3. Tagung der 16. Bundeskonferenz

Bericht des Bundessprecherrates

Berichterstatter: Thomas Hecker

Liebe Genossinnen und Genossen, Anfang April titelte die FAZ: »Jetzt gibt es Daten über Steuerflüchtlinge in aller Welt«. Und weiter: »Es ist nicht verboten, Geld in Steueroasen anzulegen. Die Tricks der Unternehmen sind zwar moralisch fragwürdig, aber erlaubt. Für Unternehmen wie Privatleute gilt aber: Die Erträge müssen dem deutschen Fiskus gemeldet werden.« Müssen gemeldet werden - werden aber nicht.

»Schätzungen der Steuergewerkschaft zufolge«, so die FAZ, »haben Deutsche etwa 400 Milliarden Euro im Ausland vor dem Fiskus versteckt. Das Entdeckungsrisiko hängt davon ab, ob die Namen der Steuerflüchtigen den Finanz- und Ermittlungsbehörden übergeben werden. Das ist bislang nicht passiert.« So funktioniert »moderner« Kapitalismus: Fragwürdige Tricks - so die verharmlosende Umschreibung der Milliardenbetrügereien - werden öffentlich gemacht und unter der Flagge des Quellenschutzes können die Betrüger weitermachen, als sei beinahe nichts geschehen. Währenddessen wird der Öffentlichkeit suggeriert, allein die Veröffentlichung dessen, was ohnehin alle wissen, sei Demokratie pur. Zieht man in Betracht, dass der Enthüllungsjournalismus ein lukratives Geschäft ist, so kann man wohl getrost sagen: Außer Spesen nichts gewesen. Anders als den steuerflüchtigen Milliardären geht es da den Hartz-IV-Empfängern. Ebenfalls Anfang April vermeldete BILD auf Seite 1: »GEHEIMPLAN: Jagd auf kranke Hartz-IV-Empfänger. Jobcenter sollen sogar Arzt-Atteste überprüfen.« Ganz gezielt, so BILD, solle nach Blaumachern unter den Hartz-IV-Empfängern gesucht werden, die sich krankgemeldet haben. Bei Krankmeldungen sollten die Mitarbeiter auf »begründbare Zweifel an der angezeigten Arbeitsunfähigkeit« achten. Überführten Blaumachern solle die Stütze gekürzt werden. Überführen sollen die Medizinischen Dienste der Krankenkassen. Gegen Honorar, versteht sich. Die MDK-Ärzte, so BILD abschließend, bekämen pro Einsatz vom Jobcenter zwischen 130 Euro (bei Entscheidung nach Aktenlage) und 260 Euro (bei Hausbesuch). Das seien, so heißt es fettgedruckt, zwei Drittel des Hartz-IV-Satzes von 382 Euro.

Ein unerhörter Vorgang. Den Ärmsten wird unterstellt, sie würden blaumachen, und die Sanktionen folgen auf dem Fuß - und die Reichsten kommen unterm Regen weg, weil ihre Tricks fragwürdig, aber erlaubt sind. Für diese verkommene Entwicklung gibt es in diesem Land eine Metapher: Die Agenda 2010. Die SPD hielt es für legitim, sich anlässlich des zehnten Jahrestages dieser Agenda zu feiern. Nicht alles sei gelungen, so die Feiernden, aber die gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wäre ohne diese Weichenstellung der rot-grünen Schröder-Fischer-Regierung nicht denkbar gewesen. »Es wäre … naiv«, so Marianna Schauzu von der Sozialistischen Linken zum Augsburger SPD-Wahlparteitag in der jungen Welt(1), »die jetzigen Wahlaussagen der SPD für bare Münze zu nehmen oder sie gar als Anleitung für künftiges sozialdemokratisches Regierungshandeln zu verstehen.« Wir sollten SPD und Grünen im Wahlkampf nicht schenken, dass ihre nunmehr an den Tag gelegte soziale Empathie vorwiegend geheuchelt ist. Und da ist noch kein Wort verloren über den Umgang von Regierung und SPD-Grüner-Opposition mit den sozial dahin vegetierenden Staaten im Süden der EU. 27,2 Prozent Arbeitslose hat allein Griechenland, in dem 59,3 Prozent der Jugendlichen ohne Job sind. Schon warnt die UNO vor möglichen sozialen Unruhen. Und auch die Stimmen, die faschistische Lösungen nicht mehr ausschließen, nehmen zu. Das Potential ist vorhanden. 27 Arbeiter aus Bangladesch, die auf einer griechischen Erdbeerplantage die Auszahlung der ihnen zustehenden Tagelöhne forderten, wurden von Aufsehern durch Schüsse teils schwer verletzt. Faschistische Ideologie, verbreitet vor allem von der Partei Chrysí Avgí (Goldene Morgendämmerung), Sklavenarbeit in einem von Armut geplagten Land und brutale Gewalt, das ist fruchtbarer Boden für eine mögliche rechte Diktatur.

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg

Vor etwa achtzig Jahren wurde nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 durch Terror und Manipulation die absolute Mehrheit der NSDAP hergestellt. Bereits am 3. März 1933 war Ernst Thälmann verhaftet worden. Am 21. und 22. März wurden bei Oranienburg und Dachau die ersten Konzentrationslager errichtet. Ab dem 1. April begann der reichsweite Boykott von jüdischen Geschäften, Rechtsanwälten und Ärzten. Am 2. Mai 1933 - nach der demagogischen Aktion, den 1. Mai zum langjährig geforderten gesetzlichen Feiertag zu erklären - wurden die Gewerkschaften zerschlagen. Am 10. Mai brannten auf dem Berliner Opernplatz (heute: Bebelplatz) und andernorts die Bücher. Am 22. Juni wurde die SPD verboten. Nur ein halbes Jahr später, im Dezember 1933, fiel die Entscheidung zur Erhöhung der Truppenstärke des im Versailler Vertrag auf 100.000 Mann begrenzten Heeres auf 300.000 Mann. Antikommunismus, Terror, Rassenhass, besonders der Antisemitismus, die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, Kulturbarbarei und Kriegsvorbereitung, dies charakterisierte die faschistische Herrschaft von Anbeginn - so wie in »Mein Kampf« konzipiert. Und prophetisch auch hier die Worte Heinrich Heines aus dem Jahr 1821: »Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.« Wir kennen das Ende. Weit mehr als 40 Millionen Kriegstote allein in Europa. Millionenfacher Völkermord an Juden, Slawen, Sinti und Roma. Ein weitgehend zerstörtes Europa.

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg - so lautete nicht nur der Schwur der Buchenwaldhäftlinge. So dachten 1945 wohl weltweit die meisten Menschen. Doch der Schoß blieb fruchtbar, aus dem das kroch. Und das kriecht nicht nur in Gestalt der NPD und des NSU. Und es kriecht bei weitem nicht nur in Deutschland. Erschreckend macht sich Faschistisches in Ungarn oder im Baltikum breit. Wir wissen um faschistische Tendenzen in Staaten wie Griechenland, Spanien, Italien, Belgien und andernorts. Faschistoides ist - auch hierzulande - keine bloße Randerscheinung mehr. Ein Beispiel von vielen soll das belegen. Im kleinen Ort Mössingen riefen DGB, GEW, ver.di, IG Metall und die VVN-BdA für den 2. Februar 2013 zu einer Demonstration auf. In Mössingen hatte, gemäß dem Aufruf der KPD, am 2. Februar 1933 ein Generalstreik gegen die Machtübergabe an die Faschisten stattgefunden. Der CDU-Stadtverband teilte mit, warum er sich nicht an der Gedenkdemonstration beteiligen wird. Die Begründung: »Sie behaupten, dass ein Scheitern der Machtergreifung Hitlers am 30.1.1933 definitiv das ›Dritte Reich‹ und den Weltkrieg verhindert hätte. Das ist plakativ, aber historisch unhaltbar, denn Sie bleiben die Antwort schuldig, wieso es keinen eventuell folgenden weiteren Versuch einer Machtergreifung der Nazis hätte geben können, oder ob nicht eine ganz andere (vielleicht linke?) Diktatur mit ähnlich furchtbaren Folgen entstanden wäre. Wer so vereinfacht«, so die CDU-Begründung weiter, »der muss natürlich die Mössinger Streikaktion glorifizieren. Wer sich dagegen die Mühe macht, etwas in die Tiefe zu gehen, kann leicht erkennen: das eigentliche Ziel der Streikenden war nicht die Verteidigung der Weimarer Verfassung. Im Gegenteil sollte diese zugunsten einer Räterepublik gestürzt werden.« Und die CDU-Erklärung schließt mit den Worten: »Und auch viele der Menschen, die die Verwirklichung der Ziele der Mössinger Streikführer in den Jahren nach 1945 (in der DDR nämlich) erlebt haben, sind entsetzt von der Einseitigkeit Ihrer Sichtweise … «(2)

