Ich leb meinen Traum
Auf der Suche nach der Leichtigkeit: Hannes Rockenbauch, parteiloser Aktivist – und Kandidat der baden-württembergischen LINKEN zur Landtagswahl 2016
Als deine Kandidatur für den Landtag bekannt wurde, schrieben Medien von einem gelungenen Coup der LINKEN. Fühlst du dich als Coup?
(lacht) Nein. Der Entschluss zu kandidieren reifte bei mir aus der Lust heraus, ein Experiment zu wagen, ein Experiment, das ich auf kommunaler Ebene schon lange führe und wo ich gute Erfahrungen mit Mitgliedern der LINKEN habe. Mich interessiert, wie die nötige Zusammenarbeit zwischen Basisbewegungen und Parteien gelingen kann. Deshalb fragte ich Anfang 2015 bei der Partei an, ob sie an meiner Kandidatur interessiert ist. Die Begeisterung war dort groß.
Das kann ich mir gut vorstellen, du giltst in Initiativen und Bewegungen als, wie man so sagt, große Nummer, bist als Parteiloser ein Promi seit den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21.
In der Zeit der großen Demonstrationen 2010 hatte mich Bernd (Riexinger) gefragt, ob ich nicht kandieren wolle. Damals gab ich der LINKEN einen Korb; eine Kandidatur war für mich weit weg, zumal ich da auch mein Diplom gemacht habe.
Lange habe ich mich vor Parteien gewehrt, weil dort Parteiraison und taktische Dinge oft im Vordergrund stehen. Jetzt habe ich aber, und das ist auch ein Experiment, bei der LINKEN die Hoffnung, dass sie es ernst meint. Eine Partei öffnet sich und sucht bewusst die Verbindung zu außerparlamentarischen ökologischen, sozialen Bewegungen – bei Verzicht auf Parteibuch und hundert Prozent Kontrolle. Wenn eine Bedingung gewesen wäre, in die Partei einzutreten oder mich in jeden innerparteilichen Konflikt einzumischen, hätte ich das nicht gemacht. Ich mag ein unbequemer Kandidat für die LINKEN sein, ich weiß es aber zu schätzen, dass meine Kandidatur dort möglich ist, dass sie sich das trauen.
Außer deiner »Experimentierfreude«, was bewog dich inhaltlich zu der Kandidatur, hat Grün-Rot so wenig gebracht?
Der Machtwechsel 2011 in Baden-Württemberg war nur ein Personalwechsel und kein Politikwechsel. Grün-Rot stellt Ministerpräsidenten, Verkehrsminister und Oberbürgermeister – mehr Macht geht nicht. Und was machen sie daraus? Gar nix.
Dass Wahlen allein die Welt nicht verändern, war klar. Nach 60 Jahren CDU-Herrschaft im Land gab es dennoch bei vielen durchaus einen gewissen Bonus für Grün-Rot, bei mir von Anfang an Skepsis. Im Endeffekt kam da so untragbar wenig heraus beziehungsweise wurde, was an Verbesserungen stattgefunden hat, verklärt, als ob das ein Politikwechsel wäre. Schaut man genau hin, dann bleibt da nimmer viel übrig.
Auch nicht bei mehr und wirkungsvollerer Bürger/innenbeteiligung, wie Grüne und Sozialdemokraten sie 2011 versprochen hatten?
Für mich ist der demokratische Aufbruch, die Kultur des Gehört-Werdens ein wichtiges Thema. Schon lange vor Stuttgart 21 hatte ich darauf gehofft, dass eine wahnsinnige Kraft darin liegt, dass Bürgerinnen und Bürger die Experten ihrer Lebensverhältnisse sind, und dass eine verbindlichere Form der Mitgestaltung gefunden wird. Die neue Landesregierung schrieb sich das auf die Fahnen und hat es PR-mäßig besetzt. Aber was sie liefern, ist kein Musterländle für Bürgerbeteiligung, das ist allenfalls Mittelfeld. Mit unserer Stuttgart-21-Erfahrung ist das traurig. Vor allem auch, weil es auf der instrumentellen Richtung bleibt: Es ist nicht mehr viel zu spüren vom Thema, Macht an Bürgerinnen und Bürger abzugeben. Gefährlich ist das, wenn demokratischer Aufbruch eher instrumentalisiert wird, sprich: Wir binden sie ein, wir beteiligen sie so viel und so unterschiedlich, dass ihnen der Kopf schwirrt, dass sich keine kritische Masse mehr verbindet für gesellschaftliche Alternativen. Das ist das Gegenteil von dem, was wir 2010 und 2011 gefordert haben.
