Mit der Freiheit kam auch die Beliebigkeit
Der Kabarettist Peter Ensikat über Dieter Hildebrandt, DDR-Zensur und die Grenzen der Satire
Irgendwie werde ich die DDR nicht mehr los, so oder so ähnlich hat es Peter Ensikat gesagt, als er sich daransetzte, sein inzwischen etwa zehntes Buch in Angriff zu nehmen. Dabei ist Ensikat durch und durch ein Mann der Gegenwart, eben ein Satiriker. Das allerdings war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, als er am 27. April 1941 in Finsterwalde geboren wurde und als eins von drei Kindern einer alleinerziehenden Mutter, der Vater war im Krieg geblieben, aufwuchs.
Seine frühe Begeisterung fürs Theater brachte ihn zunächst zur Schauspielerei. Die Kinder- und Jugendtheater in Dresden und in Berlin waren seine Bühnen. Große Lorbeeren erntete er dabei nicht, durfte aber schon vor dem Mauerfall hin und wieder beim Klassenfeind auftreten. Nebenher schrieb er auch, vor allem Stücke für Kinder, dann Kabaretttexte, und er wurde einer der meistgespielten Kabarettautoren in der DDR. Als dann viele dachten, die DDR und die Satire darüber habe sich nun erledigt, wurde Peter Ensikat zunächst notgedrungen Kabarettdirektor der »Distel« in Berlin, um dann als einer der wenigen ostdeutschen Satiriker auch weiterhin nicht zu verstummen.
Sein erstes Buch erschien 1993 (»Ab jetzt geb’ ich nichts mehr zu. Nachrichten aus den neuen Ostprovinzen«). Es folgten so aussagekräftige Titel wie: »Uns gab’s nur einmal«, »Hat es die DDR überhaupt gegeben?«, »Was ich noch vergessen wollte«, »Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken« oder das Lexikon »Populäre DDR-Irrtümer«.
Nicht selten wurde er als Gesprächspartner über das deutsche Menetekel ausgewählt. Wohl, weil sich Böses mit Satire besser ertragen lässt. Aber bei ihm, der zeit seines Lebens nie einer Partei angehörte, bekommt noch jeder seine unparteiische, parteiliche Antwort. Nach 20 Jahren deutsche Einheit ist die ostdeutsche Realität ohnehin nur noch im Zusammenhang mit der westdeutschen zu betrachten. Was ihn inzwischen sowieso am meisten verblüffe, sagt Ensikat, sind nicht die Unterschiede der Systeme, sondern ihre Ähnlichkeiten.
Nun, vor seinem 70. Geburtstag im April 2011, erschienen gleich drei Bücher von ihm: Satiren aus 20 Jahren »Wo der Spaß aufhört«, seine Autobiografie »Meine ganzen Halbwahrheiten« und »Ihr könnt ja nichts dafür! Ein Ostdeutscher verzeiht den Wessis«.
Wie sind Sie überhaupt zur Satire gekommen?
Durch Peter Sodann. Ich habe als junger Mensch Gedichte geschrieben, im Stile von Kästner, Brecht hatte ich auch drauf. Wenn wir in der Theaterhochschule in Leipzig nachts zusammensaßen und diskutierten, habe ich ab und an meine Gedichte vorgelesen. Eines Tages fragte mich der Sodann – wir waren Kommilitonen –, ob ich nicht auch mal etwas schreiben wolle, was man brauchen könne. Als ich fragte, was das sei, sagte er, na Kabaretttexte. Er leitete damals das Leipziger Studentenkabarett »Rat der Spötter«. Ich hab’s versucht und nach zwei, drei Anläufen bekam ich ein, zwei Texte zustande, die sie dann aufführten. Beim nächsten Programm allerdings wurde dann der ganze »Rat der Spötter« verboten. Und so widersinnig das jetzt klingt, das war für mich der Grund, beim Kabarett zu bleiben. Wenn man mit so ein bisschen Schreiberei so viel Aufsehen erregt und scheinbar so viel bewirkt, dachte ich, muss man dabeibleiben.
Und was ist für Sie Satire?