Es ist blanker Antikommunismus, der aus diesen Zeilen spricht. Da wird jenen, die den frühesten, konsequentesten, opferreichsten antifaschistischen Widerstand in Deutschland geleistet haben, zumindest der moralische Wert ihres Handelns abgesprochen. Wer Kommunistinnen und Kommunisten, ob deutschen, sowjetischen oder denen anderer Länder auf der Basis der Totalitarismus-Doktrin aberkennen will, dass sie sich den Faschisten mit Todesmut in den Weg stellten und dies z.B. nur einem Stauffenberg, der den Hitlerkrieg lange genug aktiv mit geführt hatte oder einem, zunächst Hitler befürwortenden Pastor Niemöller zubilligt, der verfälscht nicht nur die Geschichte, sondern der rechtfertigt letztlich den mörderischen Antikommunismus der Faschisten, insonderheit den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Die historische Wahrheit hat kürzlich der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler J. Bradford DeLong in die Feststellung gekleidet: »Was wir Stalingrad schuldig sind«. Und er fragt unter dieser Überschrift weiter: »wie viele NATO-Führer oder Präsidenten und Premierminister der Europäischen Union haben sich jemals die Zeit genommen, das Schlachtfeld zu besuchen und vielleicht für diejenigen einen Kranz niederzulegen, deren Opfer ihre Zivilisation gerettet haben?« Ja - genau darum geht es. Die Sowjetunion hat nicht »nur« das eigene Land und die in ihm herrschende Gesellschaftsordnung gerettet, sondern maßgeblich dazu beigetragen, ebenso die bürgerliche Zivilisation zu bewahren. Der 8. Mai 1945 gab dem Humanismus eine Chance, wo immer der eine unvollkommene Heimstatt hatte. Wer dies vergessen machen will oder gar in Frage stellt, rechtfertigt, auch wenn es unbewusst geschieht - dies sei wiederholt - die antikommunistische Mission des Faschismus im Interesse des Kapitals. Kommunistinnen und Kommunisten müssen in ihrem heutigen Wirken immer wieder darauf aufmerksam machen.

Antikommunismus verharmlost Faschismus

Und weil wir gerade beim allgegenwärtigen Antikommunismus sind, noch eine Anmerkung hierzu: Obwohl er es eigentlich besser wissen müsste, plädierte der renommierte Historiker Wolfgang Benz auf der 6. Suhler Geschichtsmesse im März dieses Jahres »eindringlich dafür, beide Diktaturen nicht weiter für sich zu betrachten, sondern vielmehr Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Nur so ließe sich zum Beispiel erklären, warum der einen totalitären Ordnung die andere folgte. «(3) Wäre nicht eher eindringlich dafür zu plädieren, Hitlerdeutschland und dessen Rechtsnachfolger, die BRD nicht weiter für sich zu betrachten, sondern vielmehr Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten? Nur so ließe sich z.B. erklären, warum der einen kapitalistischen Ordnung die andere folgte. Da müsste über Wirtschaftsstrukturen ebenso geredet werden wie über Kontinuitäten - im Staatsapparat, nicht zuletzt in den Geheimdiensten, der Polizei und der Bundeswehr, aber ebenso an Schulen und in Rathäusern. Und verschwiegen werden dürfte auch nicht, dass die verbindende Ideologie zwischen dem sogenannten Dritten Reich und seinem Rechtsnachfolger der Antikommunismus war und geblieben ist. Um jedes Missverständnis zu vermeiden: Wir vertreten nicht die Position, man müsse die Spielarten von Kapitalherrschaft solange miteinander vergleichen, bis dieses Vergleichen in die Nähe der Gleichsetzung von Faschismus und bürgerlicher Demokratie geriete. Wir wissen durchaus um den Wert der bürgerlichen Demokratie, so beschädigt sie mittlerweile auch ist. Vielmehr ist es doch so: Die politischen Gegner jeglichen sozialistischen Gedankens und mehr noch, jeglicher sozialistischer Praxis werden nicht müde, fortwährend zu wiederholen, Nazis und Rote seien wesensverwandt, und somit sei auf eine totalitäre Ordnung die andere gefolgt. Als hätten sowjetische Truppen ohne den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion jemals deutschen Boden betreten. Der Trick der Antisozialisten ist demagogisch und sehr wirksam: Der Faschismus und die grauenhaften von ihm begangenen Verbrechen hätten mit der bürgerlichen Gesellschaft nichts zu tun. Er sei totalitär, weil er totalitär ist. Die Sowjetunion und die DDR, denen Totalitarismus für die gesamte Zeit ihrer Existenz unterstellt wird, seien totalitär gewesen, weil sie sozialistisch waren. Somit ist der Kapitalismus die moralisch überlegene Ordnung. Seine unerhörte, etwa vierhundert Jahre währende Blutspur durch die Geschichte wird verständnisvoll erklärt, verschwiegen oder gar geleugnet. Im Sozialismus geschehene Verbrechen werden als symptomatisch für das gesamte System genommen. Bei vielen Menschen fällt diese Demagogie auf fruchtbaren Boden, weil sie kaum mit anderen Darstellungen konfrontiert werden.

Gegen diesen, den Faschismus letztlich verharmlosenden Antikommunismus aufzutreten, ist der Teil antifaschistischen Handelns, den uns Kommunistinnen und Kommunisten niemand abnehmen wird. Zugleich sind wir verpflichtet, um breiteteste antifaschistische Bündnisse zu ringen, auch und nicht zuletzt mit jenen, die unseren soeben aufgeführten Standpunkt nicht teilen. So werden wir am 1. Mai mit vielen anderen gegen die Naziprovokationen auf die Straße gehen, uns vielerorts an verschiedensten antifaschistischen Aktionen beteiligen, wie an der Lesung am 10. Mai auf dem Bebelplatz, und selbstverständlich sind wir am 8. September dabei, wenn der Tag der Erinnerung und Mahnung begangen wird. Im Rahmen dieser antifaschistischen Aktivitäten gilt es nicht zuletzt, das Wesen des zunehmenden Kuhhandels um das NPD-Verbot zu entlarven, so die jüngste Ablehnung durch den Bundestag, beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD zu beantragen.

Und noch ein Nachtrag: Viktor Orbán, heute Ministerpräsident im in vielerlei Hinsicht faschistoiden Ungarn, in dem zunächst beabsichtigt worden war, einem ausgewiesenen Antisemiten und Romahasser einen nationalen Verdienstorden zu verleihen, dieser Orbán ist ein Antikommunist, der sich seine diesbezüglichen Sporen schon in der Volksrepublik Ungarn verdiente. Der ehemalige polnische Staatspräsident, Kommunistenhasser und einstige Chef der Solidarność Lech Wałęsa in der VR Polen, äußerte kürzlich, homosexuelle Abgeordnete sollten im Parlament in der letzten Reihe sitzen - »und sogar hinter einer Mauer «.(4) Und Václav Havel, dessen Familie einst mit den deutschen Faschisten kollaboriert hatte, erklärte auf der Prager Burg, als die »sanfte Revolution« in vollem Gange war: »Die Kommunisten mussten sich als einen Helden des antifaschistischen Widerstandes den Fučík aushecken«. Wie erklärt sich wohl, dass solche Leute - auch Gauck gehört zu ihnen -, die doch ständig das Wort Freiheit im Munde führen, mit der Freiheit der Andersdenkenden und Andersseienden so ungeheuer zynisch umgehen?

