Hort des Wahnsinns?
DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen
Von Katharina Schwabedissen, Landessprecherin
Nordrhein-Westfalen ist das Land »tief im Westen« Deutschlands. Zwischen Selfkant im Westen und Höxter im Osten, Hellenthal im Süden und Rahden im Norden leben 18 Millionen Menschen – rund 8,75 Millionen Männer und 9,2 Millionen Frauen – auf einer Fläche von mehr als 34.000 Quadratkilometern. NRW ist damit nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland, es hat auch mehr Einwohner/innen als die Niederlande, Belgien, Österreich oder die Schweiz. Es ist in fünf Regierungsbezirke unterteilt: Düsseldorf, Köln, Münster, Detmold und Arnsberg. Es gibt 31 Kreise mit 373 kreisangehörigen Kommunen und 23 kreisfreie Städte. 29 Städte haben mehr als 100.000 Einwohner.
Nordrhein-Westfalen ist weit stärker durch Zuwanderung geprägt, als sich dies in der Zahl der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger widerspiegelt. 2008 hatten hier nahezu 4,16 Millionen Menschen (23,1 Prozent) einen »Migrationshintergrund«.
Knapp die Hälfte Nordrhein-Westfalens wird landwirtschaftlich genutzt, ein Viertel ist von Wald bedeckt. Mitten in NRW erstreckt sich das Ruhrgebiet mit etwa fünf Millionen EinwohnerInnen und einer Fläche von etwa 4.435 Quadratkilometern, der größte Ballungsraum Deutschlands und der drittgrößte Europas. Mit seinem Umland bildet es die Metropolregion Rhein-Ruhr, in der über zehn Millionen Menschen leben auf einem Gebiet von fast 10.000 Quadratkilometern. Das Ruhrgebiet ist durch den Strukturwandel der 70er und 80er Jahre geprägt. Heute sind noch rund 8,9 Prozent der Beschäftigten im produzierenden Sektor beschäftigt. NRW verzeichnet mit 8,9 Prozent die im Durchschnitt zweithöchste Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern. Im Ruhrgebiet liegt sie sogar durchschnittlich bei 11,2 Prozent.
Nordrhein-Westfalen ist eine der wirtschaftlich stärksten Regionen Europas. Gemessen an politischem Gewicht und ökonomischer Leistungsfähigkeit fände man einen souveränen Staat Nordrhein Westfalen im oberen Drittel der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. So wird auch verständlich, warum wichtige politische Ereignisse in NRW nicht nur die Aufmerksamkeit der deutschen und europäischen Öffentlichkeit auf sich ziehen. Landtagswahlen werden im In- und Ausland als »kleine Bundestagswahlen« wahrgenommen. Regierungsbildungen und Regierungskrisen kommen Signalwirkungen für die Bundespolitik zu. Richtungsentscheidungen in Düsseldorf gelten als Indikatoren für zukünftige Entwicklungen in Deutschland. Die Politik in NRW war oftmals Trendsetter für Koalitionsbildungen, Regierungsstile und Grundströmungen des Parteienwettbewerbs.
So bunt und vielfältig wie das Land und seine Menschen ist hier auch DIE LINKE. Mit fast 9.000 Mitgliedern ist NRW der größte Landesverband im Westen. Und vieles ist in NRW ein bisschen anders als in anderen Landesverbänden. Heiße Debatten gab es im Herbst 2009 um das Landtagswahlprogramm der LINKEN. Während für uns die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im Mittelpunkt stand und steht, arbeiteten sich zahlreiche Medien – und auch der eine oder andere Genosse – an der Forderung nach dem Recht auf Rausch oder der Abschaffung des Religionsunterrichtes ab.
Wird DIE LINKE gezähmt, oder bleibt sie unberechenbar? Kaum eine Frage beschäftigte offenbar mehr als die nach der Regierungs- und Politikfähigkeit unserer kleinen, erfolgreichen Partei.
Während die medialen Wellen um die Bundespartei Anfang 2010 hoch schlugen, kämpften die Genossinnen und Genossen vor Ort mit dem vierten Wahlkampf innerhalb eines Jahres. Bei allen Kontroversen blieben die Akteurinnen und Akteure hier solidarisch und erkämpften zusammen den Erfolg bei der Landtagswahl am 9. Mai. Gemeinsam wurde der Wahltag gefeiert und die Sondierungsgespräche erstaunt bilanziert. Der vielbeschworene Knall in NRW blieb aus. Eine kleine Landtagsfraktion der LINKEN sitzt nun mit sechs Frauen und fünf Männern im Landtag. Auch wenn es SPD und Grünen nicht schmeckt, FDP und CDU Gift und Galle gegen die »Terroristen« im Landtag speien: DIE LINKE ist das Zünglein an der Waage. Ob sie es nutzt oder sich die Zunge verbrennt, wird die Zukunft zeigen.
