2. Tagung der 17. Bundeskonferenz

Bericht des Bundessprecherrates

Berichterstatter: Friedrich Rabe

»Die US Air Force ist schon auf vorgeschobenem Posten – fast in Staffelstärke, also nicht mehr in der Auftragslogik von Baltic Air Policing.« So René Heilig am 24. März 2014 im nd. Washington hielte Übungen im Schwarzen Meer ab, und dass der US-Zerstörer Donald Cook seine Jungfernfahrt als Kernstück des künftigen NATO-Raketenabwehrsystems jetzt in Europa absolviere, sei ein deutliches Zeichen der Stärke, sagten NATO-Insider. »Wir werden«, so zitiert René Heilig den Cook-Kommandanten Scott A. Jones, »ganz sicher auch im Atlantik patrouillieren – bis nach Großbritannien und in die Ostsee.« Derweil, so Heilig weiter, zeichneten Jets Ihrer Majestät Kondensstreifen in den baltischen Himmel. Frankreich wolle Jagdbomber und AWACS-Gefechtsstände über Litauen, Lettland, Estland und Polen fliegen lassen. Sogar das kleine Dänemark startete Jäger mit Kurs auf die russische Grenze. Auch über Rumänien flögen Gäste anderer NATO-Staaten. Am 31. März 2014 meldet das nd in gleicher Sache: »Sicher ist, so viel Feuerbereitschaft war seit dem Niedergang des Warschauer Paktes nicht mehr an einem engen Grenzstreifen versammelt.« Auf dem Flughafen Šiauliai in Litauen habe die US-Air Force zehn F-15-Jets stationiert. Mit den in Polen zusätzlich stationierten habe man so ein Geschwader beisammen. Am 16. April 2014 kündigte Generalsekretär Rasmussen nach der Brüsseler NATO-Ratssitzung an, weitere beschlossene Maßnahmen würden »unverzüglich« umgesetzt. »Wir werden mehr Flugzeuge in der Luft haben, mehr Schiffe im Wasser, und wir werden auf dem Land eine erhöhte Bereitschaft haben.«

Die NATO steht, allen früheren Zusagen zum Trotz, an den Grenzen Russlands. Die Ukraine soll dazu kommen. Das forderte Zbigniew Brzezinski schon 1997 in seinem Buch »Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft.«. Die die Ukraine betreffenden Passagen aus seinem strategischen Konzept sind im April-Heft der Mitteilungen dokumentiert. Wir haben es mit nichts Geringerem zu tun, als mit dem von den Russen aus guten historischen Gründen so gefürchteten Cordon sanitaire in der Neuauflage des 21. Jahrhunderts. Und ausgerechnet diejenigen, die Russland derartig bedrängen, werfen ihm vor, es bediene sich der Methoden des 20. Jahrhunderts. Diese Vorwürfe jener, die – nach Afghanistan, Irak und Libyen, bei fortwährenden Drohnenangriffen auf Pakistan und den Jemen, nach dem Angriff auf Jugoslawien und der Abtrennung des Kosovo von Serbien – plötzlich das Völkerrecht wiederentdeckt haben, sind verbunden mit unerträglichem Russenhass. Deutsche Medien, in denen die Kinder und Kindeskinder all jener das Sagen haben, die einst in der Sowjetunion 2.000 km verbrannter Erde hinterließen, schüren diesen Hass über die für unsereins erträgliche Grenze hinaus. So auch der Vizekanzler der BRD Gabriel mit seiner dreisten Behauptung, Russland sei bereit, »Panzer über europäische Grenzen rollen zu lassen«. Stimmen der Vernunft, wie die des Altkanzlers Helmut Schmidt, versinken beinahe im Sumpf dieser Hetze. Wenige Tage vor dem 8. Mai versichern wir von dieser Konferenz aus: Niemals werden wir vergessen, wer auch das Land von der Barbarei befreite, in dem wir leben und von dem der mörderische Krieg ausging. Niemals werden wir leugnen, dass die sowjetische Bevölkerung, nicht zuletzt das russische Volk, die Hauptlast im Kampf gegen den Faschismus trug. Niemals werden wir vergessen, welch ungeheuerliche Verbrechen Deutsche in den okkupierten Gebieten begingen. Alleine in Belorussland machten sie weit über 600 Dörfer dem Erdboden gleich und ermordeten deren Einwohner bestialisch. Niemals werden wir die 27 Millionen Sowjetbürger vergessen, die dem mörderischen Treiben Hitlerdeutschlands zum Opfer fielen. Allein durch die Blockade Leningrads kamen eine Million Bewohner um. Die meisten verhungerten. Wir fordern von hier aus: Schluss mit der dreisten Hetze gegen Russland, unabhängig davon, wie wer welche Schritte dieses Landes in Hinblick auf die Ukraine beurteilt. Es ist endlich zu respektieren, dass auch Russland legitime Sicherheitsinteressen hat.

Man muss übrigens weder Kommunist noch Sozialist sein, um sich der Volksverhetzung gegen Russland zu widersetzen. So schreibt der Historiker Götz Aly in einer Kolumne in der Berliner Zeitung vom 15. April 2014, bezugnehmend auf einen Artikel von Volker Zastrow unter der Überschrift »Alarm« in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Zastrow diagnostiziere für die Deutschen im Allgemeinen, sie hätten Angst vor den Russen und »nun wieder die Hosen voll«. Am Ende fordere Zastrow: »Die guten Jahre sind vorbei, der Westen muss aufrüsten.« Zwischendurch erkläre Zastrow, woher die angebliche Russenangst der Deutschen rühre, nämlich aus »den Kriegsverbrechen, die Deutsche in Russland und Russen in Deutschland begangen haben«. Aly kommentiert: »Diese Gleichsetzung, dieser schamlose Geschichtsrevisionismus überschreitet jede Grenze. Der deutsche Angriffs-, Vernichtungs- und Versklavungskrieg kostete 27 Millionen Sowjetbürger das Leben, verheerte die Wirtschaft dauerhaft. Hätten ›Russen‹ vergleichbare Verbrechen an Deutschen begangen, wie Zastrow insinuiert«, so Aly abschließend, »hätte Zastrow, der im Übrigen journalistisch Beachtliches geleistet hat, diesen Kommentar kaum schreiben können«. Gut, dass es diese Stimmen der Vernunft auch gibt, in Anbetracht von Forderungen in der BILD-Zeitung: »Wir wollen keine Russen-Panzer mehr am Brandenburger Tor!« BILD will, wie sie hetzerisch schreibt, mit einer Unterschriften-Aktion, »martialische Kriegs-Symbole am Ehrenmal in Berlin« verschwinden lassen. Ein unerhörter Vorgang, der nur zu einem taugt: Zu belegen, wie berechtigt die tiefen Ängste der Russen sind und bleiben.

