Falsches Spiel im Sudan
Eindrücke aus einem leidgeprüften Land kurz vor seiner (voraussichtlichen) Teilung
Von Christine Buchholz
Das Referendum über die Abtrennung des Südsudans endete am 15. Januar und wird höchstwahrscheinlich zur Gründung eines unabhängigen Staates Südsudan im Sommer führen. Das bisherige UN-Mandat (Unims) läuft aus, und die Debatte über ein neues militärisches Mandat wird beginnen. DIE LINKE vertritt die Position, dass Not und Leid der Menschen in dem afrikanischen Land nur zivil zu bekämpfen sind.
Im November 2010 reisten vier Abgeordnete der LINKEN in den Sudan, um sich ein Bild von der Lage in dem von Krieg und Armut gezeichneten Land zu machen. Fünf Jahre zuvor hatte das Friedensabkommen CPA den zwanzigjährigen Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden beendet. Das Referendum soll die Umsetzung des Friedensabkommens abschließen.
Wir besuchten die zentral gelegene Hauptstadt Khartum, die Hauptstadt des Südsudans Dschuba und El-Fasher in der westlichen Region Darfur.
Khartum ist eine Großstadt mit einer langen Geschichte und einer lebendigen, widerspruchsvollen Bevölkerung. Die Regierung behindert Oppositionelle, aber gewährt zumindest momentan ein gewisses Maß an Freiheit für politische Arbeit. Das bestätigen uns Mitarbeiter von verschiedenen sudanesischen und internationalen Menschenrechts- und Hilfsorganisationen.
Hinter der Stadtgrenze von Khartum beginnt die Wüste und damit die Unsicherheit. In vielen Regionen, wie in Darfur, führt der Klimawandel zu einem Absinken des Grundwasserspiegels. Immer mehr Menschen konkurrieren um immer weniger Ressourcen. Mehrere Millionen Menschen leben in Lagern für Binnenflüchtlinge.
Dschuba im Südsudan hingegen ist kaum mehr als eine große Ansammlung von Rundhütten, zwischendurch findet man einige befestigte Häuser aus der Kolonialzeit. Die Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen und Hotelbesitzer haben Container aufgestellt, in denen gearbeitet, gegessen und geschlafen wird.
Öl ist die wichtigste Einnahmequelle in beiden Landesteilen. Die meisten Ölfelder liegen im Süden und im Grenzgebiet, die Raffinerien und die Pipeline zum einzigen Hafen, Port Sudan, im Norden.
Im Südsudan gibt es im besten Falle eine reine Subsistenzwirtschaft, aber weder Industrie noch mittelständische Produktion. In den Ölfeldern arbeiten so gut wie keine Südsudanesen, sondern Nordsudanesen, Asiaten und Europäer. Keine hundert Kilometer Straßen sind asphaltiert. Es gibt keine Eisenbahn. Die Hauptstadt Dschuba ist ohne Stromnetz, ohne zentrale Wasserversorgung und Wasserentsorgung.
Die Koordinatorin der humanitären Hilfe im Rahmen der UN, Lise Grande, erläuterte uns, dass im Jahr 2010 von den geschätzten rund zehn Millionen Menschen im Südsudan 4,3 Millionen Nahrungsmittelhilfen benötigten. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Wasser, weniger als jeder Zehnte hat Zugang zu Sanitäranlagen. Es sind zwar 1,3 Millionen Schulkinder eingeschrieben, aber nur eins von 50 beendet die Grundschule. Auf tausend Grundschüler kommt ein Lehrer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein 15-jähriges Mädchen bei der Geburt ihres Kindes stirbt, ist höher, als dass sie die Schule erfolgreich abschließt.
Wir trafen Vertreter der Regierungsparteien in Nord und Süd. Unser Eindruck ist, dass beide Seiten ein Interesse an einem fairen und freien Ablauf des Referendums haben. Die Lager sind zwar tief zerstritten, den Regierungen ist aber klar, dass sie wegen der Öleinnahmen kooperieren müssen. Der Norden besitzt kaum Ölquellen, der Süden auf absehbare Zeit keine Pipelines und Raffinerien.
Die Regierung in Khartum ist wesentlich verantwortlich für die katastrophale soziale Lage im Südsudan und in anderen Provinzen. Die Prioritäten der Zentralregierung liegen in der Bedienung ihrer Klientelinteressen und nicht in einer ausgeglichenen wirtschaftlichen Entwicklung des gesamten Sudans.
Allerdings machen es die internationalen Wirtschaftssanktionen gegen den Sudan, der Haftbefehl gegen Präsident Al-Bashir, aber auch die Beendigung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit dem Norden der Zentralregierung leicht, die sozialen und politischen Konflikte zwischen Herrschern und Beherrschten als Konflikte zwischen Muslimen und dem Rest der Welt darzustellen.
