1. Tagung der 16. Bundeskonferenz

Bericht des Bundessprecherrates

Berichterstatter: Friedrich Rabe

Liebe Genossinnen und Genossen, die Zahl der Kriege sei 2011 weltweit wohl auf den höchsten Stand seit 1945 gestiegen, teilte das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung am 23. Februar mit. Unter insgesamt 388 beobachteten Konflikten habe es 20 Kriege und weitere 18 Konflikte gegeben, die als begrenzte Kriege definiert werden. Zugleich lagen die Militärausgaben im Jahr 2011 bei 1,74 Billionen US-Dollar. Weltweit werden pro Tag knapp fünf Milliarden Dollar für das Militär ausgegeben. Nummer eins der weltweiten Militärausgaben blieben auch 2011 unangefochten die USA. Sie gaben hierfür laut SIPRI rund 711 Milliarden Dollar aus; das entspricht 41Prozent der weltweiten Ausgaben. »Übertreibe ich etwa«, fragte Fidel Castro im Januar, »wenn ich sage, dass der Weltfrieden an einem seidenen Faden hängt?« Castro äußerte die Besorgnis, »dass die um den Iran geschaffene politische Lage, die das Risiko eines Atomkrieges beinhaltet, die Existenz unserer Gattung bedroht«. Im Zusammenhang mit diesem möglichen Ausbrechen eines großen Krieges und den damit verbundenen strategischen Interessen stellte er fest: »Wenn dieser nicht zu verhindern ist, wird er das alleinige Ergebnis des Abenteurertums und der ihm angeborenen Verantwortungslosigkeit des Yankee-Imperiums sein.« Diese Position vertritt auch Uri Avnery, der - solidarisch mit Günter Grass - im ND vom 16. April 2012 feststellte, es sei für Israel völlig unmöglich, ohne US-amerikanisches Einverständnis den Iran anzugreifen. Zurück zu Fidel Castro: »Die Nachrichten«, so heißt es weiter, »kommen nicht nur aus dem Iran und dem Mittleren Osten sondern auch von anderen Punkten des an den Mittleren Osten angrenzenden Zentralasien.« Castro hebt besonders Pakistan hervor. Doch sicher dachte er nicht minder an die angekündigte stärkere US-Militärpräsenz in der Pazifikregion, die sich vor allem gegen China richtet. Die USA, so Obama im November 2011, begrüßten zwar den Aufstieg Chinas, aber nur unter der Voraussetzung, »dass sie sich an die Verkehrsregeln halten.« Die Welt hat besonders seit der Auflösung des Warschauer Vertrages zunehmend die Erfahrung gemacht, dass die Verkehrsregeln durch die USA und die NATO aufgestellt werden, aber - im Bündnis mit ersteren - auch durch Israel und, spätestens seit dem Libyenabenteuer, durch die Arabische Liga. Über die Konsequenzen dieser weltpolizeilichen Regelungen äußerte Wladimir Putin, offenkundig mit besonderem Bezug auf die libyschen Ereignisse: »Ich habe den Eindruck, dass die zuletzt häufig gewordenen bewaffneten Einmischungen in die inneren Angelegenheiten einzelner Länder dieses oder jenes autoritäre Regime zum Atomwaffenbesitz provozieren könnten. Solche Herrscher könnten den Eindruck haben, dass sie sich nur mit einer Atombombe in Sicherheit wiegen und dass niemand es wagen würde, sie anzugreifen. Die Länder«, so Putin weiter, »die keine eigenen Atomwaffen haben, müssten sich dagegen auf ›humanitäre‹ Interventionen gefasst machen.« Genauso verhält es sich! Markus Kim, Leiter der Forschungsgruppe »Sicherheitspolitik« bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, formulierte kürzlich im Kontext mit der Syrien-Krise, ein Kriegseinsatz sei, sofern er durch diplomatische Aktivitäten begleitet werde, »nicht das Ende oder gar das Versagen von Politik«, sondern vielmehr »ihr essentieller Bestandteil«.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Menschheit war schon einmal weiter. Doch es ist, wie es ist. Für uns ergibt sich daraus mehr denn je die Verpflichtung, als Friedenspartei unseren Beitrag zu leisten, damit die in der BRD existente breite Antikriegsstimmung nicht nur erhalten bleibt, sondern sich in größeren Aktionen der Friedensbewegung, z.B. bei den Ostermärschen, niederschlägt. Weil sechs Bundestagsabgeordnete der LINKEN einen Aufruf gegen militärische Drohungen in Richtung Syrien und Iran unterschrieben hatten, setzten Union und FDP am 19. Januar dazu eine aktuelle Stunde auf die Tagesordnung des Parlaments. Bezugnehmend auf die Kritik, in dem Aufruf sei keine klare Distanzierung hinsichtlich der innenpolitischen Situation in beiden Staaten vorgenommen worden, erwiderte Diether Dehm, er würde lieber eine unvollkommene Warnung vor der Kriegsgefahr unterschreiben als zu schweigen, »denn die Warnung vor Krieg ist für Linke oberstes Gebot«. Dem ist nichts hinzuzufügen und wenn der Grünen-Abgeordnete Volker Beck in der aktuellen Stunde den LINKEN-Abgeordneten zurief, an ihnen sei das Prinzip der Responsibility to Protect spurlos vorüber gegangen, dazu fände sich in dem komischen Aufruf kein Wort, dann sollte ihm da niemand widersprechen. Die LINKE steht für ein anderes Prinzip, nämlich das der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Daran mitzuwirken, dass dies so bleibt, darin sehen wir unsere wichtigste Verpflichtung.

»Wenn nicht wir, wer sonst …«

Diese ist untrennbar mit unseren sozialpolitischen Grundsätzen verbunden. Schon mit einem Bruchteil der für Rüstungsausgaben in der Welt verwandten Mittel könnte schreiende Not gelindert werden. Laut der Welternährungsorganisation FAO würden 35 Milliarden Dollar reichen, um den Hunger in der Welt zu beenden. Das ND hat am 9. März weitere Fakten dokumentiert, die vom immer größeren Auseinanderklaffen von Reichtum und Armut zeugen. »Das Gesamtvermögen der 1.226 Dollarmilliardäre auf der Welt ist so groß wie das Bruttoinlandsprodukt aller 130 (!) Staaten, die die unteren zwei Drittel der Weltgemeinschaft ausmachen (ND-Berechnung). 1,4 Milliarden Menschen auf der Welt müssen laut einer UNO-Information täglich mit weniger als 1,25 US-Dollar überleben.« Aber auch in vergleichsweise wohlhabenden Ländern wie Deutschland geht die stetig wachsende Profitmaximierung mit der daraus resultierenden Verarmung einher. Je geringer der Preis der Ware Arbeitskraft, je größer demzufolge der Niedriglohnsektor, desto größer auch die Dividendenausschüttungen. Die im deutschen Leitindex DAX erfassten Großunternehmen wollen offenbar für das abgelaufene Geschäftsjahr eine Rekordsumme an ihre Aktionäre ausschütten. Nach einer Berechnung der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young sollen sie 27,5 Milliarden Euro erhalten. Damit liegt die verteilte Summe um 6Prozent höher als 2011 und nur leicht unter dem Rekordwert von 2008, also von 27,7 Milliarden Euro. Winston Churchill werden die Worte zugeschrieben: »Wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz und wer es mit vierzig noch ist, hat keinen Verstand.« Wir sagen: Wer in Anbetracht der soeben aufgeführten Zahlen, und sie ließen sich endlos ergänzen, die Welt, wie sie ist, für normal hält, braucht einen guten Psychiater, sei er zwanzig oder vierzig. Nach einem eher nicht zu erwartenden Heilungserfolg könnten wir uns mit den Betreffenden dann noch einmal über den Churchill-Ausspruch unterhalten. Wir werden uns jedenfalls mit einer solchen globalen Ungerechtigkeit und den ökonomischen Grundlagen hierfür nie abfinden, und wir befinden uns damit in Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm. Wenn wir nach Griechenland blicken - dort ist in den vergangenen zwei Jahren ein Anstieg der Selbsttötungen um 40 Prozent zu verzeichnen gewesen - oder wenn wir auf andere, sozial extrem gebeutelte Länder der EU schauen, so erfahren wir, dass immer mehr Menschen sich wehren. Denken wir nur an die jüngste Massendemonstration in Prag. Im ND vom 29. Februar wurde über eine Griechin berichtet, die nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes resümiert: »Gerade angesichts der Brutalität der Polizei fällt es mir schwer, so isoliert wie ich jetzt durch den Verlust dieser Bezugsgruppe bin, zu den Demonstrationen zu gehen«. Doch dann fragt sie: »Wenn nicht wir, wer sonst? Wenn nicht jetzt, wann dann?« Diese Frage stellt sich täglich mehr, und das wissen auch die von der Krise Profitierenden und diejenigen, die im staatlichen Rahmen deren Interessenswahrung sichern.

