1. Tagung der 17. Bundeskonferenz

Bericht des Bundessprecherrates

Berichterstatter: Jürgen Herold, Berlin

Liebe Genossinnen und Genossen, wie der Mitgliederentscheid in der SPD ausgegangen sein wird, werden wir am 14. Dezember nach Auszählung der Stimmzettel wissen. Heute aber ist schon klar, dass die übergroße Mehrheit der SPD-Funktionäre alles dafür tun wird, damit die Parteibasis dem zwischen CDU/CSU und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag zustimmt. Über Knackpunkte dieses Vertrages ist in den vergangenen Tagen viel geschrieben und gesagt worden, nicht zuletzt im nd und in der jungen Welt, denken wir nur an das Interview mit Oskar Lafontaine vom 29. November 2013 und die ND-Kolumne von Sahra vom 2. Dezember 2013. Wir haben dem nicht viel hinzuzufügen. Wie immer dieses oder jenes reale oder anscheinende Zugeständnis der Union an die SPD auch zu bewerten ist: In Grundfragen imperialer deutscher Interessen ist man sich einig. Das belegt der Koalitionsvertrag ohne Einschränkungen. Auf ihrem Leipziger Parteitag hat die SPD der LINKEN signalisiert, mit der Ausschließeritis sei es vorbei - sicher auch, um in den Koalitionsverhandlungen Druck auszuüben. Freilich war dieses Signal mit klaren Bedingungen verknüpft. Herr Scholz aus Hamburg hat eine dieser Bedingungen in die schönen Worte gekleidet, die LINKE müsse intellektuell in die NATO eintreten. Eine klare Botschaft: Akzeptiert - wie wir es schon 1914 mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten taten - die deutschen Großmachtbestrebungen! Erklärt eure Bereitschaft, Auslandseinsätzen der Bundeswehr zuzustimmen; dann dürft ihr eventuell irgendwann einmal in eine Bundesregierung. Nun könnte man das belächeln und sagen: Kriegt ihr erst einmal euren Mitgliederentscheid hin und wenn euch das gelingt, dann regiert so, dass die Sozialdemokratie bei den nächsten Wahlen noch halbwegs vorhanden ist. Aber - so einfach wird es nicht werden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Druck auf DIE LINKE, dem Zeitgeist in allen Fragen Rechnung zu tragen, enorm wachsen wird, unabhängig vom Ausgang des Mitgliederentscheids. So oder so soll DIE LINKE in jeglicher Hinsicht entzaubert werden. Vor allem soll ihr das Alleinstellungsmerkmal genommen werden, Friedenspartei zu sein.

Vorbereitung auf Bundestagswahlen 2017 hat begonnen

Am 21. September 2013, also am Sonnabend vor den Bundestagswahlen, waren zwei Medienveröffentlichungen von besonderem Interesse: "Kein Rot-Rot-Grün bis 2017", so erklärte der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zu den Zahlen- und Farbenspielen der Medien. Und der SPIEGEL informierte am selben Tag in einem Artikel "Abkehr vom Pazifismus?" darüber, dass "führende Außenpolitiker der Linken" eine "Diskussion über den streng pazifistischen Kurs ihrer Partei" fordern und "auf diese Weise auch die Hürden für ein rot-rot-grünes Bündnis senken" wollen. "Stößt nicht eine Verabsolutierung des Einmischungsverbots moralisch und juristisch an eine Grenze, wenn es um Genozid bzw. Massenmord geht?", wird im SPIEGEL wörtlich aus einem Sammelband "Linke Außenpolitik - Reformperspektiven" zitiert. Im Sammelband heißt es auch, es sei "moralisch fragwürdig", sich darauf zu verlassen, "dass es die anderen richten sollen".

Wäre von moralischer Fragwürdigkeit auch nach dem Auftritt von Herrn Gauck am 3. Oktober 2013 noch die Rede gewesen? Rekapitulieren wir: "Vor wenigen Wochen, bei meinem Besuch in Frankreich", so Gauck, "da wurde ich … mit der Frage konfrontiert: Erinnern wir Deutsche auch deshalb so intensiv an unsere Vergangenheit, weil wir eine Entschuldigung dafür suchen, den heutigen Problemen und Konflikten in der Welt auszuweichen? Lassen wir andere unsere Versicherungspolice zahlen? ... es mehren sich die Stimmen innerhalb und außerhalb unseres Landes, die von Deutschland mehr Engagement in der internationalen Politik fordern. … Ihnen gilt Deutschland als schlafwandelnder Riese oder als Zuschauer des Weltgeschehens." "Es stellt sich", so Gauck weiter, "tatsächlich die Frage: Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes? Deutschland ist bevölkerungsreich, in der Mitte des Kontinents gelegen und die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt." Gauck schlussfolgert: "Unser Land ist keine Insel. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen".

Es ist wohl kein Zufall, dass der Bundespräsident sich mit seinen Äußerungen - und zwar zeitgleich - in Übereinstimmung befindet mit den Kerngedanken eines 48-seitigen Strategiepapiers "Neue Macht - Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch." Dieses Papier wurde von der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem German Marshall Fund of the United States gemeinsam publiziert.

Zurück zu Gauck. Es ist besonders unerträglich, solcherart Äußerungen, die den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln als Selbstverständlichkeit abtun, von einem Bundespräsidenten zu hören, der als DDR-Pfarrer vermutlich jeden Plastik-NVA-Soldaten in einem Kindergarten einzeln verurteilte. Nur, dass die DDR keine Kriege führte. Und es ist unannehmbar, wenn vergleichbare Töne aus unserer Partei kommen. Noch einmal der SPIEGEL vom Wahlvorabend: "Bislang", so steht geschrieben, "galten die Linken mit ihrer strikten Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr als koalitionsunfähig." Nun schriebe der (ehemalige) verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion, Paul Schäfer, ob es nicht sein könne, dass solche Einsätze zur Versorgung und Rückkehr von Flüchtlingen, zur Rettung Hunderttausender Menschenleben und zur Deeskalation von Gewalt beitrügen? Und der SPIEGEL kommentiert hierzu: "Militärinterventionen mit Uno-Mandat halten die Partei-Realos für möglich, wenn geklärt sei, 'ob die Bundeswehr sich strikt an Völkerrecht und Grundgesetz hält und ob der Einsatz zur Deeskalation von Gewalt beiträgt'."

Die "Partei-Realos" haben also mit den Vorbereitungen auf die Bundestagswahlen 2017 unmittelbar vor denen im September 2013 begonnen - das hat Symbolcharakter. Und wieder - wie z.B. auch vor dem Münsteraner Parteitag im Jahr 2000 - wird Völkermord als Grund für Militärinterventionen ebenso beschworen, wie die Verpflichtung der BRD, es nicht allein die anderen richten zu lassen.

