Kuba in der Welt der Medien
Die Lüge ist oft besser gekleidet als die Wahrheit. Oder: Wem gehört das Medium? Gespräch mit dem kubanischen Journalisten Iroel Sánchez Espinosa
Nach mehr als 50 Jahren haben die USA und Kuba begonnen, ihre zwischenstaatlichen Beziehungen zu verbessern. Wie ist die Stimmung in Kuba?
Es herrscht eine Atmosphäre des Optimismus, dennoch müssen wir vorsichtig bleiben: US-Politiker machen immer wieder deutlich, dass sich die Ziele ihrer Politik gegenüber Kuba nicht geändert haben. Geändert hat sich die Taktik.
Zu spüren ist ebenfalls eine große Genugtuung gegenüber der kubanischen Regierung für ihre konsequente Haltung in den Verhandlungen mit den USA. Diese neue Situation wird als Sieg Kubas wahrgenommen.
Wir sind mittendrin in einem historischen Prozess. Es gab enormen politischen Druck aus Lateinamerika und international auf Präsident Obama, die Beziehungen zu Kuba zu normalisieren. Die Idee ist ihm aber nicht ohne Weiteres gekommen. Das gewachsene internationale Ansehen Kubas hat dabei eine Rolle gespielt.
Die kubanische Revolution steht vor einer neuen Herausforderung, die auch Chancen eröffnet: das Land, die Wirtschaft zu entwickeln. Ich glaube, es gibt große Erwartungen im Land, dass sich das Leben der Kubaner auch materiell verbessern könnte, denn es deutet sich an, dass die US-Blockade gegen Kuba – die nach wie vor besteht – sich ihrem Ende nähern könnte.
Für 2016 hat die US-Regierung die Gelder für subversive Zwecke gegen Kuba auf 30 Millionen US-Dollar (2015: 20 Millionen) erhöht. Zu den Bereichen, in denen dieses Geld eingesetzt werden soll, gehört der Medienbereich. Wie wird Kuba darauf reagieren?
Zusätzlich zu dieser Summe werden weitere 30 Millionen US-Dollar ausgegeben für den Propagandasender Radio und TV Martí sowie für Personen, die in Kuba unterstützt werden, um unsere Gesellschaft zu untergraben. Diese Summe – insgesamt 60 Millionen US-Dollar – wären umgerechnet 1,5 Milliarden Peso Cubano (CUP). Zum Vergleich: Die kubanischen Medien werden jährlich mit 400 Millionen CUP durch den Staat unterstützt. Die USA geben also viermal mehr für ihre antikubanische Propaganda aus. Und dabei spreche ich noch gar nicht von den Geldern der US-Geheimdienste.
Unsere Medien müssen auf die neuen Kommunikationsbedürfnisse der kubanischen Bevölkerung reagieren. Und das in einer Sprache, die die Menschen erreicht und in dieser ideologischen Auseinandersetzung überlegen ist. Notwendig dazu sind eine große Professionalität sowie Wachsamkeit gegenüber inhaltlichen Brachen, die die USA zu besetzen drohen. Damit meine ich zum Beispiel Internetprojekte, die wie Pilze aus dem Boden schießen werden und deren Betreiber sich als Botschafter der Bedürfnisse der Kubaner präsentieren, aber letztendlich doch der fremden Macht dienen. Wir müssen zudem noch stärker mit Medien in Lateinamerika und anderswo zusammenarbeiten und unsere Inhalte und Informationen in unserer gemeinsamen Sprache produzieren und austauschen.
Auf dem 6. Parteitag der KP Kubas 2011 forderte Präsident Raúl Castro von den Journalisten des Landes eine kritischere Begleitung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umgestaltung …
Innerhalb der Journalistenvereinigung gab es dazu viele harte Debatten. Heute wird über Probleme viel kritischer berichtet. Dennoch sind wir noch weit entfernt davon, zum Beispiel aus den Behörden selbstkritische Stellungnahmen zu erhalten. Oftmals werden die lediglich als Sprachrohr benutzt, wir müssen sie aber als Instrumente einer Rechenschaftslegung an das Volk verstehen, um ein Bewusstsein bei den Bürgern zu erzeugen, dass sie Verantwortung für ihre Gesellschaft tragen.
Darüber hinaus sind strukturelle Fragen zu lösen: Wie verbessern wir unsere Kommunikation, wie nutzen wir die neuen technischen Möglichkeiten, wie gehen wir auf die Bedürfnisse der Bevölkerung besser ein …? Das betrifft die Medien, aber auch die Regierung und die Verwaltung. Manche Mitarbeiter verstehen sich noch nicht als Personen des öffentlichen Lebens, die Verantwortung übernehmen müssen.
In vielen Zeitungen gibt es heute eine Rubrik »Briefe an die Redaktion«. Sind die Forderungen der Leser an ihre Zeitung heute anders als noch vor vier, fünf Jahren?