Grün-Rot, die Landesregierung, aber auch hier in Stuttgart, hat sich von ganz vielen Sachen verabschiedet, wo man noch lange hoffen konnte.
Zum Beispiel?
Wie leichtfüßig sie sich unter anderem von der Kritik an Stuttgart 21 verabschiedet haben! Oder wie sie mitgemacht haben, als in Stuttgart 20.000 bezahlbare Wohnungen, die der Landesbank gehörten, verkauft wurden: Die Stadt hatte sich sogar beworben, um die Wohnungen zu übernehmen, und dann kriegt die Patrizia Immobilien AG sie wegen ein paar Millionen mehr – bei einem Milliardenvolumen! Weil es mit dem Wohnungsverkauf nur darum ging, die Landesbank, die sich ordentlich verzockt hatte, zu retten, macht es keinen Unterschied, ob da ein grüner Staatssekretär sitzt und ein roter Finanzminister entscheidet.
Bist du so was wie ein »geborener« Oppositionskopf?
Glücklicherweise wuchs ich in einem Elternhaus auf, wo Politik abends intensiv verhandelt wurde. Immer mit der Note: Wenn dich was ärgert, steh auf, sag Nein! Immer so, dass du nicht Menschen verletzt, dass du nicht persönlich wirst. Aber wenn dir was nicht gefällt, gehört es zum Leben, sich zu widersetzen, Ungerechtigkeiten nicht durchgehen zu lassen.
Ich erinnere mich an Michael Endes »Satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch«: Die Hexe und der Zauberer wollen die Welt zerstören. Nur der Kater und der Rabe stellen sich ihnen entgegen und schmeißen ein Gegenmittel in den Zaubertrank, alles Negative wandelt sich ins Positive. Die Welt war gerettet. Aber der Zauber verpuffte, löste sich auf und alles blieb genauso, wie es war. Die moralische Botschaft war wohl: Um die Welt zu retten, braucht es mehr als einen Zauber. Ich konnte nicht verstehen, warum die Welt nicht einfach gut sein kann. »Das ist doch kein Kinderbuch, am Ende ist alles wieder Scheiße!«, ärgerte ich mich und bin ich zu Mama und Papa rüber gelaufen und habe mit ihnen gestritten.
Wie funktionierte das als Kind mit diesem Anspruch des Widerständigen, bist du oft angeeckt, warst du ein Einzelgänger in der Schulklasse?
Eine Zeit lang. Bis ich begriff, dass man das nicht verbissen oder als Kampfprojekt machen muss. Weltverbessernder, missionarischer Charakter, teilweise mit der Power der Jugend, verschreckt die Leute. Als ich mir das abgewöhnte, war ich nicht mehr alleine.
Womit beispielsweise hast du deine Kumpels verschreckt?
Indem ich ihnen sagte: Unser Lebensstil, unser Konsum tötet: dein Ziel, Daimler zu fahren, dein Ziel, in der Königstraße, der Stuttgarter Shoppingmeile, einzukaufen … Die Klassenkameraden verzweifelten fast: Hannes, lass uns doch! Lass uns doch die Königstraße! – Das war halt angesagt, sie wollten ihre Individualität über Produkte statt über Ideen und Zusammenarbeit ausdrücken. Das war ein Notruf. Sie hatten die Logik und die Appelle eigentlich verstanden, konnten es aber emotional nicht verkraften, dass ihre Welt zusammenbrechen soll, dass sie schlecht ist. Und ich begriff: Die Analyse der Verhältnisse reicht nicht, wenn sie nicht die Hoffnung, den Weg zeigt, dass es das Bessere, das Gute im Leben gibt, dass es mehr Spaß macht, das mit den Leuten zu entwickeln. Als das klar wurde, kamen auch die Leute, die Lust hatten, da mitzumachen.
