1. Tagung der 16. Bundeskonferenz

Unter Führung von Siegmar Gabriel zu systemverändernden Schlachten?!

Diskussionsbeitrag von Ellen Brombacher

Am vergangenen Wochenende fand in Berlin ein Bundestreffen des fds statt(1). Dort wurde dem Parteiprogramm faktisch die Realitätsbezogenheit abgesprochen und das Projekt der LINKEN als destruktiv charakterisiert. Von diesem Treffen ging de facto der Ruf aus, der ehemals in der PDS »tonangebende gemäßigte Kern« - das »Reformerlager« also - möge seine frühere Bedeutung zurück erlangen. Fünf Wochen vor dem Göttinger Parteitag ist dies eine Kampfansage an alle in der Partei, die es mit dem Erfurter Programm Ernst meinen und die den pluralen Charakter der LINKEN als notwendige Existenzbedingung betrachten. In allen Redebeiträgen, so heißt es in der Dokumentation des fds-Treffens, sei deutlich geworden, was Thomas Falkner in seinem Beitrag auf den Punkt gebracht hätte; die Zeit der individuellen Verarbeitung von Unzufriedenheit mit der aktuellen Entwicklung der LINKEN müsse jetzt vorbei sein.

In Falkners Rede wird DIE LINKE als eine Partei dargestellt, die sich über den Umweg einer »Wahlalternative« für enttäuschte Sozialdemokraten, vor allem aus dem Gewerkschaftsspektrum, aber auch als Wahlalternative für alle anderen linken Potentiale herausbildete. Wörtlich heißt es dann: »Schon nach wenigen Jahren sollte gegen die neue Lafontaine-Partei in Deutschland nichts mehr gehen - keine Koalition unter Beteiligung oder gar Führung der Bürgerlichen, kein Rot-Grün alleine - sondern nur eine Konstruktion, in der Lafontaine letztlich den Takt schlug.«

Nach dieser Denunziation folgt die nächste. Auch sie sei wörtlich wieder gegeben: »Chance und Problem dabei war die PDS. Man brauchte sie und ihre linke Wählerschaft; vor allem aber brauchte man ihre Logistik, ihre Strukturen, ihr Geld. Politisch jedoch war sie ein Hindernis: für die Mobilisierung der radikalen Linken im Westen wegen ihrer Absage an den Realsozialismus und wegen ihres gemäßigten, die Ablehnung des ›kapitalistischen Systems‹ durch die Idee von dessen Transformation ersetzenden Kurses; für die gewerkschaftliche Linke wegen ihres anhaltenden SED-Stallgeruchs und ihrer Verwurzelung im für die Gewerkschaften schwierigen ostdeutschen Sonderklima.«

Hier wird ganz deutlich: Zehntausende Menschen, die in Ost und West für die Fusion von PDS und WASG eintraten werden auf zwei Faktoren reduziert: Auf die angeblichen Vorstellungen Oskar Lafontaines und auf die Positionen des fds. Oder sollte Falkner tatsächlich annehmen, die Masse der Basis im Osten habe ein Problem mit der Ablehnung des kapitalistischen Systems? Die Genossinnen und Genossen in den neuen Bundesländern lehnen den Kapitalismus ebenso ab, wie die aus dem Westen stammenden Linken. Und ob für die radikale West-Linke die Absage der »Reformer« an den Realsozialismus so ein großes Problem war, sei einmal dahingestellt. Für die übergroße Mehrheit der PDS-Basis im Osten war der Umgang der »Reformer« mit unserer Geschichte oft an der Grenze des noch Erträglichen. Viele Genossinnen und Genossen verließen die Partei gerade deswegen. Nicht die PDS-Mitgliedschaft erwies sich als Problem im Fusionsprozess sondern diejenigen, denen der linke Kurs, den Lafontaine mit großer Überzeugungskraft vertrat und vertritt, nicht in ihr Konzept des unbedingten Strebens nach Regierungsbeteiligung passte.

Daher ist Falkner in einem Punkt unbedingt Recht zu geben: »Das fds steht immer noch für jene politische Richtung und soziale Gruppierung, die eigentlich nicht zum großen parteipolitischen Projekt passt.« Es wäre - nebenbei bemerkt - sehr interessant, Konkretes über die soziale Zusammensetzung des fds zu erfahren.