Ja, unsere Presse ist zu einer Bühne geworden, die die öffentliche Meinung abbildet. Viele Zeitungen haben sich in letzter Zeit sehr verändert, zum Beispiel mit neu gestalteten Auftritten im Internet. Mit ihren Regionalbüros in den Provinzen sind sie näher an die Leser gerückt. Es gibt außerdem Gemeinde- und Provinzradios. Auch im Fernsehen gibt es Sendungen, die den Bürger einbeziehen, so »Cuba dice«.
Trotzdem muss mehr getan werden. Es gibt immer noch eine Diskrepanz zwischen den Themen, die die Menschen in ihrem Alltag bewegen, und den angebotenen Inhalten. Auch der journalistischen Recherche muss künftig mehr Platz eingeräumt werden.
Der länderübergreifende Fernsehsender Telesur ist ein gutes Vorbild, was beispielsweise Sprache, Grafik, die Erläuterungen von Inhalten betrifft. Man sagt, dass Lüge und Wahrheit mit gleicher Geschwindigkeit einhergehen, aber die Lüge besser gekleidet sei. Da ist was dran – wir müssen künftig die Wahrheit und ihre Zusammenhänge attraktiver präsentieren.
Bei den großen internationalen Medienkonzernen hat man mitunter den Eindruck, sie hätten sich in Bezug auf Kuba auf eine gleiche Bewertung, oft sogar auf das gleiche Vokabular geeinigt. Ein Begriff wird immer wieder verwendet: »fehlende Pressefreiheit in Kuba«. Was sagst du zu diesem Vorwurf?
Es gibt keine Meinungsfreiheit, wenn es um das Thema Kuba geht – wenn in 99 Prozent der Medien ein und dasselbe Bild über Kuba vorherrscht und ein identisches Vokabular benutzt wird. Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte, wie der Kapitalismus in Kuba Einzug halten werde. Kaum jemand schreibt darüber, warum Kuba seinen Sozialismus behalten möchte. Noam Chomsky, der berühmte US-Linguist, hat drei Gründe für diese einseitige Meinungsmache genannt: Erstens die Eigentumsfrage – wem gehört das Medium? Zweitens die Anzeigenkunden und drittens die vorherrschende Ideologie. Diese Medien dienen den Interessen ihrer Finanziers, sonst würden sie wirtschaftlich nicht überleben.
Es gibt nach wie vor die Bestrebung, ein bestimmtes Bild zu vermitteln, indem man Begriffe wie Totalitarismus, Regime usw. benutzt. Diese Begriffe werden immer dann verwendet, wenn es um alternative Modelle zum Kapitalismus geht. Und diese Vorgehensweise bricht sich wie ein Wasserfall von oben nach ganz unten Bahn, bis zur kleinsten Radiostation einer Gemeinde.
Die Leitartikel der »New York Times« vor einigen Monaten haben dazu beigetragen, die öffentliche Meinung über Kuba zu beeinflussen, auch weil sie von vielen Zeitungen übernommen oder zitiert wurden.
Interessant ist auch, weltweit die spanischsprachigen Leitmedien zu untersuchen, auf deren Webseiten die höchsten Nutzerzahlen zu verzeichnen sind. Spanien hat 46 Millionen Einwohner, Lateinamerika 450 Millionen, aber nicht eine dieser Zeitungen stammt aus Lateinamerika. Warum? Weil die Finanziers dieser Leitmedien spanische Banken sind, die oftmals auch Aktien an den Medienkonzernen halten. Aufgrund der finanziellen Ausstattung haben sie bessere Möglichkeiten, sich zum Beispiel im Internet zu platzieren. Und damit geht auch die Verbreitung eines bestimmten Vokabulars einher – denn die Suchmaschine nennt beim Stichwort Kuba zuerst »El País«, die Mediengruppe Clarin oder Radio und TV Martí.
Du hast Telesur genannt …
Bis zur Gründung von Telesur gab es in Lateinamerika nur einen Sender, der aus diesen Ländern berichtete und auf dem ganzen Subkontinent ausgestrahlt wurde: CNN. Telesur hat in den zehn Jahren seines Bestehens die Medienlandschaft verändert und auch internationale Kooperationen mit Sendern aus China, Iran und Libanon entwickelt. Diese öffentlich finanzierten Sender strahlen ein spanisches Programm für Lateinamerika aus. Sie sehen sich in bewusster Abgrenzung von den großen transnationalen Medienkonzernen.
Aber eine gut recherchierte alternative Nachricht nützt nichts, wenn ihr Empfänger der Ansicht ist, der American Way of Life sei die bessere Alternative für ihn.
Deshalb stehen Telesur, die Medienverantwortlichen, die Regierungen Lateinamerikas vor der Herausforderung, mit der Berichterstattung auch ein lateinamerikanisches Bewusstsein und eigene Werte zu entwickeln sowie die eigene Kultur zu fördern.
Wie ist der aktuelle Stand beim Ausbau des Internets in Kuba?
