Disput

Alles Grimma!?

Seniorinnen und Senioren im ländlichen Raum. Eine AG in Westsachsen will es genau wissen

Von Heidemarie Lüth und Karin Brummer

Die Bescheidenheit und Zurückhaltung der Seniorinnen und Senioren kennt häufig keine Grenzen. Sie möchten den jüngeren Generationen nicht zur Last fallen, sie haben ihr Leben immer gemeistert und oft keine fremde Hilfe gebraucht. Das trifft auch auf einen Teil der Senioren im Kreis Westsachsen zu. Jedoch haben sich in den vergangenen Jahren die Bedingungen für ein Leben in Würde im Alter erheblich geändert.

Welche Rahmenbedingungen gibt es in Sachsen, um auch im hohen Alter würdevoll und selbstständig im ländlichen Raum leben zu können? Im Landesentwicklungsplan 2012 beschreibt die Staatsregierung ihre Ziele und Grundsätze. Der ländliche Raum soll mit seinen Teilräumen zu einem eigenständigen Lebens-, Wirtschafts- und Naturraum langfristig entwickelt werden. Eine Doppelstrategie soll zum Ziel führen. Sie beinhaltet eine vorausschauende Anpassung der regionalen Strukturen an die Abnahme der Bevölkerungszahl sowie die Alterung der Bevölkerung und ein gezieltes Entgegenwirken hinsichtlich der demografischen Entwicklung.

Es wird eine zentralörtliche Versorgung angepriesen, die die Kommunen eigenverantwortlich sichern sollen. Na dann alles Grimma! Die Stadt Grimma in unserem Kreis besteht aus 65 Ortsteilen und umfasst ein Gebiet von 217 Quadratkilometern. (Im Vergleich: Leipzig umspannt ein Territorium von 297 Quadratkilometern.) In den Ortsteilen von Grimma ist alles gut. Keine Probleme. Hausärzte, Einkaufsmöglichkeiten, Geldautomaten – alles vorhanden, da Grimma als zentraler Ort ja alles hat und die Daseinsvorsorge den Kommunen in voller Eigenverantwortung obliegt.

Nun wollten wir in der AG Senioren im Kreis es doch genauer wissen: Daseinsvorsorge auch für Senioren oder Wolfserwartungsgebiet?

Eine Große Anfrage unserer Landtagsfraktion vom März 2013 sollte uns konkrete Daten über die Lebensbedingungen in sämtlichen Kommunen und Ortsteilen des Landes liefern. Alles stand auf dem Prüfstand: die Bevölkerungszahlen, das Einkommen, Gesundheit, Pflege, Wohnen, Mobilität, Kultur und gesellschaftliche Teilhabe. Die Antwort war ein Desaster. Nur 25 Fragen wurden wirklich beantwortet, 38 Fragen teilweise und 56 gar nicht. Eigentlich wollten wir aus der Antwort für die Kreise in Sachsen konkrete Schlussfolgerungen aus unserer Sicht formulieren, aber das war auf dieser Datengrundlage nicht möglich.

So fassten wir in der AG Senioren den Entschluss, einen anderen Weg zu gehen. Wir entwickelten einen Fragebogen zur Situation im Kreis Leipzig. Über die Ortsverbände, über persönliche Weitergabe durch Genossinnen und Genossen und über unsere Homepage haben wir konkrete Antworten der persönlichen Lebenssituation aus verschiedenen Teilen des Kreises erhalten.

Um die Diskussion in unserem Kreis anzufachen, konzipierten wir einen Veranstaltungszyklus »Seniorinnen und Senioren im ländlichen Raum« für unseren Kreis.

Nach dem Vorstellen der Antwort der Staatsregierung in unserer Kreisstadt wurden und werden folgende Themen bearbeitet: Einkommen, Gesundheit und Pflege, Mobilität, Wohnen, Kultur, Sparkassen und Banken und eine Abschlusskonferenz. Zu jeder Veranstaltung referieren der inhaltlich zuständige Landtagsabgeordnete, Fachreferenten, unser Bundestagsabgeordneter Axel Troost und die Mitglieder der AG. Moderiert werden die Beratungen von der Vorsitzenden der Kreistagsfraktion. Die Veranstaltungen fanden und finden in mehreren Städten unseres Kreises statt. Eingeladen werden Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Seniorenvertretungen sowie Bürgerinnen und Bürger.