Das waren so meine Lernprozesse. Stuttgart 21 kam lange Zeit nur am Rande vor.
Gab es so was wie eine Schlüsselerfahrung des jungen Hannes, wann und wie hast du dich erstmals öffentlich richtig reingekniet?
1993, mit 13, in der Vorbereitungsgruppe zum Weltkindergipfel. Nach dem Weltumweltgipfel in Rio – Stichwort: global denken, lokal handeln – machten wir einen Kindergipfel: Die Arbeitsgruppen fanden in mehreren Jurten statt. So saß ich in einer Jurte auf dem Killesberg in Stuttgart, und wir sagten: Wenn unser Leben, unser Konsum, unser Klimaverbrauch für die dritte Welt Klimakatastrophe und Ausbeutung bedeuten, dann müssen wir das ändern und dürfen dabei keine Zeit verlieren! Deshalb schlugen wir vor, dass jedes Haus, das neu gebaut wird, sich selbst mit Energie versorgen muss. So haben wir Politik gemacht: Wenn ein Problem da ist, muss ich’s ändern. Für uns Kinder in der Jurte auf dem Killesberg war es so einfach. Und Umweltminister Klaus Töpfer hat uns gesagt: Tolle Idee, das machen wir so. Als wir ein Jahr später Bilanz zogen, war jedoch nichts passiert! Auch heute, 20 Jahre später, versorgt sich kaum ein neues Gebäude selbst mit Energie.
Ich vergesse nicht, wie einfach Politik war – und wie schwer sie jetzt ist mit all diesen Ausreden, diesem Herauslavieren, diesem Ja, aber da gibt es den Wirtschaftsstandort und das Image, was uns abhält, Probleme zu lösen, mit all den Restriktionen, all den Ängsten, wenn man mit der Zukunft von Arbeitsplätzen konfrontiert ist.
Ich suche immer noch die Leichtigkeit von damals.
Und die willst du ausgerechnet im Landtag und ausgerechnet mit den LINKEN finden?
(lacht) Ich habe einfach Lust rauszufinden, ob bei den LINKEN und im Landtag nicht doch mehr Leichtigkeit geht. Entscheidend ist aber: Wenn man eine Idee von einem anderen Leben, einem Leben ohne Ausbeutung und Zerstörung von Natur, hat, muss das gelebt werden. Und das ist mehr als eine analytische und ideologische Debatte. Dann muss du die Menschen dafür gewinnen und begeistern. Mit diesem »Lass uns doch unsere Königstraße« ist mir eins klargeworden: Die große, wichtige Idee, dass das Leben anders und besser sein kann, muss immer mit einer Idee verbunden sein, wie man dahin kommt. Und das in einer Form, die begeistert, die Spaß macht, die den Leuten zeigt, da liegt ein Qualitätsgewinn drin.
Wenn es uns nicht gelingt, diese Veränderungen durch »Kleinklein« im Alltag, aber auch durch verbindende mobilisierende Geschichten hinzukriegen, bringt mir die reine Lehre gar nichts. Die ist notwendig, aber nicht hinreichend für die Veränderung der Welt. Das heißt, man muss es verbinden. Für mich gehört das zusammen. Genauso wie die Zusammenarbeit von ökologischen und sozialen Bewegungen mit der LINKEN.
Die »Oben Bleiben«-Bewegung gegen Stuttgart 21 wurde durch ein Phänomen groß: In diesem Sommer und Herbst 2010 – mit dem Unbehagen vieler Menschen wegen der Finanzkrise, der Klimakrise …, mit dem blöden Bagger, dem Polizeieinsatz, der medialen Beachtung und dem Anwachsen der Proteste – erwuchs ein Gefühl der Ermächtigung. Wir dachten, wir können alles, da geht alles. Und es hat Spaß gemacht. Von Anfang sollte das mit Kultur verbunden sein, niemand sollte länger als fünf Minuten reden. Es hat bei vielen linken und alternativ denkenden Menschen eine Aufbruchsstimmung gegeben. So eine Stimmung bekommt man nur hin, wenn alle ihren Teil beitragen und es aufhört, dass jeder nur sein Süppchen oder seinen Zaubertrank kocht.