Auf alle möglichen Eventualitäten, auch zur Aufstandsbekämpfung, stellen sich nicht nur europäische Polizeispezialeinheiten in gemeinsamen Übungen ein. Die stetig wieder auftauchende Forderung, Einsätze der Bundeswehr auch im Innern zu gestatten, zeugt ebenfalls von strategischen Überlegungen, Situationen betreffend, die zu beherrschen das Instrumentarium der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie nicht mehr ausreichen würde. Wir alle kennen das Kompendium der sogenannten Antiterrorbekämpfungsmaßnahmen - jene, die schon zum Alltag gehören und jene, für deren Durchsetzung sich die Herrschenden noch engagieren müssen.

»Wer kann Präsident?«

In den Wochen zwischen Dezember 2011 und dem 19. Februar 2012 wurden wir mit einem Szenario der verbalen Gewalt konfrontiert, charakterisiert durch die Potenz der BILD-Zeitung, maßgebliche, gesetzlich fixierte Mechanismen der bürgerlichen Demokratie durch Massenmanipulation zu ersetzen. BILD demonstrierte die Macht, zum offiziellen Leitorgan der deutschen Mediengesellschaft zu werden. Das Wesentliche am Fall Wulff und an der Inthronisierung Gaucks ist die erwiesene Fähigkeit der Medienkonzerne, den Politikern, die Kanzlerin eingeschlossen, ihr Handeln in Größenordnungen zu diktieren. An jenem Tag, da Wulff zurückgetreten war, am 17. Februar, wurde in n-tv-Umfragen darauf verwiesen, dass es äußerst schwierig werden könnte, einen Präsidentschaftskandidaten zu finden, der von der Mehrheit des Volkes getragen würde; selbst Gauck habe nur 43Prozent Zustimmung. An jenem Tag waren auch SPD und Grüne - zumindest öffentlich - zunächst unentschieden. Noch war alles offen. Spätestens am 18.02.2012 begann die Gehirnwäsche. In den Medien war primär von Gauck die Rede. In einer von Maybrit Illner moderierten ZDF-Sendung mit dem infantilen Titel »Wer kann Präsident?« prägte ein riesiges Bild von Gauck den Hintergrund der Diskussionsrunde - mehr oder weniger alle in der Talkshow sprachen sich für ihn aus. Der Vorschlag, Gauck solle Bundespräsident werden, wurde - als sei eine heimliche Agitationskommission am Werke - innerhalb weniger Stunden beinahe flächendeckend medienbestimmend. Allein die ausgegrenzte LINKE löckte wider den Stachel. Jedenfalls lagen die Umfragewerte für Gauck am 19. Februar bei 56Prozent. Das waren 13Prozent mehr, als nicht einmal zwei Tage zuvor von n-tv ermittelt. BILD hatte wiederum eine entscheidende Rolle gespielt.

Die seinerzeit bei 3Prozent Zustimmung liegende FDP hielt ihre Stunde für gekommen. Nachdem sie lange genug Witterung aufgenommen hatte, erkannte sie wohl, das mit den BILD-Attacken auf Wulff der Sack geschlagen wurde, aber der Esel gemeint war: Die Angriffe zielten primär auf die Bundeskanzlerin. Da putschte das FDP-Präsidium auf einmalig dreiste Weise und erzeugte so eine Situation, die faktisch erzwang, dass auch die CDU, zuvörderst deren Chefin, dem Kandidaten Gauck zustimmen musste. Den hatte Merkel nicht nur vor anderthalb Jahren abgelehnt, sondern noch bis in den Abend des 19. Februar hinein - aus machtpolitisch sehr nachvollziehbaren Gründen. Dies ist nicht der Platz, einzuschätzen, ob der Putsch zur Inthronisierung Gaucks der Kanzlerin und ihrer CDU letztlich eher nutzte oder schadete. Wir werden auch sehen, ob die FDP kurz- oder mittelfristig für ihren Koalitionsverrat wird zahlen müssen. Das sind ohnehin nicht unsere Probleme. Uns geht es um eine ganz andere Größenordnung: Um den medialen Staatsstreich. Kehren wir noch einmal zum Fall Wulff zurück.

Niemand wird uns unterstellen, dass wir Wulff-Anhänger seien oder der Meinung, dessen zweifelhafte Politik- bzw. Geschäftsgebaren wären nicht der Rede wert. Wir sind allerdings durchaus der Auffassung, dass es auch für Politiker nur einen Maßstab geben kann und nicht zwei: Einen für die Wohlgelittenen - erinnert sei z.B. an Roland Koch - und den anderen für diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - zum Abschuss frei gegeben waren bzw. sind. Bei Wulff war offenkundig letzteres der Fall. Möglicherweise werden wir nie bis ins Letzte erfahren, warum. Vielleicht hielt BILD einfach nur den Zeitpunkt für gekommen, wo man dem »Präsidenten der Herzen« - eine Wortschöpfung des Blattes von 2009 - den Weg frei denunzieren konnte, für einen von Gauck auch im zukünftigen Amt zu erwartenden durch und durch reaktionären Stil. Nicht zuletzt, vielleicht sogar in erster Linie, gegen Merkel. Die beteiligte sich immerhin nicht direkt am Libyenabenteuer und erscheint manchen in sozialen Fragen immer noch zu lasch. So äußerte der Chef des BDI Hans-Peter Keitel am 15. März in der FAZ Kritik an der Bundesregierung. Es sei versäumt worden, »das Sozialsystem wettbewerblicher aufzustellen«. Und das war nicht seine einzige kritische Anmerkung. Zurück zu Wulff. Im Dezember 2011 begann eine regelrechte Hetzjagd gegen ihn. Wahres und Halbwahrheiten wurden verbreitet, dazwischen auch offene Lügen. Wer wollte bei der Flut an Informationen und Gerüchten all das noch prüfen? Vor allem aber war fleißig gesammelt worden: Jeden Tag kam eine anscheinend frische Meldung über irgendeine Verruchtheit der Wulffs. Kehrte für ein paar Tage etwas Ruhe ein, wurde danach mit Sicherheit die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Und die Talkshows kamen ihrer speziellen Rolle nach: Dem Boulevard pseudophilosophische Tiefe zu verleihen. Die üblichen Verdächtigen diskutierten über Moral, die Würde des Amtes, über Volkes Stimme und Politikverdrossenheit und all die anderen Schlagworte, die das ständig mehr verrottende Wertesystem des Kapitalismus prägen. Die Journalisten luden sich gegenseitig ein, beurteilten Gott und die Welt, aber nie ihre eigene Rolle. Nur über Bettina Schausten, die - als Christian Wulff von ARD und ZDF einem Verhör unterzogen wurde - allen Ernstes behauptete, sie würde für Übernachtungen bei Freunden zahlen, mokierte sich der eine oder andere Journalistenkollege - sehr verhalten. Und immer wieder fütterte BILD den »Rest« der Medien mit neuen, mehr oder weniger stimmenden Informationen. Und die verhielten sich mehrheitlich wie auf einer Telegrafenleitung sitzende Vögel: Fliegt einer los, so folgt ihm der ganze Schwarm.

