Disput

Schritte zu einer friedlicheren Welt

Transformationsideen auch in der Sicherheitspolitik!

Von Gerry Woop

DIE LINKE ist Antikriegspartei. Synonym wird auch die Zuschreibung Friedenspartei genutzt. Obwohl beides inhaltlich gleich ist, kann letzterer Variante durch die Positivformulierung eine stärkere Assoziation mit alternativen Reformvorschlägen zur schrittweisen Veränderung von Institutionen oder Konfliktlagen aus dem Jetztzustand heraus unterstellt werden. Insoweit ist DIE LINKE auch gefragt, wenn es um Sicherheitspolitik und konkret die weitere Entwicklung der Bundeswehr geht – ein schwieriges Feld, in den Verästelungen des Konkreten und Langwierigen zuweilen nicht einfach profilschärfend. Eine kluge Debatte in der Partei ist nötig, um in der laufenden öffentlichen Diskussion zur Bundeswehrreform überhaupt vorzukommen.

Die neue politische Lage entstand überraschend und brachte DIE LINKE in Argumentationsnot und Kommunikationsschwierigkeiten. Nach Jahren steigender Rüstungsetats, quälender Debatten zur Begründung der letzten Reste von Wehrpflicht und der »Normalität« von Kriegseinsätzen im Ausland kommt ein konservativer Verteidigungsminister mit einem Sparplan und will die Bundeswehr deutlich verkleinern. Die SPD hat Sorge, dass zu viele Standorte geschlossen werden. IG Metaller sorgen sich um Rüstungsaufträge für Unternehmen mit hoch qualifizierten Arbeitsplätzen. DIE LINKE scheint sprachlos, und das nicht nur aus Gründen blockierender Medien. Läuft da ein falscher Film? Leider nicht.

Ein genauerer Blick indes zeigt auf: Die IG Metall betreibt wenig zukunftsfähige Klientelpolitik für einige Tausend Beschäftigte (in der Rüstungsindustrie insgesamt sind es unter 100.000 in Deutschland), anstatt sich engagiert wieder Diskurstraditionen zu sinnvollen Konversionsmöglichkeiten zu widmen. Die SPD schlingert ohne friedenspolitisch normierten sicherheitspolitischen Kompass und setzt mangels Alternativkurs auf Regionalpopulismus ohne reale Erfolgsaussicht. Minister zu Guttenberg beruhigte überraschend erfolgreich in CDU und CSU selbst die konservativsten Wehrpflichtanhänger und kann seine Armee nun einer Radikalkur unterziehen. Sein Ziel ist mehr Effektivität für globale Interventionseinsätze. DIE LINKE schwankt zwischen Sorgen um Standortschließungen und Arbeitsplatzabbau infolge der Reform und dem Präsentieren der Totalalternative einer Bundesrepublik ganz ohne Armee.

Jetzt rächt sich der plakative Anstrich großer Teile der Außen- und fast vollständig der Sicherheitspolitik der Partei. Im Wachen über das Alleinstellungsmerkmal als Friedenspartei ging der realpolitische Diskurs um Daseinsweise und Aufgaben der Bundeswehr, um offenkundig doch sehr lange Übergänge hin zu einer Welt ohne Gewalt, Militärbündnisse und Armeen fast verloren. Aber ohne kreative Debatte dazu entsteht kein Konzept. Und damit keine Grundlage zum Anknüpfen auch an öffentliche Diskurse, an Vorstellungen von Friedensforschern oder anderen gesellschaftlichen Akteuren beim Ringen um Mehrheiten für Veränderungen. Die absolut auf Bewegungen und Opposition orientierten Teile der Partei argumentieren nun mehr oder weniger deutlich, dass bei einer totalen Ablehnung von jeglichen Auslandseinsätzen und einem Ausblenden von Bündnisverpflichtungen angesichts mangelnder aktueller militärischer Bedrohungen für Mitteleuropa die Bundeswehr aufgelöst werden kann. Ein kurzer und zunächst logisch erscheinender Schluss, der im gesellschaftlichen Diskurs allerdings nicht ernst genommen wird.