Zur Kritik an der Sprecherratserklärung

Liebe Genossinnen und Genossen, die Frage von Krieg und Frieden gewinnt täglich an Bedeutung und damit auch der Stellenwert der in unserer Partei geltenden friedenspolitischen Grundsätze. Einen Tag nach den Bundestagswahlen veröffentlichten wir eine Erklärung, in der es hieß: »Unser politischer Wille muss darauf gerichtet sein, gute Oppositionsarbeit zu leisten, und nicht darauf, fit zu werden für eine Regierungsbeteiligung im Bund. Letztere setzte voraus, die Staatsräson der BRD zu respektieren, deren Kern die außenpolitischen Bündnisverpflichtungen im Rahmen der NATO und der EU darstellen. Dem Willen zur Regierungsbeteiligung im Bund stehen die programmatisch fixierten friedenspolitischen Prinzipien der Partei unversöhnlich gegenüber.« Weiter heißt es, es sei damit zu rechnen, dass die seit 1996 immer wieder diskutierte Frage erneut aufgeworfen wird, ob DIE LINKE Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht doch unter bestimmten Umständen billigen sollte. Kein halbes Jahr später war es bereits so weit: In der Bundestagsfraktion unserer Partei fand vor dem 9. April 2014 eine Grundsatzdebatte darüber statt, ob man sich bei der Abstimmung über die Entsendung einer Bundeswehrfregatte zum Zwecke des Begleitschutzes eines US-amerikanischen Spezialschiffes, auf dem syrischen Chemiewaffen vernichtet werden, geschlossen enthalten solle. Die Ergebnisse der Abstimmung sind bekannt. Der Bundessprecherrat hat noch am 9. April 2014 eine Erklärung hierzu herausgegeben, die wir ebenfalls als bekannt voraussetzen. Sie wird im Maiheft der Mitteilungen ebenso dokumentiert wie der vor der Abstimmung an die LINKEN-Abgeordneten entsandte Offene Brief, der von 587 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet unterschrieben wurde. Darunter viele Funktionsträger aus dem Mittelbau der Partei. Unsere nach der Abstimmung im Bundestag abgegebene Erklärung fand viel Zustimmung. Aber es gab auch Kritik. Auf diese soll hier kurz eingegangen werden. Wir wurden zum Beispiel gefragt, ob wir es ernst meinen, wenn wir schreiben, Zitat: »Je akzeptierter DIE LINKE, desto sicherer auch ihr friedenspolitisches Gewicht. Akzeptanz resultiert nicht zuletzt aus programmatischer und politischer Zuverlässigkeit und festigt diese zugleich. Die jüngste Auseinandersetzung in der LINKEN sollte für niemanden ein Grund sein, uns zu den Europawahlen nicht zu wählen. Im Gegenteil: DIE LINKE hat erneut bewiesen, wo sie mehrheitlich steht, wenn es um Grundfragen geht.«

Ja – wir meinen das sehr ernst, was natürlich nicht bedeutet, wir würden die Ja-Stimmen und die Stimmenthaltungen nicht ernst nehmen. Unsere Sorge darüber haben wir zum Ausdruck gebracht. Aber – wie war denn die Ausgangslage? Gregor Gysi hatte vorgeschlagen, die Fraktion solle sich geschlossen enthalten. Das Hauptargument für diesen Vorschlag finden wir z.B. auch bei Paul Schäfer oder Jan van Aken: Wir könnten uns nicht verweigern, wenn die Bundeswehr dabei behilflich sei, Abrüstung zu betreiben. Es gab auch noch andere Argumente, so: Das Mittelmeer sei zwar nicht Deutschland, aber eben auch kein Ausland und daher könnte in diesem Falle eigentlich gar nicht gegen das Programm verstoßen werden, weil darin ein solcher Fall gar nicht vorgesehen sei. Das ist eine Argumentation für die Sendung Die Anstalt, und darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die Argumentation in puncto Abrüstung hingegen war sehr ernst zu nehmen, und wir machten die Erfahrung, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlte. Das betraf Diskussionen an der Basis, und sicher betraf das auch nicht wenige Bundestagsabgeordnete. Der Vorschlag, sich zu enthalten, schien einen Ausweg zu bieten, zwischen der scheinbaren Ablehnung von Abrüstung und der Zustimmung zu militärischer Symbolpolitik. Wären entschiedene Verfechter der roten Haltelinien in der LINKEN, darunter die KPF, nicht aktiv geworden, hätten sie nicht überzeugende Argumente für ein Nein zum besagten Militäreinsatz in die Öffentlichkeit gebracht – die Abstimmung wäre sehr viel anders ausgegangen. Und noch am 9. April 2014 abends hätte die Medienkampagne begonnen. Etwa so: DIE LINKE hat die Position ihrer Totalverweigerung in puncto Auslandseinsätze erstmalig geschlossen infrage gestellt. Realiter gab es keine Kampagne. Das Ergebnis gab das nicht her, denn der Coup misslang. Und wir meinen, er misslang vor allem aus zwei Gründen: Zum einen gab es a priori Genossinnen und Genossen in der Fraktion, die erklärten, dass eine Enthaltung für sie nicht in Frage kommt. Zum anderen wandten sich die Verfechter der roten Haltelinien, darunter die KPF, mit besagtem Offenem Brief an die Basis der Partei. Und es war eben nicht von vornherein klar, ob es genügend Unterschriften geben wird, damit sich moralischer Druck auf Unentschlossene aufbaut. Vor einer solchen Aktion weiß man nie, was am Ende herauskommt. Heraus kam, dass die Partei nicht mal eben so an der Nase herum geführt werden kann und dass sie gegen jede Aufweichung der friedenspolitischen Positionen kämpft. Innerhalb von gut drei Tagen wurden knapp 600 Unterschriften gesammelt. Hätte die Aktion drei Wochen gedauert, so wären es aller Voraussicht nach tausende gewesen. Da lief also, um zur konkreten Ausgangslage zurückzukehren, im Zeitraum von nicht einmal zwei Wochen ein Prozess ab, durch den eben nicht signalisiert wurde: Bei einer günstigen Gelegenheit stellt die Fraktion der LINKEN die friedenspolitischen Grundsätze ohne viel Gewese mal eben in Frage. Signalisiert wurde vielmehr: Die Parteimehrheit wird nicht dulden, dass das Parteiprogramm in seiner wichtigsten Aussage gekippt wird. Und deshalb haben wir kein Problem damit, zu sagen: »DIE LINKE hat erneut bewiesen, wo sie mehrheitlich steht, wenn es um Grundfragen geht.« Diese Feststellung bezieht sich auf sehr viel mehr als auf das reine Abstimmungsverhalten am 9. April 2014. Wir wissen für die Zukunft mindestens zweierlei: Zum einen: Der Erhalt der friedenspolitischen Grundsätze ist nur durch Kampf zu gewährleisten. Und es wird erneute Versuche geben, sie über Bord gehen zu lassen. Zum anderen wissen wir: Kraft zum Kämpfen schöpft man im Regelfall weder daraus, dass im Kampf erzielte Ergebnisse schöngeredet werden, noch durch das Gegenteil davon. Hilfreich ist nur die Analyse: Ja, die programmatischen Grundsätze der Partei wurden verletzt. Aber geplant war deren prinzipielle Infragestellung. Das wurde vereitelt. Nur der Bezug auf diese beiden Komponenten und auf die Frage, wie die Vereitelung organisiert wurde, erklärt den politischen Stellenwert dessen, was vor dem 9. April 2014 und auf der Bundestagssitzung selbst geschah.