Das ist Geschichte. Unübersehbar: Ein Großteil des Kopfbahnhofes existiert nicht mehr, stattdessen dort wie im Mittleren Schlossgarten eine riesige Baugrube. Dies vor Augen: Was war Stuttgart 21? Eine große Niederlage, ein wichtiger Erfahrungsgewinn, ein großer Höhepunkt an lokaler und regionaler Demokratie? Von allem ein bisschen?
Die einfache Antwort gibt’s nicht, sie hängt vom Betrachter ab.
Wenn man genau hinguckt: Das Projekt ist nicht fertig geplant, genehmigt, finanziert, die Bahn hat Probleme an allen Ecken und Enden. Aber in der großen Wahrnehmung, auch am real spürbaren Baufortschritt, sieht es so aus, als hätten wir diese Auseinandersetzung verloren. Ich glaube das nicht. Dieser Konflikt ist mehr als eine Auseinandersetzung um einen Bahnhofsbau. Stuttgart 21 hat manche wahnsinnig repolitisiert, andere erstmals politisiert, sie hat zu einem Bewusstseinswandel geführt, sie hat auch zu realen Machtwechseln geführt, wobei wir uns über die Substanz des Politikwechsels unterhalten müssen.
In diesem Prozess ist so viel mehr passiert als nur eine Auseinandersetzung um ein Infrastrukturprojekt. Das ist ein Erfolg. Über den harten Kern hinaus ist noch etwas da. Viele sind vernetzt, sind aktiv in Initiativen. Die Mahnwache am Bahnhof und die Montagsdemos, von denen wir jetzt die 280. hatten, gibt es seit fünf Jahren. Diese Power und Energie sind unglaublich.
Was nicht gelungen ist: das Phänomen einer damals außerparlamentarisch verbindenden Bewegung auf eine andere Kommunalpolitik zu übertragen. Da habe ich auch mit persönlich viel versagt. Das war eine Chance.
Stuttgart 21 ist überall: Hochgeschwindigkeitsausbau, Infrastrukturausbau nach Gusto von Privat-, Immobilien- und Kapitalinteressen … Dieses Prinzip, dass die Gesellschaft hergerichtet wird für die wenigen da oben, ist von Klein bis Groß das Leitprinzip unserer Stadtentwicklung. Im Wohnungsmarkt, bei Gesundheit und Bauprojekten, im Kampf um die Rekommunalisierung von Wasser, Energie und Gas. Das sind für Linke die gleichen Kämpfe um Mitbestimmung, um Teilhabe an der Stadt, an Demokratie, an den gesellschaftlichen Leistungen. Da haben wir noch viel zu tun, da ist Begeisterungsarbeit zu leisten. Aber auf der anderen Seite wird die Kraft an politischer Bewegung, die noch vorhanden ist, unterschätzt. Das Problem ist: Die Kämpfe, die vor 2010 geführt wurden, werden jetzt wieder alleine geführt. Die, die vorher in ökologischen, Verkehrsinitiativen, Energieinitiativen, sozialen Initiativen, Weltinitiativen, Demokratieinitiativen … einzeln gekämpft haben, tun das jetzt wieder. Sie sind heimgekehrt zu ihren politischen Einzelauseinandersetzungen und haben voll zu tun.
Das, was in dem Sommer 2010 an Verbindendem da war, wo jeder Beitrag, jede Sichtweise wichtig war für eine Gegenmacht, das wurde durch den vermeintlichen Sieg der Etablierten und des großen Geldes eingefangen, das haben sie wieder kanalisiert. Dazu haben auch die Schlichtung unter Heiner Geißler und die Landtagswahlen 2011 beigetragen.
Wen hast du 2011 gewählt?
Die Grünen, allein aus dem taktischen historischen Moment, endlich die Schwarzen abzulösen. Das war eine sehr zugespitzte Situation. Ich denke, das ging vielen, die sonst Linke wählen, auch so; deswegen bekam DIE LINKE auch ein schlechtes Ergebnis.
