Disput

Den Erfolg fortsetzen

Herausforderungen für die Thüringer LINKE

Von Susanne Hennig-Wellsow, Landesvorsitzende

»Och Mensch, nicht schon wieder Eier, die Flecken gehen immer so schlecht raus«, soll Gregor Gysi vor 25 Jahren gestöhnt haben, als er auf einer Veranstaltung im thüringischen Unterwellenborn wieder einmal mit Eiern beworfen worden war. Tief saßen damals Enttäuschung und Wut über die Entwicklung der DDR und die Verantwortung der SED. Zu der Zeit – ich selbst war gerade einmal 12 Jahre alt und stolz, mit meinen Eltern Flugblätter für die neue PDS zu verteilen – wäre wahrscheinlich jeder für verrückt erklärt worden, der laut darüber nachgedacht hätte, dass diese Partei einmal den Ministerpräsidenten stellen würde. Es war ja nicht einmal klar, ob die PDS überleben würde.

Am 7. Juli 2015 haben wir nun das 25-jährige Bestehen unseres Landesverbandes gefeiert. Ehemalige und heute Aktive wurden geehrt, Ministerpräsident Bodo Ramelow berichtete von seinem Weg als westdeutscher Gewerkschafter nach Thüringen und in unsere Partei, und ich durfte in der Festrede auf unsere wechselvolle und aufregende Geschichte zurückblicken und den vielen Mitgliedern und Aktiven – gerade aus der Anfangszeit, als der Erfolg noch ungewiss war – für ihre Arbeit danken.

Zwischenbilanz der Regierung

Seit dem 5. Dezember 2014 wird Thüringen rot-rot-grün regiert, und wir können Erfolge vorweisen. Zum Beispiel haben wir sofort mehrere Hundert Lehrerinnen und Lehrer neu eingestellt, durch die Abschaffung des Landeserziehungsgeldes (»Herdprämie«) die Grundlage für ein kostenfreies Kita-Jahr gelegt, das Kabinett hat eine Neuregelung der Finanzierung der privaten und konfessionsgebundenen Schulen erarbeitet und das Thüringer V-Leute-System beendet, der Geheimdienst wurde an die kurze Leine genommen, die Wende zu einer humanitären Flüchtlingspolitik im Zuständigkeitsbereich des Landes geschafft und ein Bildungsfreistellungsgesetz beschlossen. Der 8. Mai wird hier künftig als Tag der Befreiung gesetzlicher Gedenktag sein, und im Bundesrat haben wir die »Ehe für alle« mit auf die Tagesordnung gesetzt. Mit ruhiger Hand arbeitet die Regierung die Verabredungen des Koalitionsvertrages ab. Und das kommt an. In einer Umfrage aus dem Juli 2015 verbesserte sich DIE LINKE um 1,8 Prozentpunkte auf 30 Prozent.

Erfolgsbedingungen

Die Grundlagen für unsere Erfolge sind in 25 Jahren hart erarbeitet worden. Engagierte Kommunalfraktionen mit etwa 800 Mandaten quer durchs Land, zahlreiche Bürgermeister/innen und DezernentInnen, eine Oberbürgermeisterin und zwei Landrätinnen sowie seit 1990 kontinuierlich steigende Ergebnisse bei den Landtagswahlen – darauf können wir stolz sein. Rückblickend gibt es – und da beziehe ich mich ausdrücklich auch auf die Einschätzungen meiner beiden langjährigen Vorgänger Dieter Hausold und Knut Korschewsky – mindestens vier wichtige Punkte, die den Erfolg unseres Verbandes ausgemacht haben.

Erstens: Seit den frühen 90er Jahren ist es gelungen, »den Ring um die PDS zu sprengen«, wie es der frühere stellvertretende Landesvorsitzende Dieter Strützel als Ziel formulierte. Dazu gehörten unter anderem eine selbstkritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und Verantwortung, Offenheit gegenüber der Gesellschaft, die Einbeziehung von Nicht-Mitgliedern und Quereinsteigern in die Arbeit, ein starker Fokus auf Kommunalpolitik und strategische Debatten über den Alltag hinaus.