Uneingeschränkt Antikriegspartei bleiben

Liebe Genossinnen und Genossen, auch dieses jüngste Ereignis zeigt: Jene Kräfte in der Partei, die politisch offenkundig nichts so sehr wünschen wie die Teilhabe an einer rot-roten-Koalition im Ergebnis der nächsten Bundestagswahlen, scheinen sich mehr Gedanken darüber zu machen, wie dieses Ziel zu erreichen ist, als darüber, wie wir unseren Verpflichtungen als Oppositionskraft – parlamentarisch und außerparlamentarisch – gerecht werden. Stefan Liebich und Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) haben Anfang des Jahres in einem an die SPD adressierten Papier Hindernisse beschrieben, die einer rot-rot-grünen Regierungspolitik in puncto Außenpolitik im Wege stünden. Während Gauck und andere offenkundig darauf hinarbeiten, der militärischen Rolle Deutschlands in der Weltpolitik ein größeres Gewicht zu verleihen, haben einige Oppositionspolitiker offenbar nichts Besseres zu tun, als Gedankenspiele zu betreiben, welche außenpolitischen Hürden SPD, Grüne und LINKE gemeinsam zu nehmen hätten, damit 2017 eine entsprechende Regierungskoalition zustande kommt.

Wir sagen: DIE LINKE muss uneingeschränkt Antikriegspartei bleiben – oder aber niemand wird sie mehr brauchen. Wenn SPD und Grüne unsere diesbezüglichen Grundsätze übernehmen, kann ja über alles geredet werden. Gemeinsam mit vielen Genossinnen und Genossen in unserer Partei werden wir als Kommunistinnen und Kommunisten darum ringen, dass diejenigen, die der LINKEN das entscheidende Alleinstellungsmerkmal nehmen wollen, auch in Zukunft keine Chance haben werden. Außerdem: Was kann man in einer Regierung wollen, die bereit und willens ist, Kriege zu führen und die BRD einen der weltweit führenden Waffenexporteure sein lässt?

Liebe Genossinnen und Genossen, kehren wir noch einmal zur so genannten großen Politik zurück. Spätestens jetzt wird offensichtlich, was von der Leyen und Bundespräsident Gauck meinten, als sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar forderten, dass Deutschland seine angeblich bisher praktizierte »Kultur der Zurückhaltung« bei Militäreinsätzen aufgeben und »sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substantieller einbringen« müsse.

In den letzten Monaten dürfte auch besonders klar geworden sein, warum Wulff gehen musste. Damit Gauck an seine Stelle treten konnte. Auf unserer Bundeskonferenz am 28. April 2012 hatten wir hierzu eine Einschätzung vorgenommen, die sich als richtig herausgestellt hat. Wir haben den entsprechenden Abschnitt in unserem diesjährigen März-Heft der Mitteilungen noch einmal dokumentiert. Zitiert seien hier daher nur wenige Sätze: »Das Wesentliche am Fall Wulff und an der Inthronisierung Gaucks ist die erwiesene Fähigkeit der Medienkonzerne, den Politikern, die Kanzlerin eingeschlossen, ihr Handeln in Größenordnungen zu diktieren … Möglicherweise werden wir (in diesem Fall, die Verf.) nie bis ins Letzte erfahren, warum. Vielleicht hielt BILD einfach nur den Zeitpunkt für gekommen, wo man dem ›Präsidenten der Herzen‹ – eine Wortschöpfung des Blattes von 2009 – den Weg frei denunzieren konnte, für einen von Gauck auch im zukünftigen Amt zu erwartenden durch und durch reaktionären Stil. Nicht zuletzt, vielleicht sogar in erster Linie, gegen Merkel. Die beteiligte sich immerhin nicht direkt am Libyen-Abenteuer und erscheint manchen in sozialen Fragen immer noch zu lasch.«

Es ist gespenstisch

Liebe Genossinnen und Genossen, fast auf den Tag genau zwei Jahre sind vergangen, seit wir diese Einschätzung vornahmen. Inzwischen wagt Gauck es sogar, die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin in Frage zu stellen. Nichts anderes hat er auf der Münchener Sicherheitskonferenz getan, voll und ganz sekundiert von der überaus ehrgeizigen Ministerin von der Leyen und teils unterstützt von Außenminister Steinmeier. Gauck forderte, umjubelt von der Journaille, beklatscht von den NATO-Verbündeten, allen voran der Außen- und der Kriegsminister der USA, Deutschland dürfe nicht seine »historische Schuld benutzen, um dahinter Bequemlichkeit und Weltabgewandtheit zu verstecken«. Bei Krisenprävention dürfe es Deutschland nicht belassen: »Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein.« Schließlich könnten die Folgen des Unterlassens genauso gravierend sein wie die Folgen des Eingreifens, so Gauck, manchmal sogar gravierender. Die Kultur der Zurückhaltung kam in seiner Rede erst gar nicht mehr vor. Und dies ungeachtet der kurz vor der Münchener Sicherheitskonferenz veröffentlichten aktuellen Umfragewerte, die besagen, dass 61 Prozent der Bundesbürger einen Ausbau der Bundeswehr-Auslandeinsätze in internationalen Krisengebieten ablehnen. Es ist gespenstisch: Im 100. Jahr des Beginns des I. und im 75. Jahr des Beginns des II. Weltkrieges jubelt die veröffentlichte Meinung gegen den Mehrheitswillen der Öffentlichkeit darüber, dass Deutschland sich wieder wie eine »normale« Großmacht verhalten soll. Zu dieser Absurdität schrieb Jakob Augstein auf Spiegel Online vom 3. Februar 2014: »Denn in vielen Redaktionen sitzen Journalisten, die ihren Job wie NATO-Pressesprecher versehen. Diese Leute treffen sich auf der Sicherheitskonferenz in München, bei der Atlantik-Brücke, beim American Council on Germany, oder bei der Atlantischen Gesellschaft. In diesen Kreisen ist man sich einig, dass die Zeit der ›Zurückhaltung‹ ein Ende haben müsse. Der deutsche Beitrag zu militärischen Interventionen seit dem Fall der Mauer reicht diesen Leuten noch lange nicht. Mehr Stahl, mehr Fleisch! Warum? Damit sie sich endlich auf internationalem Parkett ebenbürtig fühlen.«