Ohne mit jedem Wort einverstanden zu sein, empfehlen wir allen das Buch Jürgen Todenhöfers "Du sollst nicht töten".

Todenhöfer räumt auf mit dem, was Norman Paech im Oktoberheft der Mitteilungen - bezogen auf "das politische Konzept weltweiter Herrschaftssicherung … die humanistisch - humanitäre Ummantelung des explosiven Kerns" nennt. So lesen wir bei Todenhöfer: "Wo immer die USA 'Kriege gegen den Terror' führen oder fordern, geht es um ganz andere Dinge. In Afghanistan um die zentrale geostrategische Position in Asien, im Irak um Öl und im Konflikt mit dem angeblich nuklearsüchtigen 'Terrorstaat' Iran um die Vorherrschaft im Mittleren Osten. Fast immer ist das Ziel die Durchsetzung imperialer Interessen der USA. In Mali geht es ausnahmsweise um postkoloniale Rohstoffinteressen Frankreichs. Vor allem um das Uran des Nachbarstaates Niger. Frankreich braucht es dringend für seine Stromversorgung. Wenn es in der Exkolonie 'Französisch-Westafrika' nur Sand gäbe, dürften sich Terroristen, Tuaregs und Malier die Köpfe einschlagen, solange sie wollten - Paris würde nie intervenieren."

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Der Sammelband von Reformern, von denen offensichtlich einige immer noch meinen, mittels der im Rahmen von Militärinterventionen ausgeübten Gewalt könne zur Deeskalation von Gewalt beigetragen werden, zielt objektiv zumindest in Teilen darauf, der BRD-Staatsräson Rechnung zu tragen - also den deutschen Bündnisverpflichtungen in NATO und EU. Ob es denjenigen, die dies betreiben, nun subjektiv darum geht oder nicht: In der Sache gibt es auf Bundesebene keine Regierungsbeteiligung ohne die Respektierung der BRD-Staatsräson.

LINKE muss Antikriegscharakter bewahren

Verlassen wir uns nicht darauf, dass die Verteidiger der friedenspolitischen Prinzipien früher in der PDS sowie dann in der WASG und heute in der LINKEN letztlich immer die Mehrheit hatten. Nehmen wir die bevorstehenden Versuche, diesbezüglich das Kräfteverhältnis in der Partei doch noch zu ändern - und sei es handstreichartig - gebührend ernst. Das Buch "Du sollst nicht töten" kann uns bei den sicher bevorstehenden erneuten Diskussionen zwischen den Gegnern und Befürwortern der sogenannten Einzelfallprüfung eine außerordentlich wichtige Argumentationshilfe werden.

Der Glaube, Militärinterventionen dienten der Durchsetzung von Menschenrechten, ist etwa genauso fundiert wie der an den Weihnachtsmann. Und er herrscht bei denen, die ihm anhängen, auch nicht jederzeit vor. Es gibt in unserer Partei immer wieder Zeitabschnitte, in denen auch die vom SPIEGEL als Partei-Realos Bezeichneten es als fragwürdig betrachten, mit Auslandseinsätzen irgendein Problem lösen zu können. So war es auch im Bundestagswahlkampf. Allen in der LINKEN war bewusst, dass eine überwältigende Mehrheit in der Partei selbst und unsere potentiellen Wählerinnen und Wähler den streng pazifistischen Kurs unserer Partei uneingeschränkt unterstützen, ja mehr als das: Dass nämlich dieser Kurs einer der Hauptgründe dafür war und ist, DIE LINKE zu wählen. Wir sagen es unumwunden: Über den SPIEGEL am Tag vor den Bundestagswahlen faktisch zu signalisieren: Nehmt unseren Wahlkampf in puncto friedenspolitische Prinzipien nicht allzu ernst. Wir wollen eine SPD/Grünen-kompatible Außenpolitik und sagen dies auch, aber zu einem Zeitpunkt, der uns keine Wählerstimmen mehr kosten wird. Das ist ein mieses Spielchen und wir spielten es mit, würden wir diese Doppelzüngigkeit nicht öffentlich machen.

Die LINKE und früher die PDS versteht und verstand sich nicht zuletzt als eine sozialistische Partei, weil sie eine Antikriegspartei ist. Sie ist es geblieben, weil seit 1996 alle Versuche der sogenannten Partei-Realos scheiterten, dem Prinzip einer "humanistisch-humanitären Ummantelung des explosiven Kerns" näherzutreten. Die Kommunistische Plattform wird wie in der Vergangenheit auch fürderhin das Ihre dazu beitragen, dass unsere Partei ihren Antikriegscharakter bewahrt. Es geht nicht um irgendwelche Regierungsbeteiligungen im Bund, sondern - wie es gerade die letzten Monate brutal vor Augen führten - um den Weltfrieden.

Innerhalb der gut sieben Monate seit unserer letzten Bundeskonferenz befand sich die Welt am Rande eines sogenannten Militärschlags der USA, von dem niemand hätte voraussagen können, wie er endet. Manche schreiben es einem Zufall zu, dass zunächst das Schlimmste nicht eintrat. Am 9. September äußerte der US-amerikanische Außenminister, Assad könne einem Militärschlag entgehen, wenn er bereit wäre, seine Chemiewaffen zu vernichten. Aber - so fügte er gleich hinzu - dies würde der nicht tun. Der russische Außenminister reagierte stehenden Fußes, indem er diese Bemerkung, von der Kerry später sagte, sie sei eigentlich gar nicht so ernst zu nehmen gewesen, aufgriff und Syrien aufforderte, diesem Vorschlag zu folgen. Der syrische Außenminister, der sich gerade in Moskau befand, reagierte ebenfalls ohne Zeitverzug auf den amerikanisch initiierten, russischen Vorschlag. Putin hat Obama geholfen, sein Gesicht zu wahren. Wenn es der Friedenserhaltung dient, kann man darüber nicht böse sein. Assad erklärte sich mit dem US-amerikanischen Vorschlag einverstanden, weil die Russen dem zustimmten. Es kann uns gleich sein, ob zuvor zwischen Russen und US-Amerikanern geheime Absprachen gelaufen sind oder nicht. Entscheidend war wohl etwas anderes. Obama, der im Nachhinein seine verantwortungslosen Kriegsdrohungen zur Ursache für ein angebliches russisch-syrisches Einknicken machte, konnte sich in Wirklichkeit nicht einmal halbwegs sicher sein, ob der Kongress mehrheitlich einen Militärschlag billigen würde. Dass die Mehrheit der US-Bürger dagegen war, wusste er jedenfalls. Und es standen auch international kaum willige Helfer bereit, die sich an einem Angriff gegen Syrien beteiligt hätten. Davon zeugte exemplarisch die Abstimmung im britischen Parlament. Viele Menschen sind der Kriege müde - darunter offensichtlich auch einflussreiche bürgerliche Politiker. Und die Gründe hierfür sind elementarer Natur. Am 27. August schrieb Fidel Castro im Kontext mit den US-Angriffsdrohungen gegen Syrien: "In unserer Epoche vergehen keine zehn oder 15 Jahre, ohne dass unsere Spezies in die reale Gefahr ihrer Auslöschung gerät. Weder Obama noch sonst jemand könnte etwas anderes garantieren. Das sage ich aus Realismus, denn nur die Wahrheit könnte uns etwas mehr Wohlstand und einen Hauch Hoffnung verschaffen. … Wir haben kein Recht, andere oder uns selbst zu betrügen. Die Öffentlichkeit weiß in ihrer überwältigenden Mehrheit von dem neuen Risiko, das vor ihrer Tür lauert."