Gaucks Diktaturwahrnehmung

Doch wehe, wehe es äußerte jemand, gegen Wulff liefe eine Medienkampagne. Wulff selber habe die Gründe geliefert, hieß es sofort. Die Medien hätten lediglich dafür gesorgt, dass öffentlich behandelt würde, was in die Öffentlichkeit gehöre. Wieder einmal ernannten sich die Medien zu unbestechlichen Tugendwächtern; In den Februarmitteilungen dokumentierten wir kommentierende Worte Hape Kerkelings zu diesem Vorgang: »Ausgerechnet die BILD mutiert nun zum obersten Moralhüter und zum reinen Gewissen der Nation!?!? Armes, ganz armes Deutschland!« Dem ist nichts hinzuzufügen. Es stellt sich die Frage: Schließt die Tatsache, dass Wulff an der entstandenen Lage eine gehörige Portion Schuld trug, a priori eine Medienkampagne aus? Oder, anders herum: Dürfte von einer Medienkampagne nur dann geredet werden, wenn alles in den Medien Veröffentlichte erstunken und erlogen wäre? Letztere Frage beantwortet sich von selbst: Eine Kampagne nur auf der Basis von Erfundenem zu führen, ist mehr oder weniger aussichtslos. Das Wesen einer Medienkampagne besteht nicht in der kompletten Fehlinformation der Rezipierenden, sondern in der Erreichung eines politischen Ziels mit Hilfe von Tatsachenbehauptungen, Halbwahrheiten, Gerüchten und auch Unwahrheiten. Es geht in solch einer konzertierten Aktion um die Erzeugung einer Stimmung, die letztlich einen derartigen Druck auf den oder die Betreffenden aufbaut, dass nur noch der inhaltliche oder personelle Rückzug bleibt. Daher ist eine Medienkampagne immer von einer gewissen Dauer, wird stetig mit scheinbar neuen Fakten unterfüttert und unbedingt von der Masse der Medien getragen. Jede Behauptung, die Berichterstattung über Wulff sei nicht in Gestalt einer Kampagne verlaufen, weil vieles gestimmt habe, ist metaphysischer Schwachsinn. Nein, wir haben beängstigend erlebt, wie jenseits bürgerlich-demokratischer Gepflogenheiten Personalfragen medial entschieden wurden, eindeutig putschartig. Es ist schon bemerkenswert, dass Bundestagspräsident Lammert in seiner Rede zur Eröffnung der Bundesversammlung am 18. März darauf verwies, dass mit Abstand die Vorgänge um Wulff genauer bewertet werden müssten, unter anderem »die Rolle der Öffentlichkeit und der veröffentlichten Meinung«. Die Wahl Gaucks war letztlich nur noch eine Formfrage. Der teils freiwillige, teils erzwungene Konsens der etablierten Parteien war in Wirklichkeit die totale Unterwerfung der sogenannten politischen Klasse unter den von ihnen selbst maßgeblich miterzeugten Zeitgeist. Dieses Szenario ist wiederholbar. In der Sache war es auch so neu nicht, sehr wohl aber in der Wirkungskonsequenz. Der nominell erste Mann des Staates wurde medial gemacht. Was die BILD-Tradition solcher Vorgehensweisen anbetrifft, so betonte Albrecht Müller im ND-Interview vom 16. März, bezogen auf den Umgang der BILD-Zeitung mit den 68ern, dass »BILD schon damals am Rande der Volksverhetzung operierte und den Konflikt in der Gesellschaft anheizte«. Linke und Demokraten in diesem Land müssen mehr dafür tun, diese Manipulationsmechanismen zu entlarven. Die Zeit ist reif. Denn nicht wenige Menschen, auch solche, die politisch nirgendwo involviert sind, haben die beschriebenen Vorgänge durchaus mit wacher Sorge verfolgt, vielleicht auch mancher unter den 108 Wahlfrauen und -männern, die sich bei Gaucks Wahl der Stimme enthielten. Irgendwann könnte es auch einmal um die Inthronisierung von Gestalten gehen, die noch rechts von Gauck zu verorten wären. Und wieweit der selbst sich noch wohin bewegt, wird sich zeigen. Seine Rede unmittelbar nach der Wahl jedenfalls ließ keinerlei Nachdenklichkeit erkennen. »Nach 56jähriger Herrschaft von Diktaturen durften wir erstmals Bürger sein«, ließ er uns wissen. Über Nazideutschland verlor er kein Wort - außer, dass er durch die Erwähnung der 56jährigen Herrschaft von Diktaturen im Osten den Schluss zuließ, Nazideutschland sei nicht schlimmer gewesen, als die DDR, die er als »graues, gedemütigtes Land« bezeichnete. Er verlor kein Wort über die Notwendigkeit von Antifaschismus heute, kein Wort über Frieden und soziale Gerechtigkeit. Diese Rede und ungezählte andere Gauck-Äußerungen erledigten sich auch nicht durch seine taktisch geschicktere Erklärung anlässlich seiner Vereidigung am 23. März. Nichts kann z.B. seinen auf die DDR bezogenen, unglaublichen Satz aufheben: »Wir konnten es nicht zulassen, dass die sozialistischen Globkes in ihren Ämtern und Positionen in Staat und Gesellschaft blieben.« Zu dieser Ungeheuerlichkeit passt eine weitere: In einem Vortrag »Welche Erinnerung braucht Europa« äußerte Gauck: »Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocausts. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist.« Aus solch einer Denkweise resultiert auch die Feststellung Gaucks, »die Absicht, ein Zentrum gegen Vertreibungen zu schaffen«, sei zu begrüßen - und zwar in Berlin, am »Ort der Wannseekonferenz und der Stasizentrale«. In Anbetracht solcher Äußerungen ist nachzuvollziehen, warum das publizistische Flaggschiff der Rechten, die Wochenzeitung »Junge Freiheit« am 24. Februar titelte: »Wir sind Präsident«. Aus all dem ergibt sich: Wir müssen auf sprunghaft ansteigenden Antikommunismus ebenso gefasst sein, wie auf wachsende sentimentale Deutschtümelei - ein Klima, in dem Nazis gut gedeihen. Faschistoide Tendenzen in Europa nehmen zu. Denken wir nur an die Verhältnisse in Ungarn oder im Baltikum, oder auch daran, dass jüngst in Frankreich fast ein Fünftel der Wähler für die Kandidatin der äußersten Rechten (Marine Le Pen vom Front National) votierte. Die Verfasstheit des Kapitalismus lässt es gar nicht zu, dass dieser sich a priori auf die Herrschaftsform der bürgerlichen Demokratie beschränkt.

Gegen Nazis intellektuell und organisatorisch mobilisieren

Gerade in Anbetracht aktueller Entwicklungen war es von unschätzbarem Symbolwert, dass unsere Partei eine Frau als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt nominierte, die ihr ganzes bewusstes politisches Dasein gegen faschistische Mörder einsetzte und dabei auch ihr Leben nicht schonte. Keine andere im deutschen Parlamentarismus verankerte Partei hätte Beate Klarsfeld aufgestellt. Frau Klarsfeld ist keine Sozialistin und es ist nachzuvollziehen, dass vielen Genossinnen und Genossen ihre Unterstützung für Nikola Sarkozy missfällt, ebenso, wie ihre Befürwortung einer Einzelfallprüfung. Auch andere Differenzen sind benennbar. Aber was spielte in den drei Wochen zwischen ihrer Nominierung und dem Wahltermin - es ging schließlich nicht um eine Führungsfunktion in der LINKEN - primär eine Rolle? Nicht die Differenzen, die es zwischen der Politik der LINKEN und den Auffassungen von Frau Klarsfeld gibt - nehmen wir nur ihre jüngsten Bemerkungen zum Grass-Gedicht. Primär für ihre Nominierung war die Position, die sie als Antifaschistin einnahm und einnimmt. Und das war gut für das Land und für unsere Partei. Und die Äußerungen von Frau Klarsfeld zur DDR waren, anders, als hier und da behauptet wurde, mehr als politisch korrekt. Diese Frau lässt sich von niemandem einfach vereinnahmen. Wir haben in der Bildzeitungsdiktatur mit einem unserer Kernthemen eine eigenständige, widerständige Rolle gespielt, und die Öffentlichkeit konnte das wahrnehmen. Dass Frau Klarsfeld dies als Würdigung ihrer Lebensleistung betrachtete, ist normal und gerechtfertigt. Wer sich in einer lateinamerikanischen Folterdiktatur in der Öffentlichkeit ankettet, um weltweit darauf aufmerksam zu machen, dass eine Bestie wie Klaus Barby ausgeliefert werden muss, der wäre auch dann schon aller Ehren wert, wenn das Ziel der Auslieferung verfehlt worden wäre. Wer behauptet, die Nominierung von Frau Klarsfeld sei die spezifische Form der LINKEN gewesen, sich dem Zeitgeist anzubiedern, hat vielleicht über den Stellenwert von Antifaschismus, besonders in der Gegenwart, noch nicht bis zu Ende nachgedacht - um es in aller Zurückhaltung zu formulieren.

Von großer Bedeutung für gelebten Antifaschismus war auch der Erfolg von Dresden und in anderen Städten, in denen Nazis das Terrain nicht überlassen wurde und wird. Mehr als 10.000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet versammelten sich in Dresden, um einen erneut drohenden Aufzug neofaschistischer Gruppen zu verhindern, darunter auch Genossinnen und Genossen der KPF. Offensichtlich wollten die Nazis es nicht riskieren, das dritte Mal in Folge durch antifaschistische Blockaden an ihrem Aufmarsch gehindert zu werden. Eine für den 18. Februar von ihnen angemeldete Demonstration wurde abgemeldet und so blieb Dresden an jenem Sonnabend von Nazis verschont. Es war jedoch vollkommen richtig, dass alle antifaschistischen Kräfte, die für Dresden mobilisiert worden waren, auch in die Stadt kamen. Das unterstrich den Willen zur Blockade, die sich eben deshalb nicht mehr als nötig erwies, weil dieser Wille ungebrochen blieb. Es ist dem »Bündnis Dresden Nazifrei« zu danken, dass dieser Tag auch und gerade ohne Nazis zu einer beeindruckenden antifaschistischen Manifestation wurde. Vorwiegend Junge aber auch ältere und alte Menschen marschierten nach einer Eröffnungskundgebung am Hauptbahnhof in einem kilometerlangen Zug in die Dresdner Neustadt zum Haus der Begegnung und des Vereins Roter Baum - im vergangenen Jahr Opfer von Polizeiwillkür. Es war ein beeindruckender, disziplinierter Marsch. Es zeigte sich einmal mehr, dass sogenannte Vorkommnisse aus der Demonstration heraus Seltenheitswert bekommen, wenn sich die Polizei zurückhält. Das war dieses Jahr in Dresden der Fall. Diesbezüglich sollten wir aber keine Illusionen aufkommen lassen. Es sind immer noch die schreckliche Mordserie der Nazis und das anscheinend völlige Versagen der Sicherheitskräfte über zehn Jahre hinweg, die gegenwärtig zumindest mancherorts ein bestimmtes Augenmaß gegenüber Antifaschisten erzwingen. Wir sollten auch nicht vorschnell sagen, der Nazigroßaufmarsch in Dresden sei Geschichte. Das kann gelingen, wenn wir nicht sorglos werden und uns auch zukünftig als mobilisierungsfähig erweisen.

