Disput

Lügen mit Zahlen?

Gastkolumne von Gerd Bosbach

Wen stört es nicht, wenn sich die Regierenden Deutschlands mal wieder als Musterschüler Europas präsentieren und deshalb die Richtung bei der »Euro-Rettung« bestimmen? Im Rahmen der Verhandlungen zu Griechenland war das ja geradezu beschämend. Dabei hätten wir so gepflegt widersprechen können.

Die Begründung für den Machtanspruch, Deutschland sei halt der größte Zahler in den Euro-Rettungsschirm (ESM), ist nämlich ein simpler Statistik-Trick. Nur durch seinen minimal wahren Kern und durch die ständige Wiederholung erscheint er als feststehende Tatsache.

Der wahre Kern: In absoluten Euros gerechnet zahlt Deutschland tatsächlich das meiste in den Rettungsschirm und gibt auch die höchsten Garantien. Mehr als die Niederlande oder Luxemburg. Wir haben in absoluten Zahlen gesehen auch mehr Autos, mehr Kinder, mehr Export und ganz vieles mehr als die beiden kleinen Nachbarländer. Das sagt also nichts über die Leistungsfähigkeit aus. Dazu müssten wir die Größe der Länder berücksichtigen. Ob wir als Größe die Zahl der Menschen pro Land oder deren Wirtschaftskraft – meist gemessen im Bruttoinlandsprodukt (BIP) – nutzen, hängt vom Thema des Vergleichs ab. Beides ist oft sinnvoll.

So einfach, wie diese Überlegung ist, so selten ist sie zu hören. Eigenlob als Musterschüler Europas klingt halt zu schön.

Noch bin ich Ihnen die überraschenden Ergebnisse schuldig. Pro Kopf zahlt Luxemburg das meiste für die sogenannte Euro-Rettung, gefolgt von Irland und der Niederlande. Deutschland folgt erst auf Platz vier.

Als ich dieses Ergebnis bei einem Vortrag in Luxemburg präsentierte, konnte ich die Sympathiewelle bis auf die Bühne spüren. Endlich mal jemand, der die Leistungen Deutschlands relativiert, und das noch als Deutscher.

Es kommt aber noch schärfer. Beziehen wir die Zahlungen auf die Wirtschaftskraft (BIP), ist Deutschland gerade mal Platz 12 der 19 Euroländer, also nur noch hinteres Mittelfeld. Adieu Musterschüler Schäuble und Merkel!

Haargenau den gleichen Trick mit den absoluten Zahlen haben deutsche Konservative jahrzehntelang bei der Aufnahme von Flüchtlingen angewandt. »Deutschland nimmt in Europa die meisten Flüchtlinge auf«, hieß es. Und, »jetzt seien erst mal die Anderen dran.« Dabei war Deutschland gemessen an der Bevölkerungszahl nur Mittelfeld.

Bei diesem Thema hat jetzt ein Umdenken stattgefunden. Zumindest verbal will die Regierung Merkel einen Aufnahmeschlüssel nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft. Wir sollten sie bei der nächsten Euro-Debatte an diese Maßzahl erinnern.

Zum Abschluss der gleiche plumpe Trick noch einmal, diesmal bei der oft gescholtenen »Kostenexplosion« im Gesundheitswesen. Betrachtet man die zeitliche Entwicklung der absoluten Gesundheitsausgaben, erscheint tatsächlich eine steil steigende Kurve. Diese Betrachtung ist aber unsinnig. Ohne Berücksichtigung der Preissteigerungen und des Wirtschaftswachstums ergibt sich ein völlig verzerrtes Bild. Besser ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, und der zeigt nur ein langsames Wachstum von 9,6 Prozent im Jahr 1992 auf heute gut elf Prozent – trotz des starken Anstiegs durch die Finanz- und Bankenkrise. Die »Kostenexplosion« ist also auch nur ein politischer Kampfbegriff!

Prof. Dr. Gerd Bosbach ist Statistiker und Mitautor des »Spiegel«-Bestsellers »Lügen mit Zahlen«, in dem mehr als zehn Lügen-Methoden meist an sozialpolitischen Beispielen anschaulich erläutert werden.