Friedensbewegung muss erstarken

Vielleicht ist es gerade dieses Wissen, welches die Mehrheit des britischen Parlaments veranlasste, gegen eine Beteiligung des Landes an einem möglichen Angriff auf Syrien zu stimmen. Vielleicht vertieft sich endlich auch bei einem Teil der Herrschenden - nicht nur in Großbritannien - die Erkenntnis über die reale Gefahr der Auslöschung. Vielleicht schwindet deshalb auch die Bereitschaft so mancher bürgerlicher Politiker, sich durch jede Lüge manipulieren zu lassen. Vielleicht liegt in diesem wachsenden Realismus eine Chance. Allerdings - Illusionen wären fehl am Platze. Ohne das Erstarken der Friedensbewegung gibt es auf Dauer kaum Hoffnung.

Dies gilt nicht zuletzt für die Bundesrepublik Deutschland. Die mehrheitliche Stimmung in diesem Land richtet sich gegen Kriege. Dem mussten verschiedene Regierungen Rechnung tragen. So auch die unter Schröder und Merkel. Das scheint die Regierenden in Deutschland für ihre US-amerikanischen Partner zu unsicheren Kantonisten zu machen. Die BRD wird in puncto Spionage etwa so behandelt wie der Iran. Und hin und wieder hört man hierzu in den Medien auch die Wahrheit: Es seien die guten Beziehungen zu Russland und China, es sei die Ablehnung direkten deutschen militärischen Engagements im Irakkrieg und in Libyen gewesen und es sei natürlich die BRD-Wirtschaft, die das besondere Interesse der NSA und anderer US-Dienste stimuliere. Mit jedem Tag dreister erklärt das Imperium, spionieren täten schließlich alle, niemand solle überrascht tun, und es ließe sich zwar über dieses oder jenes reden, grundsätzlich ändern würden die Dienste ihr Verhalten nicht. Das ist das Einzige, was wir ihnen glauben dürfen. Und noch etwas: Es hat seit 1989/90 wohl kaum eine Situation gegeben, in der die zwei Maßstäbe bei der Bewertung geheimdienstlicher Tätigkeit so deutlich wurden - dafür steht exemplarisch der Umgang mit dem MfS. Es geht nicht darum, ob spioniert wird, sondern wer es tut. Wir sollten uns daher nicht zuletzt in dieser Frage vom Mainstream weniger beeindrucken lassen, als einige auch in unserer Partei.

Auch wenn es stimmt, dass die BRD in einigen außenpolitischen Punkten spürbar weniger aggressiv agiert, als beispielsweise Großbritannien oder Frankreich, sind doch die Herrschenden in der BRD bestrebt, auch militärisch international ein ernsthaftes Wort mitzureden.

Derzeit ist deutsches Militär mit 6.200 Soldaten in zehn sehr unterschiedliche Auslandseinsätze verwickelt. Seit 1990 agierte die Bundeswehr in 44 Auslandseinsätzen. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Sommer dieses Jahres listet die Regierung mehr als 17 Milliarden Euro auf, die zwischen 1992 und Ende Juni 2013 als so genannte einsatzbedingte Zusatzausgaben verrechnet wurden. Allein der 2002 begonnene Einsatz in Afghanistan verschlang 7,6 Milliarden Euro. Die Beteiligung an KFOR hat seit 1999 etwa 3,3 Milliarden Euro gekostet. Rechnet man die Balkaneinsätze SFOR und EUFOR hinzu, kommt man auf 5,1 Milliarden Euro. Die "Anti-Piraterie"-Operation "Atalanta" am Horn von Afrika, zu der die Bundeswehr seit 2008 mit Kriegsschiffen und Seefernaufklärern ausgerückt ist, schlägt bislang mit 291 Millionen Euro zu Buche, der 2006 begonnene UNIFIL-Einsatz vor der Küste Libanons mit 330,8 Millionen. Die Stationierung der "Patriot"-Raketenstaffeln in der Türkei hat seit Januar knapp sieben Millionen Euro gekostet. Die eingangs benannten, insgesamt 17 Milliarden Euro hätten genügt, um 2013 zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt zu gelangen. (nd, 17. und 18. August 2013)

Es gibt für die LINKE viele Gründe, bei ihren friedenspolitischen Prinzipien zu bleiben. Wer auch immer uns Ratschläge erteilt: Wir müssen sie zurückweisen, wenn sie diese Grundsätze auch nur im Entferntesten in Frage stellen. Erinnert sei an ein Interview mit Wolfgang Leonhard im nd vom 12/13. Oktober, indem er äußerte, die Linkspartei argumentiere außenpolitisch weitgehend provinziell, "Provinziell?", fragt nd nach. Und Leonhard antwortet: "Ja, das war allerdings bei den Grünen 1998 nicht anders. Die Realität hat sie dann in den ersten Monaten des rot-grünen Regierungsbündnisses eingefangen." Was Leonhard nicht erwähnt, ist, dass diese Realität die Bombardierung jugoslawischer Städte im Rahmen der NATO-Aggression 1999 war. Deutschland führte erstmalig seit 1945 wieder Krieg. Welch ein gewaltiger Schritt weg von der äußerst provinziellen Vorstellung, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen. Wir werden alles dafür tun, dass unsere Partei eine Friedenspartei bleibt und dies auch besonders in Vorbereitung des Europaparteitages.

