Disput

Breite Beteiligung anstreben

Zur Organisation der Programmdebatte im Landesverband Sachsen

Von Stefan Hartmann

»Weniger Selbstbeschäftigung, mehr rausgehen zum Bürger!«, lautet eine der Standardforderungen, die gern an die Genossinnen und Genossen in unserer Partei ausgegeben wird. In der Debatte um das Programm unserer Partei ist dieser sicher richtige Gedanke nichts anderes als unangemessen. Denn wenn das zu erarbeitende Programm einen Beitrag zu unserer politischen Identität leisten und kein weiterer Papierstapel in der Schublade werden soll, dann wird dies nur dadurch gelingen, dass die verschiedenen linken Ansätze, Gedanken und Erfahrungen einfließen. Dafür bedarf es jedoch eines intensiven Beteiligungsprozesses, denn keine noch so repräsentativ zusammengesetzte Kommission oder Arbeitsgruppe kann die tatsächliche linke Vielfalt in der LINKEN ersetzen.

Langfristige Vorbereitung

Von diesen Gedanken ausgehend, bereitete der sächsische Landesvorstand die Programmdebatte sehr langfristig vor. Als grundlegend wurde von den folgenden Kriterien ausgegangen: Debatte ermöglichen und breite Beteiligung anstreben, die Genossinnen und Genossen sprechen lassen und ihre Meinung ernst nehmen sowie die Debatte für die inhaltliche Auseinandersetzung aller Parteistrukturen nutzen. Dies klingt banal. Allerdings wäre auch eine Herangehensweise denkbar gewesen, die darauf abstellt, den Entwurfstext zu erklären und zu verteidigen. Damit würde jedoch die politische Kompetenz der Genossinnen und Genossen als Beteiligte des Programmprozesses in den Hintergrund geschoben. Die Programmdebatte wäre dann nur noch ein Bühnenstück verschiedener Akteure, die auf ein Mehr an Beifall hoffen. Es ist möglich, dass dies in anderen Parteien üblich ist und als professionell angesehen wird, für unsere Partei wäre so etwas in jedem Falle Gift. Denn der linke Grundgedanke von einer Gesellschaft, in der kein Mensch über oder unter einem anderen steht, die sich nicht in irgendwelche Möchtegern-Eliten, deren Gefolgschaften und den Rest gliedert, gilt selbstverständlich für die Gegenwart unserer Partei. Die praktische Gestaltung der Programmdebatte und die Fähigkeit, diese in Ergebnisse umzusetzen, können dementsprechend als ein Prüfstein unserer Glaubwürdigkeit gelten.

 

Als Instrument zur Gestaltung, Organisation und Auswertung der Programmdebatte nutzt der Landesverband Sachsen die seit vielen Jahren und in verschiedenen Zusammenhängen bewährte Grundsatzkommission. Sie wurde für diese Aufgabe entsprechend verschiedener Kriterien besetzt (Quotierung, Regionen, politische Herkunft, Alter). Es handelt sich um eine Struktur beim Landesvorstand, die in dessen Auftrag handelt, sich aber grundsätzlich selbst organisiert und Methoden zur Umsetzung der Beschlusslagen von Bund und Land entwickelt.

Rege Debatte in Ortsverbänden

Die sächsische Grundsatzkommission erarbeitete zur methodischen Unterstützung und thematischen Bündelung der Programmdebatte ein Papier mit Leitfragen (zum Nachlesen auf www.dielinke-in-sachsen.de/). In diesen Leitfragen werden die Themenbereiche Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft, Eigentum, Subjekte gesellschaftlicher Veränderung, Freiheit und Demokratie, Ansätze für gesellschaftlichen Wandel, Transformationsprojekte, Politische Kultur und Selbstverständnis der LINKEN bis hin zu Sprache, Stil und Umfang des Programmtextes für eine kritische Diskussion aufbereitet. Selbstverständlich haben diese Leitfragen keinen verbindlichen Charakter im Sinne einer verpflichtenden Vorgabe. Vielmehr entwickeln sie eine ordnende und damit Vergleichbarkeit herstellende Wirkung.

 

Der weit überwiegende Teil der Diskussionsveranstaltungen zum Entwurf wurde weder zentral vorgegeben noch organisiert, sondern entstand aus der Initiative der örtlichen Verbände. Die vom Landesvorstand beauftragte Grundsatzkommission versucht sicherzustellen, dass ReferentInnen bzw. Gesprächspartner/innen für die Debatten zur Verfügung stehen. Dabei ist es nicht die Aufgabe dieser Gesprächspartner/innen, die Diskussionen vor Ort in irgendeiner Form zu protokollieren oder zusammenzufassen. Diese Aufgabe verbleibt selbstverständlich in der Pflicht der interessierten Genossinnen und Genossen. Beteiligung kann nicht in Stellvertretung erfolgen.