Eine harte Bewährungsprobe

Seit Mitte November 2012 hatten wir es mit der größten Bewährungsprobe in der Vorbereitung der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung seit zwölf Jahren zu tun. Im Jahr 2000 war die LL-Ehrung durch die Drohung eines gewissen Staps, einen Terroranschlag ausüben zu wollen, infrage gestellt worden. Pseudoradikale Kritik an der damaligen Entscheidung des Bündnisses, die Demonstration im Rahmen der Ehrung abzusagen, so, wie das Stille Gedenken durch den Berliner PDS-Landesvorstand abgesagt worden war, zeugte davon, dass die Kritiker nicht begriffen hatten, dass ein Alleingang des Demobündnisses für die Zukunft eine vollständige Isolation der Demonstration von der Ehrung bedeutet hätte. Ihre Phantasie reichte nicht aus, sich die absehbaren Konsequenzen vor Augen zu führen. Nachdem die Demonstration, die seit 1996 in ihrer jetzigen Form existiert, in den ersten Jahren aus der PDS heraus, genauer gesagt von einigen ihrer maßgeblichen Protagonisten, denunziert worden war, hatte sich das Bündnis Anerkennung bei vielen Genossinnen und Genossen an der PDS-Parteibasis erarbeitet, sodass die vom Bündnis in inneren Auseinandersetzungen erkämpfte Linie, man betrachte das Stille Gedenken, die Demonstration nach Friedrichsfelde sowie die Kranzniederlegung am Landwehrkanal als Bestandteile der Ehrung, vom Bundesvorstand der PDS übernommen wurde. Dieser mühsam erarbeitete Konsens zwischen dem Veranstalter des Stillen Gedenkens und dem Demo-Bündnis wäre zerstört gewesen, hätten wir in der angespannten Situation der Terrorwarnung - wie auch immer man letztere einschätzte - unser eigenes Ding gemacht. Nach 2001 hörten die Denunziationen der Demonstration im Wesentlichen auf, und während der rot-roten Koalition in Berlin, aber auch 2012, verliefen die jeweiligen Demonstrationszüge von der Polizei weitgehend unbehelligt und daher friedlich. Eine angespanntere Situation im Rahmen der Ehrung entwickelte sich erneut ab 2006, als auf dem Gelände des Friedhofs der Sozialisten der Stein des Anstoßes aufgestellt wurde. Klare Positionierungen des Bündnisses und der KPF - unter den KPF-Unterzeichnern unser verehrter Genosse Kurt Goldstein und seine Frau Margot, diese war mit ihrer Mutter und ihrem Bruder zusammen 1939 aus der Sowjetunion an die Nazis ausgeliefert worden - konnten nicht verhindern, dass einzelne politisch Bornierte oder auch Provokateure den Stein besudelten und somit Steilvorlagen für diejenigen lieferten, die die Demonstration als einen Zug der ewig Gestrigen bezeichneten. Hinzu kamen - und das seit den neunziger Jahren - im Zug einige wenige Stalinbilder, vorrangig von türkischen bzw. kurdischen Gruppierungen getragen, die das Bündnis eben so wenig fragten, ob das gewollt ist, wie der DGB von ihnen gefragt wird, ob er diese Bildnisse auf den jährlichen Gewerkschaftsdemos am 1. Mai wünscht. Im Vorfeld der LL-Demo 2013 bekamen diese, die Ehrung und die Demonstration belastenden, atypischen Einzelaktionen plötzlich einen hohen medialen Stellenwert.

Uns allen ist der Ablauf noch gegenwärtig: Am 20. November 2012 rief ein Bündnis Rosa & Karl zu einer Demonstration auf, zu der all diejenigen eingeladen wurden, »die die fortschrittlichen und emanzipatorischen Ideen Rosas und Karls teilen«. Schon diese Formulierung war hochgradig ambivalent und implizierte die Frage: Hält das aus Teilen der Falken, Jusos und ['solid], sowie der Naturfreundejugend bestehende Bündnis Rosa & Karl deren Ideen generell für fortschrittlich? Oder bezieht sich die Formulierung auf jene Ideen der beiden kommunistischen Revolutionäre, die das Bündnis für fortschrittlich hält? Dann allerdings hätte das Bündnis auch sagen müssen, welche Ideen der beiden es für - drücken wir es zurückhaltend aus - nicht fortschrittlich hält. Unter dieser Voraussetzung hätte getan werden können, was eigentlich notwendig gewesen wäre und notwendig bleibt: Es könnte eine sachliche Debatte über das Vermächtnis von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geführt werden, welches sich nun wirklich nicht auf zwei oder drei Zitate reduzieren lässt. Hielte das Gegenbündnis allerdings die Ideen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht generell für fortschrittlich und emanzipatorisch, so fänden sie wohl kaum einen Grund, unsere Demonstration zu boykottieren. Doch das Gegenbündnis hatte offenbar nicht einmal im Traum über das Vermächtnis der beiden in seiner Komplexität nachgedacht. Dafür durften wir in dessen Aufruf folgendes lesen: »In der Vergangenheit sind viele Versuche, sozialistische Ideologien umzusetzen gescheitert. Nicht nur durch blutige Niederlagen wie die des Spartakusaufstandes, sondern auch dadurch, dass ihr fortschrittlicher Gehalt in brutalen Diktaturen und repressiven Systemen ein Ende gefunden hat. Die Namen Stalin, Mao, Ho-Chi-Minh und Honecker stehen stellvertretend für dieses Scheitern. Das traditionelle Gedenken an Rosa und Karl in Form der LL(L)-Demonstration stellt heute leider einen traurigen Ausdruck dieser Form des Scheiterns dar. Unwidersprochen werden Jahr für Jahr Stalin-Banner geführt, Weisheiten des großen Vorsitzenden Mao Zedongs zitiert und DDR-Fahnen geschwenkt. Kritik wird nicht entgegengenommen, sondern mit körperlicher Gewalt beantwortet. Wir bestreiten, dass solche menschenverachtende Ideologien etwas mit den Ideen von Rosa und Karl zu tun haben und haben die Hoffnung verloren, dass diese Aufstellung des Gedenkens noch von innen reformiert werden kann. Wenn wir an die Ideen von Rosa und Karl anknüpfen und für ein freies und selbstbestimmtes Leben auf die Straße gehen, so tun wir das als Bündnis emanzipatorischer Jugendverbände und Gruppen. Wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, sondern schreiten fragend voran. Wir wehren uns gegen jeden Dogmatismus und die Verherrlichung von Verbrechen, begangen von sogenannten Linken und im Namen ›der guten wahren Sache‹. Wir wehren uns gegen eine ›Freund-Feind‹-Logik, denn die Welt in der wir leben ist nicht schwarz-weiß, sondern bunt.«

In einem Interview in der jungen Welt vom 11. Dezember 2012 hatten Ellen Brombacher und Klaus Meinel - bezugnehmend auf die nicht schwarz-weiße sondern bunte Welt - erwidert: »Rosa Luxemburg hätte mit dieser Beschreibung der Welt möglicherweise ein Problem gehabt. Wie sagte sie doch 1915: ›Geschändet, entehrt, im Blute watend, vor Schmutz triefend - so steht die bürgerliche Gesellschaft da. So ist sie.‹ Dieser Satz, so formulierten Ellen und Klaus, war kein Ausrutscher der Luxemburg. Er reflektierte ihre Grundhaltung zum Kapitalismus. Und unsere!«