Der aktive Kampf gegen Faschisten auf der Straße ist und bleibt wichtig. Nicht weniger wesentlich ist die Auseinandersetzung mit all jenen, die die Ungeheuerlichkeit faschistischer Verbrechen relativieren, in dem sie Linke und Rechte gleichsetzen und den Geschichtsrevisionismus forcieren. Auch diesbezüglich finden sich Äußerungen von Gauck: »Einheimischen wie Vertriebenen«, so schrieb er 1998 im Nachwort zum »Schwarzbuch des Kommunismus«, »galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue Staatsgrenze anerkannten.« Doch Gauck ist mit derartigen Auffassungen nicht alleine, sonst wäre er nicht Bundespräsident geworden. Dafür, wie sehr solche Positionen auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft ihren Platz haben, gibt es täglich ungezählte Beispiele. Greifen wir eines heraus. Im Januar/Februar-Heft des Magazins der VVN-BdA antifa hieß es: »Im Stadtrat von Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) ... wurden Straßenbenennungen nach verdienten Persönlichkeiten diskutiert. Vorgeschlagen war u.a. Hildegard Schäfer, von den Nazis nach Ravensbrück verschleppt, fünf Jahre in Konzentrationslagern eingesperrt, später lange aktiv als Zeitzeugin in Schulen und öffentlichen Einrichtungen und auch als Vorsitzende des örtlichen VVN-BdA. Einem CDU-Ratsherrn fiel bei der Debatte der Satz ein, dass ja auch sein Vater Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht habe, ohne dass nach ihm eine Straße benannt werde.« Dies ist kein Ausrutscher. Es ist vielmehr Geschichtsrevisionismus elementarster Art. KZ-Häftlinge und deutsche Kriegsgefangene werden gleichgesetzt, als befänden sich die Gegner und Opfer des faschistischen Regimes mit jenen auf einer moralischen Ebene, die - mehr oder weniger begeistert - für eben dieses Regime gekämpft hatten.

Diese Art von Geschichtsklitterung verstellt jede Frage nach dem Wesen des Faschismus, jede Frage nach den Interessen, um derentwegen der Zweite Weltkrieg entfesselt und geführt wurde. Und das ist gewollt. Die Hauptwaffe der bürgerlichen Gesellschaft in den weltanschaulichen Auseinandersetzungen um den europäischen sozialistischen Versuch ist die der Gleichsetzung desselben mit dem Faschismus. Das funktioniert etwa so: Die teils schlimmen Deformationen des Sozialismus werden als das für diese Gesellschaftsordnung Typische, beinahe Ausschließliche dargestellt. Dem Faschismus hingegen wird nicht nur angedichtet, er habe mit der bürgerlichen, sprich kapitalistischen Gesellschaft nichts zu tun gehabt, sondern er wird mit dem Sozialismus verglichen, einem nationalen eben. Und schon haben wir das Konstrukt einer Gleichsetzung bei völliger Umgehung der Eigentumsfrage. Dazu gehört auch, diejenigen, die von den Faschisten mit äußerstem Hass, Terror und Mord bekämpft wurden, Kommunistinnen und Kommunisten, den Faschisten gleich zu setzen. Das ist der Kern des modernen Antikommunismus, kurz Totalitarismus-Theorie genannt. Erinnert sei in diesem Kontext z.B. an die Äußerungen der Chefrevanchistin und CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach, die NAZIS seien eine linke Partei gewesen. »Vergessen?«, heißt es bei ihr wörtlich: »NationalSOZIALISTISCHE ARBEITERPARTEI«. Diejenigen im Establishment, denen das zu platt war, kritisierten den extrem dummen Steinbachschen Antikommunismus vom Standpunkt des etwas verdeckteren. So der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, der, an Steinbach gewandt, äußerte: »Meinen Sie das alles ernst, was Sie hier schreiben? Die NSDAP war links, weil sozialistisch? Dann«, so Beck weiter, »war die DDR demokratisch?« Diese Art von Pseudo-Kritik an Steinbachs Äußerungen beweist eigentlich nur eins: Niemand, der in diesem Land Karriere machen will, kann antikommunistischen Schwachsinn infrage stellen, ohne sich seinerseits eines etwas intelligenteren Antikommunismus zu bedienen.

»Die verschwiegenen Extremisten in der LINKEN«

Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Bemerkungen des CSU-Generalsekretärs Dobrindt in der Jauchsendung vom 29. Januar: Im Zeitraum von 1900 bis 2000 habe es im Osten gerade einmal 26 Jahre Demokratie gegeben, ansonsten hätten totalitäre Regime geherrscht. Eine ähnliche Rechnung wie bei Gauck. Lösen wir dieses »Jahrhunderträtsel« einmal auf: Der Kaiser und der I. Weltkrieg mit 10 Millionen Toten, der »Führer« und der II. Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Toten, der Völkermord an den Juden, Slawen, Sinti und Roma inbegriffen - und die DDR - alles Diktaturen! Eine perfektere Gleichsetzung geht nicht. Auf den Punkt gebracht hat diese Demagogie der Journalist Matthias Krauß im ND vom 3./4. März mit den Worten: »Die 136 Mauertoten - und sie waren zweifellos Opfer der DDR - werden im geschichtlichen Rückblick von ihnen [von den »Abrechner(n) um Joachim Gauck, Hubertus Knabe, Marianne Birthler, Roland Jahn, Rainer Eppelmann oder Klaus Schröder«] und den dominierenden Medien behandelt, als wären es Millionen. Und die Millionen Opfer des Westens bekommen im Gegenzug eine Bedeutung, als wären es 136.« Das trifft den Kern der Sache. Dieser Umgang mit der Geschichte hat einen beinahe schlicht zu nennenden Grund: Je schlechter es im Kapitalismus um die soziale Frage bestellt ist, desto totalitärer die Denunziation des Sozialismus und all derer, die am Ziel einer nichtkapitalistischen Gesellschaftsordnung festhalten.

Liebe Genossinnen und Genossen, dies war und ist auch der ideologische Boden für die massiven Angriffe auf DIE LINKE via Verfassungsschutz. Der Tagesspiegel bezeichnete am 2. Februar die Kommunistische Plattform als »Die verschwiegenen Extremisten der Linken«. Tief besorgt um unsere Partei äußerte Tagesspiegeljournalist Meisner, die KPF munitioniere Gegner der Linkspartei mit ihren Parolen. Auch innerhalb der Partei sei sie umstritten. Teils agiere sie wie ein Geheimbund. »CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt«, so Meisner weiter, »begründe seine Forderungen nach einem Verbot der LINKEN und der Beobachtung von allen 76 Bundestagsabgeordneten unter anderem mit dem Einfluss von ›extremistischen Gruppen wie eben der Kommunistischen Plattform‹«. Genossen der LINKEN empörten sich, so im Tagesspiegel weiter, »dass die Kommunisten mit Geld aus der Parteikasse gefördert werden, Angaben zum Personal ihrer Spitzenfunktionäre aber verweigerten«. Diesen Vorwurf wiederholte Meisner eine Woche später und ergänzte faktisch, nach Angaben von Schatzmeister Raju Sharma solle die KPF 2012 ein Budget in Höhe von 11.000 Euro erhalten. Insgesamt seien 190.000 Euro für die Zusammenschlüsse einkalkuliert. Zugleich sei laut Sharma geplant, dass das Karl-Liebknecht-Haus den Vertrieb der KPF-›Mitteilungen‹ unterstützt. Darüber hinaus rechne die Kommunistische Plattform in diesem Jahr mit Spenden von 18.000 Euro, die ihr direkt zugedacht seien. Und weiter im Tagesspiegel: »Der Verfassungsschutz nennt die ›in marxistisch-leninistischer Tradition stehende‹ KPF mit ihren aktuell über 1.200 Mitgliedern (Tendenz: steigend) den ›mitgliederstärksten offen extremistischen Zusammenschluss‹ in der Partei.« Dann wiederholte Meisner seinen Vorwurf an die KPF, sie verweigere Angaben über ihr Führungspersonal. In diesem Kontext erwähnte er einen anscheinend großen Zufall: »In einer dem Tagesspiegel vorliegenden E-Mail«, so schreibt er wörtlich, »fragte ein Politikstudent an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena im November bei der KPF nach der Zusammensetzung des derzeitigen Bundessprecherrates und Bundeskoordinierungsrates - er wollte sich in einem Seminar mit der KPF befassen. KPF-Aktivist Thomas Hecker teilte ihm mit, er bitte um Verständnis dafür, ›dass wir keine Informationen zu personenbezogenen Daten weitergeben - weder auf Bundes- noch auf Landesebene‹«. Meisner weiter: »Der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer sagte dazu, aus seiner Sicht sei die KPF zur Offenlegung verpflichtet. Wörtlich: ›Das ist doch keine Untergrundpartei.‹ Dagegen bemerkte Sharma, er könne die Zurückhaltung der KPF nachvollziehen, denn schließlich würden gerade deren Aktivitäten für Extremismusvorwürfe gegen die Linke herangezogen.« Der Bundessprecherrat hat am 9. Februar auf Klaus Lederers und ähnliche Anwürfe reagiert, und die Stellungnahme ist in den März-Mitteilungen dokumentiert. Wenngleich nach unserer Erklärung zunächst einmal Ruhe einzog, möchten wir heute einige Bemerkungen zu dem erwähnten Vorgang machen.