Ebenbürtig ist man auch im Rüstungsgeschäft mit dabei. Die Bundesregierung will einen erneuten Rüstungsdeal mit Saudi-Arabien durch eine Hermes-Bürgschaft in Höhe von 1,4 Milliarden Euro fördern. Das Empfängerland orderte rund 100 Patrouillenboote. Als dieser Deal ausgehandelt wurde, war die SPD noch in der Opposition und deren damaliger Parlamentarischer Geschäftsführer und heutiger Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann sagte vor gut einem Jahr hierzu: »Die Bundesregierung will offenbar Saudi-Arabien total hochrüsten und hat aus den öffentlichen Protesten gegen die Waffenlieferungen in dieses Land nichts gelernt.« »Unrechtsregimen«, so Wirtschaftsminister Gabriel noch in der letzten Januarwoche 2014, »sollte man keine Waffen verkaufen«. Wenige Tage später – der Februar hatte gerade begonnen – verteidigte er den Export von Patrouillenbooten mit der Begründung: »Mit Patrouillenbooten können sie nicht auf Plätzen ihre eigene Bevölkerung unterdrücken.« Das taugt eigentlich eher fürs Kabarett. Ein SPD-Vorsitzender und Minister, von dem man lernen kann, dass Kriegsschiffe nicht auf dem Land, und schon gar nicht auf Plätzen zum Einsatz kommen, sollte der LINKEN keine Ratschläge geben, wie deren Außen- und sogenannte Sicherheitspolitik aussehen könnte. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass unsere Antikriegslosungen auf den Europa-Wahlplakaten niemals zur Phrase werden.

Zum Hamburger Parteitag

Liebe Genossinnen und Genossen, in gut vier Wochen finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auf dem Wahlparteitag Mitte Februar zeichnete sich ab, welche Mehrheiten dort existieren. In unserer am 17. Februar 2014 veröffentlichten Erklärung »Nach der Wahl ist vor der Wahl: Noch 81 Tage bis zum Parteitag in Berlin« haben wir uns vorrangig zu dieser Frage geäußert.

Satzungsgemäß und rechtzeitig hatte der Bundesausschuss der LINKEN am 30. November 2013 den Listenvorschlag vorgelegt. Es sei ungewöhnlich – und in der Bundessatzung der LINKEN nicht vorgesehen –, so formulierten wir, dass zum satzungsgemäß unterbreiteten Listenvorschlag des Bundesausschusses für die Wahl zum Europäischen Parlament ein Gegenvorschlag kreiert worden sei. Diese vom fds-dominierten Flügel präsentierte Gegenliste wurde den Medien zugespielt und auf Delegiertenvorbesprechungen in verschiedenen Bundesländern verlesen, verbunden mit entsprechenden Wahlempfehlungen. Unsere Antwort, warum eine informelle Pseudostruktur sich gegen ein gewähltes Gremium mit klar geregelten Aufgaben stellte, lautet:

Es sollte wohl demonstriert werden:

  1. Der frühere Einfluss der sich Reformer nennenden Mitglieder unserer Partei ist weitgehend zurückgewonnen. In der LINKEN hat das fds zunehmend wieder das Sagen.
  2. Die maßgeblich von Oskar Lafontaine geprägten und im Parteiprogramm fixierten politischen und programmatischen Konturen verlieren an Schärfe und deren Verfechter an Spielraum. Und somit:
  3. In der LINKEN werden diejenigen zurückgedrängt, denen die programmatischen roten Haltelinien für Regierungsbeteiligungen etwas gelten.

Dies demonstrieren zu wollen, war sicher mit der pragmatischen Erwägung verknüpft, dass man seine Kandidatinnen und Kandidaten eher durchbekommt, wenn rechtzeitig Wahlempfehlungen durchgestellt werden. Ist diese Demonstration gelungen? In beträchtlichem Umfang schon, wenngleich mit Einschränkungen. Mit der Wahl von Sabine Lösing, gegen die niemand kandidierte, die aber nichtsdestotrotz klare linke Positionen vertritt, mit der Wahl von Fabio de Masi, der sich gegen Dominic Heilig durchsetzte, und mit dem Vertreter des Jugendverbandes Malte Fiedler, der sich auf Platz zehn behauptete, ziehen Mitglieder unserer Partei in den Wahlkampf, die nun wirklich nicht für den Reformerflügel stehen. Die Kandidatenliste bis Platz zehn ist qualitativ so anders nicht als die von 2009. Suspekt ist die Art, wie sie zustande kam.

Dass Tobias Pflüger und Sabine Wils nicht gewählt wurden, ist ein sehr ungutes Signal, welches durch nichts schöngeredet werden kann. Ihre Nichtwahl demonstriert exemplarisch, dass sich der fds-Flügel in Hamburg weitgehend durchsetzen konnte. Dies zeigte sich auch in den Auseinandersetzungen um das Europawahlprogramm. Wir hatten uns seit dem Herbst 2013 aktiv an den entsprechenden Debatten beteiligt und auch Anträge zu den verschiedenen Entwürfen des Parteivorstandes eingebracht. Hier detailliert zu den speziellen, die Präambel betreffenden Diskussionen Stellung zu nehmen, würde den Rahmen sprengen. Daher nur soviel: Die Reformer waren nicht bereit, in Abstimmung mit den hessischen Genossinnen und Genossen dafür einzutreten, dass die Präambel-Ersatzanträge zurückgezogen werden, nachdem die umstrittene Passage aus der Präambel des Leitantrages gestrichen worden war. Auch das zeugte von deren Willen, sich demonstrativ durchzusetzen.

