Das »K-Wort«
Feuilleton
Von Jens Jansen
Der Generalsekretär der CSU warnt: Ein Gespenst »Lötzsch« geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus! Man müsse DIE LINKE sofort verbieten.
Richtig, aber das reicht nicht! Man muss das Übel an der Wurzel packen, wobei das ein weitverzweigtes Wurzelwerk ist. Viele brave Bundes- und BILD-Bürger nennen »Kommunismus« alles, was jenseits der Elbe stattgefunden hat: die Enteignung der Junker in Mecklenburg, die Verstaatlichung der Ferienheime in Polen, die Subventionierung der Theaterkarten in Prag, die Kollektivierung der Tomatenplantagen in Bulgarien, die Errichtung eines Weltraumbahnhofs in Kasachstan. Aber auch die Vorleser in den Zigarrenfabriken auf Kuba, die Baubrigaden in Tansania, den Präsidenten Allende in Chile, den Massenmörder Stalin in Moskau, den Aufwiegler Lumumba in Afrika, die Roten Brigaden in China, auch die Raketengegner in Westdeutschland und vieles mehr.
Das trifft aber alles nicht den Kern. Die Wurzel des Kommunismus liegt nicht östlich der Elbe, sondern westlich vom Rhein – in Trier an der Mosel! Dort steht in der Brückenstraße 10 das »Karl-Marx-Haus«. Da trifft man heute noch die Pilgerströme von allen Kontinenten, weil dieser abtrünnige Advokat mit dem Fabrikantensohn Engels 1848 das »Kommunistische Manifest« ausgeheckt hat. Dieser »Pulverturm der Weltrevolution« muss sofort abgerissen werden!
Dann gibt es in Augsburg das Geburtshaus eines gewissen Bertolt Brecht. Der Kerl gilt zwar als der bedeutendste deutsche Dramatiker, aber der schrieb doch nebenbei das »Lob des Kommunismus«: »Er ist vernünftig, jeder versteht ihn … Du bist doch kein Ausbeuter, du kannst ihn begreifen … die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig … Er ist gegen den Schmutz und die Dummheit …« Alles, was nach Brecht riecht, muss weg!
Außerdem sympathisierte Marx mit den utopischen Kommunisten in London, und die waren mit den Revoluzzern in Paris verwandt. Und was vom Propheten Lukas über die Reichen in der Bibel steht, passt auch ins »Kommunistische Manifest«. Also, wenn schon ausmisten, dann gründlich!
Das ist aber leichter gesagt als getan. Inzwischen hörte man ja vom »Euro-Kommunismus«, vom »chinesischen Kommunismus«, vom »afrikanischen« und vom »lateinamerikanischen Kirchen-Kommunismus«. Außerdem ist der Begriff »Kommunismus« selbst unter den Kommunisten umstritten. Die SED legte Wert darauf, keine »kommunistische«, sondern eine »sozialistische« Partei zu sein. Und die PDS startete mit der Verurteilung des Stalinismus und dem Gelöbnis zum »demokratischen Sozialismus«. Den hatte auch die SPD zum Ziel. Die Cheftheoretiker im Osten unterschieden säuberlich den »Aufbau der Grundlagen« des Sozialismus, die »entfaltete Gestaltung« der sozialistischen Gesellschaft und die spätere »Vollendung«. Ganz nebulös war, wann einst die Grundlagen des Kommunismus geschaffen sein können und wann jene Epoche beginnt, wo die Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis wird und ein solcher Überfluss an Lebensgütern erzeugt wird, dass jeder nach seinen Bedürfnissen daran teilhaben kann, wobei die Freiheit des Einzelnen die Bedingung der Freiheit aller sein wird. Kein Land hatte das je erreicht. Nur im bayerischen Wildbad Kreuth hat man das jedes Jahr als »vollbracht« gegeißelt.
Nein, die gestandenen Bundesbayern haben einen getrübten Blick aus mindestens drei Gründen, die Gregor Gysi gern erklärt: Sie stehen seit 97 Jahren im Trommelfeuer eines militanten Antikommunismus, der vom Kaiser über den Führer bis zum Bundeskanzler reicht und nirgends in Europa so ausgeprägt ist. Sie arbeiten seit 66 Jahren an der Restauration des schuldbeladenen Kapitalismus, obwohl der die beiden schlimmsten Kriege über die Welt brachte. Als die Gefangenen aus Russland nach Hause kamen, da hatten sie im sibirischen Straflager natürlich andere Eindrücke vom Kommunismus als im Leningrader Fünf-Sterne-Hotel. Und sie sahen den »realen Sozialismus« der DDR nur durch die Brille ihrer Zeitungen, die jeden Tag »Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl« anprangerten – wobei ja schon die Begegnung mit einer Autobahntoilette auf der Transitstrecke genügte, um Antikommunist zu werden.
So wurde das »K-Wort« zum Reizwort. Dabei besteht kein Grund zu zweifeln, dass die Linke Gesine Lötzsch für einen demokratischen Sozialismus und gegen jede Form des Stalinismus ist. Hätte sie vor 25 Jahren in der »Jungen Welt« veröffentlicht, dass es »verschiedene Wege« zum Kommunismus gibt, dann hätte die SED ein Parteiverfahren veranstaltet. Nun bemüht sich der CSU-Generalsekretär darum. Das nenne ich Ironie der Geschichte. Dabei ist das Verbieten einer Utopie einfach Schwachsinn. Gott vergelt’s!