Solidarität und Antifaschismus gehören zusammen

Sozialisten und Kommunisten waren und sind stets Internationalisten. Davon zeugt auch unsere Teilnahme an den antirassistischen Demonstrationen in Hamburg und Berlin, Duisburg, Schneeberg und andernorts. Davon zeugt auch der von Schriftstellern und Künstlern initiierte Aufruf "Schleift die Festung Europa!". Die darin formulierten Forderungen müssen unveräußerlicher Bestandteil unseres Europawahlkampfes werden. Im Aufruf heißt es u.a.: "An den südlichen Grenzen Europas, aber nicht nur an jenen, sterben Menschen. … Die Flüchtlinge fliehen aus Staaten, in denen Willkür, Gewalt und Unterdrückung herrschen, sie fliehen aus Ländern, deren staatliche Integrität zerschlagen wurde, aus Bürgerkriegsgebieten und Diktaturen. Sie fliehen vor Hunger, Not und Armut. Sie fliehen aus Regionen, in denen der europäische Kolonialismus geherrscht hat, und sie fliehen vor den Nachwirkungen dieses Kolonialismus ebenso wie vor den Resultaten aktueller Interventionspolitik. Sie fliehen zu uns. … Sie fliehen, weil es keinen anderen Ausweg für sie gibt. … Nicht das europäische Grenzregime … darf die Antwort auf den Andrang der Flüchtenden sein. … Europa braucht eine humanitäre und humanistische Flüchtlingspolitik." Blicken wir im Vergleich mit dieser Forderung nach Menschlichkeit auf die europäische Realität, so sehen wir - einem Symbol gleich - den Tod und das Elend vor und von Lampedusa. Und Marx kommt uns in den Sinn, der über "Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien" schrieb: "Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen." Es ist erschreckend, wie aktuell diese Feststellung geblieben ist. Denken wir nur an die Heuchelei, einerseits angeblich Menschenrechte mittels Krieg durchsetzen zu wollen und andererseits an den Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern in diesem Land.

Erinnert sei stellvertretend an die Situation um das Notaufnahmeheim in Berlin Reinickendorf und das neue Flüchtlingsheim in Hellersdorf. Die Nazis sehen ihre Stunde gekommen. Zum 24. August 2013 hatten sie nicht zum ersten Mal zu einer rassistischen Kundgebung in Hellersdorf aufgerufen.

Zum Schluss derselben spielten sie den Badenweiler Marsch. Er gilt als Adolf Hitlers Lieblingsstück. Nach der Polizeiverordnung gegen den Missbrauch des Badenweiler Marsches vom 17. Mai 1939 durfte dieser "... nur bei Veranstaltungen, an denen der Führer teilnimmt, und nur in seiner Anwesenheit öffentlich gespielt werden." Dieser nostalgische Abschluss gehörte ebenso zur Hetzkundgebung in Hellersdorf, wie ein baumlanger junger Nazi, blond mit ausrasiertem Scheitel, der abwechselnd mit dem rechten und linken ausgestreckten muskulösen Arm eine NPD-Fahne hoch hielt. Eine SS-Uniform hätte zweifelsfrei zu ihm gepasst. Die Nazis waren 70 bis 80 Leute, teils aus anderen Bundesländern. Anwohner waren wohl kaum anwesend. Auf der anderen Straßenseite, auf dem Alice-Salomon-Platz, befand sich etwa das Zehnfache an Gegendemonstranten. Autonome, Grüne, die VVN-BdA, Mitglieder der LINKEN, so auch Petra Pau, Klaus Lederer und die Sozialstadträtin von Marzahn-Hellersdorf Dagmar Pohle, Mitglieder der SPD, Vertreter von ['solid] und den jusos und nicht wenige Antifaschisten, die Organisationen nicht ohne Weiteres zuzuordnen waren, darunter Anwohner aus dem Bezirk. Anscheinend funktionierte die vielbeschworene sogenannte Zivilgesellschaft. Im Großen und Ganzen also alles im grünen Bereich?

Das wäre wohl ein Trugschluss. Das Problem sind nicht nur die vergleichsweise wenigen Nazis auf den Straßen oder die auch nicht üppige Stimmenanzahl, die sie bei diesen Wahlen erhielten. Das Problem ist, dass sie agieren dürfen und also nicht a priori gebrandmarkt sind. Das eigentliche Problem ist, dass sie massenhaften Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Islamfeindlichkeit anscheinend relativieren, indem sie durch ihre vordergründig brutale Nazipropaganda den Stammtisch vergleichsweise milde aussehen lassen. Des Weiteren spricht vieles dafür, dass ihre Strukturen - und zwar europaweit - bedeutend funktionsfähiger sind, als es ihre Mobilisierungsfähigkeit erscheinen lässt. Wenn sie gebraucht werden, werden sie da sein, und in kürzester Zeit könnte ihre Ideologie eins werden mit den dumpfen Stimmungen der Stammtischgemeinde. Die meint samt und sonders von sich, rechts sei sie nicht. Und sie begreift nicht, wie niedrig für sie die Schwelle in den braunen Sumpf liegt. Wie sollte die Stammtischgemeinde dies auch begreifen, angesichts des strukturellen Alltagsrassismus und der widerlichen BILD-Demagogie. Stimmungen sind schnell zu manipulieren. Und ein mächtiges Instrumentarium an Medien steht für jeden Fall bereit. Ein moderner Faschismus mag daher kommen wie auch immer. Zwei seiner Hauptmerkmale werden stets der Terror sein und die Massenverführung und -gleichschaltung. Und die, die den Terror ausüben, werden stets dem typischen SA-Mann gleichen, egal ob in Uniform oder nicht, egal mit welchem Haarschnitt, egal welche Sprache sprechend, egal mit welchen sexuellen Vorlieben. Sie werden kulturlos sein, Schwache und Frauen verachten und Freude finden an jeglicher Qual, die sie anderen zufügen. Die NSU-Faschisten waren keine bedauerlichen, atypischen Einzelfälle, sondern sie wären unsere Zukunft, wenn es nicht gelingt, zunächst einmal die Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie zu verteidigen. Das Bürgertum, zumindest die Großbourgeoisie, wird das nicht tun. Zumindest nicht konsequent. Sie ist, sehr zurückhaltend formuliert, ideologisch befangen. Sie scheut administrative Akte gegen Rechte, wenn die Linken verschont bleiben. Denn, so ihre Rechnung, das hieße ja zuzugeben, dass die Rechten schlimmer als die Linken sind.