Ansonsten wiederholen wir heute noch einmal, was seit Jahren bekannt ist und was jeder, der es wissen will, nachlesen konnte und kann: Das Bündnis und die ihm angehörende KPF will keine Stalinbilder im Rahmen der Demonstration und keinen Vandalismus am Stein des Anstoßes. Wenn - wie am 13. Januar 2013 - in einer Demonstration von 10.000 Teilnehmern zweimal Stalins Bildnis zu sehen ist, so kann das natürlich auch weiterhin zum Vorwand genommen werden, die Demonstration zu spalten. Sehr überzeugend wäre dieser Vorwand allerdings nicht. Im Interview mit dem ND am 10. Januar 2013 wurde Ellen zu einer Stellungnahme aufgefordert, ob im nächsten Bündnisaufruf nicht formuliert werden sollte, wogegen wir im Rahmen der Demo stehen. Sie hat auf diese Frage natürlich nicht geantwortet. War sie doch zunächst im Bündnis zu diskutieren. Das traf sich am 21. Januar zur Auswertung der diesjährigen Demonstration und wir greifen auf unserer Konferenz der Debatte über den Aufruf für die Demonstration 2014 nicht vor, wenn wir heute sagen: In dem Aufruf wird es wohl kaum eine faktische Ausgrenzung von Linken aus der Demo geben. Denn auf nichts anderes lief die Frage hinaus. Sieht man einmal davon ab, dass wir wegen der nicht gewünschten, sagen wir zwei bis fünf Stalinbilder - mehr als fünf waren es nie - weder unsere Ordner in eine Prügelei schicken, geschweige denn die Polizei zur Hilfe rufen werden, so kommt doch noch ein anderes Problem hinzu. Als nächstes würde man von uns verlangen, auf Bilder von Ho Chi Minh zu verzichten; die übrigens leider noch nie auf unserer Demo zu sehen waren. Ist Chávez in Zukunft erlaubt? Was müssten wir zu Wilhelm Pieck erklären? Und sind unsere Kritiker wirklich davon überzeugt, dass die Luxemburg oder Liebknecht ein Problem mit ein paar sowjetischen und DDR-Fahnen gehabt hätten? Immerhin hat die Sowjetunion die Menschheit maßgeblich vor dem Sieg der Hitlerbarbarei bewahrt und die DDR das antifaschistische Erbe, als in der Bundesrepublik die alten Nazis wieder in alle gesellschaftlichen Strukturen integriert wurden. Auch hat die DDR sich an keinen Kriegen beteiligt. Wir behaupten: Die Luxemburg hätte vieles an der DDR zu kritisieren gehabt, aber niemals hätte sie dem Bestreben, in einem Teil Deutschlands ohne Kapitalisten zurecht zu kommen, ihre Solidarität verweigert, ebenso wenig, wie sie den Bolschewiki und Lenin die Solidarität verweigerte, trotz ihrer kritischen Bemerkungen zur russischen Revolution. Ihre kritischen Bemerkungen kennen die Protagonisten des Gegenbündnisses, von ihrer Hochachtung vor den russischen Revolutionären scheinen sie nichts zu wissen. Und wenn ja, so wäre das umso schlimmer. Wir haben sehr bewusst in unserem Februarheft das Kapitel IV aus Luxemburgs unvollendetem Manuskript »Zur russischen Revolution« dokumentiert und in der Aprilausgabe der Mitteilungen ihre Schrift »Was will der Spartakusbund?«

Spaltungsversuch blieb erfolglos

2013 ist der Versuch, die Demonstration zu spalten, faktisch misslungen. Erinnern wir uns noch einmal: Am 6. Dezember 2012 hatte das ND unter der Überschrift »Keine Lust auf Stalin und Mao« ein Interview veröffentlicht, in dem es unter anderem hieß: »Natürlich werden wir durch unsere Alternativ-Demonstration die Größe der traditionellen Demonstration verändern. Wir haben lange diskutiert, ob wir das machen können. Wir sind aber zu dem Schluss gekommen, dass wir die Einigkeit der Linken nicht damit bezahlen wollen, dass wir unsere Ideale einer emanzipatorischen Politik aufgeben.« Wir wollen diese Aussage nicht kommentieren. Häme ist unsere Sache nicht. Wichtig ist, worin die Ursachen dafür liegen, dass das Spaltungskonzept in diesem Jahr nicht funktionierte.

1. Wir müssen davon ausgehen, dass wir provoziert werden sollten. Schon seit geraumer Zeit - das wissen wir inzwischen - wurde die Gegendemo vorbereitet. Warum wurde Mobilisierungszeit verschenkt? Wohl, um zu überraschen. Warum wollte man überraschen? Um unbedachte Reaktionen hervorzurufen. Unser Bündnis sollte die Klischees bedienen, die zuvor von ihren Gegnern und Kritikern erzeugt worden waren. Bleiben wir bei den Stalinbildern: Es wurde am Tag nach der Demo im ND als große Überraschung dargestellt, dass es nur zwei solcher Bilder gab. In den Jahren zuvor waren es kaum mehr. Der Rest war Stimmungsmache. Oder: Wie hätte es gewirkt, hätten wir die anderen als Spalter beschimpft oder gar den Unsinn aufgegriffen, sie seien die Enkel Noskes? Was wäre geschehen, wenn man uns eine Stalindebatte aufgedrängt hätte oder es im Bündnis zu einem Streit über unser Verhältnis zu Stalinbildern auf der Demo gekommen wäre; wenn die einen im Bündnis dies und die anderen das erklärt hätten, wenn wir auf Beleidigungen, die es zweifellos gegeben hat, mit Beleidigungen reagiert hätten? Jeder kann sich die Antwort auf diese Fragen leicht selbst geben.

2. Wir haben im Bündnis in unbedingter Offenheit alle Fragen, auch und gerade Differenzen, diskutiert. Über eines waren wir uns schnellstens im Klaren: Es geht um den souveränen Erhalt der Demonstration. Letztlich sind nicht Geplänkel im Vorfeld der Demonstration von Belang, sondern von Belang ist die normative Kraft des Faktischen: Eine gut besuchte und organisierte, bunte und kämpferische Demonstration. Was uns daran hindern könnte, das zustande zu bringen, darüber herrschte Einigkeit, darauf verzichten wir, und was uns dabei hilft, werden wir tun, soweit unsere Kräfte und Fähigkeiten dazu reichen. Wir kämpften sehr bewusst um eine sachliche Atmosphäre während der Demovorbereitung, wir sagten ehrlich - und dies nicht zum ersten Mal -, dass wir keine Stalinbilder wollen, aber sie nicht verhindern können, wenn uns von bestimmten Gruppen die Solidarität versagt wird. Wir erarbeiteten in allen wesentlichen Fragen ein gemeinsames Herangehen und konnten so mit einer Stimme sprechen. Diese Einheit war entscheidend. Ohne die Solidarität der jungen Welt allerdings wäre unser Herangehen kaum öffentlich geworden. Dafür ein herzliches Dankeschön. Übrigens: Wir haben denjenigen, die Transparente mit Stalins Konterfei trugen, vor Ort eine gemeinsame Einladung der Bündnisvertreter von DKP und KPF in die Hand gedrückt und sie freundlich um ein Gespräch gebeten. Keiner erschien zum vorgeschlagenen Termin. Jeder möge sich hierzu selbst eine Meinung bilden.

3. Wir widmeten der Kleinarbeit größere Aufmerksamkeit, als in den vergangenen Jahren. Wir waren uns dessen bewusst, dass es am Tag der Demonstration entscheidend sein würde, dass unsere Ordner einsatzbereit sind, die Kommunikation funktioniert und die Reaktionsfähigkeit im Falle von Provokationen gegeben ist.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, trotz des am 13. Januar zweifellos erzielten Erfolges gibt es keinerlei Grund für irgendeine Selbstzufriedenheit. Das Ziel, die Demonstration auf irgendeine Weise in die Bedeutungslosigkeit zu versenken, mit dem wir es immer - mal mehr und mal weniger - zu tun hatten, wird nicht verschwinden. Die LL-Ehrung als größte linke Manifestation in Deutschland mit wachsender internationaler Beteiligung ist den Herrschenden ein Dorn im Auge und sie nutzen jeden von uns begangenen Fehler, jede von wem auch immer begangene Dummheit, um dies gegen uns zu instrumentalisieren. Daher sind für die Vorbereitung 2014 zwei Dinge von besonderer Bedeutung, die auch die KPF befördern sollte. Zum einen sollten wir alles tun, um mit jenen jungen Genossinnen und Genossen vor allem von ['solid] ins Gespräch zu kommen, die unserer Demonstration nicht unkritisch gegenüberstehen, aber eine Spaltung nicht wollen. Diese Kontakte entstanden schon vor der Demonstration von 2013 und wir müssen offen sein, für jegliche Debatte zu jeglichen Fragen. Kann es eine bessere Möglichkeit geben, mit jungen Linken ins Gespräch zu kommen, als die kulturvoll geführte Auseinandersetzung, zu der immer auch die Geduld und Toleranz besonders der Älteren gehören muss? Zum anderen müssen wir aktiv an der Themensetzung beteiligt sein. Wir wünschen uns eine Debatte zum Vermächtnis von Rosa und Karl und zu den aktuellen Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind. Eine exzessive Stalindebatte gehört genauso wenig in die Vorbereitung der LL-Ehrung, wie Stalinbilder etwas auf der Demo zu suchen haben. Woran wir nichts ändern können, ist die mit dem Stein des Anstoßes gesetzte, permanente Provokation innerhalb der Gedenkstätte der Sozialisten. Wir können nur erneut darum bitten, an dem Stein einfach vorbeizugehen und somit die Provokation ins Leere laufen zu lassen. Heute sei in aller Deutlichkeit ergänzt: Wir haben uns am 13. Januar die etwa 20 bis 25 Mann starke, einheitlich agierende Truppe sehr genau angesehen, die »Viva Stalin« und »Eispickel, Eispickel« brüllte. Sie war gut trainiert. Die Kommandos funktionierten lautlos. Und die Polizei war vorbereitet, als habe sie etwas gewusst. Erstmalig griff die Polizei, die die Demonstration anstandslos begleitet hatte, auf dem Friedhofsgelände ein. Selbst Hunde wurden eingesetzt. Eine Unverschämtheit sondergleichen, zu der die Steilvorlage von sich linksradikal gebärdenden Leuten geliefert wurde.