Eine Art, die Welt zu sehen. Früher habe ich immer gedacht, die DDR könne man nur satirisch betrachten, aber inzwischen weiß ich, das war keine Besonderheit der DDR. Denn im Grunde bringt ja Satire Leute zum Lachen über Dinge, über die sie im Leben gar nicht lachen können.
Man liest öfter über Sie, Sie seien der Dieter Hildebrandt des Ostens, wer hat das eigentlich aufgebracht?
Das war ein Buchhändler in Kiel. Als ich mein erstes Buch geschrieben hatte, 1993, lud er mich nach Kiel in seine Buchhandlung ein. Als ich dann dahin kam, fragte ich etwas besorgt, wer kommt denn hier, hier kennt mich doch keiner. Doch er meinte nur, erstens kommen die Leute, weil ich sie einlade, und zweitens, sehen Sie mal, was da im Schaufenster steht. Da war ich angekündigt als »der Hildebrandt des Ostens« – der Buchhändler hatte dann wirklich einen vollen Laden.
Ihr Freund Dieter Hildebrandt war also so etwas wie Ihre Eintrittskarte in den Westen. Funktionierte das auch umgekehrt?
So etwas brauchte er nicht, den kannte man auch im Osten. Wir hatten uns 1986 in Leipzig bei der inzwischen legendären Vorstellung von Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder kennengelernt. Wobei Hildebrandt sich schon im Kabarett der DDR gut auskannte, er gehörte zu den nicht sehr zahlreichen Westdeutschen, die sich schon immer auch für den Osten interessiert haben.
Er gehört mit seinen 80 Jahren immer noch zu den wichtigsten Kabarettisten des Landes.
Mit Recht. Der Mann ist einfach großartig. Mir wurde früher manchmal vorgeworfen, ich hätte ihn mir als Vorbild genommen und versucht, ihn zu imitieren. Das stimmt zwar so nicht, aber man kann auch schlechtere Vorbilder haben.
Welche Vorbilder haben Sie denn?
Das fing an mit Werner Finck, der übrigens auch zu Hildebrandts Vorbildern gehörte. Und für mich war es dann auch Hildebrandt, das stimmt schon. Ich habe ihn immer darum beneidet, dass er diese Art Kabarett sogar in den öffentlich-rechtlichen Medien machen durfte.
Sie meinen diese Art der Gesellschaftskritik?
Ja. Hildebrandt war immer einer, der die Bundesrepublik von links her kritisiert hat und im Grunde für das Ansehen dieser Bundesrepublik viel mehr getan hat als die Leute, die nur ihre Vorzüge gepriesen haben. Das wissen ja bis heute die wenigsten Politiker, dass im Grunde Satire fast immer System erhaltend wirkt. In dem Sinne: Ein Land, das sich solche Kritiker leistet wie Hildebrandt oder andere – es gab ja noch andere wie beispielsweise das Komödchen in Düsseldorf –, das kann nicht ganz so schlecht sein. Ich glaube, die Qualität einer Demokratie erkennt man unter anderem an den Möglichkeiten, die sie ihren Kritikern einräumt. Auch die schärfste Kritik kann hilfreicher sein als das schönste Loblied.
Schon Voltaire hat gesagt, dass er die Ideen seines Gegners bis zum letzten Blutstropfen bekämpfen würde, aber genauso würde er dafür kämpfen, dass der Gegner seine Meinung sagen dürfe. Das haben die Politiker in der DDR bis zum Schluss nicht einsehen wollen.
Da funkte dann die Zensur dazwischen, über die Sie sich ja schon öfter mal geäußert haben …
Vieles war trotzdem möglich, und es gab einen Trick. Da es in der DDR keine zentrale Zensurbehörde für Kabarett gegeben hat, anders als bei der Literatur oder beim Film, konnte jeder »Ortskommandant« bzw. SED-Bezirksparteichef zwar nach Gutdünken verbieten oder erlauben. Aber wenn wir an einem Ort etwas durchbekommen hatten, konnten wir uns am anderen immer herausreden, dass es woanders erlaubt worden war. Da galt das Motto, die Genossen werden sich doch etwas dabei gedacht haben. In den achtziger Jahren wurde die Zensur beim Kabarett weitgehend unterlaufen. Das hatte dann allerdings zur Folge, dass sie 1988 noch mal richtig zugeschlagen hat. Da wurden dann fast überall in der DDR plötzlich wieder ganze Kabarettprogramme verboten.
