Disput

Motor für den Politikwechsel werden

Vom politischen Jahresauftakt der Partei im Länder-Wahljahr 2011

Von Günter Müller

Die Ersten, die zum politischen Jahresauftakt der LINKEN am 10. Januar in der Berliner Kongresshalle am Alex erschienen, waren Kameragruppen und Kommentatoren von allen bekannten Medien. Kaum, weil sie die Politik der LINKEN in die Wohnhäuser tragen wollten. Mehr, weil sie die Personalpolitik der Partei aufschäumen sollten. Knatschpunkte vernebeln die Kernpunkte: voriges Jahr Gysi gegen Bartsch oder Bartsch gegen Lafontaine – dieses Jahr Lötzsch gegen Gysi oder alle gegen die Richtigen? Die Troika Lötzsch, Ernst und Gysi ritt im flotten Galopp gegen alle, die zur Kampagne gegen DIE LINKE angetreten sind. Das war klug, überzeugend und mitreißend. Das hat der genervten Basis gut getan. Die Wellen des Beifalls brachten klare Sätze: Über das Programm streiten alle Mitglieder. Über die Parteispitze entscheidet der Parteitag. Die sieben Landtagswahlen verlangen Geschlossenheit im Auftreten und Klarheit im Bekenntnis zum Wählerwillen: Mit uns kein Hartz IV, keine Rente erst mit 67, kein Afghanistankrieg, keine Krisenbewältigung durch Niedriglöhne, kein Ausverkauf der parlamentarischen Demokratie an die Lobbyisten. »Je stärker die LINKE, desto sozialer das Land!«. Und was die LINKE verlangt, das kann sie auch vorrechnen. Indem wir dies beweisen, machen wir uns unverwechselbar und unverzichtbar. Was wer sagte, soll hier als knapper Auszug stehen, mehr gibt’s im Internet.

Gesine Lötzsch:

In meinem »junge-Welt«-Artikel (3. Januar 2011) habe ich die Frage nach einer neuen Gesellschaft extrem zugespitzt und damit deutlich gemacht, dass wir nicht nur die Tagesprobleme der Menschen aufgreifen, sondern auch die Zukunftsprobleme anpacken müssen. Wir dürfen nicht die alltägliche Illusion verbreiten, dass wir im Kapitalismus die grundlegenden Probleme der Menschheit lösen können. Wir brauchen eine andere Gesellschaft, wir brauchen den demokratischen Sozialismus. Ich komme in dem Artikel zu dem Schluss, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist und dass dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört. So steht es auch im Programmentwurf unserer Partei, und das ist richtig so!

Jenseits der veröffentlichten Meinung gibt es auf diesen Artikel im Wesentlichen drei unterschiedliche Reaktionen per Mail, Post und Telefon: Erstens Zustimmung mit dem Grundtenor: Endlich reden wir mal wieder über grundsätzliche Inhalte. Zweitens Kritik mit dem Grundtenor: Der Beitrag ist im Superwahljahr 2011 eine Steilvorlage für unsere Gegner. Drittens Ablehnung mit dem Grundtenor: Geh doch nach Nordkorea! (...)

Sehr ernst nehme ich die Kritik von Genossinnen und Genossen, die meinen, ich hätte mit meinen Äußerungen dem politischen Gegner eine Steilvorlage geliefert. Nein, ich wollte dem politischen Gegner keine Steilvorlage liefern. Irritationen verstehe ich, doch ich habe in den letzten Tagen immer wieder eindeutig klargestellt, so wie es auch am Schluss des Artikels steht, dass unser Ziel der demokratische Sozialismus ist und dass wir keine kommunistische Partei sind.

Ich bin der Auffassung, dass unsere Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft, vom demokratischen Sozialismus viele Menschen im tiefsten Inneren bewegen und sie dringend nach Antworten suchen. Was die Menschen nämlich wirklich schreckt, ist der Kapitalismus, der aus dem Ruder gelaufen ist, und nicht das Nachdenken über einen demokratischen Sozialismus! (...)

Ich will eine andere Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der Menschen nicht ausgegrenzt werden. Das schließt Stalinismus und autoritären Sozialismus grundsätzlich aus. Nein, ich habe nicht die Opfer des Stalinismus und des autoritären Sozialismus vergessen, natürlich nicht, wie könnte ich!