Unsere vor einigen Jahren getroffene Entscheidung, die Namen der in den Bundeskoordinierungsrat gewählten Genossinnen und Genossen nicht mehr - wie vordem üblich - in den Mitteilungen zu veröffentlichen, beruhte auf der Bitte eines Koordinierungsratsmitgliedes, das berufliche Nachteile fürchtete, wenn durch entsprechende Veröffentlichungen sein Chef von seinem exponierten Engagement in der KPF erführe. Wir haben dann eine prinzipielle Entscheidung gefällt, weil es nicht sein kann, dass z.B. die Namen der dem Bundeskoordinierungsrat angehörigen Rentner veröffentlicht und die der Berufstätigen nicht veröffentlicht werden. Für alle Besorgten: Dies beeinträchtigt nicht die Arbeit des Bundesverfassungsschutzes oder anderer deutscher Geheimdienste. Deren V-Leute schreiben ohnehin über unsere Konferenzen entsprechende Berichte, darunter auch, wer mit wieviel Stimmen in den Koordinierungsrat gewählt wurde oder auch nicht.

Und natürlich werden die entsprechenden Parteistrukturen ordnungsgemäß über Wahlergebnisse, ob auf Bundes- oder auf Landesebene, informiert. Soweit zum Vorwurf der Geheimbündelei. Es ist so, wie Raju Sharma das richtig festgestellt hat - nur noch viel elementarer. Wir fühlen uns verpflichtet, Rücksicht auf unsere Genossinnen und Genossen zu nehmen. Und noch etwas: Jeder kann uns anmailen, und unter sonst welchen Vorwänden - benutzen wir den Sprachgebrauch des Tagesspiegel - »Angaben über unser Führungspersonal« abverlangen. Auch Nazis. Und wenn irgendeine faschistische Terrorzelle, die gerade nicht richtig vom VS beobachtet wird, auf die Idee kommt, zur Abwechslung und in guter Tradition Kommunistinnen und Kommunisten zu erschießen, dann liefern wir ihnen die Liste, mit wem sie vorzugsweise beginnen sollten. Wir denken nicht daran!

Einige Bemerkungen zu den Finanzfragen: Nach unserer Kenntnis hat niemand in der Partei Probleme damit, dass wir das uns, so wie allen anderen anerkannten Zusammenschlüssen, zustehende Geld erhalten, »obwohl« wir die Namen der Mitglieder des Bundeskoordinierungsrates nicht durch die Gegend schicken. Es ging in den seit der ersten Hälfte 2011 laufenden Debatten über die Finanzierung der Zusammenschlüsse auch zu keinem Zeitpunkt um die Finanzierung der KPF alleine. Es ging um den Umgang mit allen. Und da ist - nach offenen Auseinandersetzungen - für 2012 eine akzeptable Lösung gefunden worden, die natürlich wiederum nicht nur uns betrifft, sondern alle 26 Zusammenschlüsse. Wir haben 11.000 Euro für die politische Arbeit zur Verfügung, wovon ca. 90Prozent für Reisekosten benötigt werden, der Rest für Saal-, Kopier- und Versandkosten und die eine oder andere Annonce. Die sonst so kostenintensiven Personalkosten entfallen bei allen Zusammenschlüssen, so auch bei der KPF. Die Mitteilungen, die wir seit 1990 monatlich herausgeben, erfordern für Druck und Versand jährlich ca. 30.000 Euro. Davon haben wir seit Jahr und Tag ca. die Hälfte durch Spenden vieler Mitteilungsleser aufgebracht, also zwischen 14.000 und 15.000 Euro. Seit Beginn 2011 haben wir mit großer Unterstützung durch die Genossinnen der Abteilung Finanzen beim Parteivorstand und durch die unermüdliche Arbeit der Org.-Gruppe den Kampf um ein höheres Spendenaufkommen intensiviert. Mit Erfolg: Wir haben 2011 über 21.000 Euro eingenommen. Wir danken heute allen Spendern und den Landessprecherräten, die dieses Resultat ermöglicht haben. Über die Ergebnisse des ersten Quartals 2012 wird Genosse Helmut Müller in der Diskussion sprechen und Schlussfolgerungen unterbreiten.

Summa summarum: Wir arbeiten uneingeschränkt öffentlich und sind fest in der Basis der Partei verankert. Wir sind der zweitgrößte Zusammenschluss nach der AG Betrieb & Gewerkschaft. Wir werden innerparteilich weder bevorzugt noch benachteiligt. Für niemanden, der sich der Plattform zugehörig erklärt hat, steigen die Karrierechancen und machtpolitische Spielchen sind uns nicht nur aus Mangel an Gelegenheit fremd.

Wofür Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN stehen

Wir arbeiten auf der Grundlage von Programm und Satzung der LINKEN und konzentrieren uns hierbei bekanntermaßen vor allem auf folgende Schwerpunkte:

Wir treten für die strikte Beibehaltung der im Programm erneut verankerten friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei ein. In diesem Kontext sehen wir es als eine besondere Verpflichtung an, mit darüber aufzuklären, dass der Krieg keine zufällige, lediglich aus der Politik hervorgehende Erscheinung ist, sondern das objektive Ergebnis der Existenz und der Entwicklung des Kapitalismus.

Wir treten für einen Systemwechsel ein. Der Kapitalismus zeigt sein asoziales weil ausbeuterisches, aggressives und kulturfeindliches Wesen täglich mehr. Letztlich muss er überwunden werden. Hier und heute geht es um die Abwehr der immer brutaler werdenden Angriffe auf die Lebensqualität der Bevölkerungsmehrheit, besonders um die Solidarität mit den sozial Benachteiligten. Teil dieser Abwehrkämpfe ist das Ringen um soziale Reformen.

Unser Ziel ist und bleibt der Sozialismus, in dem die unerlässliche Demokratie ihre Basis in Eigentumsverhältnissen hat, die es gewährleisten, dass die Profitmaximierung nicht mehr das Maß aller Dinge ist.

Wir setzen uns für die vorurteilsfreie Analyse des Sozialismus im 20. Jahrhundert ein und unterstreichen unsere Position, dass dieser historisch legitim war und ist. Für Kommunistinnen und Kommunisten ist die Dialektik Methode nicht nur zur Analyse gegenwärtiger Verhältnisse sondern gleichermaßen der Geschichte. Das klingt wie eine Binsenweisheit. Diese bedarf allerdings der besonderen Erwähnung, weil es auch unter Linken nicht unüblich ist, den Kapitalismus und Imperialismus nach den Kriterien des historischen Materialismus zu bewerten und gleichzeitig zuzuschauen, wenn der Mainstream den gewesenen Sozialismus jenseits von Zeit und Raum rein denunziatorischen Bewertungen unterzieht. Manchem erscheint es unerheblich, sich gegen einen verfälschenden Umgang mit der Geschichte zur Wehr zu setzen. Gefallener Schnee von gestern, meinen sie. Mitnichten. Zu allen Zeiten versuchten die jeweils Herrschenden aus dem Gang der Geschichte eine Rechtfertigung für eigenes Handeln und die Aufrechterhaltung der eigenen Herrschaft abzuleiten. Und so ist der Umgang der Protagonisten des Kapitals mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus nur einem Ziel untergeordnet: Die These Fukuyamas aus dem Sommer 1989 vom »Ende der Geschichte« in den Rang der ewigen Wahrheit zu erheben. Dies geschieht nicht aus nostalgischen Gründen sondern um jedes Nachdenken über eine von Ausbeutung befreite Welt schon im Keime zu ersticken und um jene in Hass zu ertränken, die im 21. Jahrhundert den Weg zum Sozialismus gehen oder weiter gehen wollen.

Unsere besondere Solidarität gehört dem sozialistischen Kuba und allen Ländern, die, wie zum Beispiel in Lateinamerika, nach neuen Wegen für eine nichtkapitalistische Entwicklung suchen.

Wir wenden uns gegen eine immer unerträglicher werdende repressive Innenpolitik und halten die Verteidigung der verbliebenen bürgerlichen Freiheiten sowie deren Ausbau für unverzichtbar. Diese Freiheiten sind für uns unteilbar. Dies fordert besonders unsere praktische Solidarität mit Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern.