Warum sind Sie trotz solcher Verbote beim Kabarett geblieben?
Wenn das mit dem Kabarett zu deprimierend war, also die Zensureingriffe, dann habe ich eben Kindertheater gemacht, das war meine Freiheit. Wenn ich nicht Kabarett machen wollte oder sollte, was ja beides vorkam, hatte ich immer mein Kindertheater. Das hatte zwar den Nachteil, dass man da schlechter bezahlt wurde und nicht berühmt werden konnte, noch dazu als Schreibender, aber das war für mich meine Freiheit.
Inzwischen haben Sie noch mehr Freiheit.
Nun ja. Heute haben wir ein anderes Problem. Das ist weniger die Freiheit als viel mehr die herrschende Gleichgültigkeit. Es ist allzu einfach, sich auf den Tucholsky-Satz zu berufen, Satire dürfe alles. Tucholsky hatte in seinem Artikel, aus dem der Satz stammt, ganz bestimmte Einschränkungen gemacht. Die Grenzen der Satire sah er nach unten bei Hitler und nach oben bei Buddha. Er wusste, dass eine Gesellschaft ohne Tabus gar nicht existieren kann. Wenn man das Wort freigibt von jeder Verantwortung, dann nimmt man ihm auch jede Wichtigkeit. Das scheint mir ein Problem unserer Zeit zu sein.
Wenn alle bei einem Witz lachten, sind sicher auch die dabei, auf die der Witz zielt.
Das ist auch heute so. Allerdings brauchen die Zuschauer ohne die Zensur auch keine Anstrengung mehr, um etwas zu verstehen. Es wird ja alles direkt gesagt. Ich habe da ein wunderbares Zitat von Theobald Tiger, also Tucholsky, von 1919 gefunden: »Der echte Satiriker, dieser Mann, der keinen Spaß versteht, fühlt sich am wohlsten, wenn ihn ein Zensor hindert zu sagen, was er leidet. Dann sagt er’s doch und wie er es sagt, ohne es zu sagen, das macht schon einen Hauptteil des Vergnügens aus, der von ihm ausstrahlt.« Das ist auch eine treffende Beschreibung der Situation des Satirikers in der DDR.
Wirklich gute Satire muss man inzwischen eher suchen. Nicht, dass die Leute weniger zu lachen haben wollen, aber Comedy bringt nicht nur im Fernsehen mehr Quote, oder?
Kabarett war nie was für große Säle. Georg Schramm hat »Die Anstalt« im ZDF zwar verlassen, aber es gibt sie weiter. Dann gibt es noch die »heute-Show«, da wird Satire mit den Mitteln des Fernsehens gemacht. Mit abgefilmtem Kabarett hatte ich eigentlich schon immer meine Schwierigkeiten. Obwohl ich auch gut fand, dass es das überhaupt gab, im Westen zumindest. In den Medien der DDR kam Kabarett ja so gut wie gar nicht vor. In den späten Sechzigern oder frühen Siebzigern gab es beim ZDF übrigens schon mal einen Versuch, Kabarett mit den Mitteln des Fernsehens zu machen. Das hieß damals »Hallo, Nachbarn« und war so gut, dass es – selbst im Westen – ganz schnell verboten, pardon, abgesetzt wurde. Es ist ja eine Sage, dass es in der Bundesrepublik überhaupt keine Zensur gegeben hat, ich hab sie noch erlebt, als ich in diese Bundesrepublik eintrat oder eingetreten wurde.
Aber doch wohl nicht mehr heute?