Im Juli stand die Wahl eines neuen Landesvorstandes an. Wir nehmen die Trennung von Amt und Mandat sehr ernst. Nur 20 Prozent der Landesvorstandsmitglieder dürfen ein Mandat haben oder Beschäftigte der Partei, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Bundes- oder Landtagsfraktion oder des Jugendverbandes sein. Was in manchen Ohren irre klingen mag, ist gewolltes Konzept: Breit aufgestellt zu sein, Arbeit, Wissen und Macht zu teilen sind Prinzipien, die auch zwei Jahre nach Gründung der LINKEN auf der Landesebene Konsens sind. Von den 24 Landesvorstandsmitgliedern sind seit Juli 19 ganz neu im Amt. Durch die Mandatsträger/innenabgaben unserer Landtagsabgeordneten und zusätzliche Spenden der Bundestagsabgeordneten aus NRW an die Landespartei wurde nun auch endlich möglich, was lange schon nötig war: Sprecherin, Sprecher und Schatzmeisterin wurden mit einer 30-Wochenstunden-Stelle hauptamtlich. Dieses Ziel war nur durch solidarische Umverteilung zu machen: 1.000 Euro monatlich kommen von den Abgeordneten der Landtagsfraktion, 500 Euro zahlen die Bundestagsabgeordneten. Dieser Praxis vorausgegangen waren eine breit geführte Debatte im Landesverband und ein mit sehr großer Mehrheit gefasster Beschluss des Landesparteitages.
Dennoch kann von einer Gleichstellung von Partei und Fraktion aufgrund der strukturellen, materiellen und medialen Macht von Fraktionen in der parlamentsfixierten deutschen Politik nicht die Rede sein. Als LINKE in NRW stecken wir aber den Kopf nicht in den Sand, sondern arbeiten weiter an einer starken Partei vor Ort und im Land.
Neben unserem Versuch, eine demokratische Partei zu entwickeln, in der politische Entscheidungen tatsächlich von unten nach oben getroffen werden, setzen wir politisch unsere Akzente als Klassenpartei an der Seite der Lohnabhängigen und Erwerbslosen, als Partei in Bewegung mit Friedens-, Antifa- und Umwelt-AktivistInnen und nicht zuletzt als Partei mit feministischem Anspruch.
Im Herbst hat uns die Unterzeichnung von »Castor Schottern« medial und besonders bei den Menschen bekannt gemacht, mit denen wir in Gorleben gegen den Castor-Transport und die Atompolitik der Bundesregierung protestiert haben. Das aktuelle Verbot des Transports von Ahaus nach Russland verbuchen wir gemeinsam mit den vielen Akteurinnen und Akteuren der Anti-AKW-Bewegung als kleinen Teilerfolg.
Doch mitten durch NRW steht der nächste Transport schon vor der Tür: von Jülich nach Ahaus. Über breite Unterstützung unseres Protestes aus anderen Landesverbänden würden wir uns freuen. Ebenso unterstützen wir unsere GenossInnen gern bei den Protesten um Stuttgart 21, die dortige Protestbewegung wird von unseren Mitgliedern aufmerksam verfolgt.
Auch Traditionen der LINKEN spielen bei uns eine Rolle. Alte und Junge mit Erfahrung in linker Politik versuchen mit alten und jungen Neulingen, eine gemeinsame linke Kultur zu entwickeln. Der 1. Mai an der Seite der Arbeiter/innenbewegung, der 8. Mai als Tag der Befreiung und unsere antifaschistischen Aktivitäten vor Ort, der Antikriegstag am 1. September und unsere starke Verankerung in der Friedensbewegung sind Beispiele. Dass für DIE LINKE in NRW Einsätze der Bundeswehr, egal unter welcher Helmfarbe und auch nicht im Rahmen der UN-Charta, nicht in Frage kommen, hat der Landesparteitag im Juli bereits beschlossen.
Wir bereiten uns auch bereits auf den kommenden 8. März vor, an dem der internationale Frauentag seinen 100. Geburtstag feiert. Die Anknüpfung an die alte und neue Frauenbewegung des letzten Jahrhunderts spielt bei uns eine zunehmende Rolle. Mit unserem Frauenwahlkampf waren wir Trendsetterinnen für neue Konzepte auch auf der Bundesebene, und an der Umsetzung des Konzepts zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit arbeiten wir derzeit.
Herausforderungen bleiben das Wachstum und die Stabilisierung der Partei vor Ort. Mit Hunderten von Abgeordneten in den Stadträten und Kreistagen muss die Balance zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit vielerorts noch gefunden werden.
Eines haben wir hier in NRW jedenfalls immer, wie der Ruhrpott formuliert: Leben inne Bude.
Zuschreibungen wie den »Hort des Wahnsinns« nehmen wir mit rheinischem Humor und westfälischer Gelassenheit auf und wollen vor allem eins sein und bleiben: DIE LINKE in NRW – Ort der Bewegung.