Disput

Schön, schöner, geschönt

Der erste Prüfbericht zur Rente erst ab 67

Von Matthias W. Birkwald

»Und die Anhebung der Regelaltersgrenze darf nicht zu einer verdeckten Rentenkürzung führen.« – Dieser Satz ist so oder so ähnlich seit einigen Wochen immer häufiger zu hören. Er kommt nicht von der LINKEN. Denn wir sind der Überzeugung, dass die Rente erst ab 67 eine offene Rentenkürzung ist – sie wird nur nicht so genannt. Deswegen ist DIE LINKE ohne Wenn und Aber gegen die Rente erst ab 67. Von der SPD oder den Grünen stammt der Satz auch nicht, obwohl beide es genau so hätten sagen können. Sowohl SPD als auch Grüne wollen die Rente erst ab 67. Aber sie drehen noch ein wenig am Rad der Bedingungen, und das umso schneller, je stärker sie zu spüren bekommen, dass die Mehrheit der Bevölkerung, die Sozialverbände und die Gewerkschaften den Weg der längeren Lebensarbeitszeit für falsch halten.

Den Satz könnte auch CSU-Chef Horst Seehofer gesagt haben. Er hat in der Union allein damit für Aufregung gesorgt, dass er nicht mehr und nicht weniger als das gefordert hatte, was ohnehin im Gesetz steht: Es muss geprüft werden, ob der Arbeitsmarkt eine längere Lebensarbeitszeit auch tatsächlich hergibt. Bis heute verhält sich Schwarz-Gelb so, als sei die im Gesetz festgeschriebene Überprüfungsklausel eine Zumutung. Doch nicht die Überprüfungsklausel ist eine Zumutung, sondern die Rente erst ab 67.

Seit dem 17. November liegt der erste Prüfbericht mit dem Titel »Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt« vor. Er entspricht voll und ganz unseren Befürchtungen: Vermeintliche Erfolgsquoten werden bejubelt, harte Fakten der miserablen Arbeitsmarktlage Älterer werden verschwiegen.

Altersgruppe der 50- oder 55- bis 64-Jährigen – falscher Maßstab: Es geht nicht um die Rente ab 50, auch nicht um die Rente ab 55, sondern nur um die Rente ab 65 oder erst ab 67. Wer mit 60 keinen Job mehr hat oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, dem oder der wird die Rente gekürzt – egal, ob er oder sie mit 50 oder 55 noch in Lohn und Brot war oder nicht. Deswegen muss ausschließlich die Arbeitsmarktlage der rentennahen Altersgruppen bewertet werden. Es geht also um die 60-Jährigen und Älteren – insbesondere um die 64-Jährigen. Doch davon will die Bundesregierung nichts wissen. Das ist schäbig!

Erwerbstätigenquote – falscher Maßstab, trickreich dargestellt: Die Erwerbstätigenquote ist für die Frage, ob die Rente erst ab 67 vertretbar ist oder nicht, der falsche Maßstab. Sowohl Selbstständige, BeamtInnen, mithelfende Familienangehörige und selbst Menschen mit Minijob werden mitgezählt. Und jede Arbeitsstunde zählt, egal ob schlecht (Mini-Jobs) oder gar nicht (mithelfende Familienangehörige) bezahlt, ob Vollzeit oder mindestens eine Stunde in der Woche. 38 Prozent erwerbstätige 60- bis 64-Jährige im Jahr 2009 sind also kein Erfolg. Die Quote für in Vollzeit Erwerbstätige ist mit 27 Prozent bei den 60- bis 64-Jährigen und 14 Prozent für 64-Jährige schon deutlich geringer. Für Frauen sieht die Vollzeiterwerbstätigenquote mit 14 Prozent bei den 60- bis 64-Jährigen und nicht einmal sieben Prozent bei den 64-Jährigen noch schlechter aus.

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – richtiger Maßstab, trickreich dargestellt: Für die gesetzliche Rentenversicherung zählt nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, am besten in Vollzeit. Doch der Regierungsbericht enthält weder Quoten für Vollzeitbeschäftigung noch nach Geschlecht und auch nicht für 64-Jährige. Knapp ein Viertel der 60- bis 64-Jährigen ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das ist an sich schon keine Jubelquote. Sie schrumpft ins Mickrige, wenn die Vollzeit Beschäftigten in den Blick genommen werden. Darüber steht im Prüfbericht der Bundesregierung kein einziges Wort: Die Vollzeitbeschäftigungsquote beträgt nämlich bei den 60- bis 64-Jährigen nicht einmal ein Fünftel, genau 17 Prozent, und bei den 64-Jährigen nur sechs Prozent. Auch hier ist die Situation von Frauen besonders schlecht: Die Vollzeitquote der 60- bis 64-Jährigen beträgt gerade mal zehn Prozent, die der 64-Jährigen nicht einmal vier Prozent.

Rentenkürzungen durch Abschläge – Anteil benannt, Höhe verschwiegen: Abschläge sind nichts anderes als Rentenkürzungen. Die Rente erst ab 67 wird dafür sorgen, dass mehr Rentnerinnen und Rentner noch höhere Abschläge werden verkraften müssen. Bereits heute sind die Hälfte aller Neurentner/innen von Kürzungen betroffen. Auch hier berichtet die Bundesregierung nicht einmal die halbe Wahrheit. Die Abschlagsquote ist ein Durchschnittswert, hinter der die besonders heftige Rentenkürzung für bestimmte Berufsgruppen versteckt wird: Mehr als 70 Prozent der Dienstleistungskaufleute, Chemiearbeiter/innen, Bergleute und Elektriker/innen müssen Kürzungen hinnehmen, wenn sie in Rente gehen. Auch die Höhe der Abschläge verschweigt die Regierung: 2009 lagen sie bei durchschnittlich 117 Euro – jeden Monat, bis zum Lebensende!

Von der Schönfärberei zur Lüge: »Entweder man kürzt die Renten oder man erhöht den Beitragssatz drastisch«, drohte die Arbeitsministerin als Alternativen zur Rente erst ab 67 an. Hier wird die Schönfärberei zur Lüge. Denn eine drastische Rentenkürzung ist nicht die Alternative, sondern die unvermeidliche Folge der verordneten längeren Lebensarbeitszeit. Und die als drastisch bezeichneten höheren Beiträge schrumpfen bei genauer Betrachtung auf einen halben Beitragssatzpunkt bis zum Jahr 2030 zusammen. Bei einem heutigen durchschnittlichen Verdienst wären das knapp sieben Euro im Monat.

Der eingangs zitierte Satz stammt übrigens von der CDU. Sie hat ihn im Rahmen eines Antrags zum Thema Altersarmut auf ihrem 23. Parteitag, der vom 14. bis 16. November stattfand, beschlossen. Einen Tag später stellte Ministerin von der Leyen den ersten Prüfbericht der Presse vor. Sie lächelte – wie immer – über die Grausamkeiten hinweg. Was auch sonst? Verkündete sie doch Zahlen, die nach dem Muster schön, schöner, geschönt gestrickt worden sind.

Matthias W. Birkwald ist rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.