Finger in die Wunde legen
Die kleine Sprachglosse
Von Daniel Bartsch
Frühstück, heute mal Kaffee aus der Schnabeltasse. Das formschöne Café-Crema-Glas ist gestern zersprungen, ein Pflaster ziert die Haut dort, wo Scherben schnitten. Im Radio die Nachrichten, ich höre: »Wir werden auf jeden Fall weiter den Finger in die Wunde legen …« Och nö! Je rauer die Zeiten, je kleiner das eigene Vermögen, desto drastischer wird mit dem erhobenen Zeigefinger gedroht – in der Steigerung dieser in die Wunde gelegt.
Prinzipiell gilt es da, zwei Varianten zu unterscheiden: Das ist zum Ersten das »Finger auf die Wunde« legen – kann hilfreich sein, falls Blut spritzt. Unschöner die zweite Version, auch aus medizinischer Sicht nicht heilungsfördernd: das »Finger in die Wunde« legen. Keime und Bakterien klatschen hier in die Minifinger und beginnen augenblicklich mit der Vermehrung. Und überhaupt – ist der Finger ab, der da auf bzw. in die Wunde gelegt wird? Oder ist er noch dran und weiß, was er tut?
In beiden Fällen von Finger-Wunde-Begegnung soll also jemand an etwas erinnert werden, und man signalisiert: »Wir bleiben am Thema dran!« – Wir bleiben am Ball, sozusagen *. Kann man auch mit den gelben Klebezetteln machen. Aber vermutlich klingt: »Wir werden weiter Post-its an Ihren Kühlschrank kleben!« den Sprachbildfischern zu wenig drastisch. Und da ist man dann froh, dass das Mittelalter lehrt, nichts führt so schnell zu Taten und Geständnissen wie das Ansengen der Füße oder eben das Prokeln mit dem Finger in der Wunde.
Was geht in Köpfen vor, die völlig schmerzfrei solch brutale Floskeln von sich würgen? Es gibt nur einen Schutz, den Selbstschutz: Ich werde mir auf jeden Fall zwei Finger in die Ohren stecken.
DISPUT stellt sich allmonatlich den Sprechblasenfragen unserer Zeit. Dafür die kleine Sprachglosse.