Warum wird das 2016 besser klappen?
Für DIE LINKE ist das jetzt eine historische Chance. Sie macht in einem Westland nicht gegen die CDU Wahlkampf, da hätte sie nichts zu melden, das kann ein Winfried Kretschmann (Grüne). DIE LINKE kann aber heute sagen: Schaut her, Grün-Rot können es nicht, sie haben versagt, sind hinter ihren Versprechungen geblieben. Der Wahlkampf geht gegen eine gescheiterte grün-rote Regierung. Und jeder, der noch das Herz links trägt und ökologisch ist, muss ein Interesse daran haben, dass es im Landtag eine Opposition gibt, die klar ökologisch, klar sozial ist. Überzeugte grüne und überzeugte SPD-Wähler brauchen die LINKE-Kraft im Landtag, die ihre eigenen Oberen zwingt, wirklich die Politik zu machen, die irgendwo in ihrem Wahlprogramm steht.
Das ist eine andere Situation als 2011.
Hinzu kommt: Bei den Kommunalwahlen 2014 hat DIE LINKE die Zahl ihrer Mandate quasi verdoppelt. In fast jeder Kommune gibt es richtig gute Leute, die an der Basis eine soziale und ökologische Politik machen, für mehr Demokratie, für eine Öffnung und für eine Opposition sorgen. Da wächst was an der Substanz und an der Basis der LINKEN. Diese Verankerung gab es 2011 noch nicht. Wenn es gelingt, auch in anderen Orten Bündnisse mit sozial-ökologischen Bewegungen, mit parteifreien Leuten zu machen und spannende Köpfe aufzustellen, sind das ganz andere Ausgangsbedingungen als beim vorigen Mal.
Das klingt optimistisch.
Ich sage, das ist die Chance. Aber ohne jeden Zweifel: Das bedeutet Arbeit in einem Land wie Baden-Württemberg. Gerade hier. Man muss nicht weit raus gehen aus Stuttgart, da gibt es keine Differenzierung, da ist DIE LINKE immer noch die SED.
Ein Land, wo es vielen Menschen so gut geht wie hier, kann man nicht schlechtmachen. Man muss stark die ansprechen, die trotz des Wohlstandes sagen, eigentlich muss unser Leben mehr sein, es fehlt ein Zukunftsmodell in der Welt. Das demokratisch, solidarisch und sozial auszugestalten, dafür ist eine viel größere Sympathie da, als einzelne Reparaturmaßnahmen am Kapitalismus zu machen.
Grüne und SPD haben nicht an der Verbesserung des Status quo versagt – sie haben ja was verbessert –, sondern an den Alternativen, an der Vision. Daran, was anders zu machen, sich anzulegen mit den Herrschenden, wirklich für Umverteilung und Ökologie zu sorgen.
Der grüne Verkehrsminister sagte mal, klar, brauchen wir weniger Autos – das hat er nie wieder gesagt, kurz danach war er bei Porsche gesehen. Sie waren gegen Gigaliner auf der Straße, jetzt gibt es Gigaliner. Die Menschen spüren diese Einbindung und fragen sich, was ihr Wählen noch bringt, wenn die Finanzindustrie und die großen Konzerne so eine Macht haben: Warum soll ich dann noch wählen? Wo sind die, die es anders machen? Die sich um die »Kleinen« kümmern – und das mit einer machbaren Alternative verbinden? Grün-Rot sind die nicht. Das ist jetzt die Chance für die DIE LINKE.
Daran muss man anknüpfen, um eine Stimmung hinzukriegen, die Lust auf einen Wechsel macht. Das ist schwierig. Und die wird man mit Kleinklein und Pragmatismus nicht hinkriegen. Da braucht’s das »Es ist möglich, dass wir ohne Ausbeutung und Zerstörung, mit wirklich mehr Demokratie leben können«.