Nach einem dreiviertel Jahr Programmdebatte in Sachsen kann resümiert werden, dass nahezu jeder Ortsverband wenigstens einmal den Programmentwurf auf seiner Tagesordnung hatte. Einige Kreisverbände haben interessante weitere Formen der Arbeit am Programmtext entwickelt. Es wurden Arbeitsgruppen bzw. Kommissionen gebildet, die entsprechend den Bedürfnissen der Genossinnen und Genossen Veranstaltungen auf Kreisebene anbieten und einen kontinuierlichen Ablauf der Debatte über den gesamten bisherigen Zeitraum ermöglichen. Auch hier wurde die enge Zusammenarbeit mit der Grundsatzkommission gesucht und gefunden.

Klassische Form und »Experiment«

Im Auftrag des Landesvorstandes organisierte die Grundsatzkommission eine Reihe von regionalen und landesweiten Veranstaltungen. Dazu zählen der Auftakt der Programmdebatte, drei Regionalkonferenzen und ein landesweiter Programmkonvent.

Der Auftakt der Programmdebatte wurde in klassischer Form durchgeführt, ein Mitglied der ehemaligen Programmkommission referierte und danach wurde die Diskussion freigegeben. Für die Regionalkonferenzen in den drei Regionen Sachsens, die nach einer ersten Debattenphase stattfanden, wurde eine etwas experimentellere Form gewählt. Auf Grundsatzreferate, Podien oder andere Formen der Repräsentanz wurde verzichtet, in die Debatte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde unmittelbar eingetreten, wo sie ihnen wichtige Aspekte aus der Debatte vor Ort, aus den inhaltlichen Zusammenschlüssen bzw. aus ihrer eigenen Beschäftigung mit dem Entwurfstext ausführten. Dieses Experiment kann im Ergebnis als gelungen bezeichnet werden. Die Genossinnen und Genossen haben sich auch ohne »Leitwesen« viel zu sagen, die Qualität der inhaltlichen Auseinandersetzung ließ nichts zu wünschen übrig.

Einen zwischenzeitlichen Höhepunkt der Programmdebatte im Landesverband bildete unser Programmkonvent auf Landesebene. Dieser wurde gemeinsam mit einer Beratung von Landesvorstand, Landesrat und Kreisvorsitzenden als selbstverständlich öffentliche Veranstaltung durchgeführt. Nach einem Einführungsreferat des Landesvorsitzenden und einer Plenumsdiskussion wurde in an den Leitfragen orientierten Arbeitsgruppen diskutiert, die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden zum Abschluss dem Plenum vorgestellt. Im Ergebnis des Konvents und der bis zu diesem Zeitpunkt geführten Debatte im Landesverband wurde eine umfangreiche Broschüre (www.dielinke-in-sachsen.de) erstellt.

Auf der Grundlage einer außerordentlich intensiven Debatte zum Entwurf des Programms, die prinzipiell allen Mitgliedern des Landesverbandes Sachsen die Möglichkeit zur dauerhaften Beteiligung gibt, entstanden eine Reihe von Wortmeldungen. So unter anderem der Beschluss des Landesvorstandes in Vorbereitung auf den Programmkonvent in Hannover.

Ein nicht unerhebliches Problem für die Organisation und methodische Orientierung der Programmdebatte stellte die aus Sicht der verschiedenen sächsischen Parteigremien ungünstige Veränderung der Beschlusslage durch den Parteivorstand dar. Ausgehend vom Beschluss aus dem Dezember 2009 des Parteivorstandes konnte angenommen werden, dass in einem niederschwelligen Prozess Anregungen aus der Debatte in einen überarbeiteten (»zweiten«) Entwurf einfließen könnten. Der Vorteil wäre gewesen, dass, ohne die innerparteiliche Auseinandersetzung auf die Spitze zu führen, Formulierungen hätten erarbeitet werden können, die den Kompromiss der Mitglieder der Programmkommission auf eine deutlich breitere und damit erst relevante Basis gestellt hätten.

Ausgehend von einer solchen Beschlusslage ergaben sich selbstverständlich andere Beteiligungsmethodiken, als sie notwendig sind, wenn nur förmliche Anträge potenziell verändernde Wirkung haben, wie dies aus der neuen Beschlusslage folgt. Dies ist natürlich sehr bedauerlich, da damit auch die innerparteiliche Verlässlichkeit von Vorstandsbeschlüssen gelitten hat. Schließlich ist eine so große Organisation wie DIE LINKE kein Schnellboot, das man nach Belieben hin- und herlenken kann. Wenigstens dann nicht, wenn die Beteiligung aller unserer Mitglieder als wesentlich erachtet wird.

Stefan Hartmann ist Mitglied des Parteivorstandes und Mitglied der Grundsatzkommission des Landesverbandes Sachsen.