Disput

Eine Landtagswahl gewinnen

Verantwortung übernehmen, um die Verhältnisse zu ändern. Am 20. März wählt Sachsen-Anhalt den neuen Landtag

Von Wulf Gallert

Die Landtagswahl am 20. März 2011 hat über die Landesgrenze von Sachsen-Anhalt hinaus eine weitreichende Bedeutung für die politische Landschaft der Bundesrepublik Deutschland. Zwar handelt es sich nach dem Bruch der Hamburger Koalition nicht mehr um die erste Landtagswahl im Jahr 2011, trotzdem werden wir vor allem für die Konstellation in den ostdeutschen Ländern und auch für die nächste Bundestagswahl entscheidende Weichen stellen.

In Sachsen-Anhalt geht es darum, erstmals in der Geschichte der LINKEN eine Landtagswahl zu gewinnen. Damit verbunden ist der politische Führungsanspruch, der natürlich auch mit dem Anspruch untersetzt werden muss, die Regierung zu führen.

So kommt die Partei genau in das Spannungsverhältnis hinein, das in jüngster Vergangenheit Auslöser kontroverser Diskussionen gewesen ist.

Der eigentliche Entscheidungsspielraum, den die LINKE dabei hat, ist jedoch kleiner, als manche emotionalen Debatten vermuten lassen. Wenn uns die Wählerinnen und Wähler auf kommunaler Ebene, in den Ländern oder im Bund Gestaltungsverantwortung zuweisen, ist es faktisch kaum möglich, diese abzulehnen, es sei denn, man riskiert eine substanzielle Enttäuschung der eigenen Wählerinnen und Wähler. Dieser Zusammenhang besteht übrigens nicht nur dort, wo der Anspruch darin besteht, eine Wahl zu gewinnen, sondern auch dann, wenn es darum geht, in einem politischen Bündnis auf Grund der Mehrheitsverhältnisse Entscheidungsverantwortung übertragen bekommen zu haben. Letzteres wurde kurzzeitig bereits in Hessen und aktuell in Nordrhein-Westfalen deutlich.

Damit wird die LINKE mit dem Problem konfrontiert, Gestaltungsverantwortung in einem Land übernehmen zu müssen, obwohl die politischen Voraussetzungen für linke Gestaltungskonzepte auf der Bundesebene und im europäischen Rahmen nur sehr unzureichend vorhanden sind. Dasselbe strukturelle Problem besteht übrigens bei der Gestaltungsverantwortung in einer Kommune.

Spannungsverhältnis begreifen

Dieses objektive Spannungsverhältnis ist als solches zu begreifen und lässt sich durch keinen politischen Formelkompromiss auflösen. Selbst die klassische Oppositionsrolle in einem Landesparlament oder in einer kommunalen Vertretung verhindert meiner Erfahrung nach nicht, dass wir uns mit diesem Spannungsverhältnis auseinandersetzen müssen. Oppositionelle Forderungen, die sich auf der kommunalen und Landesebene auf die Forderung nach Veränderung der politischen Rahmenbedingungen beschränken, werden im Regelfall die jeweiligen politischen Mehrheiten nicht dazu bringen, ihre Handlungsstrategien zu ändern. Es sei denn, man verbindet die Kritik an den Rahmenbedingungen mit umsetzbaren Vorschlägen für die jeweilige Handlungsebene, die auch dann umgesetzt werden können, wenn man die Rahmenbedingungen noch nicht geändert hat.

Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang fast immer bei der Frage nach den finanziellen Ressourcen, die den jeweiligen Parlamenten zur Verfügung stehen. Über deren Umfang entscheidet im Wesentlichen die Bundesebene mit der steuerpolitischen Rahmensetzung. Deren Konsequenzen manifestieren sich aber zu allererst in den Kommunen und den Landeshaushalten. Hier beklagen wir völlig zu Recht, dass die strukturelle Krise der öffentlichen Kassen seit der Eichel’schen Steuerreform von 1999/2000 noch einmal substanziell verschärft worden ist. In unseren Argumentationen weisen wir auf die verheerenden Auswirkungen dieser Steuerpolitik hinsichtlich der sozialen Polarisation der Gesellschaft und der Erosion der öffentlichen Daseinsvorsorge hin. Und so besteht unser Problem darin, dass wir diese Zusammenhänge mit anderen Mehrheiten in Ländern und Kommunen nicht einfach weg beschließen können, dort aber trotzdem von Wählerinnen und Wählern Verantwortung übertragen bekommen. Wir wissen zudem, dass wir dieses Problem nicht dauerhaft über die Erhöhung der Neuverschuldung lösen können, wie wir gerade auch an der Entwicklung der Haushalte in Schleswig-Holstein, Bremen, im Saarland und in Sachsen-Anhalt sehen können – und zwar völlig unabhängig davon, dass wir die sogenannte Schuldenbremse natürlich als völlig unsinnig ablehnen.

Vor diesem Hintergrund scheint es erst einmal äußerst attraktiv, sich in den Parlamenten auf die klassische Oppositionsrolle festzulegen, noch konsequenter eigentlich, in den Kommunen und Ländern gar nicht zur Wahl anzutreten und sich ausschließlich auf außerparlamentarische Opposition festzulegen.

