Offene Augen, offenes Herz
Der Maler und Grafiker Ralf Bergner über Denkanstöße und Themen, über Handwerk und Internet
Sie sind Thüringer, und man sagt Thüringern eine große Heimatverbundenheit nach. Wie sieht das bei Ihnen aus – Sie haben in Halle (Saale) und Leipzig studiert und leben in Berlin?
Ich stamme aus der Nähe von Gera und hänge sehr an meinem Dorf. Aber schon durch das Studium hatte ich mich abgenabelt, habe mich weiterentwickelt. Das merke ich, wenn ich mal in meinem Heimatdorf bin – dann macht sich eine gewisse Langeweile breit. In Berlin fühle ich mich als Thüringer durchaus wohl.
Woran arbeiten Sie im Moment?
An mir selbst. (lacht)
Ich hatte einen schönen Auftrag: Für eine Aufführung des Berliner Ärzteorchesters sollte ich Prokofjews »Peter und der Wolf« in der Textfassung von Loriot illustrieren. Die Bilder sollten an die Wand gebeamt werden. Leider ist das Projekt aus technischen Gründen gescheitert. Das war mein letzter Auftrag. An sich habe ich immer viel zu tun.
Ist das der Wolf, den wir eben auf Ihrem Arbeitstisch gesehen haben?
Ne, der gehört zu Grimms Märchen, die ich illustriert habe.
Es ist schon was Wahres dran, wenn der Alfred Hrdlicka sagt: »Mir fällt nichts ein, mir fällt nur was auf«. Wenn ich mit offenen Augen durch die Welt gehe, fällt mir immer was auf. Und das bearbeite ich dann.
Sie sprechen es gerade an, wie finden Sie Ihre Themen?
Mit offenen Augen und offenem Herzen, sag ich mal. Das funktioniert gut. Und durch Literatur. Ich lese sehr gern und finde dort Denkanstöße. Da sind wir beim Handwerk. Wichtig für mich sind die Wahrheiten von Henri Matisse oder vornehmlich von Leonardo da Vinci. Bei ihnen ging’s oft ums Zeichnen, ums Können und um Theorien, die ich für mich vereinnahme und ernst nehme. Insofern bin ich wirklich froh, dass ich das durchlaufen habe wie sie: eine knallharte Handwerksschule.
Ihr Lehrer war vor allem Willi Sitte, bekannt durch seine großen Bildwerke. Sie hingegen lieben das kleine Werk. Warum folgt in dieser Hinsicht der Schüler nicht dem Lehrer? Was haben Sie von Sitte gelernt?
Demut zur Kunst und Kunstgeschichte, Handwerk und zeichnerisches Können.
Ich kam – das war damals ganz selten – an die Hochschule für Industrielle Formgestaltung, an die Burg Giebichenstein in Halle, ohne Aufnahmeprüfung – nur durch Skizzen.
Und was die Größe betrifft: Kleine Männer – große Bilder, große Männer – kleine Bilder. Das ist eine Binsenwahrheit. (lacht) Der Hrdlicka war so klein und machte so große Bilder. Und ich kenne große Leute, die machen so kleine. Ich bin jetzt dabei, die kleinen Formate einfach zu vergrößern. Das funktioniert. Aber meine Qualität liegt, glaube ich, mehr im kleineren Format, bei Illustrationen für Bücher.
Sie stellen derzeit im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin aus, und da fällt auf, dass Sie sehr unterschiedliche Materialtechniken haben: beispielsweise das Bild »Spätentwickler«. Wie ist es entstanden?
Ich habe von Theophrast, einem Schüler von Aristoteles, das Buch »Charaktere« illustriert. Diese Charaktere, vornehmlich Männer, erscheinen heute noch so lebendig wie zu ihrer Zeit. Aus diesem kleinen Bildformat ist das große geworden; ich hab es einfach aufgebläht. Es wirkt heute noch so lebendig, so zeitnah, und da sprechen wir wieder von Qualität. Das ist ein wirklich schönes Buch.
Gibt es zu jedem Bild eine dahinter stehende Geschichte?
Ich denke, ja. Ich glaube, dass es meine Stärke ist, in Bildern Geschichten zu erzählen, zumeist aus der Literatur oder aus dem Leben. Man muss nur die Bilder so lesen wie ein Buch – Detail für Detail. Und meistens klappt es dann noch mit einer Pointe dazu.
Vielleicht ist es eine Schwäche, aber ich hab das für mich herausgefunden, und diese Nische besetze ich halt.
Was machen Sie lieber, was finden Sie spannender: eine Geschichte im Bild erfinden oder, andersherum, nach Geschichten zeichnen?
Ich habe mir angewöhnt, nur optisch zu denken. Erst kommen die Sinne, dann der Sinn (lacht). Goethe hat das mal in etwa so gesagt: Denken ist besser als Wissen, aber niemals besser als Anschauen. Ich bin für die Augen, ich versuche zu beobachten. Ich glaube aber auch, dass oft die Hand »grübelt«.