Wir haben schon 1990 auf unserem Gründungsparteitag (der PDS – d. Red.) mit dem Stalinismus gebrochen und uns bei den Opfern entschuldigt. 20 Jahre lang haben wir nicht nur Artikel und Bücher geschrieben, sondern uns sehr intensiv und schmerzhaft mit unserer Geschichte auseinandergesetzt. Und es ist kein Geheimnis, dass dieses Ringen nicht jedem gefallen hat. Es gibt auch Menschen, die unsere Partei deshalb verlassen haben. Wer also immer noch behauptet, wir hätten unsere Geschichte nicht aufgearbeitet, der ist entweder ignorant oder böswillig. (...)

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett schreibt über den Kapitalismus: »Ein Regime, das Menschen keinen tieferen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrecht erhalten.« Wir, DIE LINKE, geben den Menschen einen tiefen Grund, sich umeinander zu kümmern. Dieses gute Gefühl der Solidarität werden wir in allen Wahlkämpfen vermitteln.

Wir werden Menschen für unsere Partei gewinnen, weil sie spüren, dass sie bei uns einen tiefen Sinn finden. Diesen Sinn kann der Kapitalismus ihnen nicht geben. Haken wir uns also unter – so, wie es Oskar gestern bei der Veranstaltung im »Kosmos« gefordert hat –, gehen wir gemeinsam selbstbewusst in den Wahlkampf und gewinnen wir viele Menschen, die sich mit uns gemeinsam auf den Weg machen wollen, diese Gesellschaft zu verändern und einen demokratischen Sozialismus aufzubauen!

Gregor Gysi:

Wir stehen vor sieben wichtigen Landtagswahlen, zum Teil gekoppelt mit Kommunalwahlen, und vor zwei gesonderten Kommunalwahlen im Jahr 2011. Und wenn wir irgendetwas taugen, dann müssen wir diese Wahlen erfolgreich gestalten, um ein Signal in die Gesellschaft zu setzen, dass sie sich zu verändern hat. Das ist unsere politische Aufgabe. Und ich will versuchen zu beweisen, dass wir unersetzbar sind für unsere Gesellschaft. Wenn wir das nicht wären, hätten wir gewisse Tendenzen, überflüssig zu werden. Das betrifft aber eigentlich andere. (...)

Zum Schluss unserer Programmdebatte stehen wir vor folgender spannenden Frage: Beschließen wir ein Programm für 55 Prozent der Mitglieder gegen 45 Prozent der Mitglieder, oder beschließen wir ein Programm für 90 Prozent der Mitglieder. Wenn wir Letzteres wollen, müssen wir Kompromisse suchen und finden. Ich bin jetzt schon sicher, dass wir uns verständigen. Lasst Euch nicht kirre machen, wir kriegen ein vernünftiges Programm zum Ende des Jahres!

Und jetzt haben wir noch eine Kommunismus-Debatte. Also, lasst mich ganz kurz, aber auch sehr eindeutig zumindest meine Haltung dazu beschreiben.

Erstens, die alte Bundesrepublik Deutschland war politisch und strukturell völlig anders strukturiert und organisiert als die anderen Länder, auch Westeuropas. Es gab und gibt zum Teil immer noch einen militanten Antikommunismus. Den kannten weder Italien noch Frankreich, aber der war ausgeprägt in der alten Bundesrepublik Deutschland. (...)

In den neuen Bundesländern ist der Begriff des Kommunismus gar nicht so diskreditiert wie in den alten. Weil viele Menschen in den alten Bundesländern, wenn sie den Begriff Kommunismus hören, eben nicht an die Vision von Marx denken, sondern sie denken an Stalin, sie denken an Mauer, sie denken an Tote. Das kann man ignorieren und sagen: interessiert mich nicht, ich verstehe ja etwas anderes darunter. Wenn man es ignoriert, selektiert man sich allerdings. Weil man ja aufgibt, diese Menschen zu erreichen. Das will ich auf gar keinen Fall. (...) ... dieser Begriff wird nicht unser Ziel im kommenden Programm sein. Da bin ich ganz sicher. Und dieser Begriff wird auch nicht unsere Alltagspolitik prägen. Auch da bin ich ganz sicher. Dafür brauchen wir den Begriff nicht. Aber eine theoretische, politische Auseinandersetzung wird es selbstverständlich geben, und dazu muss man auch den Begriff verwenden. Und wir haben schon 1989 und auch bei der jetzigen Parteibildung für DIE LINKE eins entschieden: Wir sind und bleiben eine pluralistische, linke Partei. Wir waren keine kommunistische Partei, wir sind keine kommunistische Partei und wir werden auch keine kommunistische Partei werden. Das ist entscheidend, und diese Botschaft können wir der Bevölkerung mitteilen! (...)