Liebe Genossinnen und Genossen, ob die sich als Reformer bezeichnenden Genossinnen und Genossen mit ihren nicht sehr demokratischen Aktionen vor und auf dem Hamburger Parteitag der LINKEN einen Dienst erwiesen, darf infrage gestellt werden. Um Missverständnisse zu vermeiden: Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN werden sich nichtsdestotrotz mit ihren Positionen aktiv in den Wahlkampf zum Europäischen Parlament und ebenso zu den Landtagswahlkämpfen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sowie zu den 10 Kommunalwahlen einbringen.

Noch einmal zurück zum Hamburger Parteitag. Es hätte gute Gründe gegeben, dem Wahlprogramm nicht zuzustimmen. Allerdings: Bei uns war Konsens: Wenn der friedenspolitische Teil in Ordnung ist, werden wir dieses trotz aller Kritik nicht ablehnen und uns auch nicht enthalten. Dass Stefan Liebich einen grundsätzlichen Antrag zu eben diesem Teil zurückzog, sollte zu keinen Illusionen führen, auch wenn er von manchen fds-Genossinnen und Genossen dafür kritisiert wurde. Stefan Liebich ist einfach ein guter Taktiker. Dadurch, dass auf dem Parteitag nirgendwo der Eindruck entstand, dass es in der Friedensfrage Differenzen gibt, hatte Tobias Pflüger keinen leichteren Stand.

Wir haben allen Grund, sehr aufmerksam zu sein und gerade auch deshalb Kraft in ein gutes Wahlergebnis am 25. Mai 2014 zu investieren. Wir sind nicht dazu da, der SPD Hoffnungen zu machen. Davon zeugte nicht zuletzt die Diskussion in Hamburg, vor allem die Beiträge von Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, Heike Hänsel und Wolfgang Gehrcke. Die Party, um mit Steinmeier zu reden, ist noch lange nicht beendet. Denn wir haben in diesem Land eine Verantwortung und sind verpflichtet, darum zu kämpfen, dass diese auch wahrgenommen wird. Von der Friedensfrage war eingangs schon die Rede. Von herausragender Bedeutung ist auch der antifaschistische Kampf.

Faschisten in Europa nicht ignorieren

Liebe Genossinnen und Genossen, in einer gemeinsamen Erklärung von Kommunistischen Parteien der ehemaligen Sowjetunion vom 31. Januar zu den Ereignissen in der Ukraine heißt es: »Wir dürfen den höchst gefährlichen Trend zu einem verstärkten Auftreten des Faschismus in Europa nicht ignorieren.« Wie beruhigend wäre es, könnten wir diesen Satz als Übertreibung abtun. Aber – da ist nichts übertrieben. So berichtete das nd Anfang Februar: »Am 27. Januar ermordeten Rechtsradikale in Cherson einen Milizionär. Eine Gruppe studentischer Aktivisten kehrte von einem der üblichen Meetings zurück und brüllte Naziparolen. Drei Milizionäre wollten die Radikalen verwarnen, wurden aber zu Boden gerissen und mit Messern schwer verletzt. Ein Milizionär starb am nächsten Tag, … Die Angreifer wurden festgenommen, bei einer Durchsuchung fand man Waffen und ein Hitler-Porträt. In sozialen Netzen hatten sie ihre neonazistischen Ansichten nicht verheimlicht. Allerdings wurden einen Tag nach ihrer Inhaftierung die Accounts gelöscht. Fernsehkanäle berichteten derweil, die Miliz habe friedliche Studenten provoziert. Unter dem Druck der Massenmedien wurde (mit Datum vom 31. Januar 2014) einer der Verhafteten freigelassen.« Ein einziger Fall faschistischer Übergriffe in der Ukraine. Wie viele mögen es tatsächlich sein? Wladimir Klitschko schwieg, als er in München nach den faschistischen Kräften innerhalb der Opposition gefragt wurde.

Mit welcher Tradition haben wir es hier zu tun? Walter Laqueur erwähnt in seinem 1984 erschienen Buch »Was niemand wissen wollte: Die Unterdrückung der Nachrichten über Hitlers ›Endlösung‹«, es habe Massaker unerhörten Ausmaßes in Ostpolen, Litauen und der Ukraine gegeben. Laqueur benennt Beispiele: »Stanislawow: am 16. November 1941 wurden die Juden von Deutschen mit Hilfe der Ukrainer getötet. Kosow: mehrere tausend Juden von der Gestapo und einem ukrainischen Bataillon getötet.« Ukrainische Faschisten waren auch bei den Massenexekutionen von Juden in Staro-Konstantinow (17.000 Opfer) und in Kiew (70.000 Opfer) dabei.

Was ist von einer Bewegung zu halten, die mit Leuten gemeinsame Sache macht, die in dieser mörderischen Tradition stehen und Bandera als Nationalhelden feiern? Nichts, absolut nichts! Man muss Janukowitsch nicht toll finden, man muss auch nicht daran zweifeln, dass viele Menschen in der Ukraine sehr berechtigte soziale Forderungen haben, um hier ganz klar Position zu beziehen: Die Bewegungsrichtung der Proteste in der Ukraine ist zutiefst reaktionär. Die Instrumentalisierung hunderttausender Menschen, die besser leben wollen, für die Interessen derer, die sich um soziale Fragen einen Dreck scheren, und die die Bespitzelung der ganzen Menschheit für so etwas wie ein Kavaliersdelikt der bürgerlichen Demokratie halten, ist zutiefst tragisch. Dies gilt nicht nur für die Ukraine.

Kehren wir noch einmal zu Walter Laqueur zurück. Er belegt in seinem Buch auch das mörderische Treiben heimischer Faschisten im Baltikum. Die werden in diesen neuen EU-Staaten heutzutage geehrt, erhalten deutsche Renten, sofern sie in der Wehrmacht oder auch der SS »dienten« und SS-Leute marschieren in ihren alten Uniformen gemeinsam mit jungen Faschisten in aller Öffentlichkeit.