Wir sind dem Antifaschismus verpflichtet und sehen unsre Aufgabe nicht zuletzt darin, an der Aufklärung darüber mitzuwirken, unter welchen Bedingungen Faschismus entsteht und gesellschaftlich relevant werden kann. Wir lehnen jede Form von Nationalismus und Rassismus ab. Der Internationalismus ist uns ein hohes Gut. Unser Abscheu und Widerstand gilt der Stigmatisierung von Muslimen ebenso, wie dem wieder erstarkenden Antisemitismus und Antiziganismus. Wir wirken aktiv an der Seite der VVN-BdA und anderer antifaschistischer Kräfte für ein Verbot der NPD mitsamt ihren Gliederungen, Neben- und Nachfolgeorganisationen und unterstützen auch einen entsprechenden Antrag an den Göttinger Parteitag.

Die eben aufgeführten Arbeitsschwerpunkte befinden sich weder im Widerspruch zu Programm und Satzung noch im Widerspruch zu vorherrschenden Meinungen und Stimmungen an der Parteibasis. Niemand - weder all jene, die uns lieber angepasst sähen, noch jene, die meinen, uns von links kritisieren zu müssen, weil sie sich uns ungeduldiger wünschen - kann uns vorhalten, dass wir unser alltägliches Wirken nicht an den o. gen. Schwerpunkten ausrichten. Natürlich gibt es in der LINKEN Kräfte, vor allem im fds organisiert - die besonders Probleme mit unserer Haltung zu den friedenspolitischen Prinzipien und zur Geschichte haben. Der Mainstream greift uns dafür ohnehin seit eh und je an.

»Alles ist Ware, alles ist käuflich… Widerwärtig«

Was wirft die veröffentlichte Meinung der KPF vor, was anderen Gruppierungen in der Partei eher nicht vorgeworfen wird? Vorgeblich ist es »lediglich« unser Umgang mit der Geschichte. Aber tatsächlich ist es unsere Bewertung der Gegenwart und unser Umgang mit der Zukunft. Für uns ist der Sozialismus nicht irgendeine quasireligiöse Utopie, zu der man auf einem utopischen dritten Weg gelangt. Für uns ist der Sozialismus eine Gesellschaftsordnung, in welcher der Mechanismus der Profitmaximierung gebrochen ist und der Mensch - nicht der Profit - im Mittelpunkt steht. Andre Asriel, ein bekannter DDR-Komponist, der aus englischer Emigration in den Osten Deutschlands kam, hat hierfür sehr persönliche Worte gefunden. In einem kürzlich im ND veröffentlichten Porträt wurde er nach Ärgernissen, die ihm im DDR-Kulturbetrieb widerfuhren, befragt. »Ach lassen wir das«, antwortete er. Er wolle dem gewesenen Land nicht jeden Quatsch nachtragen. Erinnerungen seien wie sie sind. »Was mich bewegt«, so Asriel wörtlich, »ist für andere gräulich - und umgekehrt.« Was bewegt Sie denn, hinterfragte das ND. Asriel: »Damals in England ging mir der Kapitalismus schon gegen den Strich. Deshalb bin ich weg. Und jetzt habe ich es wieder: Alles ist Ware, alles ist käuflich, an allen Dingen des Lebens - am Leben selbst - hängt ein Preisschild dran. Widerwärtig.« Auch unsere positive Haltung zum Versuch einer gesellschaftlichen Alternative resultiert nicht aus uns unterstellter Kritiklosigkeit am Gewesenen, sondern aus der radikalen Ablehnung eines Systems, in der nicht der Mensch wesentlich ist, sondern der Profit. Von diesem Standpunkt aus sind aus dem gewesenen Sozialismus Schlussfolgerungen zu ziehen, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist zu schlussfolgern, welche Erfahrungen bewahrenswert waren und welche nicht wiederholt werden dürften.

Wir haben weder ein plump apologetisches noch ein unkritisches Verhältnis zum gewesenen Sozialismus, geschweige denn ein denunziatiorisches. Wenn Kommunistinnen und Kommunisten sich den Denunziationen des Sozialismus im 20. Jahrhundert entgegenstellen, dann verteidigen sie damit mehr, als die Würde all jener, die aufrichtig und oft unter großen Opfern für eine andere Welt gekämpft und gearbeitet haben. Sie verteidigen gleichermaßen die Idee einer sozialistischen Zukunft, die Überzeugung, dass der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein darf, das Wissen, dass es Sozialismus geben wird, oder eben Barbarei. Die Barbarei für möglich haltend, sind wir nicht nur aktive Antifaschisten, sondern verteidigen gleichermaßen die Notwendigkeit, darüber aufzuklären, unter welchen Bedingungen Faschismus entsteht und gesellschaftlich relevant werden kann. Nicht wenige Linke halten diese Positionen, die wir kompromisslos verteidigen, für dogmatisch und daher ihre vom Mainstream nicht unbeeinflusste Sicht auf die Geschichte für unorthodox. Das ist nicht schlimm. Wir werden mit ihnen in allen Fragen gemeinsam handeln, in denen es übereinstimmende oder weitgehend adäquate Positionen gibt. Aber wir werden unsere kommunistische Identität nicht aufgeben, ebenso wenig unsere Struktur.

In Anbetracht der sich zunehmend aggressiver gestaltenden Angriffe auf die KPF werden wir weder jemandem den Gefallen tun, kopflos zu werden noch werden wir sie unterschätzen. Anschuldigungen von jenen, die sich weit links von uns wähnen, werden wir auch weiterhin mit Gelassenheit begegnen, ohne uns auf Auseinandersetzungen einzulassen, die die Rechten aller Schattierungen nur erfreuen würden.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir können allerdings nicht ganz darauf verzichten, uns gegen bestimmte Sichten zu wenden. Wir möchten, dass wir an der Parteibasis verstanden werden und wir wollen es unseren Gegnern auch nicht unnötig leicht machen, uns Diskussionen aufzuhalsen, die u.E. keinerlei praktischen Nährwert haben. Das ist ein wesentlicher Grund, warum im Bundeskoordinierungsrat einstimmig beschlossen wurde - ebenso übrigens im DKP-Parteivorstand - dass sich die KPF als Struktur nicht an einer von der KPD initiierten Veranstaltung am 9. Juni beteiligen wird. In der Einladung des ZK der KPD heißt es: »Mitglieder Kommunistischer Parteien, Mitglieder in Organisationen, die sich die Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten zum Ziel setzen, Angehörige in der Partei DIE LINKE, in linken Organisationen und Vereinen sowie Nichtorganisierte, die sich zum M/L bekennen und mit uns in den nachstehenden, in 6 Punkten zusammengefassten m-l Grundauffassungen über einstimmen, sind zu dem Treffen am 9. Juni ... herzlich eingeladen«.

Einer der sechs Punkte lautet: »Hauptursache für die Zerstörung und Beseitigung des Sozialismus auf deutschem Boden war der Revisionismus und Opportunismus. Deshalb führt die KPD einen konsequenten Kampf gegen Revisionismus, Opportunismus und seine Hauptform, den Antistalinismus.« Mit dieser mehr als verkürzten Einschätzung stimmen wir nicht überein. Das haben hoffentlich auch unsere heutigen Bemerkungen zum Thema Geschichte deutlich gemacht. Wir bitten die Genossinnen und Genossen der KPD darüber hinaus: Lest unsere »Klartexte« und das »Vermächtnis« von Michael Benjamin, damit Ihr nachvollziehen könnt, dass Eure Sicht auf die Geschichte für uns so nicht infrage kommt.

Noch einmal zurück zur Einladung des ZK der KPD, in der es weiter heißt: »Auf dem Treffen sollen weitere Schritte zum einheitlichen Handeln von Kommunisten und zu ihrer Formierung in einer Kommunistischen Partei auf marxistisch-leninistischer Grundlage beraten werden.«

Wer derart apodiktisch zur Zusammenarbeit aufruft, die programmatischen Vorstellungen und satzungsmäßigen Gegebenheiten in anderen Parteien bzw. Organisationen ignoriert und zu Organisationsformen aufruft, die auch deshalb mit der Realität nichts zu tun haben, weil diese Art des Umgangs miteinander eher spaltet als zusammenführt, der bringt die Linke in Deutschland nicht voran. Selbstverständlich werden wir in Bündnissen zusammenarbeiten, wie z.B. bei der Vorbereitung der jährlichen Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung.