Mein Thema ist immer, das an die Kommunen und die Menschen dort zu binden, sie so stark zu machen, dass sie sich überhaupt Demokratie leisten können, teilnehmen können, Mittel und Zeit haben können. Diese Grundlagen muss eine Landespolitik schaffen. Sie muss sich nicht überall einmischen, sie muss nicht alles regeln, sie muss den Menschen die Freiheit geben, auch die materielle Freiheit, ihre Angelegenheiten selber zu regeln. Und den Kommunen die gesetzliche Freiheit, ihre Lebensverhältnisse vor Ort regeln zu können. Zum Beispiel die Grundlage für eine Nahverkehrsabgabe schaffen, damit wir die Verkehrsprobleme mit einem kostenlosen Nahverkehr lösen können.
Du kandidierst im Wahlkreis 1 in Stuttgart. Welches Resultat strebst du an?
Sieben bis zehn Prozent. Das bedeutet Arbeit!
Du hast, als Oberbürgermeisterkandidat 2012 und für den Stadtrat, schon öfter Wahlkampf gemacht. Du weißt, was Wahlkampf ist. Wann und wie geht’s für den Landtag los?
Ich bin heiß drauf, sofort nach der Sommerpause werden wir mit ersten Veranstaltungen loslegen.
Aber das ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Ich habe keine Lust, das Ding allein nur im Wahlkreis 1 zu rocken. Wir müssen für LINKE und Parteilose eine Form der Zusammenarbeit finden, die Ideen, Themen, Veranstaltungen aufeinander abstimmt und trotzdem jedem und jeder Spielräume ermöglicht, damit alle ihre Stärken ausspielen können. Es läuft jetzt alles langsam an, wir entwickeln das, mit Respekt und Freiheit voreinander. Gute Leute aus den Wahlkämpfen haben richtig Lust; sie fragen gerade an, die wollen loslegen. Wenn man sich da unterstützt und das abstimmt, dann sind die sieben bis zehn Prozent vielleicht stuttgartweit möglich.
Aber noch einmal: Ich will nicht ein Traumergebnis für Rockenbauch hinkriegen, ich will ein Traumergebnis für dieses Experiment der Zusammenarbeit mit ökologisch-sozialen Bewegungen, Parteifreien und der LINKEN.
Ich fühl da gerade so eine Aufbruchstimmung: DIE LINKE öffnet sich, wird frecher, denkt größer. Bernd (Riexinger) und Gökay (Akbulut), als Spitzenkandidaten, sind Leute, die auch so was rocken können. Und wenn dann die kommunalpolitischen Leute und die Aktiven vor Ort hinzukommen, dann ist der Einzug in den Landtag möglich. Wenn DIE LINKE das hier in Baden-Württemberg – ein Flächenland, grün-rot regiert, eigentlich konservativ, mit Wohlstand, viel Landwirtschaft und ein paar Unistädten – schafft, dann ist das wie ein Dammbruch.
Was motiviert dich nach Niederlagen, was richtet dich nach schwierigen Phasen auf?
Ich bin glücklicherweise ein Mensch, der Kraft ziehen kann aus Momenten, die überhaupt nichts mit Politik zu tun haben – und aus Niederlagen. Das ist eine vielleicht lustige Mischung. Ich kann sehr schnell den Moment mit Menschen woanders genießen, mit meiner Familie, mit meiner Kleinen und meiner Frau, mit Freunden, im Urlaub in Italien. Oder aber eben auch Kraft ziehen aus scheinbaren Niederlagen. Der Ausgang der Volksabstimmung 2011 – 58,9 Prozent stimmten gegen den Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von Stuttgart 21 – war ein Super-Gau für uns. Und es war bitter, als Sprecher des Aktionsbündnisses auf der Demobühne zu stehen und die Ergebnisse kommentieren zu müssen. Aber dann hörte ich Kretschmann im Fernsehen so leichtfüßig, so elegant sagen, dieses Resultat sei ein Sieg der Demokratie. Dabei haben erst wir die erste Volksabstimmung nach 60 Jahren möglich gemacht! Und es ging doch um mehr als um einen Bahnhof!
Jedenfalls ist das die Art von Politik, die die einen als staatsmännisch bezeichnen und die die anderen fragen lässt: Wo ist da eine Haltung, wo ist da ein Rückgrat?