Die LL-Demo 2014 im Zeichen des 100. Jahrestages des Beginns des I. Weltkrieges

Zurück zur Themensetzung: 2014 jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des I. Weltkrieges. »Rosa Luxemburg«, so schreibt Annelies Laschitza 1971, »sah die Wurzeln aller Gefahren für den Frieden in den objektiven Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus in seiner imperialistischen Schlussphase. Die sich häufenden imperialistischen Konflikte signalisierten, dass die Menschheit durch die kapitalistische Gesellschaftsordnung in eine Kriegskatastrophe zu stürzen drohte.« Dies ist leider hundert Jahre später brennend aktuell. Davon zeugen die gefährlichen Entwicklungen im Nahen Osten. In Syrien läuft längst ein Stellvertreterkrieg. Milliardenschwere Rüstungslieferungen der USA aber auch der BRD gehen an Saudi-Arabien, Katar und Israel. Die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm stagnieren. Zugleich hat der amerikanische Präsident das 21. Jahrhundert zum pazifischen erklärt. 60 Prozent der US-amerikanischen Flotte sollen dort disloziert werden. Das richtet sich ebenso gegen China, wie der sogenannte Raketenschirm Russlands Sicherheit gefährdet. Und noch etwas: Die Yankees tun alles dafür, Lateinamerika wieder in ihren Hinterhof zu verwandeln. Der Tod von Hugo Cháves ist für die Unterdrückten und Armen Mittel- und Südamerikas ein trauriger, ein enormer Verlust. Durch das knappe Wahlergebnis von Nicolás Maduro wittert nicht nur die venezolanische Reaktion Morgenluft. »Venezuelas Wahl wird angefochten«, heißt es im heutigen ND. Wir teilen uneingeschränkt die Stellungnahme von Cuba Sí zu den Vorgängen in Venezuela. Unsere ganze Solidarität gehört den Fortschrittskräften Lateinamerikas.

Liebe Genossinnen und Genossen, aus all diesen und vielen anderen Gründen halten wir besonders die nachfolgend zitierte Passage im Bündnisaufruf 2013 für richtig: »In der 1915 erschienenen Junius-Broschüre schrieb Rosa Luxemburg: ›Der Triumph des Imperialismus führt zur Vernichtung der Kultur - sporadisch während der Dauer eines modernen Krieges und endgültig, wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte.‹ Bereits 24 Jahre später«, so heißt es in unserem Aufruf weiter, »bewahrheiteten sich Luxemburgs Prophezeiungen. Am 1. September 1939 begann mit dem deutschfaschistischen Überfall auf Polen der II. Weltkrieg und der bis dahin barbarischste Völkermord aller Zeiten. Heute gilt es zu verhindern, dass ein noch grausamerer, die menschliche Zivilisation auslöschender Weltenbrand entsteht.« Soweit aus unserem Bündnisaufruf.

Es ist kaum nachzuvollziehen, dass uns einige im Kontext mit dem eben Zitierten eine Relativierung des Holocaust unterstellen. Ein Atomkrieg - und der ist mit der Formulierung vom »Weltenbrand« gemeint - würde alle bisherigen Massenvernichtungen in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stellen - wenn es danach überhaupt noch menschliches Leben gäbe. Mit dem Begriff »Weltenbrand« hatten ebenfalls einige ein Problem. Ihnen sei gesagt: Auch Rosa Luxemburg hat ihn als Synonym für den I. Weltkrieg benutzt, z.B. in ihren Bemerkungen »Zur russischen Revolution «.(5)

Eine Debatte über die Ursachen des I. Weltkrieges würde uns auch dahin führen, über die Hauptgefährdungen des Weltfriedens in der Gegenwart zu diskutieren. Da ist die Rolle der USA nicht unumstritten. So wurde an unserem Aufruf kritisiert, dass von den USA und ihren willigen Helfern die Rede war. Auch darüber lässt sich trefflich diskutieren. Wir unterschätzen den deutschen Imperialismus nicht. Vielleicht ist er in seinen Absichten nicht minder aggressiv, als der US-amerikanische. Nur realiter bleibt: Die Rüstungsausgaben der USA sind höher, als die der folgenden neun militärisch potentesten Staaten der Welt zusammengenommen, in punkto Rüstungsexport stehen sie an erster Stelle und sie unterhalten bzw. nutzen Stützpunkte in mehr als 150 Ländern der Welt, auf denen 172.966 US-Soldaten stationiert sind (6), um nur einige Charakteristika des US-Imperialismus zu nennen.

Zur Themensetzung in Vorbereitung der kommenden LL-Demonstration gehört auch Rosa Luxemburgs Haltung zur russischen Revolution und zu den Bolschewiki. So schonungslos auch ihre Kritik am Verhältnis der Bolschewiki zur Demokratie war, so deutlich stellte sie den Zusammenhang dieses Problems mit der internationalen Situation her, unter der die Revolution verteidigt werden musste. Plumper Determinismus war ihre Sache nicht, die Dialektik aber sehr wohl. Und eines steht außer Frage: Rosa Luxemburgs Kritik, wie immer wer sie heute bewertet, war völlig frei von Entsolidarisierung. Ihre Auffassung war in keiner Weise ein Kotau vor den Herrschenden. Jedes Anbiedern an den Zeitgeist und somit an die bourgeoisen Verhältnisse war ihr unvorstellbar. Dafür bezahlte sie - ebenso wie Karl Liebknecht und viele andere Revolutionäre - mit ihrem Leben. Und so, wie sie damals die russischen Revolutionäre nicht verriet und ihre Kritik keinerlei Relativierung ihrer Solidarität mit ihnen implizierte, so würde heute ihre uneingeschränkte Solidarität Kuba oder der bolivarischen Revolution gehören. Dies sei hier betont, weil uns vorgeworfen wurde, im Aufruf ein unkritisches Verhältnis zu Kuba zu haben. Über diese und andere Fragen sind wir jederzeit zur Diskussion bereit. Wir sagen dies hier und heute nicht zum ersten Mal und es wird nicht zum letzten Mal sein.

Der Wahlprogrammentwurf und die KPF

Sieben Wochen vor unserem Wahlparteitag befindet sich die LINKE weiter in der Diskussion über das in Dresden zu beschließende Wahlprogramm. Vor der Vorstellung des Entwurfs vom 20. Februar war am 1. Februar ein zunächst nur für die Diskussion im Parteivorstand gedachter Entwurf an die Öffentlichkeit gelangt. Wir hatten bereits am 6. Februar auf das ursprüngliche Papier reagiert und dem Vorstand zu seiner Sitzung am 9./10. Februar im Kontext mit unserer Kritik einen Vorschlag für eine Neufassung der Präambel vorgelegt, der am 11.02.2013 in der jungen Welt vorgestellt wurde.

Von Anbeginn fand vieles im Wahlprogrammentwurf unsere Zustimmung. Wir verwiesen darauf, dass es zu wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen gute, notwendige und ansprechende Forderungen gibt und machten zugleich darauf aufmerksam, dass es in den meisten Abschnitten um die Straffung teils ausufernder, sich an verschiedenen Stellen wiederholender Situationsbeschreibungen geht. Wir plädierten dafür, sich im Wahlprogramm vor allem auf die Schwerpunkte zu konzentrieren, wo durchaus punktuell Ergebnisse zu erzielen sind und auf die Benennung bloßer Wunschvorstellungen zu verzichten. Das hätte den Entwurf auch kürzer gemacht.

Wir forderten vor allem, die antikapitalistische Stoßrichtung des Wahlprogramms zu verstärken. In den Mitteilungen vom März 2013 haben wir unsere dem Parteivorstand übermittelte Kritik sowie den Neuvorschlag einer Präambel dokumentiert. In der am 20. Februar vorgestellten überarbeiteten Fassung des Wahlprogramms fanden unsere kritischen Hinweise in mancherlei Hinsicht Beachtung. In anderen Fragen nicht. Daher stellten wir nunmehr den Antrag, im Leitantrag die Präambel des Entwurfs vom 20. Februar durch unsere Neufassung zu ersetzen und darüber hinaus sechs im Aprilheft dokumentierte Änderungsanträge.