Zweitens: Wir setzen seit jeher auf eine strategische Ausrichtung, die von der Bundespartei 2004 treffend beschrieben wurde: »Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinaus weisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck.«(1)

Drittens: Der Thüringer Landesverband blieb bisher von destruktiven Strömungsauseinandersetzungen verschont. Uns war es immer wichtig, den Verband in Gänze mitzunehmen, unterschiedliche Herangehensweisen zu diskutieren und zu klären, notfalls miteinander auszuhalten und uns nicht zu erlauben, dass der Verband zerfasert.

Viertens: Seit Langem setzen wir vor wichtigen Entscheidungen auf die Einbeziehung unserer Mitglieder. Am Beispiel der Koalitionsverhandlungen will ich das deutlich machen: Trotz des extrem engen Zeitkorridors haben wir eine zentrale Basiskonferenz, drei Regionalkonferenzen, zwei Landesparteitage, mehrere Telefonkonferenzen des Vorstandes sowie eine Mitgliederbefragung durchgeführt. Fast 80 Prozent unserer Mitglieder nahmen daran teil und stimmten mit 94 Prozent für die Koalition. Ich denke, wir können stolz sein auf diese Zustimmung! Wir haben es uns zudem zur Aufgabe gemacht, intensiv mit eigenen Mitteln über die Arbeit der Regierung zu informieren – mit Veranstaltungen, »Sofortinformationen« zu wichtigen Themen, im Internet und mit Artikeln in unserer Mitgliederzeitung sowie in überregionalen linken Medien.

Herausforderungen

Eine rot-rot-grüne Koalition gab es auf Länderebene noch nie, ebenso wenig einen linken Ministerpräsidenten. Partei, Fraktion sowie die Minister/innen, Staatssekretäre und die neuen Mitarbeiter/innen in den Ministerien mussten sich schnell in ihre neuen Rollen einfinden. Mittlerweile hat sich eine produktive Routine eingespielt. Die Aufgabe von Partei und Fraktion ist dabei unter anderem, unsere Minister/innen und unseren Ministerpräsidenten in den Aushandlungsprozessen mit SPD und Grünen – und dem vierten »Koalitionspartner«, der Verwaltung – zu unterstützen und auf die Durchsetzung des Koalitionsvertrages zu pochen. So sind wir beispielsweise durch Verabredungen von Landesvorstand, Landtagsfraktion und unseren MinisterInnen gemeinsam in die Beratung für den Landeshaushalt 2015 gegangen, um soziale Gerechtigkeit als Querschnittsaufgabe für alle Häuser zu definieren(2).

Aktiv unterstützen wir die Parteikampagne »Das muss drin sein.«. Sie ist für uns auch wichtig, um weiter Wahlen zu gewinnen. Denn eine Analyse der Landtagswahl 2014(3) zeigt, dass wir uns stärker in jüngeren Altersgruppen, im Bereich der Berufstätigen und speziell bei gewerkschaftlich Organisierten verankern müssen.

Im November 2015 wird der Landesvorstand neu gewählt. Wir stehen vor mindestens drei großen Aufgaben. Erstens müssen wir als regierungstragende Partei in engster Abstimmung mit der Fraktion den Erfolg der Landesregierung weiter aktiv in die Hand nehmen. Zweitens müssen wir den Verband stabilisieren und stärken, das heißt vor allem Mitgliedergewinnung und -aktivierung, politische Bildung sowie Personalentwicklung. Und drittens müssen wir vor dem Hintergrund unserer Regierungsführung unsere politische Strategie und unser Kommunikationskonzept neu entwickeln. Die Wiederbelebung einer lebendigen Debattenkultur gehört dazu.

Anmerkungen

(1) Für eine starke PDS: Sozial, mit aller Kraft! Als sozialistische Partei 2006 in den Deutschen Bundestag, Potsdam 2004.

(2) Susanne Hennig-Wellsow: Wir machen's gerecht! Überlegungen zu einer linken Landeshaushaltspolitik in Thüringen, in: Sozialismus, Nr. 6/2015.

(3) Steffen Dittes / Volker Hinck: Analyse der Wahlergebnisse von DIE LINKE. Thüringen zur Landtagswahl am 14. September 2015, 25. Juni 2015.