Nach den Wahlen
In Europa und in Hamburg-Nord: Mehr Demokratie wagen!
Von Jürgen Stopel
»Im Jahr sieben nach Ausbruch der Bankenkrise war die Wahl zum Europäischen Parlament auch eine Abstimmung über die katastrophale Krisenpolitik der Europäischen Union, die von der Troika mit tatkräftiger Unterstützung von Angela Merkel brutal durchgesetzt wird und verheerende Folgen hat.« (Sahra Wagenknecht in: DISPUT 6/2014, S. 47)
Die Europawahl
Die Wahlergebnisse lösten kein »politisches Erdbeben« aus, sie waren auch kein Grund, um »übermäßig enttäuscht zu sein« (Matthias Höhn in: DISPUT 6/2014, S. 4). Eine Teilantwort auf die Frage, worauf die zu geringe Wahlbeteiligung (in Hamburg: 43,5 %) zurückzuführen ist, gibt aus meiner Sicht Sahra Wagenknecht: »Um Europa zu verändern, braucht es Menschen, die den derzeitigen Kurs der EU ablehnen und nach Alternativen suchen. Diese gilt es zu erreichen und mit unserem Politikangebot zu überzeugen.« Wir müssen »unsere Kritik an der EU und deren Politik sehr klar formulieren ...« Bedenklich ist weiterhin die große Anzahl ungültiger Stimmen (allein in Hamburg liegt sie bei 5.400).
Zu bedenken geben sollte allerdings auch dieser Vorgang: Wochenlang wurden ausschließlich Jean-Claude Juncker (EVP) und Martin Schulz (SPD) als »potenzielle« Kandidaten für den Präsidenten der EU-Kommission öffentlich gehandelt. Gab es sonst keine KandidatInnen aus den anderen Fraktionen? Wieso fühlten sich die Grünen bemüßigt, Frau Merkel öffentlich an »ihren« Kandidaten Juncker zu erinnern? Das Ergebnis: Juncker darf Präsident der EU-Kommission werden, während Schulz erneut zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt wurde. Ein Pokerspiel zulasten der Demokratie?
Werfen wir einen Blick auf Frankreich: »Der Erfolg von Le Pen in Frankreich ist eine Folge der Politik von Frau Merkel.« (Oskar Lafontaine, Fernsehdiskussion bei Anne Will, 28. Mai 2014) Frau Merkel »sekundiert«: »Die EU ist keine Sozialunion!«
Ein Blick auf die Kommunalwahlresultate in Hamburg. In Hamburg-Nord konnte DIE LINKE ihr bestes Bezirkswahlergebnis seit Gründung der Partei erzielen: Sie steigerte ihren Stimmenanteil im Vergleich zur vorherigen Wahl um fast 50 Prozent (von 6,4 % auf 9,5 %) und stellt nunmehr fünf Abgeordnete in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord (zuvor drei).
Kritisch zu beurteilen sind auch hier die deutlich abnehmende Wahlbeteiligung in Hamburg-Nord (von 57,5 % auf 44,4 %) sowie die Anzahl der ungültigen Stimmzettel (aktuell: ca. 2.570). (laut Statistischem Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2014)
Bedenkliche Vorhaben
Presseberichten zufolge will der Hamburger Senat 500 Null-Euro-Jobs einführen. Das bedeutet: (Wieder-) Einführung der Zwangsarbeit in Deutschland, diesmal für Hartz-IV-Beziehende (junge Welt, 2. Juli 2014). Es ist zu befürchten, dass »Null-Euro-Jobs« nach erfolgreichem Hamburger Testlauf bundesweit eingeführt werden. Der Erwerbslosenverein Tacheles fordert dazu auf, Widerstand zu leisten.
Kein Olympia in Hamburg: Die Linksfraktion in der Bürgerschaft spricht sich gegen eine Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Sommerspiele 2024 oder 2028 aus. »Die Regeln für Olympische Spiele macht nicht Hamburg, sondern das IOC. Und den Gewinn macht dabei auch nicht Hamburg, sondern das IOC.« (aus einem Flyer der Fraktion)
Der Senat will die (erneute) Elbvertiefung. Darüber soll ab 15. Juli 2014 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt werden. Wie jetzt bekannt wurde, wird Hamburg – und damit die Bevölkerung Hamburgs – deutlich mehr belastet als bisher vermutet, nämlich eventuell um »100 Millionen Euro« mehr (Hamburger Morgenpost, 3. Juli 2014). Umweltverbände wie der BUND lehnen eine erneute Elbvertiefung entschieden ab.
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Welche Konsequenzen ergeben sich für DIE LINKE? Damit gute Wahlergebnisse sich stabilisieren, ja weiter ausgebaut werden können, müssen aus meiner Sicht unter anderem diese Voraussetzungen erfüllt werden:
Politik muss für die Menschen wieder zu einer Angelegenheit werden, für die sich ein Engagement lohnt. Überprüfbare Teilerfolge sind wichtig. Es sollten sich mehr Mitglieder und auch SympathisantInnen in Wahlkämpfen der LINKEN engagieren.
»Politik« ist heute so komplex geworden, dass kein Mensch allein Antworten auf alle Fragen parat haben kann. Es ist naheliegend, sich auf einige wenige Themenkomplexe zu konzentrieren und sich mit anderen zu vernetzen.
DIE LINKE muss den Blick auch auf ökologische Probleme schärfen (siehe Elbvertiefung, viele Beispiele könnten angeführt werden). Den Folgen des Klimawandels können wir uns nicht entziehen; wir müssen darüber nachdenken, wie (negative) Folgen des Klimawandels gemildert werden können. Emissionen der Treibhausgase müssen deutlich verringert werden (eine Reduzierung des PKW- und LKW-Verkehrs wäre sehr hilfreich).
Dies alles kann nur realisiert werden, wenn innerhalb der Zivilgesellschaft eine verstärkte Aufklärung über Ursachen und Folgen von politischen Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen erfolgt. Fordern wir mit großem Nachdruck: »Mehr Demokratie wagen!«