Nun liegt seit dem 18. April 2013 der aktuelle Wahlprogrammentwurf als vom Parteivorstand beschlossener Leitantrag für den Parteitag vor. Die jetzige Präambel hat an Deutlichkeit etwas gewonnen. Es wäre legitim, unseren Antrag auf komplette Ersetzung der Präambel noch einmal zu stellen. Doch wir sollten - mit Rücksicht auf den unmittelbar bevorstehenden Wahlkampf - auf die Zuspitzung verzichten, die objektiv in einem solchen Schritt läge. Wir halten es vielmehr für zweckmäßig, zwei unseren Präambelentwurf wesentlich bestimmende Passagen als Änderungsanträge zu stellen: Zum einen den Antrag, den ersten Absatz unseres Präambeltextes der Präambel des Leitantrages voran zu stellen, und zum anderen den Antrag, den größten Teil unseres Textes zum Antifaschismus zu übernehmen. Das Thema Antifaschismus kommt derzeit in der Einführung des Leitantrages gar nicht vor. Und noch etwas zur Präambel. Im Leitantrag finden sich zum Thema Geschichte nachfolgende zwei Sätze, ausgehend von den unterschiedlichen Erfahrungen, die in die LINKE eingebracht werden: Erfahrungen »auch aus dem Aufbruch von 1989 gegen den repressiven Staatssozialismus. Über die Erfahrungen aus dem Staatssozialismus kritisch zu sprechen, so dass sie nicht die vielfältigen Lebenserfahrungen delegitimieren, ist auch eine linke Aufgabe.« Mit Sicherheit ist es nicht die Absicht der Programmautoren, die Mitglieder aus dem Osten allesamt zu nützlichen Idioten zu erklären. Doch wenn Menschen, die einer angeblich ausschließlich negativen Sache gedient haben, großmütig bescheinigt wird, ihre vielfältigen Lebenserfahrungen seien dennoch legitim, so ist das zweifach pharisäisch: Zum Ersten: Lebenserfahrungen sind weder legitim noch illegitim. Ein Mensch macht sie einfach und sie prägen ihn in diese oder jene Richtung. Und zum Zweiten: Kürzlich lief im ZDF der Film »Unsere Mütter, unsere Väter«. Ein Dreiteiler, in dem beinahe alle Polen Antisemiten waren, Rotarmisten tödlich verwundete deutsche Soldaten erschossen und Frauen vergewaltigten, während die deutschen Protagonisten dem Zuschauer selbst nach einem begangenen Verbrechen noch leidtaten, weil der Film zeigt, dass sie so etwas eigentlich lieber nicht gemacht hätten; aber der Krieg, der Krieg ...! Auf so viel Empathie, wie sie deutschen Soldaten nicht nur in diesem Film entgegengebracht wird, würde selbst ein bei der DDR-Staatssicherheit einstmals lediglich als Kraftfahrer Tätiger vergeblich hoffen. Wir sagen es in aller Deutlichkeit: Wir - die in der DDR aufgewachsenen und alle durch sie geprägten und mit ihr solidarischen - lassen uns nicht behandeln, als seien wir der im Film »Unsere Mütter, unsere Väter« dargestellten Generation irgendwie gleich. Wir waren nicht beteiligt, fremde Länder zu okkupieren und Städte und Dörfer dem Erdboden gleichzumachen, allein in Belorussland 627 Dörfer, die Ermordung aller Einwohner einbegriffen. Wir waren nicht beteiligt, Menschen in Konzentrationslager zu sperren und millionenfach viehisch zu ermorden. Wir haben keine Generation zum Völkerhass erzogen, wir haben nicht gefoltert, und denjenigen, die Kriegsverbrechen begangen hatten, ging es in der DDR nicht so gut. Wir sind eine Generation, die sich den Antifaschismus erarbeitet hat und die zwischen 1945 und 1989 an keinem Krieg beteiligt war. Nach uns war diese friedliche deutsche Periode schnell beendet. Unsere Erfahrungen sind nicht zu delegitimieren. Wir bringen gute und schlechte in die Partei ein, so wie unsere Genossinnen und Genossen aus den alten Bundesländern auch.

Wir werden deshalb die oben zitierten Sätze zur Geschichte nicht unwidersprochen lassen und hoffen auf viele Delegiertenunterschriften unter den nachfolgenden Antrag:

Wir bringen unterschiedliche Erfahrungen ein: aus den gewerkschaftlichen Kämpfen für gute Arbeit und Sozialstaat, aus feministischen und antirassistischen Bewegungen, aus der Friedensbewegung. Erfahrungen aus dem legitimen Versuch, nach dem Grauen des Faschismus in einem Teil Deutschlands ohne die Kriegsgewinnlerkonzerne, Banken und Großgrundbesitzer die Gesellschaft zu gestalten. Millionen Menschen waren daran beteiligt, und deren Lebenserfahrungen, Lebensleistungen und ehrlichen Überzeugungen dürfen und können nicht delegitimiert werden. Dem dies alles denunzierenden Zeitgeist setzen wir auch die notwendige Kritik an in der DDR zweifellos vorhandenen repressiven Tendenzen entgegen, die zu deren Ende beitrugen.

Ich verlese auch die mit diesem Antrag verknüpfte Begründung:

Wenn die Formulierung ernst gemeint ist, »über die Erfahrungen aus dem Staatssozialismus kritisch zu sprechen, so dass sie nicht die vielfältigen Lebenserfahrungen delegitimieren«, sei auch eine linke Aufgabe, dann kann man diese Lebenserfahrungen nicht auf den »Aufbruch von 1989 gegen den repressiven Staatssozialismus« reduzieren. Die Lebenserfahrungen erstrecken sich auf den Zeitraum von 1945/49 bis 1990 und umfassen nicht zuletzt jene, über die es in unserem Parteiprogramm heißt: »Zu den Erfahrungen der Menschen im Osten Deutschlands zählen die Beseitigung von Erwerbslosigkeit und die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Frauen, die weitgehende Überwindung von Armut, ein umfassendes soziales Sicherungssystem, ein hohes Maß an sozialer Chancengleichheit im Bildungs- und Gesundheitswesen und in der Kultur sowie die Umstrukturierung der Landwirtschaft in genossenschaftliche und staatliche Betriebe. Das Prinzip ›Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen‹ war Staatsräson«. Diese Erfahrungen - will man sie nicht (wie es heißt) delegitimieren - müssen ebenso benannt werden wie die Erfahrungen von Repression.

Soweit zum Thema Geschichte. Über die drei, die Präambel betreffenden Änderungsanträge hinaus werden wir voraussichtlich fünf weitere stellen, die den antikapitalistischen Charakter des Wahlprogramms ausprägen sollen. Wir werden uns bemühen, unter diese von uns initiierten Änderungsanträge so viele Delegiertenunterschriften wie möglich zu erhalten, da - unserer Auffassung nach - sich in diesen Änderungsvorschlägen nicht nur Auffassungen der KPF widerspiegeln.

Warum DIE LINKE in den Bundestag muss

Der Ausgang der Bundestagswahlen am 22. September ist für unsere Partei von elementarer Bedeutung. Wir beteiligen uns auch deshalb besonders aktiv am Wahlkampf, weil uns bewusst ist, dass mit dem Kampf um Wählerstimmen der Kampf gegen jegliche Absichten unserer politischen Gegner verknüpft ist, die LINKE in die Bedeutungslosigkeit zu treiben. Auf unserer Bundeskonferenz am 25. November 2012 haben wir die Hauptlinien des - nach Auffassung von Leuten wie Gabriel - finalen Kampfes gegen die LINKE analysiert: Totschweigen in den Medien, Beförderung kulturloser Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und Einschüchtern durch Geheimdienstobservation. Wir wollen heute nichts dazu wiederholen sondern nur ergänzen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe offenbar seine Linie bei der Beobachtung der Linken geändert, war im ND vom 24. Januar 2013 zu lesen. »Zwar sollen acht Bundestagsabgeordnete von der Liste der beobachteten Parlamentarier gestrichen worden sein, … dafür seien aber sechs neue dazu gekommen.« Demnach habe der VS weiterhin alleine 25 Bundestagsabgeordnete im Visier. Auch bleibe es bei der Beobachtung von innerparteilichen Gruppen, welche die Behörden als »offen extremistisch« ansehen. Dazu gehörten laut dem VS-Bericht für das Jahr 2011 die Kommunistische Plattform, die gewerkschaftsnahe Strömung Sozialistische Linke, Cuba Sí, das Marxistische Forum und die Antikapitalistische Linke. Soweit das ND. Genau genommen hat sich also die Linie der Beobachtung mitnichten geändert. Sieht man einmal davon ab, dass natürlich nicht bekannt ist, wer von den Landesämtern für Verfassungsschutz, vom BND oder vom MAD observiert wird und dass die - noch einmal Neues Deutschland - »geheimdienstliche Beobachtung ›nur noch‹ der angeblich ›offen extremistischen‹ Zusammenschlüsse bedeutet, dass elf der 44 Vorstandsmitglieder der Linkspartei auf dem Zettel des Nachrichtendienstes bleiben«. Die Quintessenz des Ganzen also: Es sollen in der Partei vor allen jene spürbar unter Druck gesetzt werden, die offen antikapitalistische Positionen vertreten, zumindest aber massiv kapitalismuskritische.