Zurück zu Thomas Falkner. Ausgehend von seiner Einschätzung der Probleme, die von der PDS im Fusionsprozess angeblich ausgingen, schreibt er: »In dieser Logik erschien die Zerschlagung der alten PDS, zumindest aber die Entmachtung ihres seit 2003 wieder tonangebenden gemäßigten Kerns als unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg des Gesamtprojekts der grundsätzlichen parteipolitischen Neuordnung in Deutschland ›diesseits der Union‹. Und so kam es denn auch.« Unglaublich eigentlich. Da stellt sich einer hin und behauptet, in der Logik des Fusionsprozesses habe der Wunsch nach Zerschlagung der PDS gelegen.

Es drängt sich ein weiterer Gedanke gerade zu auf. Und Falkner spricht ihn auch aus: »Das Hauptproblem liegt jedoch im Grundcharakter des Projekts: es ist seinem Wesen nach destruktiv - und eben nicht konstruktiv, wie man meinen möchte.« Ihr habt richtig gelesen: DIE LINKE ist ihrem Wesen nach destruktiv. Falkner weiter: »Es ist von Anbeginn destruktiv - und zwar mit Blick auf tragende Säulen eines links orientierten gesellschaftlichen Reformprojekts. Es braucht eine schwache SPD auf neoliberalem Irrweg, es verträgt keine realpolitisch starke und vergangenheitsbewusste Linke im Osten. Und es setzt auf die Entfesselung von linken Potentialen, die über Jahrzehnte im Westen Deutschlands mit ihren politischen Ansätzen marginalisiert waren. Diese Entfesselung war stets wahrnehmbar, wurde aber zunächst durch Oskar Lafontaine überstrahlt. Nach seinem Rückzug und der machtpolitischen Aufwertung ab 2010 wird aber deutlich, dass diese Ansätze auch heute eher zur Marginalisierung als zur breiten Mobilisierung führen. Diese Situation ist schwer aufzulösen - und sie riecht nach Untergang. Dies kann niemand wollen und wollen wir auch nicht.« Falkners Worte riechen noch nach etwas anderem, nach Frank-Walter Steinmeier, der am 26. April in der NRZ schrieb, das Ende der Party sei eingeleitet. Er meint das Ende der LINKEN. Vielleicht waren da auch mal wieder welche miteinander frühstücken.

Das Ende der Party möchte das fds wohl nicht. Die fds-Protagonisten wollen - um deren eigene Terminologie aufzugreifen - nur endlich wieder den Takt schlagen. Was tut not in ihren Augen? Sie wollen »dazu beitragen, die Partei in die wirklichen Probleme unseres Landes einzuführen, sie zu einem konstruktiven, lebenswahren Kurs zu führen«. Mit anderen Worten: DIE LINKE ist mit den falschen Problemen befasst, ist destruktiv und handelt jenseits des wahren Lebens. Falkner erklärt auch, warum unsere Partei so völlig untauglich ist: weil wir uns nämlich »ständig gegenseitig unsere Gewissheiten um die Ohren schlagen.« Und er meint daher, dass »wir aufhören (müssen) zu glauben, dass innerparteiliche ideologische Kompromisse uns der Realität näher bringen - geschweige denn überzeugende Antworten.«

Das ist eine Infragestellung des Parteiprogramms und zugleich eine, beträchtliche Teile der Basis ernsthaft ausgrenzende Position. Oder glaubt Falkner vielleicht, die Parteibasis wird irgendwann einmal die Haltung der meisten fds-Protagonisten zu unseren friedenspolitischen Prinzipen oder zur Geschichte teilen? Und - das ist eine klare Absage an das plurale Prinzip in unserer Partei. Es ist kein Zufall, dass gerade auf diesem fds-Treffen andere Zusammenschlüsse dazu eingeladen wurden, sich mit dafür einzusetzen, dass den Zusammenschlüssen nach künftigen Satzungsänderungen keine ordentlichen Mandate mehr zugebilligt werden, sondern sie dann nur noch Delegierte mit beratender Stimme entsenden dürfen.

