»Ich finde, da geht noch was!«
Für einen Politikwechsel in der Hansestadt – Hamburgs LINKE verabschiedet ihr Wahlprogramm
Von Stefan Richter
»Pünktlich sein«, »Schuhe anziehen«, »leise sein«, »sitzen bleiben«. Ein paar Regeln sollen sein, in der Louise-Schroeder-Schule in Hamburg-Altona. Am 8. Januar sind es andere Regeln, DIE LINKE diskutiert und beschließt ihr Wahlprogramm für die Bürgerschaftswahl am 20. Februar. Begrüßt werden die Delegierten durch Landessprecherin Regine Brüggemann: Als erster Termin im Wahlkalender 2011 komme Hamburg eine besondere Bedeutung zu. Sechs bis sieben Prozent der Stimmen würden derzeit für DIE LINKE vorausgesagt – »Ich finde, da geht noch was!« Das finden auch Gesine Lötzsch und Gregor Gysi. »Euer Wahlergebnis wird die Messlatte für die anderen sein«, sagt die Parteivorsitzende; »Nur eine gestärkte hanseatische LINKE ermöglicht einen Politikwechsel – egal ob in Regierung oder in Opposition«, betont der Fraktionsvorsitzende. Beide zollen der Partei in der Hansestadt Anerkennung für ihr Wirken in den vergangenen Jahren und ermutigen sie, mit Leidenschaft und Selbstbewusstsein für einen Politikwechsel und zugleich für ein gutes Ergebnis zu kämpfen, auch als Motivationsschub für die folgenden Wahlkämpfe.
Ein Wahlprogramm sei kein Parteiprogramm, unterstreicht Joachim Bischoff in der Aussprache: Wir müssen noch hart an uns arbeiten, um unsere Botschaften knapp und verständlich rüberzubringen. Ein Gedanke, der auch andere beschäftigt. »Werden wir verstanden?«, fragt eine Genossin, schließlich sollen doch gerade jene angesprochen werden, denen der Zugang zur politischen Debatte erschwert oder verwehrt ist. Was in jeder Diskussion beachtet werden sollte, versucht Horst Bethge mit einem indonesischen Sprichwort zu illustrieren: »Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.« Hart ins Gericht mit dem Programmentwurf geht Lilo Lottermoser; sie vermisst Sinnlichkeit: »Halbtote Herzen erreichen wir so nicht.«
Eine große Übereinstimmung wird deutlich bei der Beschreibung Hamburgs als einer »sozial tief gespaltenen« Stadt. »Viele Bürgerinnen und Bürger sind arm, nicht trotz, sondern wegen des Reichtums weniger«, heißt es im Programm. Nach dem Bruch der Koalition aus CDU und GAL (Grün-Alternative-Liste) bestehe nun die Chance, dass die Stadt wieder ihre Aufgaben wahrnimmt. Mit einem bloßen Regierungswechsel, hin möglicherweise zu einer Koalition aus SPD und Grünen, sei es jedoch nicht getan. Gerald Kemski hebt hervor, DIE LINKE müsse im Wahlkampf gegen »Amnesie« kämpfen, gegen das Vergessen, welchen Anteil beispielsweise SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz bei der Durchsetzung der Agenda 2010 und bei der Ausweitung der Leiharbeit gehabt habe.
Zu einem der Streitpunkte wird erwartungsgemäß die Frage, ob DIE LINKE schon vor der Wahl eine theoretisch mögliche Koalition mit SPD und GAL definitiv ausschließen soll. Im Programm heißt es dazu: »Wir sehen uns nicht als Arzt am Krankenbett von SPD und Grünen, sondern stehen für einen Einstieg in einen Politikwechsel. Wir unterstützen jeden Schritt in diese Richtung, aber sind für einen puren Austausch von Personen allein nicht zu haben.« Wollten SPD und GAL, dass wir ihren Bürgermeister tolerieren, sollte es mit ihren Mandaten nach der Wahl nicht reichen, dann müssten sie sich substanziell bewegen. Ihre Schritte zu einem Politikwechsel müssten glaubwürdig gegangen werden. In dem Fall werde DIE LINKE mit Initiativen, Gewerkschaften und Bewegungen und auf einem Sonder-Landesparteitag die Lage beraten und die Mitglieder in einer Urabstimmung entscheiden lassen. »Für uns gilt: Original sozial – vor und nach der Wahl.«
Im Vergleich zum vorigen Wahlprogramm sei das jetzige viel konkreter, bestätigt die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Dora Heyenn: »Das geht hin bis zur Gummibereifung vom Bus, bis zu klaren Forderungen für den ÖPNV in bestimmten Stadtteilen. Durch unsere Erfahrungen in der Bürgerschaft und in den sieben Bezirksversammlungen kennen wir jetzt natürlich auch die ganz konkreten Probleme besser. Das Wahlprogramm ist auch insofern ein bisschen anders, als wir gelernt haben, dass wir die ganz großen Würfe nicht innerhalb von vier Jahren schaffen, sondern dass man kleinere Schritte gehen muss, damit man sich den Frust nicht selbst organisiert, indem man sich zu viel vornimmt.«
Insgesamt 80 Änderungsanträge sind zu beraten, ehe das Wahlprogramm gegen 23 Uhr ohne Gegenstimme verabschiedet werden kann. DIE LINKE setzt sich programmatisch – und praktisch! – für soziale Gerechtigkeit ein, für Armutsbekämpfung, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Abschaffung von Hartz IV, für gebührenfreie Bildung, einen Kurswechsel in der Haushaltspolitik und für Hamburg als Friedensstadt.
Ach so, unter den Schulhinweisen fehlt nicht der folgende: »wir fangen zusammen an«. Hamburgs LINKE hat’s beherzigt.
www.fuer-ein-soziales-hamburg.de/programm/wahlprogramm