Überhaupt sollte die Partei sich durch nichts und niemanden unter Druck setzen lassen. Auch deshalb hat der Bundessprecherrat am 7. März 2013 vorgeschlagen, den Beschluss des Geschäftsführenden Vorstandes vom 4. März bis zu den Bundestagswahlen ruhen zu lassen, der vorsieht, am Karl-Liebknecht-Haus eine Tafel anzubringen, auf der der unter Stalin in der Sowjetunion verfolgten und in vielen Fällen umgekommenen deutschen Kommunisten und Antifaschisten gedacht wird. Nach den Bundestagswahlen sollte die Berliner Parteibasis und der gesamte VVN-BdA-Bundesvorstand in geeigneter Weise befragt werden, welchen Ort sie für die Ehrung präferieren: Das Karl-Liebknecht-Haus oder den Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde. Wir haben in den April-Mitteilungen zu dieser Problematik verschiedene Materialien publiziert, so Stellungnahmen von Dr. Andrej Reder und Hanna Tomkins. Beide sind durch ihre Eltern von den Stalinschen Repressionen direkt betroffen gewesen.

Kehren wir zum unmittelbaren Wahlkampf zurück. Welches ist die nach unserer Auffassung gefährlichste Argumentation unserer politischen Kontrahenten im laufenden Wahlkampf? Am 26. Januar veröffentlichte das ND ein Interview mit dem Berliner Grünen-Landesvorsitzenden Daniel Wesener. Befragt nach dem Vorstoß von Stefan Liebich, ein Bündnis von Grünen und LINKEN, jenseits der SPD, in Betracht zu ziehen, antwortet Wesener: »Eine Zusammenarbeit auf Landesebene kann ich mir vorstellen. Der Denkanstoß von Stefan Liebich ist interessant, weil es darum geht, linke Machtoptionen jenseits der SPD zu denken. Die SPD regiert sowieso schon viel zu lange in Berlin. Aber die Linkspartei hat ihre neue Rolle für sich noch nicht abschließend geklärt. Da gibt es eine große Sehnsucht nach Opposition, in der die Linksfraktion aber noch nicht ganz angekommen ist. Ganz anders im Bund: Hier fehlt der Partei der Wille zu einer Regierungsbeteiligung. Eine Stimme für die Linkspartei ist deshalb im Zweifelsfall eine indirekte Stimme für den Fortbestand der Regierung Merkel.«

Zunächst einmal: Ja, im Bund fehlt - von einer, allerdings nicht einflusslosen, Minderheit abgesehen - der LINKEN der Wille zu einer Regierungsbeteiligung. Denn dieser Wille setzte voraus, die Staatsräson der BRD zu respektieren, deren Kern die außenpolitischen Bündnisverpflichtungen Deutschlands im Rahmen der NATO und der EU darstellen. Dem Willen zur Regierungsbeteiligung im Bund stehen die programmatisch fixierten friedenspolitischen Prinzipien der Partei unversöhnlich gegenüber. Nun ist ja rein theoretisch immer alles möglich: Wenn SPD und Grüne morgen sagen würden, sie strebten ein rot-grün-rotes Bündnis an und seien daher bereit, die unter der Schröder-Fischer-Regierung eingeleitete asoziale Politik komplett rückgängig zu machen und in Zukunft sowohl auf deutsche Beteiligung an Militäreinsätzen zu verzichten, als auch darauf, als drittgrößter Waffenexporteur der Welt zu agieren, so wären wir verpflichtet, über ein solches Angebot nachzudenken und gegebenenfalls auch zu verhandeln. Warum es aber notwendig war, über Wochen der SPD und den Grünen faktische Koalitionsangebote mit - irgendwie doch verwässerten - Roten Haltelinien zu machen, um sich von Steinbrück, Gabriel, Roth und anderen buchstäblich Minuten später eine Abfuhr einzuholen, erschloss sich kaum. Mit den Regionalkonferenzen im März hatte dies ein Ende. Und das wird hoffentlich so bleiben.

Das Jahr 2002 nicht vergessen

Es gab nämlich einmal einen Wahlkampf der PDS, der unter der Losung »Stoiber verhindern« geführt wurde. Stoiber wurde verhindert und die PDS saß mit zwei über Direktmandat gewählten Abgeordneten am Katzentisch im Bundestag. Dass wir dies politisch überlebten, hatte mit der absurden Situation zu tun, dass Rot-Grün, die auch auf unsere Kosten Regierungsparteien geblieben waren, in den Folgejahren unter der Überschrift »Agenda 2010« eine so extrem asoziale Politik betrieben, dass sich mit Einführung der Hartz-Gesetze soziale Bewegungen im Land entwickelten, die noch kurz zuvor unvorstellbar erschienen waren. Das trug dazu bei, dass sich im Westen die WASG, vorwiegend aus enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, bildete, die im Vorfeld der Bundestagswahlen 2005 mit der PDS zusammen erfolgreich in den Bundestag einzog. 2007 vereinten sich beide Parteien zur LINKEN und konnten, auch wegen der allgemeinen, nicht illusionsfreien Euphorie im Vereinigungsprozess, 2009 knapp 12% bei den Bundestagswahlen erreichen.

Seither befassen wir uns, mehr oder weniger erfolgreich, mit den Mühen der Ebene. Eine schöne Dialektik. Kein Stoiber, dafür die kaum erfreulichere Schröder-Fischer-Mannschaft und wegen der: Ein Aufschwung der Linken. Aber - frei nach Marx: Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce. Natürlich unterstellen wir dem Wahlkampfleiter von 2002 und manch anderen nicht, sie hätten das alles vorausgesehen und in unendlicher Weitsicht die seinerzeitigen Wahlen in den Sand gesetzt - ein Argument für die Notwendigkeit der Jahre später vollzogenen Fusion. Aber selbst, wenn es die pure politische Weisheit gewesen wäre, die da an den Tag gelegt wurde, so würde sich der damalige Prozess nicht kopieren lassen. Und ansonsten sei in aller Offenheit gesagt: Auf Steinbrück zu setzen, um Merkel zu verhindern, wäre doppelt unsinnig: Steinbrück ist nicht besser, als Merkel und ansonsten haben beide nichts gegen eine große Koalition und die Grünen würden sich mit beiden liieren. Was wir deutlich machen müssen ist, dass eine Stimme für die LINKE eine Stimme für eine ehrliche und notwendige Opposition ist, gegen wen auch zu opponieren sein wird. Wir brauchen keinen Wahlkampf, in dem fehlender Biss durch die Formulierung kaschiert werden soll, wir müssten uns neu erfinden. Wir brauchen einen Wahlkampf à la Lafontaine, ohne Avancen an SPD und Grüne. Wir dürfen nirgendwo den Eindruck erwecken, eine Mehrheitsbeschafferin sein zu wollen, auch, weil dies impliziert, Illusionen über Rot-Grün zu wecken. Was ist denn von denen zu erwarten: Friedenspolitik? Erwiesenermaßen nein. Soziale Gerechtigkeit? Solange sind doch die Hartz-Gesetze noch nicht durchgepeitscht. Verteidigung der bürgerlichen Demokratie à la Otto Schily? Man könnte die Fragenliste fortsetzen. Wir müssen mit dem Selbstvertrauen Wahlkampf machen, dass wir als Oppositionskraft unersetzbar sind. Nur dann kann der Funken auf unsere potentiellen Wählerinnen und Wähler überspringen, die genau dann zu Hause bleiben, wenn sie keinerlei Alternative zur Mainstream-Politik sehen. Es kann uns das Argument, eine Stimme für die LINKE sei eine de facto-Stimme für Merkel, nur dann schrecken, wenn wir das Votum für Steinbrück als entscheidenden Unterschied zu dem für Merkel betrachten. Vielleicht beginnen jetzt einige, darüber nachzudenken, ob wir die verheerende Wirkung der Sozialfaschismusthese von vor 1933 vergessen haben. Haben wir nicht. Weder halten wir Merkel noch Peer Steinbrück für verkappte Faschisten, noch steht die Gefahr des Faschismus vor der Tür. Auch nicht mit der »Alternative für Deutschland«, wenngleich solcherart rechtspopulistische Gründungen immer geeignet sind, das Klima im Land weiter zu vergiften, und Stimmen - nicht nur des rechten Randes - einzufangen. Sollten sich hinsichtlich einer offenen rechten Gefahr die Verhältnisse irgendwann zuspitzen, so stellte sich manche Frage neu, und darauf müssten dann Antworten gegeben werden.