Zunächst: Man kann die Verfügbarkeit des Internets in Kuba nicht mit dem erreichten Standard in Europa vergleichen. Die USA haben bis vor Kurzem alles getan, um Kuba vom Internet fernzuhalten. Roberta Jacobson, die US-amerikanische Verhandlungsführerin, hat dies kürzlich vor dem US-Senat zugegeben. Erst das Unterseekabel aus Venezuela hat eine Veränderung eingeleitet. Aber das Kabel allein nützt nichts ohne Infrastruktur. Doch durch die Blockade bekommt Kuba keine Kredite, Banken werden mit hohen Geldstrafen belegt, wenn sie Transaktionen vornehmen.
Kuba hat beim Internetausbau klare Prioritäten gesetzt. Wir haben zuerst Netzwerke aufgebaut, die Internetdienste in Universitäten, Schulen, Krankenhäusern, Polikliniken, in Behörden und Ministerien anbieten. Gegenwärtig fließen Investitionen in den Ausbau der Wissenschaftsnetzwerke, und seit 2013 gibt es ein verbessertes Angebot an Internetcafés und WLAN-Spots. Die Preise waren anfangs sehr hoch, 4,50 CUC (Convertibler Peso) pro Stunde, jetzt sind wir bei 2 CUC für zwei Stunden, was immer noch teuer ist. Die Regierung beschloss im Februar als Ziel, in alle Haushalte einen Internetanschluss zu bringen.
US-amerikanische Firmen stehen in den Startlöchern und wollen in den Kommunikationssektor investieren. Wird es solche Kooperationen geben?
Wir wägen alle Möglichkeiten ab und werden die Bedingungen stellen. Und wir werden nicht alles auf eine Karte setzen. Insofern kooperieren wir mit verschiedenen Unternehmen, seien sie aus China, Russland, den USA oder Deutschland. Bis zum Jahr 1959, dem Sieg der Revolution, befand sich die gesamte Telekommunikation Kubas in US-Hand. Ähnlich war die Situation 1973 in Chile. Die Mafiosi des 21. Jahrhunderts sind Google und Facebook.
Wie nutzen die jungen Menschen die neuen Kommunikationsmittel?
In Kuba gibt es eine schnell wachsende Zahl von Handynutzern – drei Millionen sind es derzeit. Das sind vor allem junge Leute. Mehr und mehr Kubaner nutzen auch die damit verbundenen technischen Möglichkeiten. Medieninhalte werden in Kuba meist per USB-Stick oder Handy getauscht und weitergegeben. Neue Möglichkeiten bietet das kürzlich in Kuba eingeführte digitale Fernsehen. Diese Kommunikationsvielfalt erfordert ein Nachdenken über den Umgang mit diesen Medien, eine Sensibilisierung, vor allem in der jungen Generation, damit sie sicher und emanzipiert damit umgehen können.
Für Kuba ist es wichtig, eigene Plattformen aufzubauen, die die Nutzer mit Dienstleistungen versorgen, wie dem Internethandel oder der Abwicklung von amtlichen Vorgängen, Bankgeschäften etc. Eines der meistgenutzten Internetangebote ist die kubanische Wissensdatenbank EcuRed, die ich mit ins Leben gerufen habe.
Wenn die großen europäischen Medien eine Quelle aus Kuba in ihrer Berichterstattung angeben, dann handelt es sich häufig um »unabhängige Journalisten«. Was sind das für Leute?
Jedwede Unabhängigkeit einer Sache bedingt die Abhängigkeit von einer anderen. Und diese angeblich unabhängigen Journalisten sind abhängig vom mächtigsten Regime der Welt. Insofern halte ich ihre Abhängigkeit von der Bezahlung aus den USA für weit größer als ihre »Unabhängigkeit« bei der Berichterstattung. Aber ich beobachte, wie diese Leute derzeit an Bedeutung verlieren. Ihre Meinungen entsprechen nicht mehr dem Tenor der Mainstream-Presse. Diese Personen wehren sich auch vehement gegen den begonnenen Normalisierungsprozess zwischen den USA und Kuba. Ich gehe davon aus, dass diese schrillen Stimmen verstummen werden und gleichzeitig die Arbeit im Verborgenen zunehmen wird, also der Aufbau von Personen, die Nutzung von Organisationen oder Stiftungen aus dem Ausland, die einen Umsturz von innen heraus vorbereiten. Wir müssen also weiterhin wachsam sein und unsere Hausaufgaben machen.
Gespräch: Miriam Näther und Jörg Rückmann (AG Cuba Sí)
Iroel Sánchez Espinosa, 50, Ingenieur für Automatische Systeme, 2000/09 Vorsitzender des Kubanischen Buchinstituts, koordiniert seit 2009 den Aufbau der Internetenzyklopädie EcuRed (www.ecured.cu), Mitglied des Internationalen Komitees für das Welttreffen der Blogger, betreibt eigenen Blog (La pupila insomne), Herausgeber und Journalist