Disput

Die Bauchredner Sarrazins

Kolumne

Von Sahra Wagenknecht

In Zeiten der schwersten Weltwirtschaftskrise, leerer Staatskassen, sozialer Verwerfungen und neuer drohender Kriegsabenteuer scheinen Ausgrenzungen und moralische Abwertungen ganzer Bevölkerungsgruppen Konjunktur zu haben. So rief etwa Berlins sozialdemokratischer Innensenator Ehrhart Körting im Zuge der von der schwarz-gelben Bundesregierung verlautbarten Terrorwarnungen die Bevölkerung dazu auf, die Behörden über »seltsam aussehende Menschen« zu unterrichten, insbesondere wenn »die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen«. Der gezielten Provokation folgte die standardmäßige Relativierung: Er habe sich »möglicherweise unglücklich« ausgedrückt, ließ Körting wissen. So redet jemand, der sich von nichts distanzieren will.

Ein anderer, der mit beinahe besessener Unterstützung der hiesigen Medienlandschaft von sich reden macht, ist Thilo Sarrazin. »Weil viele ihm Recht geben, ebenso viele seinen Stil kritisieren, aber alle der Meinung sind, dass er die richtigen Themen anspricht«, deshalb mache Thilo Sarrazins neues Buch »Deutschland schafft sich ab« seit Wochen Schlagzeilen, schreibt – scheinbar distanziert und differenzierend – die »Rheinische Post«. Die »BILD«-Zeitung nennt den Sozialdemokraten den mutigen »Klartext-Politiker«, der gegen eine verlogene Politik ankämpfe.

Nur wenige Prominente äußern sich kritisch und setzen sich wohltuend von den Boulevard-Schlagzeilen der letzten Monate ab, so der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Für ihn besorge Sarrazin das Geschäft der NPD. Sind die Sorgen und kritischen Bemerkungen Hajo Funkes und anderer Kritiker Sarrazins schlichtweg übertrieben oder gar böswillige Unterstellungen? Sarrazin selbst gibt die Antwort: »Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht dar«, heißt es in seinem von den Medien zum Verkaufsschlager gepushten »Sachbuch«. Dafür erhält er nicht nur Beifall aus der konservativen Ecke, auch die NPD jubelt ihm zu. So gibt der NPD-Vorsitzende Udo Voigt vor laufenden Fernsehkameras offen zu, der gesellschaftliche Umgang mit Sarrazin und seinen Äußerungen mache Positionen der NPD salonfähiger und damit werde es künftig schwerer, Volksverhetzungsurteile gegen NPD-Funktionäre anzustreben. Weil er die richtigen Themen anspreche, bietet Voigt ihm sogar an, künftig »als Ausländerrückführungsbeauftragter der NPD« zu fungieren.

In erschreckendem Gleichklang sind in den vergangenen Monaten gut bezahlte Wirtschaftslobbyisten und prominente Politiker verschiedenster Couleur gegen Ausländer und Hartz-IV-Betroffene öffentlichkeitswirksam zu Felde gezogen. Aber die in Zeitungen und Fernsehen publizierten Schlagzeilen hat nicht etwa ein Thilo Sarrazin produziert – wie es die »Rheinische Post« ihren Lesern glauben machen will. Über Titelblätter und Schlagzeilen entscheiden die Redaktionen und Zentralen der Medienkonzerne. Sie bestimmen letztlich darüber, was gedruckt wird und was nicht, was kritisch auseinandergenommen oder intensiv beworben wird. Kurt Pätzold weist in der »Sarrazin-Debatte« darauf hin: Gedrucktes »gibt über seinen Inhalt hinaus häufig auch Auskunft über den Autor, das Echo dagegen viel über die Gesellschaft, in der es entsteht«.

Die die öffentliche Meinung im Wesentlichen bestimmenden Medien gaben und geben Sarrazin ein Forum und benutzen dessen rassistische und sozialdemagogische Sprüche, welche ebenso aus dem Munde eines Jörg Haider oder Jean-Marie Le Pen hätten stammen können, für ihren Kampagnenjournalismus. Wolfgang Lieb, zusammen mit Albrecht Müller Herausgeber der NachDenkSeiten, beschreibt dies so: »Die Bild-Zeitung benutzte Sarrazin wie ein Bauchredner seine Puppe. Die Puppe durfte all das aussprechen, was eigentlich aus dem Bauch der Redaktion kam und was man sich selbst nicht zu sagen traute.« Die Puppe Sarrazin wird benutzt, um Migranten, Hartz-IV-Betroffene und Geringverdiener gegeneinander auszuspielen, also ausgerechnet jene in lähmender Selbstbeschäftigung zu halten, deren Unmut über Sparpakete, Rentenkürzungen und Kopfpauschale wächst. Statt aber aufzubegehren und ein System infrage zu stellen, welches Arme ärmer und Reiche reicher macht, wird die zunehmende Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen ganz im Sinne der politischen und wirtschaftlichen Eliten nach rechts kanalisiert. Dies ist brandgefährlich.

Nicht zuletzt anhand der »Sarrazin-Debatte« wird deutlich, dass die wachsende ökonomische und meinungsbildende Macht weniger Medienzaren und privater Medienkonglomerate einer wirklich demokratischen Medienkultur im Wege steht. Wer über Rassismus redet, darf über den enormen Einfluss der führenden Meinungsmacher nicht schweigen.