HDP vor großen Aufgaben
Yarın Artık Bugündür – Das Morgen ist schon heute
Von Julia Wiedemann
DIE LINKE war im Juni zu Besuch beim Kongress der türkischen Demokratischen Partei der Völker (Halkların Demokratik Partisi, HDP) in Ankara. Die HDP wurde 2012 gegründet aus einem Verbund kleinerer linker türkischer und pro-kurdischer Parteien sowie Vertretern verschiedener anderer Gruppierungen wie der LGBT-Bewegung und der Ökologie-Bewegung. Das Ziel war, eine neue Partei ins Leben zu rufen, die neben der Partei für Frieden und Demokratie - Barış ve Demokrasi Partisi, BDP, der Partei der kurdischen Bewegung, die vor allem im Südosten des Landes ihre Basis hat - eine politische Heimat für Linke im Westen der Türkei werden kann.
Die HDP steht damit in Opposition nicht nur zur islamisch-konservativen AKP von Erdogan, sondern auch zu den Nationalisten der CHP, die nach wie vor die Rechte der Kurden und anderer Minderheiten nicht anerkennen will.
Bei den Kommunalwahlen im März hatte auch die HDP in vielen Orten mit eigenen Kandidatinnen und Kandidaten teilgenommen. Doch waren die Ergebnisse eher enttäuschend. Insgesamt wurden landesweit nur neun Gemeindevertreter der HDP gewählt, während die kurdische BDP ihre starke Stellung in den Kommunalparlamenten im Osten ausbauen konnte und über 1.400 Gemeinde- und Kreisvertreter und 97 Bürgermeister stellt.
Eine Neuausrichtung in der Strategie der HDP wurde notwendig. Hinzu kommt, dass im August in der Türkei Präsidentschaftswahlen sind, auf die sich die HDP vorbereiten muss, und auch die Neuwahl des Vorstands war ein wichtiger Tagesordnungspunkt des Kongresses.
So soll die kurdische BDP sich zukünftig stärker ihren kommunalen Strukturen und dem Ausbau der demokratischen Selbstverwaltung auf lokaler Ebene widmen, während die HDP sich verstärkt auf der nationalen Ebene ausrichten soll. Im April war ein großer Teil der BDP-Abgeordneten im türkischen Parlament bereits in die HDP übergetreten, als Teil dieser Strategie. Zu den Präsidentschaftswahlen im August stellt die HDP einen eigenen Kandidaten auf, dessen Kandidatur dann von der BDP unterstützt werden soll.
Auch mit der Vorstandswahl wurde der Strategiewechsel eingeleitet. Die beiden früheren Co-Vorsitzenden Ertuğrul Kürkçü und Sebahat Tuncel traten von ihren Funktionen zurück, um den Weg für neue Gesichter frei zu machen. Ertuğrul Kürkçü wurde auf dem Kongress für seine Verdienste beim Aufbau der HDP zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Sebahat Tuncel bleibt weiter Mitglied des erweiterten Parteivorstandes. Als neue Vorsitzende wurden Figen Yüksekdağ (bisher Vorsitzende der Sozialistischen Partei der Unterdrückten, ESP) und Selahattin Demirtaş (bisher Co-Vorsitzender der kurdischen BDP) gewählt. Inzwischen wurde der charismatische Demirtaş auch als Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen vorgestellt.
Der Kongress fand in einer Turnhalle statt. Die Delegierten und die Parlamentarier der HDP hatten im Saal Platz genommen, auf den Rängen saßen zahlreiche Besucher. Vor der Halle hatten sich Händler eingefunden, die Döner, Köfte, Wasser oder Tee anboten. Im Saal war die Stimmung lebhaft, die Parteimitglieder schwenkten Fahnen. Die kurdischen Farben (rot, gelb, grün) waren sehr präsent auf Fahnen, Schals und Kleidung. Die Situation der Kurden in Syrien und im Irak war auch hier in der Türkei besonders präsent, Grußbotschaften aus Rojava, dem kurdischen Teil Syriens, wurden überbracht.
Auffallend war der überaus große Anteil an Frauen auf dem Kongress, für die Türkei mit ihrer oft noch sehr patriarchalen Gesellschaft eher unüblich. Hier bewies die HDP ihre Vorreiterrolle. Schon mit ihrer Gründung besetzte sie ihre Vorsitzendenfunktion mit einer Mann-Frau-Doppelspitze. Und nicht nur auf der Bühne gab es eine klare Quotierung, auch unter den Delegierten und im Publikum waren Frauen sehr präsent.
Weniger beispielgebend war der Ablauf der Vorstandswahl. Hier gab es nur eine Liste, über die alle Delegierten als Ganzes abstimmen mussten. Ein Verfahren, das zwar bei vielen Parteien in der Türkei noch üblich ist, an dem sich aber gerade die Jüngeren in der HDP sehr stören.
Mit dem Anliegen, türkische und kurdische linke Kräfte in einem Projekt zu vereinen, hat die HDP sich eine große Aufgabe vorgenommen. Sie geriet jüngst immer wieder in die Kritik, dass sie nur das verlängerte Sprachrohr der BDP sei. Es bleibt offen, ob mit der neuen Ausrichtung der HDP und der Kandidatur von Demirtaş die Strategie der Einigung kurdischer und linker Kräfte gelingt. In jedem Fall stehen der HDP große Aufgaben bevor.