Eine Charakterprüfung
Handeln wir aus Angst oder aus Liebe? Gastbeitrag von Mellow Mark
Wir Deutschen haben aus unserer Geschichte gelernt.
Wie kann es dann sein, dass in unserem Land immer wieder und immer öfter Unterkünfte für Flüchtlinge in Brand gesteckt werden? Es bilden sich vielerorts Bündnisse und sogar Bürgerwehren gegen Asylbewerber. Leute gehen auf die Straße, um ihrem Angstfrust Luft zu machen. Prominente Vorbilder, wie Til Schweiger, werden für einen Spendenaufruf (!) im Internet angefeindet. Aussagen beginnen mit: »Ich bin kein Rassist, aber ...« Wir rufen: »Das gehört uns! Die wollen sich nur unseren Wohlstand erschwindeln.«
Dies sind offensichtlich die Symptome.
Eine Wohlstandsgesellschaft wie Deutschland, die durch zwei schreckliche von ihr angezettelte Kriege Elend, Vernichtung und Vertreibung über ganz Europa brachte, danach wieder brüderlich in der Mitte Europas aufgenommen wurde, darf nicht ignorant den eigenen Wohlstand über das Wohl anderer Menschen stellen. Besonders, wenn viele der Flüchtenden erst wegen deutscher Waffenexporte an Diktatoren zur Flucht getrieben wurden.
Doch Krise ist bekanntlich auch Chance. Und ja, wir »Deutschen« sind auch ein Volk der Empathie, überall engagieren sich fleißige Helfer, um die ankommenden Familien notdürftig zu versorgen, überall werden Spenden gesammelt und verteilt: Geld und auch Sachspenden. Tausende ehrenamtliche Helfer rotieren pausenlos. Musiker, wie die Gruppe Deichkind, und viele Prominente setzen sich öffentlich für eine weltoffene solidarische Haltung gegenüber den ankommenden Überlebenden aus den Krisengebiete ein. Viele reagieren positiv. Wir Deutschen haben historisch noch immer sehr viel aufzuarbeiten, und hier ist unsere Chance, Menschenleben zu retten. Ja, lasst uns das Augenmerk auf die positiven Aspekte und Symptome dieser Krise lenken!
Im Januar wurde ich von einem katholischen Verein in der Eifel eingeladen, ein Refugee-Welcome-Konzert zu geben. Im Juni war ich eingeladen, an einem Refugee-Welcome-Camp an der Ostsee teilzunehmen, und es ist mittlerweile zur Regel geworden, dass Flüchtlinge bei unseren Veranstaltungen, zum Beispiel Viva Con Agua in Ellwangen, freien Eintritt erhalten. Gemeinsam feiern wir zu den Hits der »Fugees«.
Mit meinem Freund, dem Cirque-du-Soleil-Tänzer und -Akrobaten Tarek Al-Turk, der nach jahrelanger Flucht in einem lecken Boot aus Ägypten nach Italien kam, drehen wir nun den Videoclip zum Song »Zuflucht / Welcome Refugees«.
Meine musikalischen Mitstreiter Uwe Kaa, Mirta Junco Wambrug und ich setzen auf das Mitgefühl, auf Solidarität und positive Ausstrahlung, so wollen wir unser kosmopolitisches und emanzipatorisches Weltbild promoten: Diese namenlosen Ankömmlinge sind nicht nur Zahlen in unserer Statistik, sie haben sehr wohl einen Namen und jeder einzelne seine eigene Geschichte. Viele von ihnen sind wunderbare Menschen und hochqualifizierte, kluge Persönlichkeiten, von denen wir noch viel lernen können.
Dies ist eine Charakterprüfung für unser Land. Handeln wir aus Angst oder Liebe?
Es ist genug für alle da, doch momentan sind wir diejenigen, die die Verantwortung tragen. Und wer weiß, vielleicht stehen in ein paar Jahrzehnten wieder wir Deutschen an jemandes Tür und bitten verzweifelt um Zuflucht. Wer von uns würde dann gerne abgewiesen werden?
Der Rap-, Reggae- und Soul-Musiker Mellow Mark (Mark Schlumberger), 41, engagiert sich gegen Krieg, Rechtsextremismus und globale Ungerechtigkeit. 2015 veröffentlichte er die CD »Roots & Flügel«. Nächste Konzerte: 21. August in Bad Mönchberg, 30. September auf Fehmarn, 9. Oktober in Ingolstadt, 10. Oktober in Nürnberg, 22. Oktober in Bensheim, 23. Oktober in Ravensburg. Mehr: www.mellowmark.de.