Was passiert in Ungarn? »Die rund 200 Mitarbeiter des Eichmann-Kommandos der deutschen Wehrmacht«, so zitiert die junge Welt vom 16. April 2014 Adam Kerpel-Fronius, »hätten es rein logistisch« unmöglich »ohne die aktive Mitwirkung der ungarischen Behörden« geschafft, »Hunderttausende Juden in Ghettos zu pferchen, zu enteignen und sie dann zu deportieren«. Doch Horthy wird hoch gegehrt, indem zunehmend Plätze und Straßen nach ihm benannt werden, währenddessen Denkmäler, die an ungarische Widerstandskämpfer erinnern, auf einem Denkmalfriedhof abgestellt werden, mit der Begründung, diese seien schon in der ungarischen Volksrepublik gewürdigt worden. Absurder geht Antikommunismus kaum. Zugleich werden Roma von paramilitärischen Jobbik-Schlägertrupps durch die Straßen gejagt. Rassismus findet sich jedoch nicht nur dort. Es würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen, würden wir auch nur annähernd aufzählen, in welchen Ländern der EU und darüber hinaus in ganz Europa Faschisten und Rechte in dreister Weise öffentlich aktiv sind und an Einfluss gewinnen. Denken wir nur an die Goldene Morgenröte in Griechenland, Marine le Pen in Frankreich oder Geert Wilders in den Niederlanden. Denken wir an den NSU und den Umgang mit dieser vom Verfassungsschutz merkwürdig begleiteten Mördertruppe hierzulande. All diese und weitere rechte Aktivitäten und Stimmungen unterstreichen die Feststellung kommunistischer Parteien auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion: »Wir dürfen den höchst gefährlichen Trend zu einem verstärkten Auftreten des Faschismus in Europa nicht ignorieren.« Dieser Trend hat vor allem soziale Ursachen. Soziale Not macht nicht wenige Menschen empfänglich für soziale Demagogie, vor allem, wenn linke Kräfte schwach sind und sich scheuen, die Ursachen für die Situation beim Namen zu nennen. Aus all diesen Gründen haben wir an den bevorstehenden Parteitag einen Antrag gestellt »Antifaschistisch-Links wählen» und haben den Antrag »Keine Unterstützung der illegitimen Regierung unter Beteiligung von Faschisten in der Ukraine!« politisch, aber auch organisatorisch mit unterstützt.

Lügen müssen Lügen genannt werden

Liebe Genossinnen und Genossen, auch 2013 wurden mehr als eine Million Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher verhängt. Grund waren bei 70 Prozent der Leistungskürzungen lediglich Meldeversäumnisse. Mit anderen Worten: In Westdeutschland wurde Betroffenen 658.847 Mal der Regelsatz gekürzt, in Ostdeutschland 350.766 Mal. Und das scheint noch immer nicht zu reichen. Von einer Hartz-IV-Reform ist nun die Rede, die Arbeitslosen noch mehr Daumenschrauben anlegen soll. Die Erbarmungslosigkeit im Umgang mit den Armen ist Grundvoraussetzung für horrende Profite. »Es sind kaum fassbare Verhältnisse«, so das nd vom 21. Januar 2014. »Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen soviel wie die ärmere Hälfte aller Menschen auf dem Globus. Ein Prozent der Weltbevölkerung, 70 Millionen Menschen, besitzen fast die Hälfte des Reichtums dieser Erde: 111 Billionen US-Dollar.« nd schlussfolgert: »Die Zahlen kommen nicht von ungefähr, sondern sind Folge ungezügelter Marktkräfte, denen die herrschenden Politiker seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus Tür und Tor geöffnet haben.« Da erhebt sich doch die Frage, warum den ungezügelten Marktkräften Tür und Tor nicht geöffnet waren, als die Sowjetunion, die DDR und andere Staaten noch existierten, die einen sozialistischen Weg dem Profitmechanismus vorzogen; auch, wenn sie dieser Weg in Europa zunächst nicht ans Ziel führte. Was immer man im Einzelnen von diesem europäischen sozialistischen Versuch halten mag: Ist es nicht eine unschätzbar wertvolle Erfahrung, dass allein dieser unvollkommene, in vielerlei Hinsicht so kritikwürdige Versuch einer antikapitalistischen und somit zivilisatorischen Alternative, eine elementare Bremse für das Agieren des ökonomisch weit überlegenen Kapitalismus darstellte? Eine Bremse nicht nur in sozialer Hinsicht. Kriege waren über Jahrzehnte nicht mehr die selbstverständliche Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Es ist, gerade im 25. Jahr der Wende zum Kapitalismus, an der Zeit, sich dem Mainstream spürbarer zu widersetzen. Die Legitimität des gewesenen Sozialismus muss verteidigt werden, wenn man einem zukünftigen Sozialismus nicht a priori das Existenzrecht absprechen will.

Zu diesem Kampf gegen den Zeitgeist gehört auch, Lügen Lügen zu nennen. Als der US-amerikanische Präsident Obama am 17. Januar 2014 seine Rede zu den Abhör-Exzessen seiner Geheimdienste hielt, machte er die angebliche Relativität dieser Exzesse ausgerechnet an, wie er es nannte, dem ostdeutschen Geheimdienst fest. Es ist schier unglaublich: Hat das MfS in Chile mitgeputscht, in Vietnam im Rahmen der Operation Phönix zehntausende Menschen bestialisch umgebracht, 1965 dem indonesischen Regime die Listen zur Verfügung gestellt, auf deren Grundlage bis zu eine Million Menschen grausam ermordet wurden? Hat das MfS in Afghanistan Gefangene durch Hunde vergewaltigen lassen, um Aussagen zu erpressen? Es dürfen im Übrigen, so schreibt Jürgen Todenhöfer, keine US-amerikanischen Hunde sein. Hat das MfS gefoltert und Geheimgefängnisse unterhalten? Es gibt jedenfalls in den knapp 24 Jahren bundesdeutscher Gerichtsbarkeit kein einziges Urteil über Folter in der DDR. Mit Verlaub: Die Praktiken US-amerikanischer Geheimdienste erinnern nicht an die des MfS und auch nicht an die des Verfassungsschutzes oder des BND, sondern an die der Gestapo. Warum hat Obama eigentlich seine Geheimdienste nicht mit den faschistischen Sicherheitsdiensten verglichen? Weil der Schlächter von Lyon, Klaus Barbie, so wie ungezählte andere Nazischergen auch, nach dem Krieg von den amerikanischen und bundesdeutschen Diensten übernommen wurde. Wer das Spiel mitspielt, das MfS sei der schlimmste aller Geheimdienste gewesen, der webt mit am Schleier, der vor alle Untaten westlicher Dienste gezogen wird. Dies zu sagen, bedeutet nicht, alles gutzuheißen, was in Verantwortung des MfS in der DDR geschah. Wir heißen ja auch bei weitem nicht alles gut, was in Verantwortung der SED passierte. Über all das kann und muss offen geredet werden. Aber diese Offenheit im Umgang mit unserer Geschichte darf nicht dahin führen, dass wir uns entwürdigen. Und nichts anderes geschieht, wenn wir das Spiel mitspielen, wir seien die Schlimmsten gewesen, weil die andere Seite per se besser gewesen sein muss, da sie im Rahmen der bürgerlichen Demokratie wirkte. Wurde Barbie Demokrat, oder Gehlen oder Wernher von Braun oder Alois Brunner? So wurde der Schoß fruchtbar gehalten, aus dem das kroch und täglich dreister kriecht.