Zurück zur Rede von Thomas Falkner. Er beschreibt dann, vor welchen Herausforderungen die BRD seiner Auffassung nach steht und welche Konsequenzen sich für uns daraus ergeben. Manchem in seiner Einschätzung kann man zustimmen, anderem nicht. Maßgeblich ist, dass er ausschließlich auf Veränderungen innerhalb des Kapitalismus fixiert ist und dies begründet er m.E. pseudotheoretisch. So meint er, die aktuelle Krise überdecke derzeit, »dass der Kapitalismus, seit er besteht, national wie global Anpassungsprozessen unterliegt und sich in Zyklen entwickelt.« Dann beschreibt er, dass die momentane Phase zu Ende geht und für das Kapital neuer Anpassungsdruck entstünde. Hier solle die LINKE eingreifen, Bündnispartner gewinnen und Stärken ausspielen. Sie solle, jetzt wieder wörtlich, »die neuen Entwicklungen an der ökonomischen Basis mit gestalten, sie für den gesellschaftlichen Fortschritt nutzbar machen.« Und dann sagt Falkner an anderer Stelle sehr deutlich, was er eigentlich damit meint: »Was die großen Fragen von Euro-Rettung und Finanzkrise anbelangt, so hat Siegmar Gabriel die richtige Alternative aufgemacht: demokratiekonforme Märkte vs. Merkels ›marktkonforme Demokratie‹. Das«, so Falkner weiter, sei »nun wirklich eine historische, systemverändernde Schlacht - und die gewinnt man nur mit einem breiten, handlungsfähigen Block!« Da haben wir sie, die vom fds gewünschte Kernaussage für den Wahlkampf 2013. Und wir kennen nun auch die Auffassung des fds von systemverändernden Schlachten unter Führung von Siegmar Gabriel.

Wer solche Vorstellungen hat, der muss andere verwerfen. »Die Finanzkrise«, so teilt Falkner uns mit, »findet nicht statt, damit die LINKE endlich die Systemfrage stellen kann«. Das sei auch gut so, denn wir wüssten ja selber noch nicht, für welchen der zehntausend Wege zum Kommunismus wir uns entscheiden sollten und ob sich Strömungen und Parteiprominenz dann auch noch an die Verabredungen halten. Nach diesem lustigen kleinen Scherz erklärt Falkner dann, dass die Finanzkrise zunächst einmal zeige, dass der finanzmarktgetriebene Kapitalismus so nicht weiter machen könne. Wahrscheinlich kann also der Kapitalismus als solcher durchaus so weiter machen - nur der finanzmarktgetriebene, der eben nicht. Und damit der so besonders böse Finanzmarktgetriebene aufhört, so böse weiter zu machen, muss auch die LINKE ihr Scherflein dazu beitragen. Wie das laut Falkner gehen soll, möchte ich im Original zitieren. »…die Welt der Finanzen gilt als kompliziert und undurchschaubar. Die Menschen begegnen ihr mit Misstrauen - und sind doch von ihr abhängig. Mit ihren Renten, ihren Ersparnissen und Krediten mit ihren Versicherungen. Diese Mischung aus Fremdheit und Abhängigkeit aber schottet die Finanzwelt ab und erlaubt ihr, ihre verantwortungslosen Spiele zu spielen. Ich plädiere dafür«, so Falkner weiter, »dass gerade die Linke diese Mauern nieder reißt und mutig sagt: Die Welt des Geldes ist unsere Welt - und sie muss in Ordnung gebracht werden. Es geht um unser Geld.« Ich halte das für die mit Abstand lichtvollste Äußerung in Falkners Rede. Sie orientiert sich natürlich hautnah an den wirklichen Problemen unseres Landes, ist konstruktiv und vor allem lebenswahr.

Ich erinnere noch einmal an meine eingangs gemachte Bemerkung, dass wir es mit einer Kampfansage des fds zu tun haben, der sich Lothar Bisky mit seinem Beitritt zum fds angeschlossen hat. Das fds wählte am vergangenen Wochenende seinen Sprecher neu: Benjamin-Immanuel Hoff. Fünf weitere Bundesvorstandsmitglieder wurden gewählt und ebenso die neuen fds-Parteitagsdelegierten. Ein sehr interessanter Antrag wurde mehrheitlich angenommen. In ihm heißt es - für das Deutsch kann ich nichts - : »Der zu wählende Bundesvorstand hat im Netz die Diskussion über die Schaffung einer qualifizierten und strukturierten Meinungsbildung zu schaffen, ob eine hauptamtliche Geschäftsführung hergestellt wird«. Es gibt viele Möglichkeiten, die Instrumente zu zeigen! Einstimmig wurde der Antrag von Sonja Kiesbauer u.a. angenommen: »Das fds-Bundestreffen unterstützt die Kandidatur von Dietmar Bartsch als Bundesvorsitzender der Partei DIE LINKE.«

Anmerkung

(1) www.forum-ds.de/article/2164.ergebnisse_des_bundestreffens2012.html; alle Zitate ebenda.