Disput

Die Zweieinigkeit

Feuilleton

Von Jens Jansen

Ich hatte mich so gefreut, im Supermarkt eine Kiste Rotkäppchen-Sekt zum Schnäppchenpreis ergattert zu haben. Wir stehen ja alle an der Schwelle zum 25. Einheitstag. Das wird sicher ein Tag der großartigen Bilanzen. Eine Zeugnisverteilung an die ganze Nation. Und die Festredner werden addieren: Was haben wir aus dem »Gottesgeschenk« der gesamtdeutschen Freiheit gemacht? Wie danken wir Mutti Merkel? Was schenken wir dem Erfinder der »blühenden Landschaften«, Helmut Kohl? Sollen wir den Finanzgenies Theo Waigel, Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble eine Krawatte mit dem Brandenburger Tor in Gold umbinden? 25 Jahre sind ein Vierteljahrhundert. Was wurde aus dem zertrümmerten Hamburg zwischen 1945 und 1970? Was wurde aus dem maroden Rostock nach fünf Fünfjahrplänen der Treuhand? Haben beide Hansestädte nun gleich viel Werften, Frachter, Speicher oder hat gar eine der anderen das Wasser abgegraben?

Ich gehöre nicht zu jenen Einheits-Muffeln, die – wie meine Tante Hulda in Paderborn – im Herbst 1989 maulten: »Jetzt kommen die Ossis alle hier rüber. Von wegen ›Freiheit‹, das sind doch Wirtschaftsflüchtlinge, Sozialschmarotzer, Mitesser! Und die aus Sachsen sprechen ja noch schlechter Deutsch als die Bayern!« Nein, ich hatte selber gesehen, wie die im Osten mit ihren rostigen Russenautos rumfuhren. Die kannten doch kein vierlagiges Toilettenpapier. Da prüfte die Stasi jeden Abend: Wer lauscht den Westsendern? Und wer dann einen politischen Witz erzählte, stand mit einem Bein in Sibirien!

Alles dies hatte der »Runde Tisch« abgeschafft, bis er selber abgeschafft war. War ja auch Amateur-Demokratie. Die wollten sogar eine neue Verfassung! Die Rednerinnen und Redner von damals sind ja auch alle in der Versenkung verschwunden. Die Industriekombinate auch. Zeiss-Jena für eine DM. Durch Rückbau zum Aufbau als verlängerte Werkbank oder Zwischenlager. Aber jetzt mit Handy. War das eine Freude!

Es gibt also mehr Gründe zum Saufen, als meine Sekt-Kiste aushält. Aber da platzte nun die bösartige Analyse »So geht Einheit« in meine Vorfreude. Ich begriff schon nach zehn Zeilen, dass ich wieder zum Supermarkt muss, um Magenbitter ran zu holen. Da haben ein paar studierte Eierköpfe 25 gesellschaftliche Bereiche in Ost und West untersucht: Bevölkerung, Wirtschaft, Einkommen, Vermögen, Konsum, Landwirtschaft usw. Und was kommt raus? Ost blieb Ost, und West blieb West. »Es zeichnet sich recht exakt die alte Grenze ab.« Die Ostwirtschaft stagniert bei 75 Prozent des Leistungsniveaus West. Obwohl die Ostdeutschen mehr arbeiten und weniger verdienen als ihre Brüder und Schwestern. Keiner der 30 DAX-Konzerne hat sich im Osten angesiedelt. Beim Autokauf suchen die Ostler die kleinsten und billigsten Asiaten statt BMW, Porsche und Mercedes. Kein Wunder, denn die Westler haben im Schnitt 153.000 Euro auf der Kante, die Ostler nicht mal die Hälfte. Und da stecken schon die Spitzengehälter der westdeutschen Entwicklungshelfer mit drin. Nur bei der Frauenarbeit und Kita-Betreuung ist der Osten immer noch überlegen. Und bei der Abwendung von der Kirche. Aber da holt der Westen schnell auf: Im Osten traten seit 1990 rund 14 Prozent Kirchenmitglieder aus, da blieben noch 23 Prozent. Der Westen sank um 19 Prozent auf nunmehr 66 Prozent.

Dies alles ließ die Verfasser der Studie vermuten: Eine wirkliche Ost-West-Einigkeit wird es wohl nie geben – oder erst in drei Generationen. Und was mache ich nun mit meinem Sekt? Oder kommt die Angleichung doch schon in den nächsten 25 Jahren zum Beispiel durch das Senken des Westniveaus auf die Vergleichsbasis Ost? Das möge Gott oder die Gewerkschaft oder DIE LINKE verhindern!