Und nun sage ich auch ganz klar: Man kann ja über Artikel streiten, man kann auch den einen Satz anders formulieren und so weiter, das weiß ich alles sehr gut. Mir sind auch schon Sätze missglückt. Es geht mir um etwas ganz anderes. Wenn jetzt so getan wird, als ob Gesine Lötzsch Einstellungen hätte, die sie niemals hatte, die sie heute nicht hat und die sie niemals haben wird, dann erfordert das unsere ganze Solidarität mit ihr. Und die wird sie von mir auch bekommen, damit das ganz klar ist. (...)

Wir müssen der Motor für gesellschaftliche Korrekturen, für einen Politikwechsel werden. Nicht Koalition Ja oder Nein ist die spannende Frage, sondern welchen Politikwechsel wir anstreben wollen, für den wir streiten. Das ist das Entscheidende. Aber ein Motor in der Entwicklung können wir nur mit eigenständigen Positionen werden, und ich sage Euch, wir haben viele Alleinstellungsmerkmale. (...)

Also: Parlamente stärken, Lobbyisten zurückdrängen, Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung ausbauen, Volksentscheide ermöglichen, das Recht auf politischen Streik durchsetzen, Demokratie in der Wirtschaft ausbauen und einführen. Das heißt Vergesellschaftung der Banken und des Energiesektors, Mitarbeiterbeteiligung und Miteigentum bei großen Unternehmen. Dafür streiten wir. Und wir sind es, die am konsequentesten die Interessen der Menschen in Ostdeutschland vertreten. Wir kämpfen – übrigens zum Teil auch gegen die Gewerkschaften – endlich für die Angleichung der Löhne, Gehälter und Renten in Ost und West. Gleiche Leistung, gleicher Lohn und gleiche Arbeitszeit, gleiche Lebensleistung, gleiche Rente! Und wer das nicht will, ist nicht für die Einheit Deutschlands, sondern für die Spaltung! (...)

All das ist nur unsere Politik. Wir sind diesbezüglich einmalig. Damit können und müssen wir versuchen die Menschen zu überzeugen. Das gelingt aber nur, wenn wir sieben erfolgreiche Landtagswahlen gemeinsam schaffen. Wenn wir immer mehr Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten dazu motivieren, leidenschaftlich zu kämpfen – ich sage Euch, ein Wahlkampf ohne Leidenschaft taugt gar nichts, Leidenschaft müssen wir erzeugen –, und wer das nicht will, wer für diese Ziele nicht steht und wer nicht will, dass wir bei Landtagswahlen erfolgreich sind, der will auch keine linke Politik. Der will auch nicht die notwendige Veränderung in der Gesellschaft. Da wir die genannten Ziele gemeinsam tragen, müssen wir jetzt gemeinsam und leidenschaftlich für top Wahlergebnisse für DIE LINKE in Hamburg, in Sachsen-Anhalt, in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, in Bremen und Bremerhaven, in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin kämpfen und streiten.

Im Theater heißt es, dass nur eine misslungene Generalprobe zu einer guten Premiere führt. Den ersten Teil haben wir hervorragend absolviert. Nun muss uns der zweite einfach top gelingen.

Klaus Ernst:

Aufgrund der aktuellen Debatte hat sich Herr Gabriel in den letzten zwei, drei Tagen geäußert, dass er keine Koalition mit uns eingehen will. Da kann ich nur sagen: Wenn die SPD nicht eine grundlegend andere Politik in der Frage guter Löhne, guter Beschäftigungsverhältnisse und regulierter Arbeitsmärkte betreibt, dann kommt sie für uns als Koalitionspartner nicht infrage.

Niemand soll sich Illusionen machen. Nur mit uns gibt es Mehrheiten für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns – flächendeckend. Nur mit uns gibt es Mehrheiten zur Regulierung der Leiharbeit. Nur mit uns gibt es die Rücknahme der Rente ab 67. (...)