Lehren aus der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration

Am 15. Januar fand die Demonstration statt. Sie zählte gut 9.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und verlief diszipliniert und kämpferisch. An ihr nahmen sehr viele junge Menschen, Migrantinnen und Migranten und auch ausländische Genossinnen und Genossen teil. Besonders stark waren die Parteien DKP, LINKE und MLPD vertreten. Die ALB, SDAJ, solid und Rebell stellten das Gros der jungen Demonstranten. Ungezählte Fahnen und Transparente wurden mitgeführt. Viele ältere und alte Genossinnen und Genossen, denen die Wegstrecke der Demonstration zu lang ist, säumten den Weg vom S-Bahnhof Lichtenberg bis zur Gedenkstätte der Sozialisten und begrüßten den Zug - nicht selten mit erhobener Faust. Die Polizei trat kaum in Erscheinung. Das war kein Zufall. Es macht sich bezahlt, dass im Bündnis über anderthalb Jahrzehnte der Konsens erarbeitet wurde, dass eine friedlich verlaufende Demonstration politisch einen größeren Effekt hat als eine, die der Polizei Vorwände liefert, einzugreifen. Wir haben keine Illusionen: Wenn unbedingt Vorwände gesucht werden, dann finden sich auch welche. Werden diese aber nicht a priori gesucht, so ist es klug, es nicht darauf anzulegen, sie auf jeden Fall zu liefern. Diese Position bestimmte unser Handeln in den vergangenen Jahren und es gab seitens der SPD-PDS/LINKEN-Koalition auch kein Interesse, diese Position zu konterkarieren. Zehn Jahre verlief so die Demonstration ohne nennenswerte Zwischenfälle zwischen Demonstranten und Polizei. Und so gab es wohl trotz neuer Koalition und einem CDU-Senator in diesem Jahr nicht den Wunsch, zu beweisen, dass man prügeln kann, wie unter Schönbohm und Werthebach. An den U-Bahnhöfen wurden keine Vorkontrollen durchgeführt. Während des Marsches wurden wir weder begleitet noch standen vor Banken martialisch ausgerüstete Polizeiketten. Und es bestätigte sich, was wir wieder und wieder betont haben und was sich, dies sei wiederholt, auch in Dresden zeigte: Ohne aufreizendes Verhalten der Polizei ist eine disziplinierte Durchführung der Demonstration leichter möglich und Agents Provocateurs haben es schwerer. Es gibt allen Grund, vor allem den jungen Demoteilnehmern für ihr hohes Verantwortungsbewusstsein zu danken.

Noch einmal: Dafür, dass das auch im kommenden Jahr so bleibt, gibt es keine Garantie und ist sicher von innen- und außenpolitischen Faktoren abhängig, die dann das politische Klima in diesem Land maßgeblich prägen. Umso wichtiger ist es, die Lehren zu berücksichtigen, die wir in fünfzehn Jahren kontinuierlicher Bündnisarbeit ziehen konnten. Dazu zwei Bemerkungen: Wir hatten es in diesem Jahr erstmalig mit einer Provokation von sich links verortenden Antikommunisten zu tun. Vor einem Haus Höhe Ruschestraße hielt eine Gruppe ein Transparent mit den durchgestrichenen Köpfen von Lenin, Stalin und Mao hoch, mit dem Untertitel versehen: »Kommunismus so nicht«. Leider sprangen einige Demonstranten über den hingehaltenen Stock und es kam zu Handgreiflichkeiten. Besonders durch das Agieren des Leiters der Ordnungsgruppen Daniel Hager und von Thomas Hecker waren die Rangeleien beendet, bevor Fotografen und Kameraleute vor Ort waren. Wenngleich entsprechende Bilder im Netz stehen, wurde in der offiziellen Berichterstattung der Vorfall nicht erwähnt. Im kommenden Jahr müssen wir im Vorfeld stärker darauf orientieren, dass Provokationen bei Nichtbeachtung am ehesten ins Leere laufen.

Wir halten es auch für kontraproduktiv, den Stein des Anstoßes auf dem Friedhof der Sozialisten zu attackieren, indem Blumen zertreten werden und »Stalin, Stalin ...« skandiert wird. Wir haben seinerzeit mit aller Konsequenz gegen die Aufstellung dieses Steins gekämpft und zugleich dringend vor Vandalismus gewarnt. Die Erklärung vom 6. Dezember 2006 »Nicht provozieren lassen - Auseinandersetzen!«, unterzeichnet vom unvergessenen Kurt Julius Goldstein, von Ellen Brombacher, Rim Farha, Prof. Heinz Karl und Sahra Wagenknecht hat nach fünfeinhalb Jahren nichts an Aktualität verloren. »Wer in Zukunft nach ehrendem Gedenken an Rosa und Karl, an deutsche Sozialisten und Kommunisten das Friedhofsrondell wieder verlässt«, so heißt es darin u.a., wird »einen vergleichsweise kleinen Gedenkstein vor Augen haben«. Auf dem stünden nicht, wie es vorstellbar wäre, Namen von Sozialisten und Kommunisten, die in der Sowjetunion unter Stalin umkamen sondern es sei ein Kampfbegriff eingemeißelt: »Opfer des Stalinismus«. Das sei eine Provokation für viele Sozialisten und Kommunisten. Abschließend heißt es: »Provokationen sollen in der Regel die Provozierten zu Dummheiten verleiten, dazu, etwas zu tun, was ihnen schadet. Es wäre mehr als schädlich, käme die Gedenkstätte der Sozialisten zukünftig dadurch in die Medien, dass der besagte Stein in irgendeiner Weise besudelt würde. … Springen wir nicht über den Stock, der uns hingehalten wird.« Wir möchten aus aktuellem Anlass diese Bitte nachdrücklich wiederholen.

Und noch etwas: Bevor wir los marschierten, versuchten Vertreter einer Kommunistischen Initiative mit einem überdimensional großen Transparent an die Spitze der Demonstration zu gelangen, auf dem neben Marx, Engels und Lenin auch Stalin abgebildet war. Die Demoleitung setzte durch, dass dieser Versuch scheiterte. Das Bündnis kann nicht verhindern, dass auch Stalinbilder im Rahmen der Demonstration mitgetragen werden, wenngleich dass weder den Überzeugungen der Bündnismehrheit noch dem Konsens im Bündnis entspricht. Was wir nicht dulden ist, dass die Demonstration mit solch einem Transparent eröffnet wird. Letzteres wollten - nicht zum ersten Mal - am 15. Januar auch türkische Genossen. Es sei heute unser Standpunkt noch einmal in aller Deutlichkeit formuliert: Natürlich könnten wir ignorieren, dass in einer Demonstration von gut 9.000 Teilnehmern vier oder fünf Transparente getragen werden, auf denen das Konterfei von Stalin abgebildet ist oder junge Leute mit entsprechenden Buttons herumlaufen. Wir könnten theoretisch auch darauf pfeifen, dass Medien dies zum Charakteristikum der Demo hochstilisieren. Solcherart Verfälschungen durch Aufbauschen zu produzieren, ist deren Aufgabe. Wir könnten uns mit Leichtigkeit auf den Standpunkt zurück ziehen, es gäbe zu dieser Frage unter Linken nun einmal kontroverse Positionen, und die unsrigen seien, da in Büchern und Publikationen veröffentlicht, allen bekannt, die sich dafür interessieren. Doch es geht um weitaus mehr als um unsere Angreifbarkeit. Die LL-Ehrung ist die größte und breiteste regelmäßig stattfindende linke Manifestation in Deutschland mit wachsender internationaler Beteiligung. Wenn sie das bleiben soll, wenn sie wachsen soll in Zahl und politischer Breite, dann muss sie sich auf Gemeinsamkeiten orientieren. Wer diese Demonstration mit Positionen dominieren will, die nicht zum Konsens gehören, der handelt verantwortungslos. Man kann nicht laufend die Einheit der Kommunisten beschwören, und darunter verstehen, dass man anderen die Kriterien dieser Einheit diktiert.

»Profil nicht mit fantastischen Koalitionsträumen vernebeln«

In fünf Wochen beginnt in Göttingen die 1. Tagung des 3. Parteitages der LINKEN. Im Mittelpunkt steht die Wahl des neuen Bundesvorstandes. Selbstverständlich respektieren wir die persönliche Entscheidung von Gesine, aus triftigen Gründen nicht weiter als Parteivorsitzende der LINKEN zu wirken. Zugleich bedauern wir ihren Rücktritt sehr. Gesine hat - gemeinsam mit Klaus Ernst - in einer für die Partei äußerst schwierigen Situation die Verantwortung übernommen. Sie wurde gebraucht. Und sie war da. Wir können nicht finden, dass die Medien, die ihr und Klaus mangelnde Führungsarbeit vorwarfen und -werfen, mit ihrer Stimmungsmache Recht hatten und haben. Ein Parteiprogramm wurde mit großer Mehrheit verabschiedet. Genau das war nicht gewollt, von all jenen, die den Zeitgeist verkörpern. Gesine hat sich in der Programmdebatte - und das kann man für die mehr als zwei Jahrzehnte ihres Wirkens in unserer Partei auch generell sagen - zu keiner Zeit verbiegen lassen. Im Verlaufe der sogenannten Kommunismus-Debatte ist sie ebenfalls nicht zu Kreuze gekrochen. Auch so manche und so mancher in der Partei hat ihr Letzteres übel genommen. Nicht so die übergroße Mehrheit der Parteibasis. Das hat auch etwas mit großer Bodenständigkeit zu tun, die Gesines Arbeit charakterisiert. Dass die Medien kaum über das Wirken unserer Partei im politischen Alltag berichteten und berichten, ist Kalkül. Sie berichten, wenn sie denn wollen, andererseits über politische Programmfragmente, Unverbindlichkeiten und krude Thesen so, als sei das eine halbe Revolution. Und wenn wir uns an das Geschrei erinnern, das veranstaltet wurde, weil ins Parteiprogramm aufgenommen werden sollte, dass die LINKE für die Freigabe von Haschisch ist und nun die absolute Ruhe erleben, in Anbetracht viel weiter gehender Forderungen der Piraten, dann liegt doch auf der Hand, was gespielt wird. Niemand sollte von den durch Medien verbreitete Stimmungen abhängig machen, welche Auffassung zu Aktionen, Projekten und auch Personen eingenommen werden. Unsere Auffassung zur Arbeit von Gesine jedenfalls ist klar: Wir danken ihr von unserer heutigen Konferenz aus von Herzen für ihre Arbeit als Parteivorsitzende. Der Respekt vor ihr und vor Klaus Ernst, der uns alle aufgefordert hat, jetzt in Schleswig-Holstein und NRW Wahlkampf zu machen, statt über Personalfragen zu diskutieren, dieser Respekt verbietet uns, diese Aufforderung auf unserer Bundeskonferenz zu ignorieren.