Der Antifaschismus gehört wohl kaum zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Dafür steht das 1951 in der BRD verabschiedete 131er-Gesetz. Es bewirkte die massenhafte Wiederverwendung der faschistischen Berufsbeamten und der ihnen gleichgestellten Berufssoldaten auch im zivilen Bereich zu ihrem alten oder noch verbesserten Status. Das betraf auch die SS. Dafür steht - wie vieles andere mehr - ebenso der unlängst gegen Mitternacht ausgestrahlte ARD-Film "Nazis im BND". In diesem Streifen wird in ungewohnter Offenheit ausgesagt, dass es der Antikommunismus ist, der die Schlächter und Folterer für CIA und die "neuen" deutschen Dienste so unverzichtbar machte. Der Antikommunismus ist Staatsräson in der BRD. Und Geschichtsrevisionismus ist heutzutage nicht einmal mehr ein Kavaliersdelikt. Auch das belegt der Koalitionsvertrag. Das zeigte sich erneut auch am sogenannten Tag der Heimat. "Beim entsprechenden Festakt am 24. August 2013 erklärte der Rechtsaußenpublizist Arnulf Baring, die Deutschen seien - abgesehen von "den zwölf Jahren Hitler" - stets ein "besonders freundliches, kooperatives Volk" gewesen. Es sei "eine Lüge", dass die Bevölkerung über die Absicht der Nazis informiert gewesen sei, die Jüdinnen und Juden Europas zu ermorden. Diese angebliche "Lüge" aber trage dazu bei, dass die Deutschen sich partout nicht als "das vielleicht bedeutendste Volk Europas" sehen wollten. Die Folge sei, dass man heute die erste Strophe des "Deutschlandliedes" nicht mehr singe. Das sei nicht normal. Baring zufolge wird die Strophe früher oder später wieder breite Anerkennung finden. (junge Welt, 26. August 2013) Wären wir nicht vorwiegend Atheisten, so müssten wir ausrufen: Bewahre uns Gott davor, dass irgendwann noch einmal "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt" gesungen wird. Das hatten wir schon einmal!

AfD will Spagat bewältigen

Kommen wir noch einmal zu den untrennbar mit rechten Tendenzen verknüpften antirassistischen Vorkommnissen der letzten Monate zurück. Im Juliheft der Mitteilungen berichteten wir über die skandalösen Vorgänge um die Notunterkunft für Asylbewerber im Marie-Schlei-Haus im Reinickendorfer Ortsteil Wittenau. Darüber war, sieht man vom neuen deutschland und der jungen Welt ab, in den Medien ansonsten wenig zu erfahren. Seit dem Skandal um die Eröffnung der Notunterkunft für Flüchtlinge in Berlin Hellersdorf widmen sich die Medien dem Thema mit erstaunlicher Intensität. Hellersdorf liegt im Osten. Da kann ein seit mehr als zwanzig Jahren gepflegtes Klischee bedient werden, das nicht einmal mehr explizit erwähnt werden muss. Natürlich gibt es in Hellersdorf Anwohner, die den aus ganz Berlin kommenden Nazis auf den Leim gehen, die dort ihr Unwesen treiben. Leute, die der rechten Demagogie einiges abgewinnen können, gibt es in jedem Berliner Bezirk, so, wie es überall Antifaschisten gibt.

Wir sollten uns nicht ablenken lassen. Die Situation der vergangenen Monate erinnerte fatal an den Beginn der neunziger Jahre. Da brannten plötzlich beinahe jede Nacht Asylbewerberheime. Bis 1993 der Asylparagraph im Grundgesetz geändert, ja - faktisch abgeschafft war. Danach hörten die Brände im Wesentlichen auf. Nachdem der europäische Sozialismusversuch beendet war, änderte sich der politische Stellenwert von Flüchtlingen einschneidend. Sie wurden nicht mehr sosehr gebraucht, sieht man von jenen Flüchtlingsströmen aus Bosnien und dem Kosovo ab, die 1999 dem Krieg gegen Jugoslawien eine Scheinlegitimation gaben.

Nach der oben erwähnten Änderung des Asylrechts, im Kontext mit der Dublin-II-Drittstaatenreglung und dem häufig brutalen Agieren von FRONTEX, nahm die Anzahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die hierher kamen, zunächst einmal rapide ab. Doch je mehr Krieg wieder normales Mittel der Politik wird, je größer das Elend in der Welt, desto mehr Menschen flüchten aus für sie unerträglichen Verhältnissen. Die Zahl der Asylsuchenden in der BRD nimmt seit geraumer Zeit stark zu. 2013 stellten bisher 90 Prozent mehr Menschen erstmals einen Asylantrag, als in den ersten sieben Monaten des Vorjahres. Diese Entwicklung setzte bereits 2012 ein.

Nun soll abgeschreckt werden. Struktureller Rassismus, Nazis und Demagogen unterschiedlichster Couleur, nicht zuletzt in gewissen Medien mit großen Bildern, finden sich in der Sache zu einer unheilvollen Allianz zusammen. Alle anständigen Menschen, darunter die linken, müssen sich dem entgegenstellen, solidarisch-internationalistisch. Das ist auch die offensivste Form der Auseinandersetzung mit der neuen rechten Kraft, der AfD. Wir müssen unbedingt eine unangreifbare Abgrenzung zur AfD im Europa-Wahlprogramm vornehmen. Wenn man sich die programmatischen Eckpunkte dieser Partei, vor allem aber ihre Satzungsüberlegungen anschaut, so wird folgendes deutlich: Die AfD will den Spagat bewältigen, kein organisatorisches Sammelbecken für Nazis zu werden und zugleich massenhaft Stimmen der Rechten aller Schattierungen einzusammeln. Es sei "an der Zeit", so der Vorsitzende der AfD Bernd Lucke in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 26. August 2013 zugleich, "die Geduld mit linksextremen Gruppierungen aufzugeben und offensiver mit kriminellen Strukturen umzugehen." Die AfD will sich in jeder Hinsicht gutbürgerlich geben, um auch eine Vielzahl jener Menschen zu erreichen, die nicht begreifen, was eigentlich läuft. Sie will diese nicht verprellen und die Nazis und Rechtspopulisten ebenso wenig. Ihre Forderungen sind teils verschleierte rechte Parolen. Sie fordern ein Europa souveräner Staaten, offen rechts nennt sich das "Europa der Vaterländer". Sie verlangen, "unkonventionelle Meinungen im öffentlichen Diskurs ergebnisoffen (zu) diskutieren, solange nicht gegen Werte des Grundgesetzes verstoßen wird." Sie fordern die Neuordnung des Einwanderungsrechts, darauf gerichtet, nur qualifizierte und integrationswillige Zuwanderer zuzulassen. Der Rest ist eine Frage der Interpretation. Eine Auslegungsfrage ist es auch, wenn sie erklären, ernsthaft Verfolgte müssten natürlich Asyl finden. Wer ernsthaft verfolgt ist, bestimmt dann vermutlich die AfD. Und natürlich verlangen sie, dass die ungeordnete Zuwanderung in Sozialsysteme unbedingt zu unterbinden ist. Das ist reine Stimmungsmache. Die sogenannte ungeordnete Zuwanderung ist lange unterbunden. Jeder, der die entsprechenden Gesetze ein wenig kennt, weiß das. Aber - wer befasst sich schon mit denen?