Oskar Lafontaine hat vollkommen recht, wenn er sagt: Je stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land. Das gilt auch in der Zukunft.

Eine zentrale Forderung der LINKEN ist und bleibt, eine gerechte Verteilung in diesem Land herzustellen. Dazu brauchen wir den Mindestlohn. Dazu brauchen wir gleichen Lohn bei gleicher Arbeit in der Leiharbeit. Dazu brauchen wir eine Regelung, dass befristete Beschäftigung nicht einfach eingeführt werden kann, sondern dass diese tatsächlich an sachliche Gründe gebunden ist und dass man Jugendlichen eine Chance gibt.

Das zweite wichtige Thema für uns ist die Frage eines modernen Sozialstaats. Da geht es natürlich um die Finanzierung des Sozialstaats. Dafür wollen wir eine Millionärssteuer. Dafür wollen wir einen Spitzensteuersatz. (...) Es bleibt dabei, dass wir den Sozialstaat neu gestalten wollen. Dazu gehört, dass unsere Kernforderung »Weg mit Hartz IV« weiterhin gilt. Das gilt insbesondere angesichts des entwürdigenden Geschachers um fünf Euro mehr Hartz-IV-Regelsatz, während 500 Milliarden Euro mehr für die Banken für die Bundesregierung kein Problem sind. Das ist nicht akzeptabel. (...)

Das dritte große Thema ist natürlich die Frage der Demokratie. Es ist bereits angesprochen worden, auch von Gregor: unsere Forderungen nach Volksentscheiden auf Bundesebene und nach der Legalisierung des politischen Streiks. Aber ich möchte noch auf einen Punkt eingehen. Das betrifft die Vergesellschaftung der Banken. Warum ist das ein zentraler Punkt? Wir erleben, dass inzwischen die Banken über die Haushalte der Länder und über die Haushalte der Nationen bestimmen. Wir müssen die Banken wieder zu dem machen, was sie sein müssen: Dienstleister der Realwirtschaft. Weil es so nicht weiter geht, brauchen wir den Bankensektor unter gesellschaftlicher Kontrolle. (...)

Die letzte große Überschrift bei unseren Themen ist natürlich die Frage des Friedens. Es bleibt dabei, dass wir Kriegseinsätze ablehnen, dass für uns der Krieg kein Mittel der Politik ist. Ausschließlich humanitäre Einsätze sind unser Vorschlag, weil wir der Auffassung sind, dass Geld in humanitären Einsätzen bei Weitem mehr Menschen hilft als jeder Einsatz, der mit Krieg verbunden ist. Bei dieser Position muss es bleiben.

Mit all diesen Punkten waren wir in der Vergangenheit sehr erfolgreich. Natürlich müssen wir den einen oder anderen Punkt aufgrund von aktuellen Entwicklungen weiterentwickeln. Wir werden unsere Positionen und Forderungen ausbauen. Wir müssen sie auch in den Landtagswahlen einbringen, die jetzt anstehen.

Keine dieser Landtagswahlen ist unwichtig. Wir wollen im Osten unseren Charakter als Volkspartei ausbauen, und wir wollen in zwei weiteren Ländern im Westen in die Landtage einziehen. (...)

Wir sind im Wahlkampf. Das bedeutet, dass der Gegner außerhalb der Partei und nicht in den eigenen Reihen steht. Wenn wir das beachten, werden wir unsere Erfolgsserie auch fortsetzen können und stärker werden.

Nicht für uns selber, sondern für die Menschen in unserem Land müssen wir das machen!

Die Ersten, die die Berliner Kongresshalle am Alex beim Jahresauftakt der LINKEN verließen, waren jene Medienvertreter, die umsonst auf Sprengstoff hofften. Die Sitz- und Stehplätze reichten trotzdem nicht. Aber die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen mit Wind in den Segeln. Die Partei ist jung, pluralistisch und demokratisch, und sie wird von allen Fregatten der politischen Gegner auf ihrem Kurs bedrängt. Dieser Kurs zielt nicht auf eine ferne Insel der Seligen, sondern zu erreichbaren Ufern: Mehr Frieden, mehr Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Solidarität und Mut bei den Schwachen! Der Jahresauftakt in Berlin bewies, dass wir wieder Fahrt aufnehmen.