Personalfragen werden bekanntlich stets in sehr enger Verbindung mit inhaltlichen Positionen und politischen Absichten behandelt. Es zeichnet sich ab, dass die nicht neue Frage, ob wir auf Bundesebene ein Rot-Rot-Grünes-Bündnis anstreben sollten, oder eher nicht, vor der Bundestagswahl 2013 wieder zu einem zentralen Thema wird. »Ob Rot-Rot-Grün auch eine Option für die kommenden Bundestagswahlen wäre, würde ich gerne ergebnisoffen herausfinden«, schrieb Stefan Liebich auf der ND-Debattenseite vom 17. März 2012. Er leitete von der Notwendigkeit, konkrete Veränderungen zu erzielen, den Bedarf gesellschaftlicher Mehrheiten ab, »aber auch anderer Koalitionsmehrheiten, die zumindest als Optionen auf dieser gesellschaftlichen Basis entstehen können.« Ein wenig kryptisch, aber doch verständlich. Der Antwort des Parlamentarischen Geschäftsführers der LINKEN Alexander Ulrich auf selbiger Debattenseite können wir nur zustimmen. Er forderte, gegen die SPD-Taktik, die LINKE mit linker Vorwahlrhetorik überflüssig zu machen, ein klares inhaltliches Profil zu setzen. Wörtlich: »Dieses Profil dürfen wir nicht mit fantastischen Koalitionsträumen vernebeln. Mit einem Andienen an die SPD laufen wir Gefahr, dass insbesondere im Westen viele bisherige WählerInnen wieder zur SPD wechseln. Mit dieser Strategie würden wir sogar den Wiedereinzug in den Bundestag gefährden.« Und weiter:

»Die LINKE steht für die Entmachtung der Finanzmärkte, für den Ausbau des Sozialstaates und ächtet den Krieg als Mittel der Politik. … Wenn wir in den einzelnen Politikfeldern diese drei Kernbotschaften konsequent vertreten, werden wir in der Parteienlandschaft unser Alleinstellungsmerkmal erhalten. Das macht uns interessant für viele Akteure der außerparlamentarischen Bewegungen und nicht zuletzt für die Menschen im Land. Wenn wir uns in Koalitionsträumen verlieren, laufen wir Gefahr, überflüssig zu werden. Mit klarem Profil und glaubwürdigem Personal sollten wir selbstbewusst und eigenständig für eine starke LINKE kämpfen.« Soweit der Parlamentarische Geschäftsführer der LINKEN Alexander Ulrich. Es ist gut, dass im Leitantrag des Parteivorstandes zum Göttinger Parteitag die im Parteiprogramm fixierten roten Haltelinien für Regierungsbeteiligungen explizit formuliert sind und dass DIE LINKE ein Ende der militärischen Logik fordert und sich für Verhandlungen einsetzt. Wörtlich heißt es: »Das gilt auch für Syrien und den Iran, wo neue Kriege drohen. DIE LINKE lehnt sowohl Sanktionen, die die Bevölkerung treffen, als auch einen Angriff auf Syrien oder den Iran ab. Der sofortige Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan bleibt unsere zentrale Forderung. Wir wollen ein umfassendes Verbot von Rüstungsexporten.«

Es sei noch einmal betont: Die Bundesebene betreffende Koalitionsträume implizieren den Bruch mit unserem Parteiprogramm in der Friedensfrage. Die Bündnisverpflichtungen der BRD in NATO und EU schließen die friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei in der Politik einer beliebigen Bundesregierung aus. Solange SPD und Grüne Kriege für legitime Formen der Politik halten, bedeuteten für die LINKE »andere Koalitionsmehrheiten« - um noch einmal Stefan Liebich zu zitieren - die Aufgabe der eigenen Identität im wichtigsten Kernbereich unserer Programmatik und Politik. Insofern geht es sogar um mehr, als die Gefährdung unseres Wiedereinzuges in den Bundestag.

Aber selbst dann, wenn man von diesen, für unsere Partei existentiellen Fragen einmal absieht: Es ist doch auch lächerlich bis würdelos, in Hinblick auf 2013 irgendwie Rot-Rot-Grün zu beschwören, in einer Situation, wo uns regelmäßig der Stuhl vor die Tür gestellt wird. Der letzte Beweis hierfür wurde im Saarland erbracht. Der Spitzenmann der SPD Maas schloss vor der Wahl eine rot-rote Koalition kategorisch aus. SPD-Chef Sigmar Gabriel lehnte noch am Wahlabend Gespräche mit der LINKEN über eine Regierungsbildung ab. CDU und SPD hatten bereits vor den Landtagswahlen am 25. März angekündigt, gemeinsam eine Koalition bilden zu wollen. Das Vorab-Wissen um eine große Koalition lockte nur 61 Prozent der wahlberechtigten Saarländer an die Urnen. Die Wahlbeteiligung lag damit deutlich niedriger als 2009, als sie noch 67,6 Prozent betrug. Davor hatte die SPD sich in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern geweigert, eine Koalition mit der LINKEN einzugehen. In Anbetracht dieser Fakten sollten sich manche in unserer Partei an Kästners Worte erinnern: »Was immer auch geschieht, nie sollst Du so tief sinken, von dem Kakao, durch den man dich zieht, auch noch zu trinken.« Nun stehen am 6. Mai die Landtagswahlen in SHS und am 13. Mai jene in NRW bevor. Es wird schwer werden und von großer Bedeutung, wie wir dort abschneiden. Die Genossinnen und Genossen der KPF werden in beiden Bundesländern einen aktiven Wahlkampf führen, ungeachtet mancher Kritik, die es unsererseits an der Landespolitik in beiden Bundesländern durchaus gibt. Die Wahlkämpfe im Mai gehören zur direkten Vorbereitung des Göttinger Parteitages.

Liebe Genossinnen und Genossen, abschließend einige wenige Bemerkungen zu einem Thema, welches in Göttingen nicht behandelt werden wird, sehr wohl aber voraussichtlich auf dem Wahlparteitag im Frühjahr 2013. Es geht um die auf dem Erfurter Parteitag nicht bis zu Ende behandelten Satzungsfragen, darunter auch die im Kontext mit den Zusammenschlüssen. Unter den in Erfurt nicht behandelten Satzungsanträgen befanden sich zwei Änderungsanträge aus dem Kreisverband Vogtland-Plauen, die darauf gerichtet sind, den Zusammenschlüssen ihre Delegiertenmandate vollends zu nehmen bzw. ihre Rechte darauf zu beschränken, Delegierte mit beratender Stimme zu Parteitagen entsenden zu können. Es stellt sich die Frage, ob es ungerecht ist, wenn Genossinnen und Genossen unserer Partei, die - an der Parteibasis und in einem oder gar mehreren Zusammenschlüssen - ein doppeltes Pensum absolvieren und daher eine doppelte Chance haben, gewählt zu werden, diese auch nutzen. Bisher war das in der Partei mehr als 20 Jahre politisch so gewollt und auf diesen Willen sollte nicht verzichtet werden. Die Zusammenschlüsse spielen in der LINKEN eine produktive Rolle. Es wäre ein kontraproduktives politisches Signal, ihnen nunmehr - ohne nachvollziehbaren Grund - Rechte zu beschneiden, die sie seit mehr als zwei Jahrzehnten wahrnehmen. Interessanterweise hat sich das fds jetzt ebenfalls in diese Debatte eingeschaltet: Auf dem fds-Bundestreffen vom 21./22. April 20121 wurde unter anderem beschlossen: »Solange die Zusammenschlüsse Delegierte mit Stimmrecht entsenden dürfen, nimmt das fds dieses Recht ebenfalls in Anspruch. Das fds lädt jedoch andere Zusammenschlüsse ein, für den noch durchzuführenden Satzungsparteitag einen Antrag zu formulieren, der vorsieht, dass Zusammenschlüsse künftig nur noch beratende Delegierte sind.« Wir hingegen werden in dem Jahr bis zum Wahlparteitag gemeinsam mit anderen Zusammenschlüsse alles dafür tun, dass dem in der Partei geltenden pluralen Prinzip nicht das Wasser abgegraben wird.

Uns steht viel Arbeit bevor. Die Schwerpunkte haben wir im Euch vorliegenden Beschlussentwurf zusammengefasst und bitten für diesen und für unseren Bericht um Eure Zustimmung.