Drei Aufgaben

Auch wenn derzeit davon ausgegangen werden kann, dass Deutschland nicht unmittelbar bedroht ist, wird dennoch angesichts einer waffenstarrenden Welt in einem Staat wie Deutschland militärisches Potenzial als Restversicherung zur Landesverteidigung vorzuhalten sein. Das gilt auch bei einer dringend notwendigen Abrüstungsperspektive, die eine Verringerung des Bestands und von Offensivfähigkeiten meint. Zur Verteidigung im engen Sinne gehören logisch Aufwuchsoptionen für den Fall einer sich verschlechternden Bedrohungslage. Das ist der erste Auftrag der Bundeswehr entsprechend Grundgesetz. Wenn DIE LINKE keine grundsätzlich pazifistische Position einnimmt und wenn sie hier realpolitisch auftreten will, kann es daran eigentlich keinen Zweifel geben. Gleichwohl ist der Punkt schon umstritten.

Der zweite relevante Debattenpunkt sind Bündnispflichten. Sie betreffen Artikel 5 des NATO-Vertrages und die Beistandsklausel der EU – alles völkerrechtlich verankert und durch das Grundgesetz begründet. Natürlich gibt es hier keine Pflicht. Aber es existieren Verträge, und die gelten zunächst. Und selbst, wenn man Verträge ändern möchte, muss man sich die Folgen für das entstandene Vertrauen und die Sicherheitsarchitektur gut überlegen sowie die Möglichkeiten bei Vertragsverhandlungen mit zahlreichen souveränen Partnern bedenken. Zumindest sollte auch für DIE LINKE beachtenswert sein: Wer keine Renationalisierung der Sicherheitspolitik will, wird auch hier als Auftrag anerkennen, dass die gegenseitigen Beistandspflichten Auftrag sind. Dies gilt natürlich mit dem politischen Vorbehalt, geeignete Maßnahmen je nach konkreter Lage beschließen zu können. Aus dieser Situation ergeben sich nun ganz gravierende und spezifische Anforderungen an die multinationale Funktionsfähigkeit der Streitkräfte.

Es könnte in diesem Zusammenhang geprüft werden, wie neben einer Transformation der NATO in Richtung eines gesamteuropäischen und transatlantischen Sicherheitsverbundes mit Einbeziehung Russlands die engere Bündnisverteidigung auch im Rahmen der EU perspektivisch effizienter gewährleistet werden kann. Dazu bedürfte es allerdings gravierender Demokratisierungs- wie Integrationsschritte bei der Gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Der dritte Aspekt ist die Gretchenfrage bei der LINKEN, die Frage nach der Zulässigkeit von Auslandseinsätzen. Es lohnt, neben dem wichtigen Friedensengagement gegen die Kriege in Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan etwas weiter und genauer zu blicken. Nicht jeder bewaffnete Einsatz auf der Welt ist im Sinne des Völkerrechts rechtswidrig, nicht jeder Einsatz lässt sich als Krieg bezeichnen und nicht jeder Einsatz mit UN-Mandat ist abzulehnen. 2009 wurden nach Angaben des Heidelberger Instituts für internationale Konfliktforschung 39 gewaltförmige Konflikte in der Welt gezählt, davon neun Kriege. Es gibt regionale Schwerpunkte, Besonderheiten und einen Wandel der Konfliktformen. Ganz wesentlich – und für die Debatte unter dem Stichwort Souveränität bzw. Gewaltmonopol – ist die Zunahme von innerstaatlichen Konflikten und deren spill-over-Effekte (Übertragungseffekte) auf die jeweilige Region. Die Vereinten Nationen versuchen, diese Probleme konzeptionell und praktisch zu lösen. So waren neben 88.129 Soldaten im Mai 2010 13.407 Polizisten und 8.378 Zivilisten in reinen UN-Friedensmissionen aktiv. Soll das nun durch DIE LINKE alles nur unter der Überschrift Imperialismus und Krieg abgehakt werden? Sicher nicht. Wer davon ausgeht, dass die Gewalt aus den internationalen Beziehungen nur über einen langen Zeitraum zurückzudrängen ist, wird die auf zahlreiche Kriterien gestützte Einzelfallprüfung für Auslandseinsätze auch bei allem Vorrang für zivile Komponenten nicht ausschließen können. Dazu werden noch bis kommenden Herbst programmatische Debatten geführt. Realistisch und politisch vernünftig ist es nun nicht, die Sache nur an sich offen zu debattieren und deutsche Streitkräfte dabei unbedingt außen vor zu halten. Daraus ergäbe sich der dritte Auftrag für die Bundeswehr, als Dienstleister für die Vereinten Nationen.

