Testfeld für die Konservativen
Zur Situation in Ungarn. Kinga Kaloscai, Mitglied des Vorstandes der Europäischen Linken für die Arbeiterpartei 2006 aus Ungarn
Kinga, bei den Wahlen im April 2010 erreichte die national-konservative Partei Fidesz von Viktor Orban eine Zweidrittelmehrheit. Was bedeutet dies für die Ungarinnen und Ungarn?
Das ist ein großes Problem. Die Fidesz kann mit der Zweidrttelmehrheit jedes Gesetz ändern. Sie kann im Prinzip machen, was sie will. Wie bei dem neuen Mediengesetz, das Zensur für das Fernsehen, die Radios, die Zeitungen und Internetportale in Ungarn bedeutet. Weitere neue Gesetze sind hanebüchen: Obdachlosen ist es beispielsweise untersagt, in den Bahnhöfen der Metro zu nächtigen. Und den Armen – von denen gibt es sehr viele in Ungarn – wurde es verboten, im Müll nach verwertbaren Dingen Ausschau zu halten.
Wie fällt die Bilanz der Regierung Orban nach den ersten Monaten aus?
Katastrophal, und das wird von sehr vielen Ungarn so gefunden. Es gibt sehr viele, die Fidesz gewählt haben und das jetzt bereuen. Viele haben schon nach den wenigen Monaten die Politik von Fidesz satt, was auch an einer steigenden Anzahl kleinerer Demonstrationen deutlich wird.
Ungarn hat seit Januar 2011 die EU-Ratspräsidentschaft inne und trotzdem werden Gesetze wie das ziemlich skandalöse Mediengesetz umgesetzt. Was haben wir vor diesem Hintergrund von der ungarischen Ratspräsidentschaft zu erwarten? Wie sieht das Programm aus?
Über das Programm der Ratspräsidentschaft wird in Ungarn nicht gesprochen. Meines Wissens ist auch noch nichts veröffentlicht worden. Die Pläne existieren gewiss in den Köpfen der Regierungsmitglieder, aber wir wissen nichts davon. Generell kann man sagen, dass Orban die Unterstützung konservativer Regierungen genießt – beispielsweise sind Sarkozy und Berlusconi wichtige Unterstützer der ungarischen Regierung.
Ich habe den Eindruck, dass Ungarn eine Art Testfeld für eine neue national-konservative und populistische Politik ist. Sie probieren aus, wie weit man gehen kann. Und in Bezug auf das Mediengesetz: Was die Regierung schon während des Giftschlammunglücks im Oktober gemacht hat – nämlich eine objektive Presseberichterstattung über das Ausmaß und die Folgen des Unglücks für die Bevölkerung zu unterdrücken –, das können sie jetzt durch den ausschließlich von Fidesz-Mitgliedern besetzten Medienrat offiziell tun und dich ins Gefängnis stecken, wenn du dich nicht an den Maulkorb hältst.
Wie ist die Situation Deiner Partei, der Arbeiterpartei 2006?
Das ist ambivalent: Einerseits ist unsere Situation schlecht, was sich aus der Zweidrittelmehrheit für Fidesz und der Existenz der starken rechtsradikalen Partei Jobbik (mehr als 16 Prozent bei den Wahlen 2010) erklärt.
Auf der anderen Seite haben wir die Hoffnung, dass es aufwärts gehen kann. Die Menschen sehen, dass auch der Wechsel von der neoliberal orientierten sozialistischen Partei MSZP zur Fidesz nichts gebracht hat, im Gegenteil. Sie wenden sich jetzt verstärkt den kleineren Parteien zu. Unsere Mitgliedszahl ist in den letzten Monaten gestiegen, und wir wurden aktionsfähiger.
In dieser Situation ist es für uns unheimlich wichtig, Mitglied der Europäischen Linken zu sein. Das stärkt uns, denn wir wissen: Wir sind nicht allein.
Interview: Oliver Schröder