Was regt Sie auf, was stimmt Sie milde?
Aufregen tun mich die Medien und menschliche Schwächen, vor allem eigene. Geht Ihnen doch auch so, oder?
Milde stimmt mich die Natur. Da bin ich wieder bei Leonardo, der gesagt hat: »Das Auge ist das Fenster zur Seele«. Also, wenn ich mir eine schöne Blume angucke oder den Müggelsee, geht’s mir richtig gut. Und gute Musik, Klassik, funktioniert bei mir ganz gut.
Würden Sie in der Werbung arbeiten?
Hm, eine gute Frage. Dazu muss man wissen, was Werbung ist. So ein Gedanke ist mir noch nie gekommen, weil Werbung für mich negativ besetzt ist. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich da mal einen guten Gag liefere aus meinem reichen Repertoire oder dass da jemand was raus nimmt und dazu einen guten Text findet. Der Sinn der Werbung erscheint mir fremd.
In der Werbung sind schon wahnsinnig gute Sachen gemacht worden. Toulouse-Lautrec mit seiner Plakatkunst – Wahnsinn! Dafür muss man jedoch einen Nerv haben. Ich glaube, dass da jeder seinem Stern folgen muss, ich bin dafür nicht geboren.
Die großen Dresdner Kunstausstellungen hatten einst Hunderttausende Besucherinnen und Besucher. Entschwinden, wenn man sie mit der heutigen »Zersiedlung« in kleine und sehr kleine Ausstellungen in Galerien vergleicht, bestimmte Bereiche der Kunst der Betrachtung durch viele Mitmenschen?
Allein in Berlin soll es über 450 Galerien geben. Das ist wahrscheinlich das neue Angebot der Freiheit, weil wahrscheinlich jeder Künstler versucht, ein Stück vom Kuchen abzukriegen.
Ich habe die Erfahrungen mit der Kunstausstellung in Dresden noch mitgemacht. Wenn man das so positiv sieht, war sie immer ein Maßstab dafür, wo ich stehe und welche Qualität meine Arbeit hat. Das hatte ja nicht die DDR erfunden, es gibt auch neuerdings große Messen als Kunstausstellungen. Nur das, was früher die Ideologie war, ist heute die Abendkasse. Also, dass es eigentlich um Geld geht und darum, was verkauft wird. Und die Ideologie konntest du gut umgehen – zumindest in den späten Zeiten. Aber jetzt ist es eben die Abendkasse. Wenn die Galeristen jetzt zu mir kommen, wollen sie nur sehen, was sie verkaufen können. So sind die Galerien aufgebaut. Ja, Kunst muss sich verkaufen. Und deshalb gibt es wahrscheinlich das Angebot der vielen Galerien. Aber ich hab jetzt über eine große Ausstellung in Basel (»Art Basel«) gelesen, dass bei so einer Ausstellung für jeden was dabei ist, wie im Tante-Emma-Laden.
Wie ließe sich Kunstrezeption ankurbeln?
Man müsste die Wichtigkeit der Kultur oder Kunst wieder mehr in die Köpfe bringen, statt über das Konsumieren oder materielle Dinge zu reden. Dabei müssten die Medien eine wichtigere Rolle spielen. Ein kleines Beispiel: In der DDR gab es eben Zirkel schreibender (oder musizierender) Arbeiter oder Sonderzüge zur Kunstausstellung in Dresden, »mit der Bockwurst in der Hand«. Die haben da investiert und sind wahrscheinlich deshalb ökonomisch zusammengebrochen. Wenn die Leute hier klüger wären, mehr Kunst und Kultur konsumierten, da wären sie vielleicht bescheidener und würden nicht den ganzen anderen Mist machen, sie würden vielleicht bessere Bücher lesen, sich bessere Filme angucken, wahrscheinlich hintergründig auch ökonomische Disziplin halten. Sehe ich das richtig?
Was muss man tun, wenn man eines Ihrer Bilder kaufen möchte? Hier wäre jetzt Platz für einen kleinen Werbeblock.
Im Internet nachsehen und mich kontaktieren.
Verändern das Internet und der ständig mögliche Zugriff auf Kunst Ihre Arbeit?
Nein, meine Arbeit nicht. Mein Computer ist »Abfallprodukt« meiner Söhne; ich hatte bis vor einem Jahr noch kein Internet. Die Galerien machen das alles, und ich denke, dass mich das öffnet für eine große Welt. Ich sehe das schon positiv. Ansonsten sehe ich aber auch einen Verlust an Kreativität, wenn man öfter mit dem Internet arbeitet. Das geht bis zum Verlust der Handschrift, und wie wir wissen hat das Schreiben viel mit dem Zeichnen zu tun.
Nein, Internet, darum mach ich insgesamt einen großen Bogen.
Was ist Ihre Lebensphilosophie?
Zeichnen, lesen, Fußball spielen!
Interview: Antje Kind