Sommersprossen
Feuilleton
Von Jens Jansen
»Jogis Jungs haben den Zuckerhut gesprengt!« Und das Fernsehen zeigte, wie die Jesus-Statue in Rio weinte. Der Gott der Neuzeit trägt als Kopf einen Fußball. Wir sind die Größten, Stärksten und Besten, seit dem Finalsieg sowieso. Und hätten die alten Römer nicht schon vor 2.000 Jahren ihr Kolosseum errichtet – jetzt spüren Cäsaren und Sklaven: »Brot und Spiele« sind die Drogen fürs Volk und die Stützen der Macht! Unter dem Dunst des nationalen Jubels kann man jede Untat verbergen. Da hat die regierende Heimatmannschaft in Deutschland auch neue Rekorde erzielt:
Stahlhelm-Uschi von der Leyen vergas ihre Mutterpflichten und alle Nachkriegsschwüre, indem sie neue Drohnen heranwinkt. Jeder Gefreiter weiß, dass dieses Waffensystem das Kriegsrisiko noch weiter senkt. Zur Begründung gehören daher der Weihrauch von Frieden und Freiheit und die Schreckensbilder drohender Angriffe. Aber wer unsere Soldaten schützen will, der schickt sie nicht auf die fremden Schlachtfelder! Auch wenn Bundesprediger Gauck solche Einmischung wünschenswert findet.
Frau Nahles feiert den gesetzlichen Mindestlohn, für den Gewerkschafter und Linke viele Jahre einsam gekämpft haben. Nun haben wir es als reichstes und beinahe letztes Land der EU gerade so geschafft. Und auch nur, weil die Unternehmer noch zwei Jahre Schonzeit haben und zwei Millionen Anwärter ausgeschlossen sind. »Ein Hoch auf uns«? Klingt etwas hochgestapelt.
Herr Seehofer erhält die Einführung einer PKW-Maut. Die Nachbarländer schütteln den Kopf, und Brüssel droht mit juristischen Handschellen. Die Kontrollkosten könnten höher sein als die Einnahmen. Unhaltbare Versprechungen sind Hochstapelei. Aber dem Seehofer ist das Hemd näher als der Rock, weil ihm die Hose flattert vor jeder Wahl.
Herrn Wowereit in Berlin schwillt der Kamm wegen der Tourismus-Rekorde. Berlin hat mehr Brücken als Venedig – aber die Hälfte ist kaputt. Berlin hat auch mehr Fluggäste denn je – aber der neue Flugplatz wird nicht fertig, weil der Brandschutz und der Lärmschutz vermasselt wurden. Den Brandschutz beaufsichtigte – laut Visitenkarte - ein »Dipl.-Ing.«, der aber laut Prüfungszeugnis nur technischer Zeichner war. Ein Hochstapler also. Woher nahm er den Mut? Vielleicht von jenen Regierungsgrößen, auf deren Visitenkarten der Doktortitel prangte, bis sie als Abschreiber entlarvt wurden. Sie glänzten mit fremden Federn, wie bei Hochstaplern üblich.
Einer, der mit Fakten bewies, dass die Bayerische Hypo-Vereinsbank krumme Geschäfte macht, wurde für sieben Jahre in die Irrenanstalt gesteckt. Nun läuft die Revision, weil seine Anschuldigungen richtig waren. Wer Banker beleidigt, muss verrückt sein? Bei solcher Prämisse kann auch ein Ackermann Nationalheld werden, selbst wenn die Deutsche Bank an den Prozesskosten wegen Betrugs in die Knie geht. Siemens und der ADAC haben es ja auch überlebt.
Was ist das bloß für ein Land, wo der Schein wichtiger ist als das Sein? Aber Italiens Ex-Regierungschef stand ebenfalls vor Gericht. Zehn britische Parlamentarier stehen mit Unterhosen im Skandal. Und der Ex-Präsident von Frankreich steht wegen Schwarzgeld-Kassen im Verhör. Wie einst Kohl und Lambsdorff und heute Hoeneß und Kaiser Franz. Welche Statuen müssten bei uns weinen? Die Zahl der gestürzten Eliten beweist den hohen Anteil der moralischen Nieten in den Chefsesseln. Das sind alles Visitenkarten eines kranken Systems, wo das Geld mit dem Gewissen Fußball spielt.