Als ich am selben Abend noch im Landtag war, entlud sich von der Stimmung her ein Rollback-Versuch, ein Heimzahlen, eine Rache an dem, was paar Monate zuvor bei der Landtagswahl passiert war. Die Schwarzen konnten sich nicht nur als Sieger über Stuttgart 21 fühlen, sondern ihre Wahlniederlage auch als Betriebsunfall darstellen. – Wegen dieser Arroganz und wie man dort in der Nacht unserer Niederlage, die schwer genug war, ausgebuht und niedergeschrien wurde, von Abgeordneten und all dem, was sich als gutbürgerlich und anständig empfindet, hab ich mir gesagt: Okay, das kann’s nicht gewesen sein, das ist der Moment, sich zu fragen, was wir daraus lernen. Und dann kommen wir wieder. Das große Ziel von der Jurte damals – die Welt muss anders werden, das ist eigentlich nicht schwer – lass ich mir von solchen Gestalten nicht nehmen. Das meine ich mit: Kraft daraus ziehen. Das ist so was wie: Ihr brecht mich nicht. Das »Spiel« ist noch nicht vorbei; ich bin noch jung.
Die Ziele sind eh so groß, dass man sie nicht durch eine Wahl oder durch eine Aktion erreichen kann. Da sind auch Niederlagen Lernerfahrungen.
Manchmal denk ich, ich bin glücklich, weil ich mir Aufgaben ausgesucht habe, wo man permanent zu tun hat, wo es nicht langweilig wird, wo einem nicht der Stoff ausgeht, die Lust am Verändern-Wollen. Das gibt dann auch eine Leichtigkeit.
Sind deine politisch denkenden Eltern stolz auf dich?
Selbstverständlich. Aber sie haben auch massiv Kritik.
Woran?
Zum Beispiel an meiner Kandidatur: Die Veränderung in der Gesellschaft, sagen sie, kommt nicht von Parteien.
Ich las, sie waren in der DKP.
Daher ihre Schlussfolgerung: Das revolutionäre Subjekt sind nicht Parteien, das sind die Bürgerinitiativen, die Menschen.
Das sehe ich auch so – ich ziehe Kraft aus meiner Basis im parteifreien Bündnis SÖS (Stuttgart – ökologisch – sozial), von dort bekomme ich Rückkopplung und Erdung. Es heißt aber nicht, dass man nicht mit Parteien zusammenarbeiten darf. Ich kann nicht warten und die Parlamente den Schwarzen, den Grün-Schwarzen, der SPD oder wem auch immer überlassen. Gleichzeitig ist es aber richtig, man darf in diesem Politikbetrieb nicht verloren gehen.
Das ist etwas, wozu ich auch im Landtag beitragen kann – nicht nur mit der kommunalpolitischen Erfahrung und dem Wissen, was es an Gesetzen und Finanzen braucht, damit die Bürgerinnen und Bürger und Kommunen stark werden, dieses Verständnis von Politik, wo Parlamente nichts sind ohne aktive, bewusste Menschen, die vor Ort für ihre Sache stehen, was wir vorhin an Stuttgart 21 diskutiert haben. Deswegen habe ich das ein bisschen auch als mein Versagen beschrieben. Denn wie geil wäre das, Kommunalpolitik mit einer Basis von Tausenden Leuten machen zu können!
Ich will, dass auch die Basisinitiativen Ansprechpartner im Landtag haben. Das ist eine Verpflichtung der Leute im Parlament, zu versuchen – und das ist schwer, weil sie zu wenige Leute sind –, Wege und Verknüpfungen zu den Basisbewegungen und sogar die Delegation von politischer Arbeit zu finden. Das ist ein spannendes Experiment. Gelingt es beispielsweise, landesweit Initiativen verbindend zusammenzukriegen, um den Herrschenden Steine in den Weg zu legen. DIE LINKE denkt in Teilen genau in diese Richtung. Da hat sie Recht, da will ich auch einen Beitrag dazu leisten.
Ich will meine Zeit in den parlamentarischen Aufgaben so einteilen, dass mindestens 50 Prozent Zeit bleibt, um ansprechbar zu sein.
Was war dein erster Berufswunsch?
