Disput

Röslern nach Riesterart

Projekt Zerschlagung der sozialen Pflegeversicherung

Von Regina Stosch

Kaum ist das GKV-Finanzierungsgesetz (GKV = Gesetzliche Krankenversicherung) verabschiedet, da holt Schwarz-Gelb aus zum nächsten Angriff auf den Sozialstaat: 2011 steht der Systemwechsel in der bisher umlagefinanzierten Pflegeversicherung bevor. Die FDP wäre für eine vollständige Kapitaldeckung der Pflege, CDU/CSU möchten zumindest teilweise am Umlageverfahren festhalten. Geeinigt hat man sich auf eine verpflichtende private Zusatzversicherung. Im Koalitionsvertrag heißt es, man brauche neben dem bestehenden Umlageverfahren eine ergänzende Kapitaldeckung, die »verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss«.

Der pflegepolitische Sprecher der Union, Willi Zylajew, plauderte auf einer Tagung im Oktober aus dem Nähkästchen. Die Pflegereform sei »von privaten Instituten hinter dem Ministerium entwickelt« worden. Das Vorhaben trägt also die Handschrift der Privaten Krankenversicherungen (PKV). Der Beitrag werde acht oder neun Euro im Monat betragen, jedes Jahr um einen Euro steigend. Mehr könne man der Bevölkerung derzeit nicht zumuten. Bis 2027 werde ein vernünftiger Kapitalstock aufgebaut, der selbstverständlich bei den privaten Versicherungen verwaltet wird. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Professor Raffelhüschen, den die »Nachdenkseiten« »Mietmaul und Versicherungslobbyist« nennen, rechnet anders: »Je nachdem, wie stark der Kostendruck im Pflegesektor ausgeprägt ist, müsste ein im Jahr 2007 Neugeborener monatlich zwischen 14,40 Euro und 26,00 Euro für die kapitalgedeckte Zusatzversicherung aufwenden, ein 30-Jähriger, der weniger Zeit für den Kapitalaufbau hat, zwischen 20,60 Euro und 34,40 Euro.«

Vorgegeben für die kapitalgedeckte Säule der Pflegeversicherung ist dreierlei: Sie soll verpflichtend sein (anders als die Riesterrente), der Kapitalstock soll später nicht für andere, sondern nur für die eigene Pflegeleistung zur Verfügung stehen, und die Politik darf keinerlei Zugriff haben. Daher soll das Kapital bei den privaten Versicherern verwaltet werden, nicht bei den gesetzlichen Kassen. Ein Riesengeschäft von jährlich über zehn Milliarden Euro für die Branche.

Gesetzlich oder privat?

Der GKV-Spitzenverband hat vorsorglich ein Gutachten beim Kölner Versicherungsrechtler Christian Rolfs in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kommt, der angestrebte Kapitalstock ist bei den gesetzlichen Kassen gut aufgehoben und geschützt vor dem Zugriff des Gesetzgebers. Sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften genießen den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums wie Lebensversicherungen, wenn das Kapital zur Deckung konkreter Risiken dient (zum Beispiel der stationären Pflege) und getrennt verwaltet wird. Bei der Privatversicherung drohen »erhebliche Effizienzdefizite« durch laufende Kosten und Provisionen. Die PKV argumentiert anders: Man habe jede Menge Erfahrung mit dem Verwalten von Altersrückstellungen (144 Milliarden Euro in der privaten Vollversicherung und 16,5 Milliarden Euro in der privaten Pflegeversicherung). Mit keinem Wort wird erwähnt, dass diese Rücklagen durch die Finanzkrise stark zusammengeschmolzen sind und die PKV dadurch existenziell bedroht ist. Nicht einmal der gesetzlich vorgeschriebene Rechnungszins von 3,5 Prozent konnte langfristig erwirtschaftet werden. Eine Geldspritze durch Röslers Pflegereform kommt gerade recht. Der PKV-Verband weiter: In einer sozialen Pflegeversicherung gebe es keine Sicherheit vor dem Zugriff der Politik. Hier wird argumentativ an die Politikverdrossenheit und das Misstrauen der Bevölkerung angeknüpft.

Der Boden für Entsolidarisierung, Individualisierung und Egoismus wird ideologisch in den Medien vorbereitet. »Wer jetzt in die Pflegeversicherung zahlt, spart das Geld nicht für sich selbst an, sondern zahlt für die Generation, die jetzt Leistungen in Anspruch nimmt. … Die jungen Menschen müssen heute anfangen, an morgen zu denken und finanziell vorzusorgen. Was man in die kapitalgedeckte Pflegeabsicherung einzahlt, soll einem auch eines Tages individuell zustehen.« So Rösler im Hamburger Abendblatt vom 15. November 2010. Das jahrhundertealte Prinzip der Solidarität in der Sozialversicherung wird durch individuelles Sparen ersetzt. Das nützt den Versicherungen, nicht den Pflegebedürftigen. DIE LINKE muss um die Deutungshoheit für eine solidarische Pflegeversicherung auch in den Köpfen streiten.

Jens Spahn, CDU, berichtete bei »Hart aber Fair« vom Rat, den seine Großmutter ihm gab: »Spare in der Zeit, dann hast du in der Not«. Wir wissen, wenn die Regierung vom Sparen spricht, dann meint sie Sozialabbau. Jetzt ist die Pflege dran.

Omis Rat funktioniert in der Volkswirtschaft nicht. Aller Sozialaufwand muss aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden. Jedes Wertpapier, jede Aktie, jedes Sparbuch benötigt Käufer der zukünftigen Generation. Genauso ist es mit Immobilien oder Versicherungen. Schon Oswald von Nell Breuning und Walter Schreiber, die Berater Adenauers bei der Rentenreform 1956, hielten am Umlageverfahren fest. Das Brötchen, das ich später esse, muss von einem dann lebenden Bäcker gebacken werden. Willi Zylajew sieht es wie weiland die christlichen Soziallehrer. »Wenn Blüm 1995 Kapitaldeckung eingeführt hätte, hätte es bis heute keinen Rückfluss gegeben.« Die Kapitaldeckung hat aufgrund der Risiken der Kapitalmärkte in der sozialen Absicherung nichts zu suchen.

Fazit:

Das Umlageverfahren ist sicher und hat sich bewährt. Zukünftig werden mehr Menschen Leistungen der Pflegeversicherung beziehen. Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wollen wir die Pflegeversicherung dauerhaft stabil finanzieren und für soziale Gerechtigkeit sorgen: Alle Menschen – auch heute privat Versicherte – zahlen entsprechend ihrem Einkommen aus Löhnen, Gewinnen und Kapitalerträgen in die Bürgerversicherung ein. Die Arbeitgeber übernehmen die Hälfte der Pflegeversicherungsbeiträge ihrer Beschäftigten. So kann eine Pflege ermöglicht werden, die sich am individuellen medizinischen und persönlichen Bedarf orientiert. DIE LINKE wird ihr Konzept vehement in die Debatte um die Pflegeversicherung einbringen.

Regina Stosch ist Mitglied im Sprecher/innerat der Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit und Soziales und im Landesvorstand Bayern.