Eine andere Aufgabe

Unsere Partei hat jedoch eine andere Aufgabe. Unsere Funktion ist es, die politische Umsetzbarkeit von Handlungsalternativen unter Beweis zu stellen. Dazu benötigen wir eine entsprechende Stärke in Kommunalvertretungen und Landesparlamenten genau so wie im Bundestag, und wir brauchen die Möglichkeit, die Realisierbarkeit unserer Konzepte in Gestaltungsverantwortung unter Beweis zu stellen.

Tun wir dies nicht, werden wir auch weiterhin mit dem Problem konfrontiert sein, dass viele unserer politischen Forderungen zwar mehrheitliche Zustimmungen in der Bevölkerung erfahren, in den Wahlen aber die Parteien Mehrheiten bekommen, die genau das Gegenteil vertreten. Roland Claus hat dies einmal in drastischer Weise so formuliert: »Die Menschen stimmen unserer Ablehnung der Rentenkürzungen von CDU, SPD, FDP und Grünen mehrheitlich zu, wählen diese Parteien aber trotzdem mit überwältigender Mehrheit, weil sie Angst davor haben, dass bei uns das Rentensystem gar nicht mehr funktionieren würde.«

Unsere entscheidende Baustelle ist also, genau diese Angst zu überwinden und den Menschen unsere Gestaltungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Wir können durchaus konstatieren, dass dafür auf der konzeptionellen Ebene in den letzten Jahren eine Menge erreicht worden ist. Überzeugungskraft werden diese Konzepte in der Mehrheit der Bevölkerung erst dann erringen, wenn sie wirklich umgesetzt werden. Da sind die Kommunen und die Länder entscheidend. Hier haben wir die Möglichkeiten, uns zu beweisen, hier haben wir die Chance, auch deutlich werden zu lassen, dass wir Gestaltungskraft auf Bundesebene und im europäischen Maßstab besitzen. Natürlich können wir unsere Projekte hier immer nur teilweise oder modellhaft umsetzen. Und natürlich werden wir es damit zu tun haben, dass diese Wirkungen nicht für alle und substanziell erfahrbar sind. Aber die Alternative, deshalb ganz auf solche Einflussmöglichkeiten zu verzichten, bedeutet letztlich auch, mittel- und langfristig keine Chance zu haben, die Rahmenbedingungen im Bund und in Europa zu verändern.

Welche Spielräume sind vorhanden?

Es ist deshalb wichtig, sich vor Ort in die konfliktbeladenen Auseinandersetzungen hineinzubegeben und klar und deutlich werden zu lassen, welche Spielräume wirklich vorhanden sind und an welcher Stelle Wahlversprechen unter den gegenwärtigen Bedingungen unrealistisch sind.

Dieses Problem trifft in Sachsen-Anhalt unter anderem auf die Personalentwicklung zu. Hier kommt zu den mittelfristig sinkenden finanziellen Mitteln von Bund und EU neben der sinkenden Bevölkerungszahl noch das Problem der mangelnden Ausbildung des beruflichen Nachwuchses hinzu.

Unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen sinken die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel in den ostdeutschen Ländern in den nächsten neun Jahren real um rund 20 Prozent und erreichen damit das pro Kopf-Ausgabe-Niveau der westdeutschen Flächenländer. Dies bedeutet zum Beispiel in der Konsequenz, dass sich der wesentlich bessere Schüler-Lehrer-Schlüssel in den ostdeutschen Bundesländern mittelfristig nur halten lässt, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen der Länder insgesamt deutlich verbessert werden. Von einer gleichbleibenden oder sogar steigenden Zahl von Lehrkräften kann vor dem Hintergrund der Halbierung der Schülerzahlen in Ostdeutschland ohnehin nicht gesprochen werden.

Dazu kommt nun noch, dass in den letzten zehn Jahren in der gesamten Bundesrepublik deutlich weniger Pädagogen ausgebildet wurden, als für den Schuldienst benötigt werden. Somit wird zumindest in Ostdeutschland kein Bundesland in der Lage sein, ausreichend Personal einzustellen. Auch die finanzstärkeren westdeutschen Länder erreichen dies nur durch gezielte Abwerbung aus anderen Ländern.

In Sachsen-Anhalt wird dieses Problem in den nächsten beiden Legislaturperioden vor jeder Regierung stehen, unabhängig davon, ob wir daran beteiligt sind oder nicht.

Trotzdem ist es wichtig, auch an dieser Stelle Gestaltungsverantwortung zu übernehmen. Zum einen geht es darum, die Ausbildungskapazitäten so zu erhöhen, dass zumindest ab dem Jahr 2018 wieder genügend Absolventen zur Verfügung stehen. Zum anderen ist es wichtig, gerade in solch schwierigen Situationen alle Reserven zu erschließen (zum Beispiel Quereinsteiger, Einsatz pädagogischer Mitarbeiter), um die Probleme wenigstens zu begrenzen und nicht im Interesse einer noch stärkeren Reduzierung der Personalkosten zuzuspitzen.

Ähnlich sieht die Situation im Bereich der Polizisten, der Hochschullehrer und beim Verwaltungspersonal mit einer technisch-akademischen Ausbildung aus. Vor diesem Hintergrund ist es unmöglich, in den nächsten Jahren in Regierungsverantwortung in Sachsen-Anhalt einen stabilen Personalkörper im Landesdienst zu garantieren. Aber deshalb die Übernahme von politischer Gestaltungsverantwortung auszuschließen, wäre ebenso falsch, weil es damit völlig unmöglich wird, diese Rahmenbedingungen jemals zu ändern.

Wulf Gallert ist Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt.

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