Summa summarum: Diese Partei bedient den Stammtisch, ohne es dabei zu belassen. Im Internet sind die Briefe nachzulesen, die sie jeweils an die Mitglieder von SPD, FDP, CDU und CSU schreibt. Überall bedient sie eine spezielle Klaviatur. Die AfD ist sehr ernst zu nehmen. Deren politischer Charakter sollte unser Verhältnis zu ihr diktieren. Dass die AfD einige nachvollziehbare Forderungen aufstellt, ist im Vergleich hierzu unerheblich. Erheblich ist, welche Interessen wer bedienen will. Die AfD jedenfalls orientiert sich an Kapitalinteressen. Wenn wir die Gefährlichkeit dieser von Hans-Olaf Henkel und anderen gesponserten Partei offen ansprechen, kann niemand auf die Idee kommen zu versuchen, uns mit denen in einen Topf zu werfen. Die Auseinandersetzung mit der AfD ist eine besonders wichtige Frage im bevorstehenden Europawahlkampf.

LINKE taugt nicht als Mehrheitsbeschafferin

Gut zehn Wochen sind nun seit den Bundestagswahlen vergangen. Der Bundessprecherrat der Kommunistischen Plattform hat sich am Tag nach den Wahlen mit ersten Überlegungen an die Öffentlichkeit gewandt. Die Erklärung ist im Oktoberheft der Mitteilungen dokumentiert. Sie brachte unsere Freude über die guten Wahlergebnisse, nicht zuletzt auch in den alten Bundesländern, zum Ausdruck und beinhaltete zugleich eine unverblümte Warnung: Eine Warnung vor Spielchen mit und in der Partei.

Für die LINKE kommt es nun darauf an, ihre Wahlforderungen durch eine unbestechliche Oppositionspolitik einzulösen. Das setzt voraus, dass sich innerparteilich nicht diejenigen durchsetzen, die 2017 nun wohl unbedingt das realisieren wollen, was diesmal, nicht zuletzt wegen der Mischung aus politischem Kalkül und Borniertheit führender Funktionäre von SPD und Grünen, politisch verstellt blieb.

So äußerte der Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, am 6. August 2013 in der Frankfurter Rundschau: "Das einzige, was uns an der Linkspartei interessiert, sind deren bisherige Wähler und Mitglieder." So schlicht geht es eben nicht. Interessant ist Stegners Bemerkung dennoch. Die Mitglieder einer Partei als das einzige zu bezeichnen, was an ihr von Interesse ist, heißt faktisch, diese Mitglieder zur Nebensache zu erklären. Mitglieder und Wähler der LINKEN sind offensichtlich für Stegner nicht mehr als Mehrheitsbeschaffer, die für die SPD zu gewinnen vorteilhaft wäre. Uninteressant die Motive von sechzigtausend Menschen, einer sozialistischen Partei anzugehören. Unwesentlich die Überzeugungen all jener, die trotz der Niederlage, die sie 1989/90 auch ganz persönlich erlitten, die trotz der zerstörten Hoffnungen, die trotz verlorener Illusionen dabei geblieben sind, den Kapitalismus nicht als letzte Antwort der Geschichte zu akzeptieren. Unwesentlich auch die sozialistischen Überzeugungen all jener, die erst in diesem Jahrhundert Mitglieder der LINKEN wurden. Doch diese Zukunfts- und Wertvorstellungen der Mitglieder unserer Partei und vieler ihrer Wählerinnen und Wähler sind ein wesentliches Charakteristikum der LINKEN. In elitären Hirnen ist für die Wahrnehmung all dessen allerdings kein Platz. Elitäre Vorstellungen über die Beschaffenheit von Menschen machen deren Verhältnis zu Krieg und Frieden, zu Faschismus und Antifaschismus, zu Solidarität und Egoismus zu einer zu vernachlässigenden Größe, weil Menschen diesen elitären Vorstellungen gemäß beliebig manipulierbar sind. Man muss sie nur zu sich herüberziehen, dann sind sie den eigenen Interessen dienstbar.

Mancher mag jetzt sagen, die Äußerung von Stegner müsse nicht so interpretiert werden, wie gerade geschehen. Mancher mag auch fragen: Wie groß ist denn der Einfluss unserer Parteibasis auf die Politik von Vorständen und Fraktionen? Und wenn dieser Einfluss nur sehr begrenzt ist, zeugt das dann nicht doch davon, dass Stegner so ganz Unrecht nicht hat? Unsere Antwort: Wer die Macht, die aus Strukturen kommt, auf eine individuelle Schuldfrage reduziert, spricht die Verhältnisse frei. Das gilt auch für Tendenzen in unserer Partei, mit denen sich die KPF nie abgefunden hat. Wer z.B. die LINKEN-Parteimitglieder im Osten für den Umgang von Ost-Protagonisten mit unserer Geschichte verantwortlich macht, hat wenig darüber nachgedacht, welche Strukturen im Osten seit der Wende 1989 dominieren, und warum das so ist. Doch das ist ein Extra-Thema.

Zurück zu Stegner. Warum mit ihm polemisieren? Ganz einfach: Er bietet sich an. Wir sagen ihm, und allen, die ähnlich denken, wie er dies in dieser konkreten Frage offensichtlich tut: Für uns ist die Partei eine plurale - und daher von Widersprüchen nicht freie - Gemeinschaft von Menschen, die es nicht aufgegeben haben, für Frieden, gegen Sozial- und Demokratieabbau und für eine von Ausbeutung des Menschen durch den Menschen befreite Gesellschaft zu kämpfen. In dieser Partei gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie diese Ziele zu erreichen sind. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen des Kapitalismus und darüber, auf welchen Wegen er überwunden werden kann. Es gibt sehr unterschiedliche Bewertungen des gewesenen Sozialismus, teilweise sind sie von bürgerlicher Ideologie geprägt. Über diese und andere Fragen, vor allem darüber, ob man in Einzelfällen Militäreinsätzen zustimmen könnte, gibt es innerparteiliche Auseinandersetzungen, seit die Partei sich auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 faktisch neu formierte. Und gleichzeitig steht die LINKE in elementaren Fragen zusammen. Und gleichzeitig ist sie Teil außerparlamentarischer Bewegungen und ist sie die einzige nichtetablierte, weil nichtbürgerliche Partei in den Parlamenten - allen Sünden zum Trotz, die sie zweifelsfrei beging und begeht, wenn sie Regierungsverantwortung wahrnimmt. Würde die LINKE ihren Differenzen einen größeren Stellenwert beimessen als ihren Gemeinsamkeiten, so wäre sie nicht mehr. Und so mancher, der heute nur einen Blick für ihre Fehler und Schwächen hat, würde feststellen, was die deutsche und europäische Linke verloren hat, gäbe es sie nicht mehr.