Liebe Genossinnen und Genossen, unverzichtbar ist daher unser Wirken in antifaschistischen Zusammenhängen, in antirassistischen Organisationen, im außerparlamentarischen Bereich überhaupt. So enorm wichtig unsere Vertretung in Parlamenten auf allen Ebenen ist, so unverzichtbar ist der außerparlamentarische Druck auf die Legislative und Exekutive in diesem Land. Dass die Bundesregierung keinen Zugang zu US-Dokumenten bei den Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das Freihandelsabkommen TTIP hat, obwohl dieses möglicherweise schon 2015 abgeschlossen werden soll, unterstreicht auf drastische Weise die Notwendigkeit, Druck auszuüben, parlamentarisch und außerparlamentarisch.

Wir werden auch in Zukunft alles dafür tun, dass DIE LINKE ein wesentlicher Teil der außerparlamentarischen Bewegungen ist und bleibt. Dies ist untrennbar mit einer soliden Bündnisarbeit verbunden. Zur soliden Bündnisarbeit gehört auch, nicht jedes Bündnis anzustreben. Wir unterstützen vollauf die von Konstatin Wecker vor einer Woche abgegebene Erklärung zu den sogenannten Montagsdemos in bundesdeutschen Städten, auf denen sich »mitunter Menschen mit Gesinnungen breit machen« so Wecker, »gegen die ich mich ein Leben lang ausgesprochen habe«. »Es ist klar«, so der Liedermacher weiter, »wir müssen auf die Strasse, für den Frieden! Aber lasst uns genau hinschauen, wer da alles mit welchen Parolen mitrennt«. Konstantin Wecker plädiert für eine machtvolle Friedensbewegung ohne Antisemitismus.

Zur Luxemburg-Liebknecht Demonstration 2014

Liebe Genossinnen und Genossen, für eine solide Bündnisarbeit steht die jährliche Vorbereitung und Durchführung der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht Ehrung. Die Demonstration am 12. Januar war ein politischer Erfolg. Die Beteiligung lag über der der vergangenen Jahre. Sie verlief diszipliniert, ohne nennenswerte Vorkommnisse, und sie war ohne Lücken, was den Gesamteindruck verstärkte. Die Polizei agierte, wie in den letzten zehn Jahren, zurückhaltend. Es gab keine Vorkontrollen und keine Begleitung der Demonstration. Bei zwei kleineren Zwischenfällen hatten wir die Zeit, dies selbst zu klären. In der Demonstration liefen sehr viele junge Menschen mit. Die Gemeinsamkeit von Jungen, Älteren und Alten, von Menschen verschiedener Nationalitäten, darunter auch Delegationen aus dem Ausland, von verschiedenen politischen Parteien und Organisationen ist ein hohes Gut. Das ist in diesem Land einmalig. Ohne ein respektvolles Miteinander im Bündnis wäre das so nicht möglich. Um den Erhalt dieses Klimas der jährlichen Demo-Vorbereitung werden wir auch zukünftig kämpfen. Dieses Klima ermöglicht es auch, schwierige Situationen miteinander durchzustehen. Inhaltliche Differenzen, die es natürlich gibt, dominieren die Demovorbereitungen nicht, sondern werden dem gemeinsamen Streben nach einem politischen Gesamterfolg der Demonstration untergeordnet.

Natürlich können wir nicht verhindern, dass das eine oder andere Transparent sich außerhalb des im Aufruf fixierten Bündniskonsenses bewegt, und wir können auch nicht verhindern, dass eine Handvoll Leute mitdemonstriert – es waren dieses Jahr allenfalls sechzig Personen – die nicht bereit sind, den Stein des Anstoßes zu ignorieren, sondern den offenbar dringenden Wunsch verspüren, den bürgerlichen Medien Anlass zu geben, Ehrung und Demonstration zu denunzieren, indem sie sich am Stein wie die Vandalen verhalten. Dadurch liefern sie der Polizei die Steilvorlage, sich auf dem Friedhofsgelände martialisch zu gebärden. Wir verurteilen dieses Verhalten der Polizei, sind allerdings nicht bereit, linksradikalen Schwachsinn nun deshalb zu adeln und Leuten Solidarität entgegenzubringen, die politisch nur Schaden anrichten und unter denen wir Provokateure vermuten. Im Januar hat sich nicht wiederholt, was sich 2013 am Stein abspielte. Er war so dicht von Genossinnen und Genossen des Landesvorstandes umstellt, dass er nicht mehr zu sehen war. Durchaus eine Lösung.

Generell gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Berliner Landesvorstand, Veranstalter des Stillen Gedenkens, sachlich und unkompliziert. Da wir gerade bei den Schnittstellen sind: Auch 2013/14 gab es das Gegenbündnis Rosa und Karl. Es organisierte eine Demonstration am Potsdamer Platz. Dort sollen real allenfalls 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewesen sein. Es war zweckmäßig, dass sich unser Bündnis im Vorfeld der diesjährigen Ehrung zu diesen Gegenaktivitäten nicht geäußert hat.

Gibt es nichts Kritisches zur Demonstration zu sagen? Es ist sogar notwendig. Die Demonstration hat einen inhaltlichen Makel; nicht erst seit diesem Jahr. Aber wir hatten immer größere Probleme und haben uns deshalb mit diesem Makel nie ernsthaft auseinandergesetzt. Im Rahmen der Demo spiegelt sich nur schwach wieder, wofür wir hier und jetzt auf die Straße gehen. Im Demoaufruf wird das alles sehr klar benannt, aber es finden sich zu wenig Transparente und Losungen, die sich auf unsere heutigen Auseinandersetzungen und Kämpfe beziehen. Dadurch hinterlässt der Zug teilweise den Eindruck der Selbstdarstellung von einzelnen Gruppierungen und Parteien. Das erleichtert den Medien ihre Angriffe, es handle sich um linksradikale Splittergruppen, die außerdem dann noch mehrheitlich stalinistisch angehaucht seien. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Moment der Selbstdarstellung ist völlig normal; es ist eine Frage der Proportionen. Die KPF wird im Bündnis daran arbeiten, dass hier sichtbare Veränderungen eintreten.