Nach umfänglicher Diskussion in den Veranstaltungen und in der AG, unter Beteiligung der Kreistagsfraktion, tragen wir Schlussfolgerungen zusammen. Sie sind und werden stets den Ebenen Bund, Land und Kommune zugeordnet. Das stellte uns vor große Herausforderungen. Verlangte es doch von der AG Senioren konkrete Kenntnisse zu den Themenfeldern, den Zuständigkeiten des Bundes und denen der Länder. Besonders für die Kreise müssen die Schlussfolgerungen auf einer exakten Datenlage und den konkreten Möglichkeiten der Kommune bezogen sein. Da geht es auch um Haushalte, Prioritätensetzungen und zukunftsfeste Entscheidungen.

Nun beginnt der eigentlich spannende Teil der Arbeit. Die Schlussfolgerungen zur Veränderung der Lebensbedingungen der Senioren müssen in konkrete Aufgaben umgesetzt werden. Denn nur wenn es gelingt, vor Ort Veränderungen zu erreichen, lohnt sich der Aufwand. Für die Beratung zum Thema Einkommen der Seniorinnen und Senioren gab es von der AG folgende Prämissen: Die Lebensleistung muss im Alter nicht nur ein menschenwürdiges Auskommen garantieren, sondern auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Die Grundsteine sind jedoch nicht allein seniorenpolitische Fragen, sondern werden lebenslang gelegt. Wie können also Möglichkeiten zur Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung für die Arbeit ermöglicht werden? Welche Rolle spielt der Mindestlohn nicht nur bei der Lebensgestaltung, sondern auch bei der Vorsorge im Alter? Brauchen wir eine Mindestrente, um Brüche in der Erwerbsbiografie auszugleichen und Altersarmut zu verhindern? Unter dem Motto »Gute Arbeit für ein gutes Leben« haben wir in der Beratung diskutiert.

Die Schlussfolgerungen für Bund und Land sind bekannt. In den Kommunen und im Kreis hingegen geht es um Kleinarbeit, sie führen scheinbar über Seniorenfragen hinaus, zeigen jedoch das Problem als Generationenfrage.

In Stichworten:

1. Zuwachs für Altersarmut stoppen

  • Schulabgänger ohne Haupt- und mit Hauptschulabschluss: konkret in den Kommunen und im Kreis erfassen, Förderung bereits während der Schulzeit über örtliche Träger veranlassen.
  • U 25 (Jugendliche) im Kreis: Nachfrage zur konkreten Förderung (Jobcenter), direkte Gespräche mit den örtlichen Betrieben
  • (Anteile des Kreises bei der Finanzierung aus der Sicht späterer Einkommen und sozialer Folgekosten)
  • Kinder in Bedarfsgemeinschaften: genaue Analysen und schnelle Vermittlung der Mütter
  • Höhe der über 50-Jährigen im Bezug Sozialgesetzbuch II: in den Kommunen direkte Vermittlung organisieren, kommunale Jobcenter gemeinsame Finanzierungsmöglichkeiten entwickeln

2. stärkere Einbeziehung des Sozialausschusses in die Arbeit der Jobcenter auch durch die Kommunen

  • Monatliche Analysen sind zum Standard zu erheben.

3. Lebenssituation der Seniorinnen und Senioren positiv verändern

  • Welche finanziellen Mittel stehen im Haushalt der Kommune überhaupt dafür zur Verfügung?
  • Sozialticket auch für Kultur prüfen
  • mobile Einkaufsvarianten mit erschwingbaren Preisen
  • Wohnungen im kommunalen Eigentum (Mietpreise, seniorengerechte Wohnungen)

Nach Diskussion in der Kreistagsfaktion können die Empfehlungen in Form von Anfragen und Anträgen konkret umgesetzt werden. Der Kreistagsfraktion und den Abgeordneten in den Kommunen obliegt dann die Öffentlichkeitsarbeit.

Für die weiteren oben genannten Veranstaltungen werden Thesenpapiere von der AG Senioren oder von den inhaltlich zuständigen Landtagsabgeordneten vorgelegt. Sie werden dann den Einladungen beigelegt. Wir hoffen, dass so die inhaltliche Diskussion angekurbelt und das Interesse am Thema geweckt wird.

Heidemarie Lüth und Karin Brummer sind in der AG Senioren Westsachsen aktiv.