Und wie immer wer auch immer die Basis unserer Partei bewertet: Ohne die Parteibasis wäre der Zeitpunkt längst erreicht, der die Partei überflüssig machte. Ohne die Basis wäre die Einzelfallprüfung in puncto Militäreinsätze längst beschlossene Sache. Ohne sie wäre der Umgang mit unserer Geschichte noch unerträglicher als - und das müssen wir zugeben - er ohnehin schon ist. Es sind die Überzeugungen und daraus resultierenden Stimmungen an der Parteibasis, die in existentiellen Fragen für Vernunft gesorgt haben. Und deshalb taugen die Mitglieder unserer Partei nicht als Mehrheitsbeschaffer für eine Hartz-IV-Partei, die Deutschland gemeinsam mit den Grünen 1999 erstmalig nach Ende des II. Weltkrieges wieder in ein Kriegsabenteuer stürzte. Gleiches gilt zumindest für unsere Stammwähler.

Zwischen Göttingen und Hamburg

Kommen wir noch einmal zu den Ergebnissen der Bundestagswahlen für unsere Partei zurück. Knapp skizziert sehen wir die Gründe hierfür in folgenden Punkten:

1. Nach dem Göttinger Parteitag ebbten die - nicht zuletzt auf Knochen von Gesine Lötzsch und Klaus Ernst - rigide ausgetragenen Konflikte in der LINKEN ab. Hier liegt ein großes Verdienst der beiden neugewählten Parteivorsitzenden.

2. Die Politik des Vorstandes und der Fraktion waren - gerade im Vorfeld der Bundestagswahlen, besonders aber im Ergebnis der im Frühjahr stattgefundenen Regionalkonferenzen - darauf gerichtet, die in der Partei zweifellos und unabdingbar existierenden Widersprüche in den Hintergrund treten zu lassen. Das war notwendig und daher richtig. Manche meinen, Widersprüche dürften nie gedeckelt werden. Wir denken: Wenn es um Existenzfragen geht, ist es ein Gebot der Vernunft, die Gemeinsamkeiten zu unterstreichen und in der politischen Praxis zur Geltung zu bringen.

3. Problematisch wird ein Dauerdeckeln von Problemen, weil die Grundsätzlichkeit der Widersprüche unterschätzt wird. Es geht also weder darum, jede denkbare Auseinandersetzung zu jedem denkbaren Zeitpunkt zu führen, noch um das Gegenteil: Auf Auseinandersetzungen prinzipiell zu verzichten. Eine andere Frage ist die, wie sie verlaufen. Kulturvoll kann und muss es zugehen. Deshalb war es für uns z.B. keine Frage, bereits einen Tag nach den Wahlen vor jeglicher Tendenz zu warnen, die friedenspolitischen Grundsätze der LINKEN aufzuweichen. Deshalb war es für uns auch im Wahlkampf keine Frage, uns - gemeinsam mit Hans Modrow, Andrej Reder und anderen - in der Auseinandersetzung zu positionieren, in der es um den Ort der Anbringung einer Gedenktafel für die unter Stalin verfolgten und inhaftierten Kommunistinnen und Kommunisten ging, von denen viele ermordet wurden. In den Mitteilungen Nr. 4, 6 und 11 sind diese Positionen nachlesbar.

Am 25. Mai 2014 finden die Europawahlen statt und am 15. Und 16. Februar 2014 der Europawahlparteitag in Hamburg. Wir haben unsere Vorstellungen zum Europawahlprogramm in Antragsform zu den Vorstandssitzungen am 19. Und 20. Oktober 2013 und 23. Und 24. November 2013 eingereicht. Berücksichtigt wurde nichts davon. Also werden wir entsprechende Änderungsanträge an den vorliegenden Leitantrag stellen. Wir freuen uns sehr, dass die Abgeordnete des EP und Landesvorsitzende der niedersächsischen LINKEN Genossin Sabine Lösing hier und heute zu grundlegenden Aspekten des Europawahlkampfes sprechen wird.

KPF muss weiter gestärkt werden

Wenn unsere Annahme zutrifft, dass sich, aus den bereits genannten Gründen, die Auseinandersetzungen um die friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei wieder zuspitzen werden, dann ist es von substantieller Bedeutung, dass nicht zuletzt die marxistisch orientierten Kräfte innerhalb der LINKEN ein Kräfteverhältnis nicht zulassen, in dem diese Grundsätze doch noch über Bord gehen. Die KPF ist zu einer solchen politischen Leistung ebenso wenig allein in der Lage, wie es ohne sie möglich ist, diese zu vollbringen. Nachdem sich die Hoffnungen von Herrn Steinmeier zerschlagen haben, die er unmittelbar nach dem Göttinger Parteitag geäußert hatte, dass nämlich für die LINKE das Ende der Party eingeläutet sei, müssen wir jetzt mit einer konzertierten Aktion rechnen, die sich mit dem Bahrschen Prinzip "Wandel durch Annäherung" beschreiben lässt. Die im fds versammelten Reformer haben in der Zeitspanne vom Göttinger Parteitag im Juni 2012 bis zu den Bundestagswahlen im September 2013 keine relevanten taktischen Fehler begangen. Doch nun sind sie gezwungen, Flagge zu zeigen, wenn sie innerhalb der Partei ihren alten Einfluss zurückgewinnen wollen, was sich nach den Bundestagswahlen und den vergleichsweise guten Ergebnissen in den alten Bundesländern für sie als nicht leicht erweisen wird. Daraus folgt, dass die ideologischen Auseinandersetzungen wieder einen bedeutenderen Stellenwert erhalten werden. Als Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN werden wir uns den inhaltlichen Fragen dieser Auseinandersetzungen stellen. Wir werden dabei nicht provozieren und uns nicht provozieren lassen und dennoch - so wie bisher - in allen wesentlichen Fragen kenntlich sein. Dazu bedarf es einer KPF, die inhaltlich und organisatorisch handlungsfähig ist und von anderen Kräften in der Partei, vor allem aber von deren Basis, respektiert wird.

Am 7. September 2013 befasste sich der Bundeskoordinierungsrat mit der politisch-organisatorischen Situation der KPF in den Ländern. Hier das zusammengefasste Diskussionsergebnis.

1. Seit im Zusammenhang mit der Fusion und Vereinigung von PDS und WASG die weitere Existenz der Zusammenschlüsse in der Partei zur Disposition gestellt werden sollte, aus Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, waren auch wir gezwungen, festzustellen, wie viele der sich der KPF zugehörig fühlenden Genossinnen und Genossen Mitglieder unserer Partei sind. Und mehr als das: Wir mussten gezielt Mitglieder für die KPF gewinnen, um die bekannten Bedingungen zu erfüllen, die die Satzung für die Anerkennung der Rechte von Zusammenschlüssen vorschreibt.

