv des gesamten Projektes. Diese Aussage fordert den vollständigen Umbau der bestehenden Produktionsverhältnisse. Auf diesen Punkt muss das ganze Programm zugeschnitten werden. Dazu müsste auf verschiedene wesentliche Kategorien der politischen Ökonomie des Sozialismus eingegangen werden. Auf der Tagesordnung steht die wissenschaftliche Entwicklung einer politischen Ökonomie des demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Das ist und kann natürlich nicht die Aufgabe des Parteiprogramms sein. Es wäre aber sicherlich nützlich, in ihm eine Forderung nach der Aufnahme von Untersuchungen zu diesem Problem aufzunehmen.

Der Entwurf behandelt von dieser Thematik im Wesentlichen nur die Eigentumsfrage, den neuralgischen Punkt der neuen Gesellschaftsordnung. Das kommt sehr richtig in dem Satz zum Ausdruck: »Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Eigentumsfrage«. Sie wird dann auch in verschiedenen Aspekten diskutiert. Ein Defizit in diesen Ausführungen ist aber, dass auf die Quelle dieses Eigentums, nämlich die Aneignung des Mehrwertes durch die Kapitaleigner, das heißt die Ausbeutung, mit keinem Wort eingegangen wird. Warum eigentlich nicht? Die Anerkennung dieses Faktes ist doch die moralische und juristische Rechtfertigung für die Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse, die auf die Abschaffung der Ausbeutung und auf die Aneignung des Mehrwertes durch die gesamte Gesellschaft abzielt. Emanzipation wird an vielen Stellen in dem Entwurf gefordert. Was ist aber alle Emanzipation wert, wenn die Ausbeutung weiter besteht? Emanzipation muss doch zuerst in der Überwindung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen bestehen. Das ist letztlich die zentrale Begründung des ganzen Projektes.

Mit der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse ändert sich auch der Charakter der Lohnarbeit. Lohnarbeit bedeutet dann nicht länger Lohnsklaverei für den Maximalprofit, sondern Dienst zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen. Auch diese Frage ist einige Bemerkungen im Programm wert.

Ein weiterer Punkt bezüglich der Eigentumsfrage bleibt bisher unterbelichtet, nämlich eine Erläuterung, was wir unter der »Vergesellschaftung« von Eigentum verstehen wollen. Das wurde in dem Artikel von Dieter Klein (Neues Deutschland, 6. April 2010) nachgeholt und sollte so auch in das Programm aufgenommen werden: »Selbst die Ausweitung von öffentlichem Eigentum ist aber noch nicht die ganze Lösung. Zur realen Vergesellschaftung von Eigentum gehört, die Wirtschaftstätigkeit von Unternehmen tatsächlich am Gemeinwohl zu orientieren, sowie eine neue Balance von ökologischen Standards, betriebswirtschaftlicher Effizienz, ›guter‹ Arbeit für die Belegschaften, Geschlechtergerechtigkeit, betrieblicher Mitbestimmung und den Interessen von Kommunen oder Regionen zu finden sowie Transparenz und öffentliche Kontrolle herzustellen.«

Meinem Erachten nach fehlen hier noch zwei Punkte:

  1. gesellschaftliche Verfügung über den Mehrwert (Das müsste eigentlich an erster Stelle stehen) und
  2. gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Soweit einige Bemerkungen zur Vervollständigung des Entwurfs. Wir hoffen, dass letztlich ein Programm entsteht, unter dessen Banner sich alle antikapitalistischen und oppositionellen Kräfte vereinen können.

Prof. Berthold Kühn ist in der Arbeitsgemeinschaft Wirtschaftspolitik Dresden aktiv.