Rechte der Zusammenschlüsse müssen unangetastet bleiben

Liebe Genossinnen und Genossen, in vierzehn Tagen findet in Berlin der nächste Parteitag statt. Eines haben die dem fds nahe stehenden Delegierten auf dem Hamburger Parteitag zweifelsfrei ermöglicht: Eine Vorstellung darüber, was uns auf dem Berliner Parteitag vom 9. bis 11. Mai 2014 erwarten könnte, wenn die Wahl des neuen Parteivorstandes auf der Tageordnung steht. Wird Gregor Gysi hier für mehr Vernunft sorgen als sie in Hamburg obwaltete? Die von ihm oft wiederholte Warnung gilt, dass wir letztlich als Partei nur existieren können, wenn wir miteinander klarkommen und dass es daher kontraproduktiv sei, wenn man sich gegenseitig besiegen wolle.

Der Berliner Parteitag muss von allen sich zu den roten Haltelinien bekennenden Genossinnen und Genossen der LINKEN sorgfältig vorbereitet werden. Die Vorbereitung auf den Europaparteitag war bei weitem nicht optimal. Es fehlte an Koordinierung, besonders – aber nicht nur – in inhaltlichen Fragen. Mit einer gemeinsamen Beratung am 21. März und weiteren Abstimmungen versuchen wir gemeinsam, es dieses Mal besser zu machen.

Ein wichtiger Punkt auf dem Berliner Parteitag wird die Behandlung von Satzungsfragen sein. Erneut sind Anträge gestellt, den Zusammenschlüssen mit fadenscheinigen Begründungen Satzungsrechte zu nehmen bzw. zu beschneiden – Satzungsrechte, die seit knapp 25 Jahren Gültigkeit haben. Die Anträge wurden vom fds und vom Landesvorstand Sachsen eingereicht. Der Offene Brief von bundesweiten Zusammenschlüssen an die Parteitagsdelegierten beschreibt den Kern der betreffenden Satzungsanträge und ist im Mai-Heft der Mitteilungen dokumentiert. Deshalb müssen wir im Referat nicht detailliert auf diese Anträge eingehen. Würden die Satzungsänderungen, die wiederum nicht zuletzt Protagonisten der Reformer wünschen, durchkommen, so resultierte daraus eine weitere Verschiebung des Kräfteverhältnisses auf Parteitagen. Gemeinsam mit anderen Zusammenschlüssen wehren wir uns dagegen. Übrigens nicht zum ersten Mal in der Geschichte der PDS, der Fusion mit der WASG und der LINKEN.

Im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Rechte der Zusammenschlüsse hat sich in den vergangenen Jahren ein solidarisches gemeinsames Vorgehen entwickelt, das sowohl auf einem in dieser Frage bestehenden inhaltlichen Konsens als auch auf abgestimmten gemeinsamen praktischen Schritten beruht. So haben wir uns auf dem Europaparteitag in Hamburg und auf einem Treffen am 12. April 2014 zur Vorbereitung des Berliner Parteitages verständigt.

Unsere inhaltliche Übereinstimmung lässt sich in zwei Punkten zusammenfassen:

  1. Zusammenschlüsse decken seit Ende 1989 gewolltermaßen spezifische Interessen der Partei ab. Dafür müssen sie eine Stimme haben. Dazu gehören neben den Möglichkeiten der Publikation in parteinahen Zeitungen und Zeitschriften, der Organisierung von Veranstaltungen und Ähnlichem auch die Möglichkeiten, diese spezifischen Interessen auf Parteitagen mit Sitz und Stimme vertreten zu können. Nähme man den Zusammenschlüssen diese Möglichkeit, so beschränkte man deren Rolle in der Partei elementar.
  2. Der Vorwurf, dass Mitglieder von Zusammenschlüssen in jedem Falle zweimal kandidieren können, ist formal richtig, in praxi jedoch faktisch obsolet. Wer an der Parteibasis nicht in Erscheinung tritt, dafür aber aktiv in einem Zusammenschluss arbeitet, hat an der Basis keinerlei Wahlchance. Wer formal in einem Zusammenschluss ist und an der Basis ebenso wenig in Erscheinung tritt, hat – wenn er nicht gepuscht wird – so oder so keine Chance, gewählt zu werden. Wer formal in einem Zusammenschluss ist und an der Basis aktiv, hat im Zusammenschluss keine Wahlchance. Wer jedoch auf beiden Ebenen aktiv ist, ist u.E. nicht privilegiert, wenn er über zwei Möglichkeiten der Kandidatur verfügt. Diese Überlegungen sind sekundär im Verhältnis zu der unter Punkt 1 formulierten Begründung, warum die Praxis beibehalten sollte, die in der Partei seit knapp einem Vierteljahrhundert gut erprobt ist.

Wir hätten gern mit den Antragstellern aus Sachsen und vom fds über unsere Positionen – und natürlich über die ihren – öffentlich diskutiert. Die junge Welt war bereit, am 28. April 2014 eine Podiumsdiskussion zu dieser Problematik durchzuführen. Weder das fds noch der Landesvorstand Sachsen folgten der Einladung, an der Debatte teilzunehmen. Die Veranstaltung wird dennoch am 28. April 2014 in Berlin in der Lderngalerie der jungen Welt durchgeführt, und es wäre schön, wenn viele Berliner und vielleicht auch Brandenburger daran teilnehmen würden.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben im Bericht über einige Kernaufgaben gesprochen, die im laufenden Jahr vor uns stehen. Weitere sind im Beschlussantrag aufgeführt, für den wir um eure Zustimmung bitten. Hervorheben möchten wir abschließend zwei Punkte.

  1. Wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen, neue Leser für unsere Mitteilungen zu gewinnen. Sie sind es wert und wir sind überzeugt: So mancher Linke würde sie lesen wollen, wenn er/sie denn wüsste, dass es sie gibt. Zugleich müssen wir alles tun, um das Spendenaufkommen zu erhöhen. Ohne ins Detail zu gehen: Das Gefälle zwischen den Bundesländern ist zu groß – teilweise sind die Differenzen kaum zu erklären.
  2. Wir brauchen neue KPF-Mitglieder. Eine formale Aktion wird uns nichts bringen. Es muss vielmehr individuelle Gespräche mit Genossinnen und Genossen geben, die wir aus der Basis der Partei kennen und deren Mitgliedschaft in der KPF wir uns wünschen. Wenn auf der jüngsten KPF-Landeskonferenz in Sachsen vier der anwesenden Gäste zum Schluss der Beratung einen Aufnahmeantrag abgaben, in Berlin war es ein Genosse, so stimmt das optimistisch, reicht aber bei weitem nicht aus.

Liebe Genossinnen und Genossen, gehen wir also an die Arbeit. Danke für Eure Aufmerksamkeit.