Doch, da wird man als Satiriker eben einfach nicht mehr gefragt. Stumm muss man deshalb nicht werden, es gibt ja so viele Medien, und was der eine Sender nicht nimmt, nimmt der andere. Aus nicht gedruckten Kolumnen zum Beispiel habe ich dann eben Kabaretttexte gemacht. Mit der DDR-Zensur kann man das, was heute an Beschränkung herrscht, nicht vergleichen. Mir scheint heute nicht mangelnde Freiheit das Problem zu sein, sondern der Hang zur Beliebigkeit.
Beliebigkeit ist doch der Tod der Satire, die muss doch immer konkret sein, um zu treffen.
Eben. In Thomas Manns »Doktor Faustus« steht: »Was ist Freiheit? Nur das Gleichgültige ist frei. Das Charakteristische ist niemals frei, es ist geprägt, determiniert und gebunden«. Also zwischen Freiheit und Beliebigkeit sollte man gerade heute unterscheiden. Und was hilft es, wenn ich heute Frau Merkel kritisiere oder unseren Baron oder Westerwelle, die Macht sitzt doch ganz woanders. Diese Macht ist für die meisten anonym, und etwas Anonymes anzugreifen ist ziemlich unmöglich. Insofern glaube ich, dass Kabarett heute oft viel weniger ans Wesen der Sache herankommt als zu DDR-Zeiten, wo man die Namen der Akteure nicht nennen durfte. Wir waren also gezwungen, uns mehr dem Wesen der Sache zu nähern. Ich behaupte, dass manches in unseren DDR-Kabarettprogrammen damals systemkritischer war als das meiste, was sich heute Kabarett nennt. Das trifft zumindest für die Stücke zu, die Wolfgang Schaller und ich damals für die Dresdener »Herkuleskeule« geschrieben haben und die dann republikweit nachgespielt wurden.
Haben Sie eigentlich schon mal wie Peter Sodann daran gedacht, in die Politik zu gehen?
Um Gottes willen, nie. Das stand sowieso immer außer Frage. Schon wegen der Ähnlichkeit politischer Karrieren. Ich dachte immer, die wären nur bei uns so stereotyp verlaufen, auf dem geraden Weg: Pioniere, FDJ, SED … Doch das ist in der Bundesrepublik genauso.
Ist es für Sie als Satiriker so undenkbar, sich in einer Partei zu engagieren?
Es gab Zeiten, in denen wäre ich sofort in die SPD eingetreten, das war die Zeit von Brandt, Bahr … Inzwischen wäre ich allerdings auch schon längst wieder ausgetreten. Günter Grass zum Beispiel geht ja immer wieder mal rein, mal raus, ich finde es für mich besser, gleich draußen zu bleiben.
Aber links ist doch eine Richtung, mit der Sie sympathisieren?
Na ja, gerade unter Linken gibt es viel Humorlosigkeit. Bei den Achtundsechzigern mal angefangen. Mein Einwand gegen die Achtundsechziger war vor allem ihre wahnsinnige Humorlosigkeit, das Dogmatische, da waren mir die Rechten manchmal sogar lieber. Wobei die Rechten sich damals auch Toleranz leisten konnten: Ein Mann wie der Lothar Späth hatte sich mit seiner Kulturpolitik beispielsweise die bunten Vögel nach Baden-Württemberg geholt und dort eine lebendige Theaterszene geschaffen, eine linke, das machte ihm nichts aus.
Auch mit kritischen Geistern kann man seine politischen Ziele schmücken.
Stimmt. Ich habe nie begriffen, warum das in der DDR nie erkannt wurde. Wir hatten doch die besten politischen Witze. Dass die allerbesten von ganz oben, aus dem Politbüro, gekommen wären, wie man sich erzählte, halte ich allerdings für ein Gerücht. Die DDR war mit ihrem gepredigten dialektischen Materialismus eine ziemlich idealistische Angelegenheit. Da glaubte man wirklich, man könne mit Worten die Welt verändern, »mit Worten, die Blitze waren«, wie es in einem Lied von Peter Hacks hieß.
Kann Satire nicht wenigstens ein bisschen auch die Welt verändern?
Nein. Man macht damit vielleicht die Welt ein bisschen erträglicher – aber das ist dann natürlich auch gleich wieder System erhaltend.
Gespräch: Ingrid Feix