Die Rechte der Zusammenschlüsse bewahren, die KPF stärken

Abschließend noch einige Bemerkungen zu uns selbst. Voraussichtlich im September 2013 wird sich der Bundeskoordinierungsrat mit Fragen des politisch-organisatorischen Zustandes der KPF befassen. Es ist nur natürlich, dass - wenn es einen Mitgliederschwund innerhalb unserer Partei gibt - davon auch die Kommunistische Plattform betroffen ist. »Die Linkspartei«, so das ND vom 1. März 2013, »ist im vergangenen Jahr weiter geschrumpft. Wie jetzt veröffentlichte Zahlen zeigen, zählte die Partei Ende 2012 bundesweit nur noch 63.761 Mitglieder. Der Verlust an der Basis ist länderübergreifend: Die Zahlen der Genossenkartei waren sowohl im Osten als auch im Westen im Minus. Deutliche Abgänge hatte zum Beispiel der Landesverband NRW (um 16 Prozent) zu verbuchen, die Berliner Linkspartei büßte rund sieben Prozent ein. Die Mitgliederzahlen der LINKEN sinken bereits seit einiger Zeit. Zum Teil gingen die Rückgänge auf Bereinigungen der Karteien von Nichtzahlern zurück; in den neuen Ländern können Neueintritte die Zahl der Sterbefälle nicht mehr kompensieren.« Im Zusammenhang mit der Aufforderung des Parteivorstandes an die Zusammenschlüsse, zwecks späterer Festlegung über die Anzahl der Parteitagsmandate die jeweilige Anzahl ihrer Mitglieder per 31.12.2012 zu melden, informierten wir über 1.210 der KPF angehörenden Mitglieder. Auch das ist ein leichter Rückgang. Besonders die schon erwähnte Gesamtsituation in NRW schlägt sich hier nieder. Es ist für die Stabilität der KPF wichtiger, ehrlich zunächst weniger Mitglieder zu haben, als auf der Basis Potemkinscher Dörfer Zahlen zu »halten«. Alle Genossinnen und Genossen, die in der DDR sozialisiert wurden, haben die bittere Erfahrung gemacht, dass es letztlich destabilisierend wirkt, wenn man sich die Dinge schöner redet, als sie es in Wirklichkeit sind. Zudem haben die Bundessprecher das Wort darauf gegeben, die Mitgliederstärke nach bestem Wissen und Gewissen gegenüber dem Bundesvorstand zu vertreten. Es reicht allerdings nicht aus, sich um einen einseitigen Realismus zu bemühen. So, wie es stimmt, dass Potemkinsche Dörfer die Plattform schwächen, so stimmt es natürlich ebenso, dass zurückgehende Zahlen die KPF genauso wenig stabilisieren. Daraus kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Wir müssen gezielter an der Mitgliederentwicklung der KPF arbeiten. Es war, nachdem wir Anfang 2009 eine Mitgliederstärke von 1.000 und ein Jahr später von 1.200 erreicht hatten, richtig, auf eine weitere gezielte Gewinnung zu verzichten. Nun aber wäre es falsch, weiter zu machen, wie bisher. Wir bitten daher alle Landessprecherräte, alle Genossinnen und Genossen der KPF, mit Genossinnen und Genossen in den Basisorganisationen zu sprechen, die wir uns als KPF-Angehörige wünschen.

Im Zusammenhang mit der KPF noch eine dringend notwendige Bemerkung in Vorbereitung des Dresdner Parteitages. Gemeinsam mit der AG Betrieb & Gewerkschaft haben wir am 7. April die Initiative ergriffen, darauf aufmerksam zu machen, dass in Dresden u.a. Anträge zur Änderung der Satzung gestellt sind, die darauf zielen, den Zusammenschlüssen ein elementares, über zwanzig Jahre währendes Recht zu nehmen: Das Recht auf Parteitagsmandate. In einem von der AG Betrieb & Gewerkschaft, von Cuba Sí, Geraer Dialog - Sozialistischer Dialog, BAG Grundeinkommen, BAG Hartz IV, Kommunistische Plattform, Ökologische Plattform und Sozialistische Linke getragenen Offenen Brief wenden sich diese Zusammenschlüsse an die Delegierten des Parteitages mit der Bitte, den Status der Zusammenschlüsse beizubehalten. Dieser Offene Brief liegt Euch vor, sodass wir hier nicht im Einzelnen auf dessen Inhalt eingehen müssen. Bitte tragt zur Verbreitung des Briefes unter den Delegierten aus euren jeweiligen Ländern bei.

Liebe Genossinnen und Genossen, abschließend noch einige Sätze zu unserer Publikation. Nunmehr im 23. Jahrgang (das Januarheft 2013 trug die Nummer 275) werden die Mitteilungen monatlich an 1.900 Empfänger versandt und auf diversen öffentlichen Veranstaltungen, Informationsständen und direkt an die Leser gebracht. Ohne die kontinuierliche Arbeit der Redaktion und der Org-Gruppe, ohne die Kleinarbeit von Genossinnen und Genossen aus allen Bundesländern, die die Verbreitung der Mitteilungen aktiv unterstützen, wäre ein solches Ergebnis nicht möglich. Es ist uns ein Bedürfnis, dafür stellvertretend Walter Bredehorn (Erfurt), Jasper Oelze (Berlin), Jochen Traut (Suhl), Dorothea Döring (Berlin), Dora und Willi Ganka (Ilmenau), Dr. Renate Gerisch (Neustadt-Sachsen), Prof. Dr. Heinz Karl (Berlin), Bodo Hinkel (Falkensee), Konrad Hannemann (Eisenhüttenstadt), Wolfgang Burmeister (Rostock) und Waltraud Tegge (Neustrelitz) herzlichst zu danken. In diesen Dank schließen wir auch jene ein, die in Parteizusammenkünften und öffentlichen Veranstaltungen stets zur Verbreitung der Mitteilungen beitragen.

Um einen hohen Anteil der Druck- und Versandkosten für die Mitteilungen durch Spenden aufzubringen, hatten wir uns für das Jahr 2012 ein Spendenergebnis von 20.000 Euro vorgenommen. Wir hatten zum Jahresende 20.547 Euro erreicht, dem standen Druckkosten von 14.200 Euro und Versandkosten von 17.300 Euro gegenüber. Insgesamt ergab sich somit damit für das Jahr 2012 eine Inanspruchnahme des Publikationskostenfonds für die Mitteilungen in Höhe von 10.953 Euro (14.000 Euro wurden für 2012 beantragt und bewilligt). Für das Jahr 2013 wurden 12.000 Euro aus dem Fonds für externe Publikationen der Zusammenschlüsse für die Mitteilungen bewilligt, das heißt, wir werden wie im Jahr 2012 wieder 20.000 Euro durch Spenden erbringen müssen, um die Finanzierung unserer Zeitschrift zu sichern.

Im Euch vorliegenden Beschlussentwurf ist dieses Ziel ebenso fixiert wie weitere vor uns stehende Aufgaben, vor allem bis zu den Bundestagswahlen im September. Ich bitte Euch hierfür um Eure Zustimmung und danke für die Aufmerksamkeit.

Anmerkungen

(1) junge Welt, 19.04.2013

(2) junge Welt, 30.01.2013

(3) Thüringer Allgemeine, 04.03.2013

(4) Neues Deutschland, 04.03.2013

(5) Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 4, Seite 334, Dietz 1974

(6) Total Military Personnel and Dependent End Strength By Service, Regional Area, and Country. United States Department of Defense, December 31, 2012