2. Zunächst einmal führten wir durchaus eine Kampagne zur Gewinnung von weiteren Parteimitgliedern für die KPF durch. Auch nach dem Ende derselben endete der Zustrom von Genossinnen und Genossen unserer Partei in die Plattform nicht.

3. Die letzten Jahre waren und sind diesbezüglich durch ein hohes Maß an Stetigkeit gekennzeichnet. Es gibt neue Mitglieder. Es gibt Verluste durch Todesfälle, aber auch durch Parteiaustritte. Wenn wir den Realitäten Rechnung tragen wollen, müssen wir feststellen: Die durchaus vorhandene Stabilität kann in Rückläufigkeit übergehen, wenn wir uns nicht bewusst den Herausforderungen stellen. Dies war ein wesentliches Ergebnis unserer Diskussion.

4. Welches sind die entscheidenden Herausforderungen, vor denen wir stehen - und das betrifft nicht nur uns?

  • Die Kommunistische Plattform verfügt, wie andere Zusammenschlüsse einer bestimmten Größe, über Parteitagsmandate. Seit dem Chemnitzer Parteitag haben wir es mit dem erneuten Versuch zu tun, die Rechte der Zusammenschlüsse über Satzungsänderungen zu beschneiden; uns also die ordentlichen Mandate zu nehmen sowie die ordentliche Mitgliedschaft im Bundesausschuss. Gemeinsam mit 15 bundesweiten Zusammenschlüssen [BAG Betrieb & Gewerkschaft, AG Agrarpolitik und ländlicher Raum, BAG Frieden und Internationale Politik, BAG Gesundheit und Soziales, BAG Hartz IV, BAG Linke Unternehmerinnen und Unternehmer, Ökologische Plattform, Geraer Dialog / Sozialistischer Dialog, BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik, Antikapitalistische Linke, BAG Lisa, Sozialistische Linke, AG Cuba Sí, BAG Grundeinkommen, BAG queer und BAG Senioren] werden wir dafür kämpfen, dass unsere Rechte erhalten bleiben. Die entsprechenden Vereinbarungen zwischen diesen Zusammenschlüssen liegen den Konferenzmaterialien bei.
  • Es stoßen zu wenig junge und jüngere Mitglieder zur Partei. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Es überfordert uns gegenwärtig, diese komplex zu analysieren. Wir stellen uns aber der Verpflichtung, die Debatte über diese Problematik in der Partei einzufordern. In der KPF wird die erwähnte Problematik dadurch verstärkt, dass die Zugehörigkeit zu ihr mit Konsequenzen der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sowie durch weitere Geheimdienste und anderen durchaus nachteilig wirkenden Faktoren verbunden ist. Das kann gerade auf junge Menschen abschreckend wirken, weil es sich auf die berufliche Entwicklung durchaus ungünstig auswirken kann.
  • Im Kontext mit der Fusion und Vereinigung der Quellparteien zur LINKEN gab es eine nachvollziehbare Euphorie und daher kam es mancherorts auch zu politischen Blasen, die den Mühen der Ebene nicht standhielten. Schlicht formuliert: Die Bereinigung von Mitgliederkarteien machte mancherorts einen spürbaren Mitgliederschwund sichtbar. Natürlich bleibt die Situation in der KPF davon nicht unberührt.
  • Es wirkt sich aus, dass in verschiedenen Bundesländern - und dass trifft ja auch die KPF - weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Mit diesem Problem werden wir auch verstärkt auf der Bundesebene zu tun bekommen. Das zeigt sich bereits an den laufenden Auseinandersetzungen um die weitere Finanzierung der externen Publikationen der Partei, darunter unsere Mitteilungen. Wir haben uns in diesem Kontext an den Bundesausschuss gewandt. Der entsprechende Brief liegt bei den Konferenzmaterialien.

5. Einen breiten Raum in der Debatte nahm naturgemäß die Frage ein, welches die Wege zur Gewinnung neuer KPF-Mitglieder sind. Am ehesten haben jene Genossinnen und Genossen eine Chance, die in ihren Basisorganisationen und Bezirken als Aktivistinnen und Aktivisten in Erscheinung treten, die ihren Mitstreitern als KPF-Mitglieder bekannt sind und durch ihre Vorbildwirkung andere für uns gewinnen. Es fällt auch leichter, Genossinnen und Genossen für uns zu interessieren, wenn es uns gelingt, die Mitteilungen bekannt zu machen. Sie sind der Ausweis für unsere Positionen und unseren politischen Stil. Genosse Helmut Müller wird speziell zu diesem Thema in der Diskussion sprechen.

6. Unterschiedliche Auffassungen in den Landessprecherräten und somit auch im Bundeskoordinierungsrat gibt es zu der Frage, ob man sich - nicht um eine Kampagne zu führen, sondern um sich selbst unter einen bestimmten moralischen Druck zu setzen - bestimmte jährliche Zielstellungen zur Gewinnung von LINKEN-Mitgliedern für die KPF setzen sollte. Das muss also in den jeweiligen Ländern entschieden werden.

Liebe Genossinnen und Genossen, Euch liegt der Beschlussantrag des KPF Bundeskoordinierungsrates vor, in dem die Schwerpunkte unserer Arbeit bis zu den Europawahlen am 15. Mai 2014 fixiert sind. Ebenfalls im Mai findet in Berlin der Parteitag statt, auf dem der neue Parteivorstand gewählt wird.

Einen Schwerpunkt unserer Arbeit möchten wir abschließend besonders hervorheben. In fünf Wochen, am 12. Januar 2014, findet die Luxemburg-Liebknecht-Ehrung in Berlin Friedrichsfelde statt, und in diesem Rahmen demonstrieren wir gemeinsam mit tausenden Linken unterschiedlichster Strömungen zum Friedhof der Sozialisten. Das Demo-Bündnis, dem wir angehören, hat im August seine Arbeit aufgenommen. Am Tag der Mahnung und des Gedenkens haben wir begonnen, Unterschriften unter unseren Aufruf zu sammeln, und bisher unterschrieben 316 Gruppierungen, Parteien und Personen. Die Mobilisierung für die Ehrung und Demonstration hat im gesamten Bundesgebiet begonnen. Wir haben auf unserer Bundeskonferenz im April eine ausführliche Analyse der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration vom 13. Januar 2013 vorgenommen und möchten hier nichts davon wiederholen. Wir bitten allerdings nachdrücklich darum, dass sich alle Landessprecherräte das Maiheft der Mitteilungen - es ist heute auch zu haben - noch einmal zur Hand nehmen und die entsprechenden Passagen im Bericht des Sprecherrates für die politische Arbeit in den nächsten Wochen offensiv nutzen. Tun wir gemeinsam alles dafür, dass Ehrung und Demonstration am 12. Januar 2014 zu einem politischen Erfolg werden.