Logische Konsequenzen

Mit großer Mehrheit steht DIE LINKE für die konsequente Abschaffung der Wehrpflicht als nicht mehr begründbarem massivem Eingriff in die Grundrechte von Bürgern. Sie geht damit deutlich über die derzeitige Aussetzungsregelung hinaus. In der Konsequenz bedeutet das den Übergang zu einer Freiwilligenarmee aus wenigen Berufs- und vielen Zeitsoldaten.

Aus den genannten Aufträgen ergeben sich notwendige Fähigkeiten, Ausrüstungen und Strukturen. Wer die Aufträge aus pazifistischen oder anderen Gründen ablehnt, muss einen bloßen Auflösungsprozess auf einen Nullpunkt hin planen. Je nach Auftragsakzeptanz bestünden Anforderungen an verschiedene Fähigkeitsprofile – bei den drei genannten eben in aufsteigender Kapazität.

Normativ bleiben

Aber zunächst kommt wieder das Politische. So gehören zu den Aufträgen als Rahmen normative Vorgaben: das Völkerrecht, Multilateralismus, Stärkung der UNO, Ressourcen für die Millenniumsziele, Vorrang für zivile Konfliktprävention und -bearbeitung; aber auch die Zielgröße für den Abrüstungsprozess, zum Beispiel eine Soldatenpersonalstärke von 100.000 in der nächsten Dekade und die Obergrenze für im Ausland befindliche Einsatzkräfte bei 10.000 mit kleinerteiliger Aufteilung in verschiedene Einsätze, feste Mandatsbindung, eher Teilhabe an reinen UN-Missionen und Vorrang für klassische Kapitel-VI-Missionen (Blauhelme mit Zustimmung der Konfliktparteien). Wichtig bleibt ein klares Nein zu Einsätzen mit hoher Gewaltintensität. Deutschland darf keine Kriege mehr führen, weder allein noch im Bündnis und auch nicht mit UN-Mandat. Die nukleare Teilhabe sollte schnellstmöglich beendet werden. Darüber hinaus müssten bei Einsätzen von Beginn an Exit-Strategien verankert werden, eine permanente öffentliche Einsatzkontrolle und externe Evaluierungen gilt es zu sichern. Auch eine Art parlamentarischer Bundessicherheitsrat könnte ohne Geheimniskrämerei wirklich politikfeldübergreifend Konfliktlösungsstrategien erörtern.

Aus all diesen Faktoren ergeben sich Möglichkeiten für drastische Abrüstungsschritte. Dazu kommt die Aufgabe überholter Rüstungsprojekte, selbst mit hohen Vertragsstrafen. Ein Bundeskonversionsprogramm mit kreativen Konzepten wäre nötig. Dabei könnten auch Ideen zu einer schnell einsatzfähigen Katastrophenhilfstruppe (bisher partiell unter dem Begriff der Grünhelme gefasst), angebunden beim Auswärtigen Amt, berücksichtigt werden.

Es würde der LINKEN politisch helfen, auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik Überlegungen zu Transformationsprozessen anzustellen, um neben Kritik und Friedensvision auch Vorschläge zu notwendigen Veränderungen auf diesem Wege, zu realistischen Ideen für die Umgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur, zur UN-Reform oder eben zu einer abgerüsteten Bundeswehr mit Friedensauftrag zu entwickeln. Das würde für breitere Gesellschaftsschichten nachvollziehbarer, glaubwürdiger und damit überzeugender sein. Es könnte andere Parteien, auch potenzielle Partner des Mitte-Links-Spektrums, in der Debatte um deutsche internationale Verantwortung unter Druck setzen. Und vielleicht könnte damit auch für eine Regierungsoption die schrittweise reale Veränderung hin zu einer friedlicheren Welt vorbereitet werden. Sicher nur ein bisschen Frieden, aber das sollte doch auch lohnen.

Gerry Woop ist Mitglied des Parteivorstandes.