Khartum wird die Abtrennung nicht verhindern, aber versuchen, einen möglichst hohen Preis für die Kooperation zu erhalten: Teilhabe am Ölreichtum des Südens, Reintegration in die Weltgemeinschaft, Schuldenerlass und ein Wegsehen der Weltgemeinschaft, wenn Militär und Polizei die Opposition im restlichen Sudan, inklusive Darfur, unterdrückt. Letzteres befürchtet auch die Kommunistische Partei des Sudan, die momentan noch offen arbeiten kann.
Die Regierungsvertreter des Südens wirken von der neuen Situation überfordert. Sie werden getragen von einer riesigen Hoffnung in der Bevölkerung, dass mit der Abtrennung alle Probleme verschwinden. Aber diese Hoffnung ist trügerisch. Viele unserer Gesprächspartner äußerten die Befürchtung, dass die internen Konflikte wieder aufbrechen, sobald der gemeinsame Kampf gegen den gemeinsamen Gegner, den Nordsudan, beendet ist.
Während des Bürgerkrieges sind mehr Menschen in Stammeskonflikten innerhalb des Südsudans getötet worden als durch den Bürgerkrieg mit dem Norden.
Ein Problem sind 60.000 Angehörige von Rebellengruppen, die nach dem Friedensabkommen von der SPLA, der ehemaligen südsudanesischen Bürgerkriegsarmee, übernommen wurden. Im Jahr 2009 fanden allein von März bis August sieben Massaker statt, an denen Angehörige der SPLA beteiligt waren.
Die Armut verstärkt diese internen Konflikte, da selbst jene Südsudanesen, die Landwirtschaft betreiben, nie genug ernten, um ihre Familie davon ausreichend zu ernähren.
Zudem hat die Gewalt der Kriegsjahre die Menschen zerstört. Es gibt so gut wie keine Einrichtungen, in denen zivile Konfliktbearbeitung gemacht wird und die Menschen ihre Kriegstraumata aufarbeiten können. Viele ehemalige Kämpfer greifen daher zum Alkohol, werden schnell handgreiflich.
Zu diesen zu erwartenden Konflikten kommen Streitigkeiten um die Grenzziehung in einigen, zumeist ölreichen Regionen. Eine davon ist Abyei. Dort geht es um den Zugang zum Öl, aber auch um den Einfluss verschiedener Stämme. Der Grenzverlauf trennt die Siedlungsgebiete des Nomadenstammes der Misseria von den Weidegründen ab, in die sie ihr Vieh acht Monate im Jahr treiben. Angesichts von 120.000 Stammesmitgliedern unter Waffen bietet das alleine schon Stoff für Konflikte.
Voraussetzungen für die Lösung der Konflikte sind eine gerechte Verteilung der Ressourcen, vor allem Wasser und Weideland, aber auch der Bodenschätze, der Aufbau von sozialer Infrastruktur und die Förderung wirtschaftlicher Entwicklung entsprechend den Bedürfnissen der Menschen. Alle diese Punkte erfordern die Einbeziehung der Betroffenen. Was nicht hilfreich ist, ist die Entsendung von Soldaten oder ferngesteuerte »Governance«-Programme der internationalen Gemeinschaft.
Auch wenn die Bundesregierung keine tragende Säule des internationalen Engagements im Sudan ist, hat sie mit der Isolierung des Nordens und der Unterstützung des Aufbaus eines eigenständigen Staates im Süden an der Seite der USA in die politischen Prozesse nach 2005 eingegriffen.
Ihre Motivation liegt jedoch nicht im Sudan selbst, der ist nur Mittel zum Zweck. Die Bundesregierung will sich in der UN profilieren. Der Beitrag der Bundeswehr ist eher symbolisch. Die meisten der 30 Bundeswehrsoldaten, die für Unims arbeiten, sind unbewaffnete Militärbeobachter. Sie berichten Sicherheitsvorfälle an eine Stelle, in der sich dann Vertreter des Nordens und des Südens mit der Konfliktbearbeitung befassen. Soldaten wären dafür nicht erforderlich.
Es wäre durchaus möglich, den Menschen im Sudan zu helfen. Beispielsweise durch einen bedingungslosen Schuldenerlass, die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Norden, die Unterstützung der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit mit dem Süden und dadurch, dass man zivile Konfliktbearbeitung unterstützt.
Das hat der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) bis Ende des Jahres 2010 getan, allerdings wurden ihm Gelder gestrichen, so dass er diese wichtige Arbeit einstellen muss.
Christine Buchholz ist Mitglied des Geschäftsführenden Parteivorstandes.