Vielleicht Schriftsteller, Filmemacher. Von frühzeitig perfekten Lebensentwürfen halte ich aber nichts. Ich finde, das Leben ist so krass vielfältig, da sollte man offen sein.
In der vierten Klasse habe ich angefangen zu schreiben: Geschichten, Kindergeschichten, für mich; ich bin Legastheniker.
Meine Eltern sind Architekten und Stadtplaner. Das wollte ich lange Zeit nicht studieren. Ich habe Umwege über Physik und Philosophie gemacht und bin heilfroh, dass ich dann doch den Mut hatte, Stadtplanung und Architektur zu studieren, bestimmt auch wegen Stuttgart 21. Planung ist sowieso Politik und darf nicht technokratisch gemacht werden. Das passt ganz gut.
Du bist an der Uni in einem Institut beschäftigt. Womit befasst du dich dort momentan?
Mit Planungstheorie und Planungsmethoden. Studierende machen in diesem Semester Projekte zu Verkehr in Stuttgart, Klimaanpassung in Stuttgart, Wohnen, Flüchtlinge … Die Themen sind sehr nah an den realen gesellschaftlichen Problemen dran.
Ich schreibe meine Doktorarbeit über Bürgerbeteiligung. Nicht mit Blick auf Beteiligungsprozesse, sondern über Planungs- und Politikprozesse. Denn die Beteiligung kann methodisch noch so gut gemacht sein, wenn die Entscheidungsprozesse in Politik und Planung nicht in der Lage sind, mit dem Input umzugehen und das einzuarbeiten beziehungsweise wenn drei Prozesse parallel laufen, wird es nicht funktionieren.
Wie weit bist du mit der Promotion?
Angesichts meiner Projekte gibt es viele lustige Ideen und noch wenig Substanz ... (lacht) Es wird schwierig, das ist was Anderes als meine Diplomarbeit in der Hochzeit von Stuttgart 21.
Bist du für die Stadtratsarbeit teilweise freigestellt?
Ich habe an der Uni eine 75-Prozent-Stelle. Seit einem Monat, weil's anders nicht mehr tragbar war, bin ich für die Sitzungen freigestellt.
Für mehr nicht?
Rechtlich schon, so ist das Gesetz. Ich hab’s halt nicht gemacht, weil ich gegenüber den Kollegen keine Extrawurst wollte.
Eure Fraktionsgemeinschaft ist seit der Kommunalwahl 2014 größer und noch bunter als vorher. Wie funktioniert das?
Gut. Das ist eine echte Bereicherung. Die große Linie stimmt, der politische Anspruch stimmt: Es braucht mehr Demokratie, es braucht mehr Einmischung, und der Staat muss sich kümmern, wenn der Markt versagt. Das ist klar. Wir haben keinen Fraktionszwang und nur ganz wenige Grundregeln. Was nicht klar ist, wird diskutiert; dafür nehmen wir uns Zeit. Wir machen Schwerpunktthemen und versuchen, dass unsere Mitarbeiter und externe Experten uns einarbeiten, um den Differenzen eine sachliche Basis zu geben. So entwickeln wir Schwerpunkt für Schwerpunkt eine gemeinsame Agenda. Es ist nicht notwendig, alles vorher zu klären und in jedem Punkt übereinzustimmen. Und wenn Piraten und Mobilfunkinitiativen aufeinandertreffen, wird’s halt heiß. Das wird dann diskutiert, und im Notfall hat jeder seine Meinung.
Du musstest deinen SÖS-Leuten zusichern, dass du nicht Minister wirst …?!
Das war die Warnung vor dem Parlamentarischen, die Angst vor dem Sich-einbinden-Lassen, dem Untergehen im parlamentarischen Betrieb. Einer unserer aktivsten Basisleute und Baustellen-Blockierer hat das als Zuspitzung formuliert: Bleib ein bisschen der Hannes, der blockiert und Bahnhöfe besetzt! Ich habe mir fest vorgenommen, das nicht zu vergessen!
Ich leb meinen Traum. Ich hab das Glück, dass dieses Politische – damit meine ich nicht das parlamentarisch Politische – mein Ding ist, das macht mir Spaß.
Interview: Stefan Richter